Single -Katzentisch und Einzelzimmer

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Single – Katzentisch und Einzelzimmer

Nein, nein, nicht dass ich falsch verstanden werde: Ich bin kein Single. Letztes Wochenende musste ich jedoch die Leiden eines Single am eigenen Leib erfahren.
Da ich schon montagsfrüh einen Termin hatte, reiste ich bereits am Sonntag in die Eifel und checkte in mein gebuchtes Hotel ein.

Wortlaut der Hotel- Homepage: „4 Sterne First Class. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass das Hotel / Restaurant zu den ersten Adressen in der Eifel zählt. Schon das Ambiente der Räume macht deutlich, dass es sich um ein Haus mit Kultur handelt.“
Mit gesicherter, positiver Erwartungshaltung betrat ich das Hotel. Der Empfangsbereich war großzügig ausgestattet, das Feuer im Kamin flackerte heimelig. Ich fühlte mich auf Anhieb geborgen. Die richtige Entscheidung – dachte ich.
An der Rezeption wurde ich von einem älteren weiblichen Wesen grundlos bissig empfangen und von oben bis unten gemustert. Warum tat sie das? Ich versuchte ihre Gedanken zu ergründen: Was muss das für ein Mann sein, der am heiligen Sonntag alleine anreist. Mit dem stimmt doch was nicht. Der ist nicht echt. Seine Frau hat den Kerl mit Sicherheit rausgeschmissen. Geschieht ihm recht, wer weiß, was das für ein Hallodri ist.

Sie drückte mir ohne ein Lächeln den Zimmerschlüssel in die Hand und erklärte, ich könne, wenn ich wolle, einen Aufzug benutzen, mein Zimmer läge im 3. Stock. In dieser Bemerkung lag schon die pure Bosheit! Das konnte hier ja heiter werden.

Über zwei lange muffige Flure erreichte ich das Flurende des 3. Stocks. Es war nicht nur räumlich das letzte Zimmer auf dem langen Flur, nein, es war wirklich auch das Letzte, was ich in diesem Zimmer 324 zu sehen bekam.
Die gesamte Einrichtung des Einzelzimmers bestand aus Möbeln der späten 60er. Ein schwarzer Minifernseher aus den 80ern mit einer unglaublich miesen Akustik hatte man links oben an die Wand geklatscht. Vom Bett aus war Fernsehen nur sitzend oder in rechter Seitenlage möglich. Der Pilot war mit Isolierband geflickt.
Die Toilette war so eng, dass ich beim Sitzen die Duschtrennwand öffnen musste, um mein Knie beugen zu können. Ich versichere: Ich bin 1,77 Meter groß und nicht übergewichtig.
Ein total vergammelter Teppich war mit Flecken jeder Art übersät. Der Balkon gab mir den Rest. Die Fliesen waren herausgebrochen und am Geländer war die Farbe auf der gesamten Länge abgeplatzt. Dies alles bekam ich einschließlich Frühstück für 62,00 Euro geboten.
„Ankommen und sich gleich wie zu Hause fühlen“, so steht’s im Prospekt. Toll! Sollte ich schreien? Sollte ich zur Rezeption laufen und den Hoteldrachen zur Sau machen?
Tief durchatmen.
Der virtuelle Rundgang zeigte mir doch im Internet ein respektables Doppelzimmer. Doch als Single durfte ich im allerletzten, verlotterten Einzelzimmer nächtigen! Musste ich das hinnehmen? Eine Frechheit, eine Zumutung war das.

Das Haus war voll belegt und ein anderes Hotel war weit und breit nicht verfügbar. Ich beschloss trotzdem meinen Unmut in Worte zu fassen, rannte zur Rezeption und beschwerte mich dort gut vernehmbar. Ich erhielt als Erwiderung ein laxes Axelzucken, sie hätten kein anderes Zimmer frei, und als krönende Zugabe erhielt ich das freundliche Angebot, ich könne ja, wenn ich wolle, das Hotel wieder verlassen.

Ich sah mich im Geiste schon im Auto pennen. Wortlos drehte ich mich um und warf das Handtuch. Mit fünf Pils an der Hotelbar versuchte ich diese entwürdigende Heimsuchung zu vergessen.

