John Wein
Mitglied
Sein ist wahrgenommen werden
Als ich gestern im Garten meines Geistes lustwandelte, um für diesen Beitrag ein paar schöne Worte zu pflücken, stieß ich auf einen dornigen Gedanken, der dort vor sich kümmerte. Kurzentschlossen habe ich ihn ausgegraben, eingetopft und auf die Fensterbank der Leselupe gestellt, auf dass er im Licht der Öffentlichkeit gedeihen und mit Kritik gedünkt werden möge! Vielleicht wird ja mal eine schöne Blume draus.
„Hui, das haut aus der Kurve!“ finden Sie.
Na ja, irgendwie muss ich ja anfangen.
Wenn Eitelkeit oder die Polizei zu einem Selbstportrait zwingen, fühlt man sich genötigt prüfend in den Spiegel zu schauen. Hier offenbart sich Wahrheit. Plötzlich entdeckt man Realitäten, die man an sich selbst zuvor total übersehen hat. Dann fühlt sich nackt, fragt sich, will man das den Lesern hier eigentlich zumuten, die intimsten Stellen bloßstellen und die Seele offenbaren? Zu spät! Man schämt sich und die Meute johlt: „Seht doch, der Autor ist nackt!“, jetzt fühlt man sich plötzlich ganz klein und in der Menge einsam. Trotz Scham und aus gutem Grund sollte man aber bei einer Nabelschau ehrlich bleiben, denn Lügen dienen der Sache nicht. Mit Lügen wurden Kriege verloren, sind sogar Ehen gescheitert.
Kommse, kommserein lieber Leser! Kommense, hier sind meine Privatgemächer! .... Keine Angst, ich bin keine fesche Lola vom Pflaster der Reeperbahn. Kommserein, Erotik ist nicht meine Sache, hier lang und dann rechts die Treppe rauf, da oben ist es, sozusagen im Oberstübchen, eine zugige Turmkammer, ein verräuchertes Retraite pour l'Artiste. Na kommse schon! Meine Gunst gehört Ihnen lieber Leser, als Kunde sind Sie auf meiner Couch herzlich willkommen.
„Was für ein Kauz“, vermuten Sie.
„Sein ist wahrgenommen werden“, lehrt uns der Bischof von Cloyne, der alte George Berkeley. Nun ja, mit einer Mischung aus Mistrauen, Neugier und Bewunderung sieht man in exzentrisch gekleideten Menschen wie mich, Freigeister und Bonvivants und bewundern sie für ihren Mut. Sehn‘ Sie jetzt mein Sein? Hier ist John Wein, der alte Haudegen! Doch Exzentrik kommt auch leicht an Grenzen, denn ab einem bestimmten Punkt kann Bewunderung in Ablehnung umschlagen. Wer Pluderhosen anzieht und einen Obstkorb auf dem Kopf trägt, ist ein Künstler, wer aber mit offener Hose Bananen verzehrt, ist ein Taugenichts und auf der Einbahnstraße ins Asozialentum. Etwas dazwischen gibt es nicht. Vorsicht ist also geboten!
„Wie sieht das denn hier wieder aus!“, entschuldige ich mich.
Zwischen getragener Unterwäsche, löchrigen Socken und Latschen, Ablagen voller Blattschnipseln und einem überquellenden Aschenbecher, stimuliert süßliches Aroma das Klima und in der Ecke lockt ein Kasten Grimbergen. Ja lieber Leser, hier sind wir zu Hause, da wohnt des Dichters Gastlichkeit. Dort im Sessel, ja machen sie es sich bequem, sehen Sie die Wand, meine Klassiker, Schätze, die sich über Jahrzehnte angehäuft haben, von Bücherwürmen durchlöchert und Leseratten angefressen. Kann ich ein belgisches Bier anbieten? Ein Tütchen aus Holland vielleicht?
(Machen wir uns nichts vor, hier wohnt kein exzentrischer Künstler, hier sehen wir eine durchschnittliche, einige Zunge behaupten, eine gescheiterte Existenz, die sich nur mit einer schwindsüchtigen Rente, und einem Kasten Grimbergen und Pot über Wasser hält.)
„Komm endlich zu Potte! Ich will wissen wer du bist!“, meinen Sie skeptisch.
Oh, ich vernehme Unruhe, Gereiztheit, pardon! Sie erleben einen Autor, welcher seit Minuten versucht, mit seinen Tagebuchaufzeichnungen zur Sache zu kommen.
