Skolopender

nisavi

Mitglied
Dort, wo sich einst Sonnen, Monde und Sterne gespiegelt hatten, erstreckte sich jetzt endlose Ödnis. Gluthitze war und jeder Tag still.

Wie ein Schnitt klaffte das wasserlose Tal auf der Landschaft. Eine Wunde, die nie vernarben, immerfort schmerzen würde.

Teppiche aus verdorrten Pflanzen säumten die Ufer. Innerhalb kurzer Zeit waren sie zerfallen und hatten die Farbe von Kies angenommen. Nach und nach wurden sie eins mit dem steinigen Untergrund.
Dort, wo der See tiefer gewesen war, faulte stinkender Algenmorast. Fischbäuche blähten sich weißgelb darin.

Die Menschen hatten sich an die Ränder der Senke zurückgezogen und vermieden es, sich bei Tageslicht zu bewegen. Nachts rückten sie zusammen und besuchten sich gegenseitig in ihren Träumen. Das war einfach, viel einfacher als es vorher gewesen war, denn Männer und Frauen, Kinder und Greise, hatten denselben Traum. Sie alle schliefen neben einer Erinnerung.

Dann kam das Ungeziefer. Es kroch in Scharen ans Ufer. Dunkles Gewürm, das, vom Licht geblendet, hin- und herfühlerte. Orientierungslos anfangs. Aber dem Instinkt folgend.
Zunächst meinten die Menschen, sich der Plage entledigen zu können, so wie sie sich vieler Plagen entledigt hatten in ihrer Vergangenheit. Die Männer versuchten, die Tiere mit Steinen oder Knüppeln zu erschlagen. Sie gaben schnell auf. Der aus den Chitinpanzern quellende grünliche Schleim verätzte ihnen Hände und Füße.
Immer mehr Tausendfüßler schlängelten sich aus den Gelegen im fauligen Schlamm.

Die Menschen wichen erschrocken zurück. Mütter versuchten, ihre Kinder zu beruhigen. Als schließlich kein Platz an den Ufern mehr sicher zu sein schien, versuchten alle, die Felsen zu erklimmen. Nur die Kräftigsten unter ihnen waren überhaupt in der Lage, an den lehmigen Wänden ein Stück emporzuklettern. Die Alten und Kranken gaben zuerst auf. Sie ließen sich einfach fallen. Viele Frauen waren zu erschöpft und schwach, um die Anstrengung zu bewältigen. Lautlos stürzten sie in die schwarze Tiefe. Die meisten nahmen Kinder mit in den Tod.

Nur einige, wenige Männer waren übriggeblieben, die bluteten und keuchten. Sie zitterten und schrieen nach ihren Müttern. Manche von ihnen verfluchten Gott.

Endlich aber hatten sie es geschafft. Sie ergriffen loses Wurzelwerk und krochen aus dem Abgrund. Wer aber beschreibt das Erstaunen, welches sie ergriff, als es dort, über dem Krater, der einst ein See gewesen war, zu schneien begann? Große Flocken, filigrane Blütenblätter, fielen vom Himmel. Die Männer hielten die Augen geschlossen, sie schwiegen und krochen über die Erde, nach links und rechts, orientierungslos, getrieben von einer unsichtbaren Kraft. Manchmal hielten sie inne, für wenige Minuten. Sie schliefen ein oder verloren die Besinnung. Doch wenn sie wieder erwachten oder zu sich kamen, schleppten sie sich weiter. Der Schnee fiel dichter, hier und da hätte man eine Spur vermuten können. Schon bald aber verlor sie sich.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo nisavi,

habe jetzt Dein Werk ein paar Mal gelesen. Irgendwie glaube ich, dass es im Präsenz besser käme. Nur so ein Gedanke. Damit könnte ich live mit(er)leben, bis zur finalen Hoffnungslosigkeit. Damit wäre auch der erzählende Charakter ein wenig raus und der Plot würde szenischer.

Nur so eine Idee

Grüße, KaGeb
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hi nisavi,

die story ist schon toll, aber kagebs einwand mit der erzählzeit ist nicht von der hand zu weisen. ich denke auch nicht, dass es dadurch zu "reißerisch" wird.

anyway, gelungen.

lg
nofrank
 

nisavi

Mitglied
Überarbeitete Version (Ein Versuch. Präsens(z.)

