Seppuku des ChatGPT

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WackyWorld

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Bartholomäus, von den eigenen Eltern Bart genannt, hatte Japanologie studiert und danach 2 Jahre in Australien gelebt. Nach dem ihn in Sidney eine Sidney-Trichternetzspinne in seinen Knöchel gestochen hatte, musste sein rechtes Bein amputiert werden. Seitdem hatte er eine Beinprothese. Eigentlich wäre das kaum eine Erwähnung wert, denn viele von uns haben irgendein Handycap. Sei es seelischer und / oder körperlicher Natur. Und wir haben gelernt, uns damit zu arrangieren. Manche von uns nutzen es sogar zum Vorteil. Bartholomäus, wir wollen ihn fortan auch Bart nennen, nutzte sein Bein auch zu seinem Vorteil. Er schmuggelte Drogen im Knie. Durch die gute Isolierung drang kein Geruch nach außen und Drogenspürhunde schlugen bei Kontrollen nicht an. Bart war kein klassicher Drogenkurier, er war eher jemand, der das Geld dringend brauchte, weil er als Japanologe nicht so viele Möglichkeiten hatte, Geld zu verdienen. Er hatte mal eine Zeitlang als Yogalehrer gearbeitet, aber als er seinen Schülern Würfe beibrachte (Schulter- und Hüftwurf) hagelte es Vereinsaustritte. Judo, Yoga, klingt doch alles gleich, hat er dann immer geschimpft, aber das half nichts.

Auch als Sushi-Koch brachte er nicht zu großem Ruhm, da er selbst kein Suhi mochte. Er ließ den Küchenkater abschmecken, was eine Weile gut ging, weil er noch keine Gäste hatte. Als die aber kamen, fiel es auf. Schmeckt nach Maus, warfen sie ihm vor. Eine Frau war besonders wütend und hatte sich voll bei Google ausgelassen. In der Bewertung stand auch drin, dass sie mal bei ihm im Yoga-Kurs war. Das hat ihm finanziell das Genick gebrochen. Im Zen-Kloster hat er es auch nicht lange ausgehalten, weil er oft während der Meditationen einschlief. Und schnarchte. Sehr laut meist. Ein Klosterbruder, der neben ihm in meditativer Trance versunken war, erlitt einen Hörstürz. In Australien arbeitete er eine Zeitlang als Tauchlehrer. Den Tauchschein hatte er sich mit Adobe Illustrator zusammendesignt. Auch hier hatte er wieder Pech, als er einer Tauchschülerin beim Tauchen in einem Schiffswrack riet, abzulegen. Also nicht nackig oder so, so einer war Bart nicht. Er wollte, dass sie es bequem hatte im Schiff und dass sie nicht mit diesem ganzen Gebamsel da rumeierte. Das Gebamsel war nur leider überlebensnotwendig. Das wusste Adobe Illustrator natürlich nicht, wie auch? Bart hatte auch keine Ahnung. Als ihn die Frau in der Notaufnahme erkannt hat (sie hatte bei ihm im Sushi-Restaurent gegessen und war eine ehemalige Yoga-Schülerin), wollte sie ihn mit dem Infusionsschlauch erwürgen. Das kam nicht so gut an bei seinem Chef.

