„s‘Josi“-s Wanderstöcke

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Sidgrani

Mitglied
Hei whitepaper,

du hast mit deinem Gedicht nicht nur mich berührt, das zeigen die unterschiedlichen Kommentare, egal, wie gut oder schlecht, wie kurz oder lang, sie ausgefallen sind. Dein „Bericht“ über das Schicksal eines mit der Natur verwachsenen Originals kommt äußerst authentisch herüber und besticht durch seinen Verzicht auf Effekthascherei und jeglichen Pathos. Den Zeilen ist anzumerken, dass dir das Schicksal dieses Menschen nahegeht und dass du dir Einiges von der Seele geschrieben hast.

Mich rührt das Schicksal von „s’Josi“ an und ich bewundere, wie bildhaft du den Werdegang von „s’Josi“ beschrieben hast.

Mit besten Wünschen für das neue Jahr und neidloser Anerkennung.
Sidgrani
 
F

Frodomir

Gast
Hallo whitepaper,

vielen Dank für die Antwort auf meinen Kommentar. Es menschelt bei dir und den s'Josis dieser Welt wünsche ich Menschen, die denken wie du.

Viele Grüße
Frodomir
 

Willibald

Mitglied
s´Josi und das seltsame Neutrum

Imagesignale: s´Josi und das Femineutrum

Vorsicht, das Folgende ist sehr germanistisch angehaucht. Volles Verständnis für solche, die sich das nicht antun wollen.

(1)Fragen

Also gut, die Sache mit dem Femininum und dem Neutrum, das ist schon spannend. Und auch deren Kombination mit und Relation zu Vornamen mit Diminutivsuffixen oder anderen „Verkleinerungsformen“ (das ist hier ein bisschen zu vage, aber lassen wir es mal erst).

Mir ist immer noch nicht klar, ob „Josi“ nun eindeutig auf einen männlichen Joseph oder einen Jos(h)ua oder eine weibliche Josephine zurückgeht. Oder ob das alles möglich ist.

Sicher ist wohl Josi eine Kurzform, ähnlich wie Heidi eine Kurzform von Adelheid ist. Und dann das diminuierende (?) i. Eine explizite Diminutivform wäre das Femineutrum s´Heidile.

Nun ist naheliegend, dass in solchen Kurzformen wie Heidi doch so etwas wie ein verniedlichender Diminutiv anklingt, beziehungsweise sich die Kurzform samt dem -i hinsichtlich ihrer unterschwelligen Semantik mit den Formen von -li oder -chen deutlich überschneidet. Denn es ist ja durchaus eine oft von Kindern und Erwachsenen im familiären Raum oder im Freundesraum benutzte Form mit i (Mutter-Mutti, Vater/Vati, Bub/Bubi) zu beobachten, welche Verkleinerung, Nähe, Freundschaft, aber auch eine Inferiosierung ausdrücken kann. Bei Vater und Mutter bleibt die Genusmarkierung erhalten, bei Bub nicht.

Man vergleiche etwa im Bayrischen folgende Zuordnungen:

Das Georgchen wird da Schoasi, da Schoaschl, as Schoaschl
Das Hänschen wird da Hansi, da Hansl, as Hansal.

Vielleicht ist bei dem Wechsel vom maskulinen da zum neutrumorientierten as eine gewisse Distanzierung impliziert.

(2) Oszillieren

Und dann ist fraglich, ob man diesen Konnotationsraum der i-Form systematisch weiter aufhellen kann:

Bei weiblichen Vornamen dürften heute immer noch die Verkleinerungs- und die Diminutivform Zärtlichkeitsaspekte, Vertrautheit und ähnliches signalisieren, überwiegend. Es gibt daneben aber durchaus die Abwehr von „Du bist s´Rita“ durch Frauen, weil sie nicht als sächlich oder Verfügungsmasse oder ähnliches im Subtext angesprochen werden möchten.

Diese oszillierende Semantik scheint denn auch bei den männlichen Namen eine gewisse Rolle zu spielen.

Ein „Kurti“ wird wahrscheinlich Zärtlichkeit und Vertrautheit konnotieren, aber auch, dass man ihn für nicht ganz voll nimmt. Bei Manni Matters Lied Dr Hansjakobli und ds Babettli, zweimal recht sicher ein Diminutiv, bleibt dem Hans Jakob grammatisch das natürliche Geschlecht (masculin) erhalten, der Babette eben nicht. Das lässt den Schluss zu, es sei bei Männern bis zu einem gewissen Grad von einem Genuswechsel abzusehen, damit nicht Despektierliches aufscheint.

