Selbst den Rilke

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Walther

Mitglied
Selbst den Rilke
- Für die Gestrigen unter den Heutigen -

Da gibt es Leser, die es besser wissen.
Sie wissen, wie man schreibt und wie man dichtet,
Wie man die Form, den Reim, der Vers gewichtet,
Und alles, das nicht passt, liest sich beschissen.

Aus diesem Wissen wird sehr schnell gerichtet:
Das Neue wird zum viel zu großen Bissen.
Den Goethe und den Schiller zu vermissen,
Des fühlen sie sich Tag und Nacht verpflichtet!

Die Sprache ist ein Werkstoff, der sich ändert,
Und Dichtung ist nichts Festes, das erstarrt.
Sie ist ein Werkzeug, das die Bilder rendert:

Was weich ist, wirkt schon morgen richtig hart.
Nur Heine scheint den Armen goldgerändet:
Sie haben selbst den Rilke ausgespart.
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Rilke ist scheissenlangweilig, Walther - aber Ihn noch durch einen Busch-Abklatsch zu untermüden, hat selbst Er nicht verdient.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Walter,
das Sonett gefällt mir recht gut. Mit den Reimen in den Dreizeilern habe ich etwas Probleme. "goldgerändet" heißt sicher "goldgerändert". Aber was ist "rendert" in V3Z3, soll es heißen "rändert"? Aber dann beißt es sich mit "goldgerändert" in V4Z2.
LG
Hermann Knehr
 
X

xxandros

Gast
lieber hermann,

ich kenne das wort auch nur, weil mein sohn informatiker und webdesigner ist und ich es dadurch mehrmals gehört habe.
hier offiziell von wiki:
Der Begriff Rendern (Engl. to render) bezeichnet die Erstellung einer Grafik aus einer Skizze oder einem Modell.

Im Bereich Design, insbesondere im Automobildesign, wird damit die Umsetzung einer oft vorher mit Bleistift oder Kugelschreiber angelegten Skizze in differenzierterer Darstellung bezeichnet. Die Umsetzung wird sowohl mit Markern (auf Alkohol- oder Wasserbasis) als auch mit Buntstiften oder Kreiden so angelegt (oft auch in Kombination), dass durch Modellierung natürlicher Phänomene wie Textur, Refraktion, Reflexion, Schatten etc. dem Betrachter ein Eindruck der Materialität, der Größe und Form vermittelt wird. Seit Mitte der 1990er Jahre wird dieser Vorgang vermehrt per Computergrafik mit entsprechender Software durchgeführt.

Davon abgeleitet, bezeichnet der Begriff in der Informationstechnik das endgültige Fertigstellen eines vorher programmierten oder mit einem Designprogramm angefertigten Rohdesigns, das durch das Rendern erst zu einem endgültigen Bild wird.
@walther: rilke kann, wenn er auch wollte, nicht langweilig sein. wie dem auch sei: dein wortwahn in fester form, also unter einer strengen disziplinierung, lebt auch hier durch die zeilen, zumal dein anliegen mich wirklich bewegt hat.
Die Sprache ist ein Werkstoff, der sich ändert,
Und Dichtung ist nichts Festes, das erstarrt.
Sie ist ein Werkzeug, das die Bilder rendert
der walther wie ich ihn kennengelernt habe und schätze, und weiterhin verfolgen und hoffentlich noch schätzen werde.
meine bewertung sagt alles.

lg xx
 

Walther

Mitglied
Selbst den Rilke
- Für die Gestrigen unter den Heutigen -

Da gibt es Leser, die es besser wissen.
Sie wissen, wie man schreibt und wie man dichtet,
Wie man die Form, den Reim, der Vers gewichtet,
Und alles, das nicht passt, liest sich beschissen.

Aus diesem Wissen wird sehr schnell gerichtet:
Das Neue wird zum viel zu großen Bissen.
Den Goethe und den Schiller zu vermissen,
Des fühlen sie sich Tag und Nacht verpflichtet!

Die Sprache ist ein Werkstoff, der sich ändert,
Und Dichtung ist nichts Festes, das erstarrt.
Sie ist ein Werkzeug, das die Bilder rendert:

Was weich ist, wirkt schon morgen richtig hart.
Nur Heine scheint den Armen goldgerändert:
Sie haben selbst den Rilke ausgespart.
 

Walther

Mitglied
Selbst den Rilke
- Für die Gestrigen unter den Heutigen -

Da gibt es Leser, die es besser wissen.
Sie wissen, wie man schreibt und wie man dichtet,
Wie man die Form, den Reim, den Vers gewichtet,
Und alles, das nicht passt, liest sich beschissen.

Aus diesem Wissen wird sehr schnell gerichtet:
Das Neue wird zum viel zu großen Bissen.
Den Goethe und den Schiller zu vermissen,
Des fühlen sie sich Tag und Nacht verpflichtet!

Die Sprache ist ein Werkstoff, der sich ändert,
Und Dichtung ist nichts Festes, das erstarrt.
Sie ist ein Werkzeug, das die Bilder rendert:

Was weich ist, wirkt schon morgen richtig hart.
Nur Heine scheint den Armen goldgerändert:
Sie haben selbst den Rilke ausgespart.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Walther,
ich will jetzt einen etwas ungewöhnliche sprachlichen Effekt in diesem Gedicht ins Spiel bringen.
Das Oktett zeigt eher Abneigung. Es ist gekennzeichnet durch Zischlaute und ähnliche, durch schrille Laute, viele "i" und "ss".
Das Zischen macht es gefährlich, wie eine Schlange, die "i" geben dagegen einen kleingeistigen Ausdruck.