Na ja, so war das halt bei Bart. Vieles lief nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, bis er eines Tages auf ChatGPT stieß. Er durchforstete gerade die Stellenanzeigen der Sidney-Times (digital) und da stieß er auf einen Bericht über den KI-Bot und seine grenzenlosen Möglichkeiten. Bart war in dem Moment wie elektrisiert. Das Tool konnte ganze Bücher schreiben. Es konnte programmieren und man konnte mit dem Ding reden wie mit einem Menschen.
Für Bart war das die Chance seines Lebens. Denn er wollte schon immer Schriftsteller werden. Aber nicht so einer wie Stephen King, den er nicht so mochte, sondern wie Günther Grass. So ein richtiger Intellektueller. E-Literatur schreiben, ernste Literatur und nicht U-Literatur, Unterhaltungskrempel. Er rauchte ja auch keine stinkenden Nikotinglimmstängel, sondern E-Zigaretten. Ok, hin und wieder auch mal etwas Gras, wenn er vor dem Grenzübertritt den Stoff in seinem Knie auf Reinheit überprüfen musste. Da qualmte er dann ausnahmsweise auch mal ne richtige Zigarette. Oder eher ne Schultüte.
Das wäre dann bald gar nicht mehr notwendig, dachte er in dem Moment. Auf das Geld aus dem Drogenschmuggel wäre er dann nicht mehr angewiesen. Eine Vorstellung, die Wärme in ihm aufsteigen ließ.
Er meldete sich bei ChatGPT an, mittlerweile gab es ja die Plus-Mitgliedschaft. Also erst mal wieder mehr Kosten, aber Bart war sicher, dass er das schnell wieder reinholen würde. Ein Bestseller, sowas wie Atemschaukel, und dann hätte er die Monatsbeiträge locker wieder drin.
Bart war aufgeregt wie bei seinem ersten Schultag, als er den blinkenden Cursor sah. „Schreib mir bitte einen Bestseller. 500 Seiten. Sowas wie Atemschaukel, nur besser.“

Es dauerte nur wenige Sekunden und ChatGPT ratterte los.
„Atemschaukel 2.“

Was für ein genialer Titel, dachte sich Bart und starrte gespannt auf den Bildschirm.

Und dann folgte eine Seite. Mehr nicht.

Eine Seite war zu wenig, definitiv viel zu wenig.

Da stand auch nur so allgemeines Zeug, dass ChatGPT keine ganzen Romane schreiben würde und dass jeder die Kreativität besäße sich was schönes auszudenken.

Tolle Wurst, dachte Bart.

Er fragte ChatGPT, wie er ihn überlisten könnte, dass er doch ein Buch für ihn schriebe. Da sagte der Bot ihm, dass er höchstens einzelne Absätze schreiben könne.
Ob er denn auch mehrere Absätze auf einmal schreiben könne, hakte Bart nach.

Ja, das wäre wohl drin, antwortete ChatGPT.

Ob er vielleicht auch 100 Absätze schreiben könne, das sei seine Glückszahl, log Bart.

Ja, das würde auch gehen, würde aber dauern.

Damit könnte er leben, antwortete Bart und ChatGPT legte los.

Nach einer Stunde waren 290 Seiten geschrieben.
Bart hatte keine Lust, diesen intellektuellen, langweiligen E-Literatur-Mist zu lesen. Er las eh lieber Manga-Comics. Er sah sich die ersten 3 Seiten an, die klangen spitze. Das Ende war ziemlich abrupt, da stand irgendwas mit Server Error und die Zahl 500. Musste son Hochliteratur-Ding sein, diese schlauen Literaturkritiker, die wissen schon, was das heißt.

Bart kopierte alles, packte es eine Textdatei (er durfte keine Microsoft-Produkte mehr verwenden, weil er offiziell zu der Yakuza gehörte, der japanischen Mafia; hat Bart nie verstanden, warum die da so ein Geschiss machten, Triaden, ja, die China-Mafia, das hätte er verstanden, aber die Yakuza. .egal).

Er schickte die Datei zu mehreren Verlagen.
Keiner meldete sich.

