Senora Carmen

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Bo-ehd

Mitglied
„Nicht viel los, da oben. Die schlafen alle noch“, bemerkte Helen von der Rezeption des Hotels „Scandia“, als Carmen zum Dienst erschien und den Fahrstuhl ansteuerte. „Die haben gestern bis in den frühen Morgen Party gemacht.“

„Stört mich nicht“, antwortete Carmen gleichgültig beim Betreten des Lifts.

„Wird’s halt ein bisschen später heute“, murmelte sie vor sich hin, verließ den Fahrstuhl im vierten Stock und steuerte den Serviceraum an, in der sich ihr Arbeitsgerät befand. Sie schlüpfte in ihre Dienstkleidung und startete ihren Zimmerdienst auf der Ostseite des Flurs. Dusche, Waschbecken und Spiegel säubern und trockenwischen, Toilette reinigen, Betten machen, flüchtig durchsaugen, Staub wischen – jeder Handgriff war Routine und tausendfach vorgenommen.

Sie fand ihren Job öde und ihrer Ausbildung als Lehrerin alles andere als angemessen. Aber die deutschen Behörden erkannten ihre von den Hochschulen in Puerto Rico ausgestellten Zeugnisse nicht an, und da sie nach ihrer Ankunft in Deutschland ihre finanziellen Reserven schnell aufgebraucht hatte, musste sie die Jobs annehmen, die sie auf der Stelle bekam. Das waren in erster Linie Reinigungsdienste wie der, den sie jetzt ausübte, oder Jobs als Bedienung in Restaurants. Letztere hatte sie schnell wieder aufgegeben, weil es immer sehr spät wurde, bis sie nach Hause kam. Die Stelle im „Scandia“ hatte sie nun schon seit zwei Jahren, und im Grunde gab sie sich mit ihr zufrieden, weil das Klima unter den Kolleginnen gut war und die Entlohnung reichte, um sich über Wasser zu halten.

Als sie Zimmer Nr. 404 erreichte, warf sie einen Blick auf die Zimmerliste, wo auch die Belegdauer eingetragen war. „Einmalübernachtung“ hieß es da, und das bedeutete, dass die Betten frisch überzogen werden mussten. Als sie die Liste zur Seite legte, öffnete sich die Tür, und eine attraktive, dezent geschminkte und, so hatte es für sie den Anschein, sündhaft teuer eingekleidete Enddreißigerin trat heraus. Sie hatte die Türkarte mit der roten und grünen Seite in der Hand, zögerte einen Moment, als würde sie überlegen, was sie damit anstellen soll, ließ dann die Tür sperrangelweit offenstehen und drückte ihr den Anhänger im Vorbeigehen in die Hand.

„Sie können schon reingehen“, säuselte sie, grinste ein wenig und schritt mit ihren hohen Absätzen wie eine Diva, aufgerichtet, den Hals gestreckt und mit Hüftschwung, dem Lift entgegen.

Carmen sah ihr kurz nach. Das teure Parfüm, die Kleidung, das ganze Auftreten – irgend etwas mache ich falsch in meinem Leben, konstatierte sie für sich. Diese Flittchen verdienen in einer Stunde mehr als ich den ganzen Tag.

In der Annahme, das Zimmer sei leer, trat sie mit dem Rücken voran ein und lenkte ihr Arbeitsgefährt durch die Tür. In diesem Augenblick vernahm sie ein schwaches, aber deutliches Räuspern hinter sich.

„Dios mio!“ entfuhr es ihr, und sie legte vor Schreck beide Hände auf ihre Brust. „Oh, bitte verzeihen Sie, ich dachte, das Zimmer sei verlassen. Ich komme später wieder, Entschuldigung, bitte entschuldigen Sie!“

Carmen begab sich auf die andere Seite des Wagens und wollte ihn gerade aus dem Zimmer ziehen, als die Männerstimme deutlich wurde.

„Das ist schon in Ordnung. Bleiben sie hier und beginnen Sie mit Ihrer Arbeit, Chica!“

Carmen erstarrte und bebte zugleich. Die ihr anerzogene Höflichkeit war augenblicklich gewichen. Was hat der Typ gerade gesagt?! Chica? Ich soll mit 28 Jahren eine Chica sein? Ein kleines Mädchen? Vielleicht seine Chica? Vielleicht ein käufliches Hühnchen aus dem Milieu? Was bildet sich dieser Idiot ein, fragte sie sich und entschied sich blitzschnell, diesem Machotypen Paroli zu bieten. Im Zeitlupentempo wandte sie sich ihm zu, schaute ihm in die Augen und setzte sich auf den Stuhl, der zum Schreibtisch gehörte, drei Meter vom Bett dieses Kerls entfernt. Sie sagte kein Wort und wartete. Mehrere Sekunden vergingen.

„Worauf warten Sie, fangen Sie an. Für´s Rumsitzen werden Sie nicht bezahlt.“

„Ich sitze nicht herum, ich warte auf Sie“, kam es prompt zurück.

„Oh, Sie warten auf mich?“

Carmen konnte ihm ansehen, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte und versuchte, die Situation richtig einzuschätzen.

„Was soll ich Ihrer Meinung nach tun, Chica?“

„Stehen Sie auf, damit ich das Bett machen kann.“

„Ich bin nackt.“

„Glauben Sie, das bringt mich in Verlegenheit? Nun machen Sie schon. Soll ich mich umdrehen?“

„Nein!“, platzte es aus Trotz aus ihm heraus.