Skolopender I

Dort, wo sich einst Sonnen, Monde und Sterne gespiegelt haben, erstreckt sich jetzt endlose Ödnis. Gluthitze ist und jeder Tag still.

Wie ein Schnitt klafft das wasserlose Tal auf der Landschaft. Eine Wunde, die nie vernarben, immerfort schmerzen wird.

Teppiche aus verdorrten Pflanzen säumen die Ufer. Innerhalb kurzer Zeit zerfallen sie und nehmen die Farbe von Kies an. Nach und nach werden sie eins mit dem steinigen Untergrund.
Wo der See tiefer gewesen ist, fault stinkender Algenmorast. Fischbäuche blähen sich weißgelb darin.

Die Menschen ziehen sich an die Ränder der Senke zurück und vermeiden es, sich bei Tageslicht zu bewegen. Nachts rücken sie zusammen und besuchen sich gegenseitig in ihren Träumen. Das ist einfach, viel einfacher als es vorher gewesen ist, denn Männer und Frauen, Kinder und Greise, haben denselben Traum. Sie alle schlafen neben einer Erinnerung.

Dann kommt das Ungeziefer. Es kriecht in Scharen ans Ufer. Dunkles Gewürm, das, vom Licht geblendet, hin- und herfühlert. Orientierungslos anfangs. Aber dem Instinkt folgend.
Zunächst meinen die Menschen, sich der Plage entledigen zu können, so wie sie sich vieler Plagen entledigt haben in ihrer Vergangenheit. Die Männer versuchen, die Tiere mit Steinen oder Knüppeln zu erschlagen. Sie geben schnell auf. Der aus den Chitinpanzern quellende grünliche Schleim verätzt ihnen Hände und Füße.
Immer mehr Tausendfüßler schlängelen sich aus den Gelegen im fauligen Schlamm.

Die Menschen weichen erschrocken zurück. Mütter versuchen, ihre Kinder zu beruhigen. Als schließlich kein Platz an den Ufern mehr sicher zu sein scheint, versuchen alle, die Felsen zu erklimmen. Nur die Kräftigsten unter ihnen sind überhaupt in der Lage, an den lehmigen Wänden ein Stück emporzuklettern. Die Alten und Kranken geben zuerst auf. Sie lassen sich einfach fallen. Viele Frauen sind zu erschöpft und schwach, um die Anstrengung zu bewältigen. Lautlos stürzen sie in die schwarze Tiefe. Die meisten nehmen Kinder mit in den Tod.

Nur einige, wenige Männer sind übriggeblieben, die bluten und keuchen. Sie zittern und schreien nach ihren Müttern. Manche von ihnen verfluchen Gott.

Endlich aber haben sie es geschafft. Sie fassen loses Wurzelwerk und kriechen aus dem Abgrund. Wer aber beschreibt das Erstaunen, welches sie ergreift, als es dort, über dem Krater, der einst ein See gewesen ist, zu schneien beginnt? Große Flocken, filigrane Blütenblätter, fallen vom Himmel. Die Männer halten die Augen geschlossen, sie schweigen und kriechen über die Erde, nach links und rechts, orientierungslos, getrieben von einer unsichtbaren Kraft. Manchmal halten sie inne, für wenige Minuten. Sie schlafen ein oder verlieren die Besinnung. Doch wenn sie wieder erwachen oder zu sich kommen, schleppen sie sich weiter. Der Schnee fällt dichter, hier und da vermutet man eine Spur. Schon bald aber verliert sie sich.

Originalversion

Skolopender

Dort, wo sich einst Sonnen, Monde und Sterne gespiegelt hatten, erstreckte sich jetzt endlose Ödnis. Gluthitze war und jeder Tag still.

Wie ein Schnitt klaffte das wasserlose Tal auf der Landschaft. Eine Wunde, die nie vernarben, immerfort schmerzen würde.

Teppiche aus verdorrten Pflanzen säumten die Ufer. Innerhalb kurzer Zeit waren sie zerfallen und hatten die Farbe von Kies angenommen. Nach und nach wurden sie eins mit dem steinigen Untergrund.
Dort, wo der See tiefer gewesen war, faulte stinkender Algenmorast. Fischbäuche blähten sich weißgelb darin.