Mittlerweile quälte mich der Hunger und ich beschloss, im Restaurant des Hauses zu speisen.
Ein Kellner im schwarzen Anzug fragte mich zynisch, mit wie viel Personen ich zu speisen wünsche. Als ich ihm aufreizend näselnd erklärte, dass ich allein mein Dinner einnehmen würde, bekam ich einen besonderen Tisch angewiesen, natürlich den besten im Saal. Der war, wie sollte es auch anders sein, zwischen Küche, Toilette und Garderobe platziert. Immerhin ein Zweiertisch. Ich fragte, ob er mich verscheißern wolle und verlangte lautstark einen anderen. Den bekam ich auch – einen Sechsertisch mitten im Speisesaal, voll auf dem Präsentierteller.
„In Ruhe anspruchsvoll genießen“, hieß es im Prospekt.
Ich fragte den Ober, ob er mir nicht noch einen größeren Tisch anbieten wolle. Er zuckte nur mit den Schultern, es täte ihm leid, die anderen Tische seien bereits reserviert. Ich setze mich widerwillig und enttäuscht an den riesigen Familientisch. Das hatte der Mistkerl absichtlich arrangiert, da war ich mir sicher!
Ich fühlte mich von allen Seiten beobachtet und studierte mehr verlegen als gezielt die Wein- Speise- und Dessertkarte. Dann bestellte ich nach fünf Minuten einen Gänsebraten mit Klößen, Bratapfel und Rotkohl. Dazu ein Viertel Burgunder.
Die Wartezeit bis zum Servieren erschien mir wie eine Ewigkeit. Wohin sollte ich arme Socke aus lauter Verlegenheit hinpeilen. Von überall wurde ich angegafft. Sollte ich die Kellnerinnen oder die Ober in ein Gespräch verwickeln oder mir bis zum Auftragen die Tageszeitung reichen lassen?

Als ich dann meinen Mut zusammennahm und furchtlos meine Augen durch den Speisesaal wandern ließ, glotzten mich mindestens zwanzig fragende Augen an. Sofort drehte ich bei und starrte hilflos auf die weiße Tischdecke.
Meine Phantasie beflügelte mich völlig unerwartet, ich ahnte die Hirngespinste der Gäste: der Mann ist entweder geschieden, schwul oder Witwer. Er hat nicht mal einen Freund oder eine Freundin, mit der er den Sonntagabend verbringen konnte. Was muss das nur für ein Trottel oder Fiesling sein!

Mein Selbstbewusstsein ist normalerweise gut ausgeprägt, hier jedoch wurde es strapaziert und versagte kurzzeitig. Nach ein paar Minuten fing ich mich und beschloss, dieser stierenden Herausforderung eindrucksvoll zu begegnen. Ich entwickelte augenblicklich ein spielerisches Interesse, die Gedanken hinter jedem eingefangenen Blick zu erforschen.

Ich stieß hier unmissverständlich auf einige bösartige Blicke, wenigstens deutete ich sie so. Als sich aber der strafende Strahl meiner Augen bis in ihre schwarzen Seelen brannte, fühlten sie sich ertappt und wichen meinem Blick verschämt aus.
Links am Fenster saßen zwei ältere Damen und lächelten mir freundlich zu. Warum? Kannten die meine missliche Lage hier am Katzentisch? Sie hatten mit Sicherheit als Singles meine Situation zigmal durchlitten. Ich lächelte dankbar zurück.
Ein Ehepaar in meiner direkten Blickrichtung prostete mir sogar einmal höflich zu, so, als wollten sie mir Mut machen. Ich hob etwas zaghaft mein Glas und nickte ihnen zu.

Der Ober war um Wiedergutmachung bemüht und fragte, ob ich am Essen etwas zu beanstanden hätte. Nein, hatte ich nicht. Es schmeckte mir vorzüglich. Ich hielt einen kleinen, versöhnlichen Plausch über die Herkunft der Flattermänner und dankte für die liebenswürdige Anfrage.

Plötzlich fühlte ich mich in dieser vermeintlich feindseligen Gemeinschaft viel wohler. Es mag auch ein wenig am Alkohol gelegen haben. Ich ging auf Distanz zu mir selbst und fragte mich, warum ich in negativen Momenten auch meine Mitmenschen ablehnend beurteilte. Diese Selbsterkenntnis wirkte befreiend, meine Gesichtszüge entkrampften sich mehr und mehr und ich bestellte noch ein Glas Rotwein.

Am nächsten Morgen hatte ich das Vergnügen, beim Hotelier höchstpersönlich meine Rechnung zu begleichen. Ich teilte ihm mit, dass ich eine Augenkrankheit durch das Fernsehen auf dem Minibildschirm und eine Knieverletzung durch die enge Toilette erlitten hätte. Mit Sicherheit würde mir jedes Gericht Schmerzensgeld zusprechen. Das Zimmer wäre absolut überteuert und selbst für hartgesottene und an Hotelkummer gewöhnte Singles eine Zumuung. Ich würde sein Hotel im Internet entsprechend bewerten und gern weiterempfehlen, drehte mich um und verließ grinsend die gastliche Herberge.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Szene am Tisch erinnert an Mr. Bean, der alleine speist und alle wollen dann sein Essen probieren...zum Glück ist es hier nicht so weit gekommen....
Du hättest das Ganze noch lustiger gestalten können - oder eben noch bissiger als Satire.
Trotzdem gern gelesen!
 



 
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