Also sind männliche Vornamen wahrscheinlich eher gefeit/geschützt gegen die neutrale Diminuierung/Verkleinerung. Bei weiblichen Vornamen muss gar nicht die (wenn auch vielleicht milde) Pejorisierung in der Kose- und Verniedlichungsform vorliegen. Daher die geringere innere Sperre bei Frauen, mit diesem Femineutrum belegt zu werden.

Das heißt dann aber im Umkehrschluss, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kurti oder ein Josi in einer sozialen Gruppe einen eher niederen Rang einnehmen wird als ein Kurt oder ein Joseph oder ein Jones oder ein Jos(h)ua Kimmich. Dass der mit das Josi Benannte vielleicht als so etwas wie ein Kauz, eine komische Figur, ein Faktotum, Unikat, Sonderling, Außenseiter, seltsamer, skurriler Typ gilt.

Eine gewisse Bandbreite und Skalierung in der Semantik von Artikel und Suffix. Enttäuschend, wenn man einfache Antworten sucht. Aber die Sprachwirklichkeit ist halt doch spannend-komplex.

(3) Manni Matters D´s Heidi

Vielleicht mag man in einem Manni-Matter-Lied das Femineutrum genießen und in seinem Affektraum dann genießend aufhellen?

D´s Heidi

Är wohnt a dr glyche Gass
Und i bi mit dir i d'Klass
So ischs cho, das mir grad beidi
Ds Härz a di verlore hei
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn

Är isch grosse Held im Sport
I probieres meh mit Wort
Jeden uf sy Art umwärbe
Mir di, Heidi, ig und är
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn

Zum Bewys är heig di gärn
Schiesst är Gool bi FC Bärn
Ig erkläre mi dir schlicht
I Form vo lyrische Gedicht
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn

Jede Sunntig dänksch am Mätsch
Är syg dä wo d'lieber hätsch
Findsch daheim vo mir e Brief
De chehrt sech ds Blatt, du süfzgisch tief
Heidi, mir wei di beidi
Beidi, Heidi, hei di gärn
https://www.youtube.com/watch?v=hRm6rXIjGgo

(4) Wen´s interessiert

Gerda Baumgartner / Helen Christen (2017): Dr Hansjakobli und ds Babettli – Über die Geschlechtstypik diminuierter Rufnamen in der Deutschschweiz. In: Martin Reisig/Constanze Spieß (Hg.): Sprache und Geschlecht. Band 2. Duisburg (=Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 91), 111-145.

Gerda Baumgartner: S Marietta – ääs isch es Liebs: Liebkosung oder Spott? Pragmatische Aspekte neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der 19. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie, 11.-13. Oktober 2017, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

Melanie Bösiger: "Jessica und d'Lea chömed au": Vermeintliche Artikellosigkeit vor weiblichen Vornamen im Schweizerdeutschen. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.

Nadine Mathys: Ds Beatrice u d Hänsa - Besonderheiten der Genuszuweisung bei weiblichen und männlichen Rufnamen und der Einflussfaktor Alter. Vortrag im Rahmen der StuTS - 61. Studentische Tagung Sprachwissenschaft, 25.-27. Mai 2017 an der Universität Zürich.

Gerda Baumgartner: Variabler Genusgebrauch bei Rufnamen in Dialekten der Deutschschweiz. Poster-Präsentation an der Internationalen Nachwuchstagung (CSF Workshop - GAL Research School) Variationslinguistik trifft Textlinguistik, Ascona, 19.-22. März 2017.

P.S.

Der Titel mit dem Genitivapostroph „s‘Josi“-s Wanderstöcke ist vielleicht wirklich ein bisschen unglücklich. Mit dem Dativausdruck
(em) Josi seine Wanderstöcke ist man vielleicht auch nicht glücklich, aber doch glücklicher?


P.P.S.

Lieblich sind die Augen dein.
Sie glänzen wie die Sternelein.

Saatkartoffeln haben Augen.
Sind wie deine anzuschaugen.
(Erika Fuchs: Brieftaube Turbodüse)
 



 
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