Wo fange ich an? Ach ja, am besten von vorn, Klappe:
Ich, John Wein, Autor und Dichter von unzähligen Büchern, ungelesenen und vergeblich geschriebenen Bestsellern, wurde in einer kalten Nacht bei einem Schneesturm in einer Postkutsche auf dem Weg von Waterloo nach Sankt Petersburg geboren. Meine Mutter, Comtesse Marguerite de Vin, war die dritte Kurtisane eines kleinen französischen Generals, den die vereinigten Engländer und Preußen zuvor ohne Rückfahrschein übers Meer nach St. Helena verfrachtet hatten. Ich bin sozusagen geborener Jean de Vin, zum einen Teil vornehmen- und zum anderen Teil französischen Geblüts. In den Wirren unserer Flucht purzelte ich aus dem Schoß meiner Mutter und schwuppdiwupp, aus der Kalesche und in den Straßengraben. Der Kutscher gab die Peitsche und später zu Protokoll, es sei in jener Nacht zu Handgreiflichkeiten des Gardesoldaten gekommen. Die geschändete Comtesse fiel in Ungnade und kurz hinter Köln auf das Eheversprechen des Kutschers rein. Sie verhalf sechs weiteren Geschwistern auf die Welt, zwei überlebten, von denen einer später Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Der andere entdeckte die heißen Quellen des Camasutra am Caprivizipfel, bevor er einer einheimischen Schamanin überantwortet wurde und, Entdeckerschicksal, in der Etoshapfanne endete.
Ich aber fiel in die Arme eines Trinkers, Emile van Brouwer, Betreiber einer Markt-Frittüre im flämischen De Pinte. Als Johan van Wijnen durchlebte ich im Waisenhaus die normale Lebenskarriere eines Findelkindes: trocken, Abitur, Nobelpreis. Ich gewann zwei olympische Goldmedaillen, eine Weltmeisterschaft der Profis im Extrembügeln und durch einen Exklusiv-Werbevertrag bei Rowenta ein paar Mäuse, die ich bei der Schweizer Rastbank versehentlich liegen ließ. Aber ich war jung im Saft, Schweizer Stimmbürger, mittellos und nannte mich fortan John und weiter ohne adeligen Zusatz, Wein.
„Himmelarschundzwirn! Das stimmt ja alles gar nicht! Von wegen Postkutsche und Schneegestöber! Die Schlacht war am 18. Juni! Sie sind ein Schwindler!“ empört Sie sich der Leser.
Hier hat nun der Zwischenrufer leider eine helle Birne in die Fassung des Textes reingedreht. Mit einem Schlag ist die ganze Aura meines schriftstellerischen Seins verflogen, wo gerade noch glühende Dichterworte die Fackel der Phantasie entfachen sollten. Ich werde rot, er hat recht! Ich habe tatsächlich noch nie in einer Postkutsche gesessen.
„Aber es sei 1815 ein harter Russenwinter gewesen, hat man berichtet“,……. „auch eins?“
Beim Öffnen der Flasche plagen mich Zweifel. Stimmt das wirklich alles, was ich hier aufgeschrieben habe? Zum Glück kann ich den Laptop zuklappen.
..... außerdem muss ich die Pflanze gießen.
Als ich gestern im Garten meines Geistes lustwandelte, um für diesen Beitrag ein paar schöne Worte zu pflücken, stieß ich auf einen dornigen Gedanken, der dort vor sich kümmerte. Kurzentschlossen habe ich ihn ausgegraben, eingetopft und auf die Fensterbank der Leselupe gestellt, auf dass er im Licht der Öffentlichkeit gedeihen und mit Kritik gedünkt werden möge! Vielleicht wird ja mal eine schöne Blume draus.
„Hui, das haut aus der Kurve!“ finden Sie.
Na ja, irgendwie muss ich ja anfangen.
Wenn Eitelkeit oder die Polizei zu einem Selbstportrait zwingen, fühlt man sich genötigt prüfend in den Spiegel zu schauen. Hier offenbart sich Wahrheit. Plötzlich entdeckt man Realitäten, die man an sich selbst zuvor total übersehen hat. Dann fühlt sich nackt, fragt sich, will man das den Lesern hier eigentlich zumuten, die intimsten Stellen bloßstellen und die Seele offenbaren? Zu spät! Man schämt sich und die Meute johlt: „Seht doch, der Autor ist nackt!“, jetzt fühlt man sich plötzlich ganz klein und in der Menge einsam. Trotz Scham und aus gutem Grund sollte man aber bei einer Nabelschau ehrlich bleiben, denn Lügen dienen der Sache nicht. Mit Lügen wurden Kriege verloren, sind sogar Ehen gescheitert.
Kommse, kommserein lieber Leser! Kommense, hier sind meine Privatgemächer! .... Keine Angst, ich bin keine fesche Lola vom Pflaster der Reeperbahn. Kommserein, Erotik ist nicht meine Sache, hier lang und dann rechts die Treppe rauf, da oben ist es, sozusagen im Oberstübchen, eine zugige Turmkammer, ein verräuchertes Retraite pour l'Artiste. Na kommse schon! Meine Gunst gehört Ihnen lieber Leser, als Kunde sind Sie auf meiner Couch herzlich willkommen.
„Was für ein Kauz“, vermuten Sie.