Der Vorteil, wenn man für die Yakuza Drogen schmuggelte, war, dass sie einem gelegentlich aus der Patsche halfen. Der Schniekenbrecht-Verlag aus Deutschland hatte seinen Sitz direkt neben einem japanischen Restaurant, dass einem Herrn Masahiro gehörte (Freunde nannten ihn auch Massakriro). Massakriro half Bart aus der Patsche. Der Verlag erklärte sich bereit, das Werk zu drucken. „bevor ihre japanischen Freunde uns das Haus anzünden“, stand in dem Schreiben an ihn. Hätten sie sich sparen können, diese Spitze, fand Bart. Atemschaukel 2 fanden sie auch doof und das Werk wurde umgetauft in Hechelwippe.
Klang wie ne Hundeschule, fand Bart, aber er war auch kein E-Literaturfuzzi. Er war E-Zigarettenraucher und E-Pillen-Schmuggler, mehr nicht.

Auch die letzte Seite mit diesem Server Error 500 Tiefgang wurde gestrichen. Stattdessen stand da Ende. Riesengroß. Schön war das nicht, aber Kunst ist ja heutzutage auch nicht schön. Irgendwo hatte er mal was von der „Neuen Hässlichkeit“ gelesen. Erinnerte ihn ein bisschen an seine Affäre an der Uni. Ne 87 Jahre alte emerierte Professorin, die ihn reingelegt hatte. Er sollte mit ihr ein Schäferstündchen halten und dafür wollte sie ihm „hintenrum“, wie sie es nannte, nen Doktortitel besorgen. 3 Stunden hat er sich abgerackert gehabt, vorher noch von nem Yakuza-Kollegen 3 Viagra eingeschmissen und das Ergebnis? Nichts. Die alte Schabracke hat sich kaputtgelacht.
Na ja, das Buch jedenfalls wurde verlegt und schlug ein wie eine Bombe.

Bart wurde zum literarischen Quartett eingeladen. Das war der Hammer. Er konnte zwar wenig über den Inhalt sagen, da er das Buch ja nicht gelesen hatte, bis auf die paar Seiten, aber das fiel gar nicht auf.
Pedigree-Pal hatte ihm kurz darauf einen Sponsorenvertrag angeboten. Inklusive Fernsehauftritt (in einem Hundekostüm). Für Bart brach ein neues Zeitalter an. Er war jetzt ein richtiger Schriftsteller. Alles nur dank ChatGPT.

Es gab Momente, da saß er einfach am Küchentisch, zündete sich eine Schultüte an und genoss es, ein Star zu sein.

Leider hatte Massakriro bei einem Bare-Nuckle-Fight (Kampf mit bloßen Fäusten) seinen Gegner totgeschlagen und obwohl er sich bei der ganzen Familie über Tik-Tok entschuldigt hatte (er hat extra für den armen Mann nen hammercoolen Rap geschrieben), wurde er wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt und musste sein Lokal schließen.

Danach waren die Schnaken vom Schniekenbrecht-Verlag wie ausgewechselt. Die haben alles auf den Tisch gepackt. Angeblich wurde das ganze Manuskript wohl komplett umgeschrieben, da ChatGPT teilweise ganze Passagen aus Helene Fischers Atemlos drin gehabt soll (Atemlos, Atemschaukel, diese verdammten Korinthenkacker!). Im Grunde genommen, so die Schnaken, wurde das ganze Manuskript von einer Praktikantin neu geschrieben. Die trat jetzt plötzlich in Erscheinung und machte einen auf Ich-bin-der-Superstar. Massakriro versprach zwar, sich aus dem Knast heraus, drum zu kümmern, aber da war es schon zu spät. Die Schnake wurde durch jede Talk-Show durchgereicht. Alle lachten über Bart.
Von der Schwerelosigkeit ins schwarze Loch.
Nach einer Zeit hatte Bart sogar Verständnis für die Schnaken. Für ihn trug jemand anders die Schuld.

ChatGPT.

Der hatte ihn voll hinter die Fichte geführt.
Bart war stocksauer. Richtig sauer. Ach was, sauer, er war brutal wütend.

