Seniorenheim

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hermannknehr

Mitglied
Noch schließt die Mauer diesen kleinen Garten,
der sich geduckt bis an die Ränder schiebt,
die, die sich täglich hier begegnen, warten
auf etwas, was es so schon nicht mehr gibt.

Zwar pflegen manche dieses zarte Grün,
das kraftlos in dem Schattenwinkel treibt,
doch ist es mehr Gebärde als Bemühen,
was jetzt noch ihren welken Händen bleibt.

Was sie erleben konnten, das verging,
sie gehen gerne jetzt auf diesen Wegen,
erkennen dies und das, lächeln verlegen

wenn etwas sehr vertraut erscheint, ein Ding,
ein Gegenstand, den sie von früher kannten
und einmal auch bei seinem Namen nannten.
 
Hallo, hermannknehr,
gefällt mir beim ersten Durchlesen, weil es sprachlich glatt ist, viele schöne jambische Verben enthält (die mit ge-, be-, er-, ver- anlautenden) und weil die melancholische Grundstimmung durchgehalten wird. Den Stolperstein in Vers 11 (lächeln) mag ich - ohne solche Momente droht dem Vers das Leiern.
Beim zweiten Durchlesen hab ich dann doch ein paar Fragen: Warum schließt die Mauer diesen kleinen Garten "noch"? Das klingt, als ob sie bald abgerissen, der Garten vielleicht vergrößert werden soll ... Und was ist das genau, was "es so schon nicht mehr gibt"? Warum ist auch das Grün kraftlos? Wegen des Schattens? Es gibt Pflanzen, z.B. Funkien, die sehr vital im Schatten gedeihen - und wäre ein bisschen Kontrast nicht gut? Genügt es nicht, dass die Menschen hier welk sind? Dann die letzten beiden Zeilen: Sie kannten den Gegenstand von früher? Nein, sie kennen ihn von früher, wissen ihn aber heute nicht mehr zu benennen.
Bemüh'n würde ich apostrophieren, damit es besser auf grün reimt! Und hinter verlegen fehlt ein Komma.
Mit Gruß
E. L.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Elke Leickart,
vielen Dank für Deine Interesse. Du hast viele Fragen, sezierst das Gedicht gerade zu, was aber oftmals ein Gedicht als Ganzes nicht verständlicher macht.
Aber sei´s drum: Dass die Mauer den Garten "noch" umschließt, ist mehrdeutig gemeint. Vielleicht wird das Seniorenheim demnächst aufgelöst, vielleicht stirbt ein vertrauter Mitbewohner; noch ist die augenblickliche (geborgene) Situation erhalten.
Alte Menschen hängen an Vergangenem. Konkret aber an ähnlichen Dingen des täglichen Lebens, nur dass es die eben "so schon nicht mehr gibt".
Wenn wir einmal die Nachtschattengewächse außen vor lassen, so ist ein schattiges Eckchen an einer Mauer meist in seinem Grünbewuchs nicht so üppig. Aber auch hier ist es ja mehr in übertragenen Sinne gemeint.
Und die letzten beiden Zeilen? Nein, sie kennen die Gegenstände nicht mehr von früher, sie kannten sie, können jetzt aber ihre vertraute Form nicht mehr mit irgendeiner Funktion in Verbindung bringen, geschweige denn mit einem Namen belegen.
So, jetzt haben wir das Gedicht seziert und zerpflückt. Ist es nun verständlicher? Eines ist wohl sicher. Den Gehalt eines Gedichtes kann man auf diese Weise nicht ausloten.
Gruß
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Noch schließt die Mauer diesen kleinen Garten,
der sich geduckt bis an die Ränder schiebt,
die, die sich täglich hier begegnen, warten
auf etwas, was es so schon nicht mehr gibt.

Zwar pflegen manche dieses zarte Grün,
das kraftlos in dem Schattenwinkel treibt,
doch ist es mehr Gebärde als Bemüh´n,
was jetzt noch ihren welken Händen bleibt.

Was sie erleben konnten, das verging,
sie gehen gerne jetzt auf diesen Wegen,
erkennen dies und das, lächeln verlegen,

wenn etwas sehr vertraut erscheint, ein Ding,
ein Gegenstand, den sie von früher kannten
und einmal auch bei seinem Namen nannten.
 
Hallo Hermannknehr,

hier sollen Texte ja nicht nur ausgestellt, bewundert oder verworfen, es soll auch an ihnen gearbeitet werden - und ganz ohne Sezieren und Hinterfragen geht es dabei nicht ab. Deine Antworten habe ich als durchaus hilfreich empfunden - und auch gesehen, dass Du zwei andere Anregungen aufgenommen hast.
Was die letzten beiden Zeilen betrifft, bleibe ich dabei: Einen Gegenstand kennt man von früher, oder man kannte ihn früher, kennt ihn heute also nicht mehr. Und mit kennen und benennen müsste sich da auch reimtechnisch was basteln lassen!

Sicherlich ist ein Gedicht mehr als die Summe seiner Teile, aber an den Teilen zu feilen kann dem Gehalt keinesfalls schaden!

Mit Gruß

E. L.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo hermannknehr,

zwei kleine sprachliche Verbesserungsvorschläge hätte ich:
ist zwar nicht falsch, ich finde aber, dass etwas, das ein wenig geschmeidiger klingt (und ebenso richtig ist).

Ferner könnte man hier
was jetzt noch ihren welken Händen bleibt
sie gehen gerne jetzt auf diesen Wegen
eine Doppelung vermeiden, indem man z.B. schreibt
was heut noch ihren welken Händen bleibt.

Gruß Ciconia
 

hermannknehr

Mitglied
Noch schließt die Mauer diesen kleinen Garten,
der sich geduckt bis an die Ränder schiebt,
die, die sich täglich hier begegnen, warten
auf etwas, das es so schon nicht mehr gibt.

Zwar pflegen manche dieses zarte Grün,
das kraftlos in dem Schattenwinkel treibt,
doch ist es mehr Gebärde als Bemüh´n,
was heut noch ihren welken Händen bleibt.

Was sie erleben konnten, das verging,
sie gehen gerne jetzt auf diesen Wegen,
erkennen dies und das, lächeln verlegen,

wenn etwas sehr vertraut erscheint, ein Ding,
ein Gegenstand, den sie von früher kannten
und einmal auch bei seinem Namen nannten.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Circonia,
danke für Dein Interesse. Deine beiden Verbesserungen habe ich übernommen, obwohl ich mit dem "heut" statt "jetzt" nicht so recht glücklich bin. Aber die Doppelung wird vermieden. Na ja, vielleicht fällt mir noch etwas besseres ein.
Gruß
Hermann
 



 
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