Die Menschen hatten sich an die Ränder der Senke zurückgezogen und vermieden es, sich bei Tageslicht zu bewegen. Nachts rückten sie zusammen und besuchten sich gegenseitig in ihren Träumen. Das war einfach, viel einfacher als es vorher gewesen war, denn Männer und Frauen, Kinder und Greise, hatten denselben Traum. Sie alle schliefen neben einer Erinnerung.

Dann kam das Ungeziefer. Es kroch in Scharen ans Ufer. Dunkles Gewürm, das, vom Licht geblendet, hin- und herfühlerte. Orientierungslos anfangs. Aber dem Instinkt folgend.
Zunächst meinten die Menschen, sich der Plage entledigen zu können, so wie sie sich vieler Plagen entledigt hatten in ihrer Vergangenheit. Die Männer versuchten, die Tiere mit Steinen oder Knüppeln zu erschlagen. Sie gaben schnell auf. Der aus den Chitinpanzern quellende grünliche Schleim verätzte ihnen Hände und Füße.
Immer mehr Tausendfüßler schlängelten sich aus den Gelegen im fauligen Schlamm.

Die Menschen wichen erschrocken zurück. Mütter versuchten, ihre Kinder zu beruhigen. Als schließlich kein Platz an den Ufern mehr sicher zu sein schien, versuchten alle, die Felsen zu erklimmen. Nur die Kräftigsten unter ihnen waren überhaupt in der Lage, an den lehmigen Wänden ein Stück emporzuklettern. Die Alten und Kranken gaben zuerst auf. Sie ließen sich einfach fallen. Viele Frauen waren zu erschöpft und schwach, um die Anstrengung zu bewältigen. Lautlos stürzten sie in die schwarze Tiefe. Die meisten nahmen Kinder mit in den Tod.

Nur einige, wenige Männer waren übriggeblieben, die bluteten und keuchten. Sie zitterten und schrieen nach ihren Müttern. Manche von ihnen verfluchten Gott.

Endlich aber hatten sie es geschafft. Sie ergriffen loses Wurzelwerk und krochen aus dem Abgrund. Wer aber beschreibt das Erstaunen, welches sie ergriff, als es dort, über dem Krater, der einst ein See gewesen war, zu schneien begann? Große Flocken, filigrane Blütenblätter, fielen vom Himmel. Die Männer hielten die Augen geschlossen, sie schwiegen und krochen über die Erde, nach links und rechts, orientierungslos, getrieben von einer unsichtbaren Kraft. Manchmal hielten sie inne, für wenige Minuten. Sie schliefen ein oder verloren die Besinnung. Doch wenn sie wieder erwachten oder zu sich kamen, schleppten sie sich weiter. Der Schnee fiel dichter, hier und da hätte man eine Spur vermuten können. Schon bald aber verlor sie sich.
 

nisavi

Mitglied
hallo kageBE,

ich habe versucht, die präsensversion umzusetzen. wenn man das ergebnis liest, ich weiß noch nicht, ob ich mit so recht damit anfreunden kann. ist es nicht so, dass mit der gewählten zeitform der duktus des weitererzählens/überlieferns verloren geht?

lg
n.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo nisavi,

grundsätzlich gefällt mir der Präsens besser. Der Einstieg in die Öde usw. ist auch völlig okay (m.M.n.).
Vielleicht wäre aber der mittlere Teil ab "Die Menschen ..." wieder im Präteritum gut und am Ende, wenn sich "... die Spur im Schnee verliert ..." wiederum ein Absatz mit einer Wendung wie zu Beginn: "Dort, wo sich einst Sonnen, Monde und Sterne gespiegelt haben, erstreckt sich jetzt endlose Ödnis. Gluthitze ist und jeder Tag still ..."

Ein Drama sozusagen, kurzes Aufflackern und Bemühen, doch am Ende ist nur Öde. Wie eine Sinuskurve. Nur so eine Idee

LG, KaGeb
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo nisavi,

ich gebe dir recht, der duktus des überlieferns geht im präsens hopps, und ab "dann kommt das ungeziefer", geht es zwar noch, aber es überzeugt emotional nicht mehr richtig.

nun stellt sich (dir) die frage, was dir erzähltechnisch wichtiger ist: ein stimiger, einheitlicher erzählduktus, dann wieder zurück zum original, oder eine mischform, die zunächst sehr präsent macht wie es früher war und dann mittels eines szenewechsels in eine überlieferung mündet. beides wäre mit der story sehr gelungen.

sorry, für die verwirrung ;)

liebe grüße
nofrank
 



 
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