„Sein ist wahrgenommen werden“, lehrt uns der Bischof von Cloyne, der alte George Berkeley. Nun ja, mit einer Mischung aus Mistrauen, Neugier und Bewunderung sieht man in exzentrisch gekleideten Menschen wie mich, Freigeister und Bonvivants und bewundern sie für ihren Mut. Sehn‘ Sie jetzt mein Sein? Hier ist John Wein, der alte Haudegen! Doch Exzentrik kommt auch leicht an Grenzen, denn ab einem bestimmten Punkt kann Bewunderung in Ablehnung umschlagen. Wer Pluderhosen anzieht und einen Obstkorb auf dem Kopf trägt, ist ein Künstler, wer aber mit offener Hose Bananen verzehrt, ist ein Taugenichts und auf der Einbahnstraße ins Asozialentum. Etwas dazwischen gibt es nicht. Vorsicht ist also geboten!
„Wie sieht das denn hier wieder aus!“, entschuldige ich mich.
Zwischen getragener Unterwäsche, löchrigen Socken und Latschen, Ablagen voller Blattschnipseln und einem überquellenden Aschenbecher, stimuliert süßliches Aroma das Klima und in der Ecke lockt ein Kasten Grimbergen. Ja lieber Leser, hier sind wir zu Hause, da wohnt des Dichters Gastlichkeit. Dort im Sessel, ja machen sie es sich bequem, sehen Sie die Wand, meine Klassiker, Schätze, die sich über Jahrzehnte angehäuft haben, von Bücherwürmen durchlöchert und Leseratten angefressen. Kann ich ein belgisches Bier anbieten? Ein Tütchen aus Holland vielleicht?
(Machen wir uns nichts vor, hier wohnt kein exzentrischer Künstler, hier sehen wir eine durchschnittliche, einige Zunge behaupten, eine gescheiterte Existenz, die sich nur mit einer schwindsüchtigen Rente, und einem Kasten Grimbergen und Pot über Wasser hält.)
„Komm endlich zu Potte! Ich will wissen wer du bist!“, meinen Sie skeptisch.
Oh, ich vernehme Unruhe, Gereiztheit, pardon! Sie erleben einen Autor, welcher seit Minuten versucht, mit seinen Tagebuchaufzeichnungen zur Sache zu kommen.
Wo fange ich an? Ach ja, am besten von vorn, Klappe:
Ich, John Wein, Autor und Dichter von unzähligen Büchern, ungelesenen und vergeblich geschriebenen Bestsellern, wurde in einer kalten Nacht bei einem Schneesturm in einer Postkutsche auf dem Weg von Waterloo nach Sankt Petersburg geboren. Meine Mutter, Comtesse Marguerite de Vin, war die dritte Kurtisane eines kleinen französischen Generals, den die vereinigten Engländer und Preußen zuvor ohne Rückfahrschein übers Meer nach St. Helena verfrachtet hatten. Ich bin sozusagen geborener Jean de Vin, zum einen Teil vornehmen- und zum anderen Teil französischen Geblüts. In den Wirren unserer Flucht purzelte ich aus dem Schoß meiner Mutter und schwuppdiwupp, aus der Kalesche und in den Straßengraben. Der Kutscher gab die Peitsche und später zu Protokoll, es sei in jener Nacht zu Handgreiflichkeiten des Gardesoldaten gekommen. Die geschändete Comtesse fiel in Ungnade und kurz hinter Köln auf das Eheversprechen des Kutschers rein. Sie verhalf sechs weiteren Geschwistern auf die Welt, zwei überlebten, von denen einer später Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Der andere entdeckte die heißen Quellen des Camasutra am Caprivizipfel, bevor er einer einheimischen Schamanin überantwortet wurde und, Entdeckerschicksal, in der Etoshapfanne endete.
Ich aber fiel in die Arme eines Trinkers, Emile van Brouwer, Betreiber einer Markt-Frittüre im flämischen De Pinte. Als Johan van Wijnen durchlebte ich im Waisenhaus die normale Lebenskarriere eines Findelkindes: trocken, Abitur, Nobelpreis. Ich gewann zwei olympische Goldmedaillen, eine Weltmeisterschaft der Profis im Extrembügeln und durch einen Exklusiv-Werbevertrag bei Rowenta ein paar Mäuse, die ich bei der Schweizer Rastbank versehentlich liegen ließ. Aber ich war jung im Saft, Schweizer Stimmbürger, mittellos und nannte mich fortan John und weiter ohne adeligen Zusatz, Wein.
„Himmelarschundzwirn! Das stimmt ja alles gar nicht! Von wegen Postkutsche und Schneegestöber! Die Schlacht war am 18. Juni! Sie sind ein Schwindler!“ empört Sie sich der Leser.
Hier hat nun der Zwischenrufer leider eine helle Birne in die Fassung des Textes reingedreht. Mit einem Schlag ist die ganze Aura meines schriftstellerischen Seins verflogen, wo gerade noch glühende Dichterworte die Fackel der Phantasie entfachen sollten. Ich werde rot, er hat recht! Ich habe tatsächlich noch nie in einer Postkutsche gesessen.
„Aber es sei 1815 ein harter Russenwinter gewesen, hat man berichtet“,……. „auch eins?“
Beim Öffnen der Flasche plagen mich Zweifel. Stimmt das wirklich alles, was ich hier aufgeschrieben habe? Zum Glück kann ich den Laptop zuklappen.
..... außerdem muss ich die Pflanze gießen.