„Machen Sie doch zuerst das Bad!“

„Ich beginne mit dem Bett. Das entspricht den Abläufen hier im Haus. Sie wissen, dass ich daran gebunden bin“, log sie.

„Meinetwegen, dann stehe ich halt auf!“

Carmen erkannte, dass der Großschnabel leicht nervös geworden war. Offenbar war ihm noch keine Lösung eingefallen, wie er ohne Gesichtsverlust und Peinlichkeit die Situation retten konnte. „Soll ich Ihnen vielleicht helfen?“, fragte sie provokativ.

„Nein, nein, ich mach das schon.“

Carmen hatte den Eindruck, dass der Mann, er hieß übrigens laut Belegliste Chris Halmund, heftig ins Schwimmen kam. Dabei bemühte er sich, sich nichts anmerken zu lassen. Er zog die gesamte Bettdecke an seinen Körper, setzte sich auf die Bettkante und stand auf, wobei er gleichzeitig die Decke um seinen Körper schlang.

Carmen prustete und hielt sich die Hand vor den Mund. „Entschuldigen Sie, aber das sieht so lustig aus. Die ganze Bettdecke . . . die ganzen eineinhalb Quadratmeter, um Ihre fünf Zentimeter zu bedecken. Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben?“

Halmund musste mitlachen. „Fünf Zentimeter, sagten Sie? Mit welchen Männern haben Sie denn Ihre Schäferstündchen verbracht?“ Er schwieg einen Moment. „Nein, dieses Fass machen wir jetzt nicht auf.“

„Danke.“

Während Halmund barfuß ins Bad tippelte, wollte Carmen anfangen, das Laken abzuziehen, als sie innehielt und ein langgezogenes „Jeeesus Christ! What the hell ist that?“ mit karibischem Akzent hinausschrie.

Halmund stürzte aus dem Bad, einen Rest von Zahnpasta noch auf dem Handrücken. „Was ist denn los?“

„Schauen Sie sich doch diese Sauerei an!“ beschwerte sie sich und deutete mit einer Hand auf einen Haufen benutzter Papiertaschentücher, der neben dem Bett lag. „Konnte Ihre Bordsteinschwalbe die nicht mitnehmen oder wenigstens in den Mülleimer werfen? Eine Zumutung, so etwas für andere liegenzulassen. Wären Sie so freundlich?“ Sie hielt ihm den Mülleimer hin, der zu ihrem Arbeitswagen gehörte.

Halmund hob das spermiengetränkte Papier auf und entsorgte es.

„Ich fange jetzt im nächsten Zimmer mit meiner Arbeit an, sonst komme ich zu sehr ins Hintertreffen. Wenn mein Chef merkt, welche Art Gespräche ich hier mit Kunden führe, fliege ich sowieso raus. Also dann, gute Reise noch.“ Sie wollte schon ihren Wagen durch die Tür bugsieren, als Halmund energisch wurde.

„Also das mit der Bordsteinschwalbe, das war nicht so lustig.“ Er schaute einen Lidschlag lang tief betroffen. „Na gut, Schwamm drüber. Ich habe vorhin gehört, dass Sie zuerst auf Spanisch geflucht haben, dann auf Englisch. Deutsch können Sie sowieso sehr gut, wie man hört. Sie sind für diesen Job hier katastrophal überqualifiziert.“

„Das haben sie richtig toll analysiert“, antwortete sie ironisch.

„Ich schlag Ihnen jetzt ein Spiel vor . . .“

„Bitte, Herr Halmund, nicht spielen, ich muss jetzt arbeiten. Wir können das ja nachholen, wenn Sie mal wieder hier sind.“

„Nein, wir machen das jetzt“ Er hielt plötzlich einen Fünfzigeuroschein in der rechten Hand. Dann baute er sich vor ihr auf. „Schauen Sie, hier in dieser Hand habe ich einen Fünfziger, wie Sie sehen, in der anderen habe ich eine Idee. Welche Hand wollen Sie?“

Halmund hatte kaum ausgesprochen, da hatte sie ihm den Schein schon aus den Fingern gerissen. „Das ist Ersatz für den Lohn, den die Hotelleitung mir verweigert, weil ich mit Ihnen so lange quatsche. Gut, fangen wir von vorne an: Ich nehme die andere Hand“, witzelte sie, während der Geldschein in ihrem Schürzchen verschwand.

„Carmen“, begann er, nachdem er ohne Brille mit zusammengekniffenen Augen ihr Namensschild entziffert hatte. „Ich habe ein richtiges Attentat auf Sie vor.“

Halmund beschrieb einen Job auf dem neuen Kreuzfahrtschiff, das in drei Wochen vom Stapel laufen soll. „Ich brauche dringend mehrsprachiges Personal“, kam es fast flehend. „Hätten Sie nicht Lust, bei …“

In diesem Augenblick klingelte sein Telefon. „Hallo Schatz . . . ja ist in Ordnung . . .“ Dann hörte er einen Moment zu und beendete das Gespräch. „Das war meine Frau, die Bordsteinschwalbe von vorhin.“ Er konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, und Carmen fiel die Kinnlade herunter. „Sie wollte nur das Essen heute Mittag absagen und mir mitteilen, wie schön es heute Nacht war. Wissen Sie, wir machen manchmal so eine Art Sexspielchen, Rollenspiele, um genau zu sein. Ich schlüpfe in die Figur eines Freiers, und sie kommt als eine Professionelle daher, oder wie Sie sagen würden, als eine Bordsteinschwalbe.“
 



 
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