Eckig und gefährlich

---

Ganz das Gegenteil das Sextett, das eine Art Antithese auch in der Lautung gibt.

Weich und warm, statt spitz und kalt.


Rund und geborgen
---
 

Walther

Mitglied
hallo ihr lieben,

danke für die geduld. ich werde mir die freiheit nehmen, diesen etwas ausführlicheren kommentar, den ich nach einer ziemlich harten woche heute endlich erstellen kann, an anderer stelle ebenfalls etwas angepaßt zu verwenden, und bitte dafür um nachsicht.

zum einen: im text sind tatsächlich zwei rechtschreibfehler enthalten gewesen, die ich trotz rechtschreib- und grammatikhilfe im textprogramm schlicht und einfach übersehen habe. leider kann man sich auf die grammatik- und rechtschreibhilfen der textverarbeitungen nicht zu 100% verlassen; daher hat die „betriebsblindheit“, die bei der eigenlektorierung unvermeidlich zuschlägt, leider etwas verwirrende spuren hinterlassen. darum bitte ich um entschuldigung.

zum zweiten: es sind formulierungen aus mehreren sprachgebrauchszeitaltern verwendet worden. das ist als kunstgriff erlaubt und bei den bildern, in denen die kunstgriffe eingesetzt wurden, auch nachvollzieh- und begründbar. ich erlaube mir, die begründungen nicht nachzuliefern, da sie sich aus dem zusammenhang regelrecht aufdrängen. allerdings darf ich die zeitalter benennen: es handelt sich Barock, ende des 19. und erste hälfte des 20. jahrhunderts sowie die istzeit.

zum dritten: in einem fall habe ich den anglizismus „rendern“ eingesetzt, der im nachfolgenden vers bildlich klar erkennbar erläutert ist. das verb „to render“ stammt aus der IT-gestützten bildbearbeitung und ist so weit verbreitet, daß eine verwendung in der lyrik erlaubt ist – zumal sie ja nicht grundlos und metaphorisch nachvollziehbar geschieht. natürlich scheint darin das französiche „rendre“ auf; allerdings hat sich im englischen der inhalt weiterentwickelt. es ist bekannt, das das französische eine der drei wurzeln der englischen sprache darstellt – neben der angel-sächsischen und der dänisch-skandinavischen.

zum vierten: es ist in der dichtung gestattet, hochverdichtet die assoziationsräume der namen großer lyriker wie Goethe, Schiller, Heine und Rilke einzusetzen und sie als bekannt vorauszusetzen. die frage, was für den autor diese dichterfürsten bedeuten, ist unerheblich. es bleibt beim leser, daraus seine schlüsse zu ziehen. da alles dasteht, was zum verständnis nötig ist, wäre es eigentlich unnötig, die frage überhaupt zu stellen. ein dichter erläutert das, was er tut, aus gutem grund dann nicht, wenn er den text nicht für gescheitert hält. das feedback ist zwiespältig - genau wie es geplant war. denn schließlich sollte eine diskussion über ein bestimmtes verhalten angestroßen werden. und genau das findet an den stellen, an denen der beitrag gepostet wurde statt, und zwar mit bzw. in den erwartbaren "kampflinien".

wie immer bei meinen texten findet die geschichte hinter dem gedicht und den worten in mehreren ebenen statt, auf die man sich einlassen muß. meine texte schaffen, wenn man sich auf sie einläßt, mehrdimensionale bezugsräume. das gilt auch und gerade für dieses sonett. allerdings muß man sich in diese wagen und dem autor zutrauen, daß er genau weiß, was er tut und was er (erreichen) will.

leider ist es mir nicht möglich, auf einzelne beiträge im detail einzugehen. allerdings pflege ich interpretationen meiner gedichte nicht selbst wieder zu interpretieren, da ich ausdrücklich interpretationsräume schaffen will, wenn ich schreibe. daher ist die interpretation immer eine kreative eigenleistung des jeweiligen lesers und eine mögliche lesart des texts. ich nehme dabei mißverständnisse und fehler in der sichtweise billigend in kauf, da diese beurteilung wiederum meine sicht der dinge ist. mein eingreifen ist nur dann erforderlich, wenn die regeln des guten umgangs verletzt sind. das ist bisher nicht der fall.

lg w.

lb. xxandros, danke für deine wunderbare bewertung. bei den anderen wertern bedanke ich mich ebenfalls!
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Goethe, Schiller und Heine haben sich bewährt.
Dem Rausch dieser Sprache verfallen, glaubt so mancher dass das Neue nie das Alte erreichen kann.
Schlechte bis mittelmäßige Dichter( wie ich) müssen daher oft auf das altbewährte zugehen, weil sie nichts neuer zustande bringen können.
Eine neue Sprache etwas individuelles schaffen ist eben so unendlich schwer, da fällt es leicht es zu hassen.
Und die meisten Versuche dieser Art lesen sich wirklich
Beschissen.
Dein Sonett aber nicht, gefällt mir gut :)
 



 
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