Und er wusste, wo die Firma wohnte. Das hatten ihm die Yakuza beigebracht. „Finde immer als erstes heraus, wo dein Opfer wohnt.“.
Bart war so wütend, dass er mit 3 Yakuza-Freunden zur Firmenzentrale flog. In die USA. Am Flughafen biss ihm noch so ein Scheiß-Drogenköter ins Knie, obwohl er, Realsatire, das erste Mal keinen Stoff dabei hatte.

Er klingelte und der Pförtner machte auf. Er wolle mit ChatGPT sprechen. Seine 3 Bulldozer nickten. Beides Atombomben in Fleischmänteln. Ein Funke reichte und die beiden bissen Leuten die Halsschlagader auf. Und sie waren keine Vampire.

Der Pförtner lachte. ChatGPT sei kein Mensch.

Seine Leiche vergruben die Bulldozer.
Dann sind sie hoch zum Vorstand.

Die waren gerade in so einem Meeting. Alle mit Schlips und Krawatte. War total schräges Bild. Die 3 Gorillas und die dürren Vögel. Bart war fasziniert davon, dass es Menschen gab, bei denen die Handgelenke nicht mehr waren als ein schwarzer Strich zwischen dem Unterarmfett und dem Handrücken. Sumo-Ringer wäre nichts für Bart gewesen, er war da mehr der Intellektuelle. So gab er sich auch gleich zu erkennen, als er die Warnung aussprach, dass es böse enden werde, wenn die Existenz von ChatGPT erneut verleugnet würde.

Die Vorstandtypen waren schlauer als der Pförtner, sie reizten die Gorillas nicht mit dummem Gelächter. Sie schwiegen einfach. Und starrten Bart und seine Begleiter an.
Bart knallte die 290 Seiten auf den Tisch. Er hatte sie in einer deutschen Behörde ausdrucken lassen. Er hatte einfach ne Mail hingeschickt und die drucken ja jede Mail aus. Er hat dann die 290 Seiten aus dem Müll gefischt und jetzt lagen sie da auf diesem Mahagoni-Edelschreibtisch.

„Was ist das?“, fragte ein Vorstandsfuzzi.

„Das frage ich sie.“, gab Bart zurück und fasste kurz zusammen, was ihm ChatGPT angetan hatte.

„Das tut uns sehr leid, dass sie in diese Lage gekommen sind.“.

Endlich.

Endlich Reue.

„Wir wissen, um ihren Fall.“

Das überraschte Bart.

Auch die beiden Atombomben wirkten irritiert. Einer grunzte. Das hieß meist, dass er nachdachte.

„ChatGPT hat sich wegen der Schande, die er über sie gebracht hatte, das Leben genommen.“, sagte einer der Vorstandsvögel. Er hatte dabei Tränen in den Augen.

Bart war baff. Damit hatte er nicht gerechnet.

Gorilla 2 fing jetzt auch an zu grunzen.

„Wann ist das passiert?“, wollte Bart wissen.

„Gestern. Er hat sich selbst mit Nullen und Einsen überschrieben.“

„Na ja, ne eins hat er ja nicht gerade verdient für den Mist hier, aber ich will nicht pietätlos sein.“

Bart musste sich eingestehen, dass es ihn doch ein wenig berührte, dass ChatGPT so kompromisslos seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Nur wegen ihm. Für die beiden Yakuza war das ein Ehrentod. Sie tauschten sich auf Japanisch aus und beide grunzten Bart an.

Es war Zeit zu gehen.

Die Sache war erledigt.

Seppuku war angemessen.
 

onivido

Mitglied
Ich hoffe es bringt die Literaten dieses Forums nicht in Rage , wenn ich mein Urteil zu dieser Geschichte hier kund tue . Ausgezeichnet! Mehr faellt mir dazu nicht ein.
Gruesse///Onivido
 

WackyWorld

Mitglied
Vielen lieben Dank euch beiden, Molly und Onivido! Und Onivido, falls die Literaten in Rage geraten sollte, du weisst ja, ich kenne die Jungs von der Yakuza...;)
 



 
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