s´Josi und das seltsame Neutrum
Imagesignale: s´Josi und das Femineutrum
Vorsicht, das Folgende ist sehr germanistisch angehaucht. Volles Verständnis für solche, die sich das nicht antun wollen.
(1)Fragen
Also gut, die Sache mit dem Femininum und dem Neutrum, das ist schon spannend. Und auch deren Kombination
mit und Relation
zu Vornamen mit Diminutivsuffixen oder anderen „Verkleinerungsformen“ (das ist hier ein bisschen zu vage, aber lassen wir es mal erst).
Mir ist immer noch nicht klar, ob „Josi“ nun eindeutig auf einen männlichen
Joseph oder einen
Jos(h)ua oder eine weibliche
Josephine zurückgeht. Oder ob das alles möglich ist.
Sicher ist wohl
Josi eine Kurzform, ähnlich wie
Heidi eine Kurzform von Adelheid ist. Und dann das diminuierende (?)
i. Eine explizite Diminutivform wäre das Femineutrum
s´Heidile.
Nun ist naheliegend, dass in solchen Kurzformen wie
Heidi doch so etwas wie ein verniedlichender Diminutiv anklingt, beziehungsweise sich die Kurzform samt dem
-i hinsichtlich ihrer unterschwelligen Semantik mit den Formen von -li oder -chen deutlich überschneidet. Denn es ist ja durchaus eine oft von Kindern und Erwachsenen im familiären Raum oder im Freundesraum benutzte Form mit
i (Mutter-Mutti, Vater/Vati, Bub/Bubi) zu beobachten, welche Verkleinerung, Nähe, Freundschaft, aber auch eine Inferiosierung ausdrücken kann. Bei
Vater und
Mutter bleibt die Genusmarkierung erhalten, bei
Bub nicht.
Man vergleiche etwa im Bayrischen folgende Zuordnungen:
Das
Georgchen wird
da Schoasi, da Schoaschl, as Schoaschl
Das
Hänschen wird
da Hansi, da Hansl, as Hansal.
Vielleicht ist bei dem Wechsel vom maskulinen
da zum neutrumorientierten
as eine gewisse Distanzierung impliziert.
(2) Oszillieren
Und dann ist fraglich, ob man diesen Konnotationsraum der
i-Form systematisch weiter aufhellen kann:
Bei weiblichen Vornamen dürften heute immer noch die Verkleinerungs- und die Diminutivform Zärtlichkeitsaspekte, Vertrautheit und ähnliches signalisieren, überwiegend. Es gibt daneben aber durchaus die Abwehr von „Du bist s´Rita“ durch Frauen, weil sie nicht als sächlich oder Verfügungsmasse oder ähnliches im Subtext angesprochen werden möchten.
Diese oszillierende Semantik scheint denn auch bei den männlichen Namen eine gewisse Rolle zu spielen.
Ein „Kurti“ wird wahrscheinlich Zärtlichkeit und Vertrautheit konnotieren, aber auch, dass man ihn für nicht ganz voll nimmt. Bei Manni Matters Lied
Dr Hansjakobli und ds Babettli, zweimal recht sicher ein Diminutiv, bleibt dem
Hans Jakob grammatisch das natürliche Geschlecht (masculin) erhalten, der Babette eben nicht. Das lässt den Schluss zu, es sei bei Männern bis zu einem gewissen Grad von einem Genuswechsel abzusehen, damit nicht Despektierliches aufscheint.
Also sind männliche Vornamen wahrscheinlich eher gefeit/geschützt gegen die neutrale Diminuierung/Verkleinerung. Bei weiblichen Vornamen muss gar nicht die (wenn auch vielleicht milde) Pejorisierung in der Kose- und Verniedlichungsform vorliegen. Daher die geringere innere Sperre bei Frauen, mit diesem Femineutrum belegt zu werden.
Das heißt dann aber im Umkehrschluss, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein
Kurti oder ein
Josi in einer sozialen Gruppe einen eher niederen Rang einnehmen wird als ein
Kurt oder ein
Joseph oder ein
Jones oder ein
Jos(h)ua Kimmich. Dass der mit
das Josi Benannte vielleicht als so etwas wie ein Kauz, eine komische Figur, ein Faktotum, Unikat, Sonderling, Außenseiter, seltsamer, skurriler Typ gilt.
Eine gewisse Bandbreite und Skalierung in der Semantik von Artikel und Suffix. Enttäuschend, wenn man einfache Antworten sucht. Aber die Sprachwirklichkeit ist halt doch spannend-komplex.
(3) Manni Matters D´s Heidi
Vielleicht mag man in einem Manni-Matter-Lied das Femineutrum genießen und in seinem Affektraum dann genießend aufhellen?
D´s Heidi
Är wohnt a dr glyche Gass
Und i bi mit dir i d'Klass
So ischs cho, das mir grad beidi
Ds Härz a di verlore hei
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn
Är isch grosse Held im Sport
I probieres meh mit Wort
Jeden uf sy Art umwärbe
Mir di, Heidi, ig und är
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn
Zum Bewys är heig di gärn
Schiesst är Gool bi FC Bärn
Ig erkläre mi dir schlicht
I Form vo lyrische Gedicht
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn
Jede Sunntig dänksch am Mätsch
Är syg dä wo d'lieber hätsch
Findsch daheim vo mir e Brief
De chehrt sech ds Blatt, du süfzgisch tief
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn
https://www.youtube.com/watch?v=hRm6rXIjGgo
(4) Wen´s interessiert
Gerda Baumgartner / Helen Christen (2017): Dr Hansjakobli und ds Babettli – Über die Geschlechtstypik diminuierter Rufnamen in der Deutschschweiz. In: Martin Reisig/Constanze Spieß (Hg.): Sprache und Geschlecht. Band 2. Duisburg (=Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 91), 111-145.
Gerda Baumgartner: S Marietta – ääs isch es Liebs: Liebkosung oder Spott? Pragmatische Aspekte neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der 19. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie, 11.-13. Oktober 2017, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Melanie Bösiger: "Jessica und d'Lea chömed au": Vermeintliche Artikellosigkeit vor weiblichen Vornamen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.
Nadine Mathys: Ds Beatrice u d Hänsa - Besonderheiten der Genuszuweisung bei weiblichen und männlichen Rufnamen und der Einflussfaktor Alter. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.
Gerda Baumgartner: Variabler Genusgebrauch bei Rufnamen in Dialekten der Deutschschweiz. Poster-Präsentation an der Internationalen Nachwuchstagung (CSF Workshop - GAL Research School) Variationslinguistik trifft Textlinguistik, Ascona, 19.-22. März 2017.
P.S.
Der Titel mit dem Genitivapostroph
„s‘Josi“-s Wanderstöcke ist vielleicht wirklich ein bisschen unglücklich. Mit dem Dativausdruck
(em) Josi seine Wanderstöcke ist man vielleicht auch nicht glücklich, aber doch glücklicher?
P.P.S.
Lieblich sind die Augen dein.
Sie glänzen wie die Sternelein.
Saatkartoffeln haben Augen.
Sind wie deine anzuschaugen.
(Erika Fuchs: Brieftaube
Turbodüse)