So nah, so fremd (gelöscht)

Status
Für weitere Antworten geschlossen.
Nach meinem Eindruck insgesamt gut geschrieben. Auch bei den stilistischen Aufschwüngen zwecks dramatischer Zuspitzung, die ich sonst so oft verunglückt finde, stürzt dieser Text nicht ab. Selbst mit den "Klapperschlangen" und "Kirschblüten" kann ich mich vielleicht abfinden, das ist aber grenzwertig. Nur ein Ausdruck zu Beginn missfällt mir tatsächlich: ein "Fassungsvermögen überborden". Vielleicht besser überlasten, überladen, überschütten?

Ob ich mich persönlich vom Schluss angesprochen fühle, ist natürlich eine andere Frage, spielt aber wohl hier auch keine Rolle. Jedenfalls verdeutlicht der Text als Ganzes die sehr verschiedenen Arten, nach denen religiöse Inhalte verarbeitet werden können.

Mich hat der Text außerdem noch ein wenig an die Eltern des dänischen Autors Hermann Bang erinnert. Der Pastor Bang endete als Geisteskranker, seine überempfindsame, dabei wenig religiöse Frau entsprach nicht dem Bild einer Pastorengattin des 19. Jahrhunderts. Umso mehr verkörperten beide die akute Glaubenskrise jener Zeit.

Arno Abendschön
 
Guten Morgen Joneda.

Hab Dank für deine positive Rückmeldung!
Wenn Du Zeit und Lust hast, würde mich interessieren, was Dich am meisten angesprochen hat. Es muss keine epische Antwort sein...ein kurzer Satz reicht schon. Vielleicht magst Du sogar eine Bewertung abgeben? Das würde mir helfen, den Text besser einzuordnen.

Gruß
Säbelzahntiger
 
Arno Abendschön

Hallo Arno.

Hab Dank für deine Zeilen.
Ich habe "überbordet" nun tatsächlich in "überlastet" geändert.
Es ist schön, dass sich jemand mit dem Text befasst hat.
Man weiß ja eigentlich nie, ob der eigene Text nur kurz angeklickt, aber eventuell gar nicht zu Ende gelesen wurde?!
Daher ist eine Rückmeldung jeglicher (konstruktiver) Art oder eineBewertung absolut hilfreich. Nachahmer sind willkommen!
Was mich aber wirklich überrascht hat, ist der kleine Abstecher zu Bang! Über ihn habe ich während des Skandinavistik Studiums ein fast schon "ausuferndes" Referat gehalten ;-)
Gruß
Sbelzahntiger
 

Val Sidal

Mitglied
Gott und Ich: so nah, so fremd. Die Ich-Form der Erzählung erschwert eine Stellungnahme. Ist die Geschichte autobiographisch, so fühle ich mit dir. Punkt.
Ist sie fiktiv, so gäbe es eine Menge zu sagen.
 
Hej Ladis Lav.

Wenn Du die Zeit und auch die Lust hast, schreib ruhig etwas zu dem Text. Es geht mir aber eigentlich nicht um Rückmeldungen, was ich stilistisch verbessern könnte, sondern eher um die Auseinandersetzung mit dem Inhalt, mit den Bildern.
Der Text ist Zeile für Zeile genommen natürlich nicht rein autobiographisch (meine Mutter lebt noch). Damit würde ich nicht hausieren gehen. Es spiegeln sich aber -wie immer- Splitter aus meinem Leben wider. Die Kirschblüten gehören beispielsweise zu einem Todesfall in der nahen Verwandschaft.

Übrigens bin ich von deinem Text "Pochen" extrem angetan (obwohl ich den Titel "spannender" gewählt hätte).
Du hast definitv das Zeug zu mehr und der Text wird in meinen Augen zu wenig gelesen und bewertet. Der ist sprachlich und bildlich sehr, sehr stark und zeugt von einer gewissen Schreibreife. Hut ab!
 

Val Sidal

Mitglied
Weil keine Autobiographie, gefällt es mir, wie du durch die Tonart, Perspektive und Wahl der Mittel eine beeindruckende, beinahe bedrängende Nähe zwischen ErzählerIn und Leser herstellst - ein Subjektivismus, der natürlich nicht jedermanns Sache ist, denn deine Wahl der Figuren (Ich, Gott, Vater, Großmutter, Mutter und Sohn) bietet eine sehr (vielleicht zu) breite Reibungsfläche. Genau dieser Ansatz stellt freilich sehr harte Leitplanken auf, was Stil und Bilder betrifft: zwischen Originalität und Glaubwürdigkeit, Plastizität und Oberflächigkeit zu navigieren (und unfallfrei durch zu kommen) erfordert viel Gespür, Inspiration und Disziplin - um von der Menge Schweiß, die in die Formulierungen zu investieren ist gar nicht zu sprechen.

Einige Gelegenheiten für erhöhte Textarbeitsanstregungen:

Ich wurde eingebettet in Psalmen, Gebete und Lobpreisungen über Gott, die das Fassungsvermögen eines Kinderherzens und eines aufflackernden Verstandes überlasteten.
Eine Lebenslauf-Formulierung. Die Bilder ([blue]Fassungsvermögen eines Kinderherzens und eines aufflackernden Verstandes[/blue]) Wäre es für Leser nicht interessanter, nicht [red]von[/red] der angesprochenen Überlastung zu hören, sondern am Kind(und wenn es gut läuft, an sich selbst) beobachtbar zu erkennen?


als sich der Krebs wie ein Buschfeuer durch meine Großmutter fraß. Ich liebte sie vorbehaltlos, wie nur Kinder es können und legte ihr verzweifelt mein liebstes Kuscheltier auf das Sterbebett
Eine vertane Gelegenheit.


Doch meine Mutter verlor sich seit diesem Tag in einer Welt voller Schatten und ich begriff nicht, wie sie dorthin gelangt war. Die Ängste meiner Mutter waren und blieben mir fremd. Ich wusste nicht, was für Ängste es waren, wie sie hießen, woher sie kamen oder, wie man sie vom Bleiben abhielt. Ich verstand nicht, dass diese sie vergifteten, zerfraßen, sie aushöhlten, bis das Licht durch sie hindurch zu fallen begann. Ich verstand auch nicht die Trauer, die in immer kürzeren Abständen wie eine aschgraue Welle über ihr zusammenschlug.
Interessanter wäre es zu lesen, was diese allgegenwärtige Angst, durch die zentrale Figur eines Kindes (Mutter) eingeführt, mit dem Kind, mit der Mutter/Kind-Beziehung macht. Die pseudo-poetische Fassade der Häßlichkeit des Seelen- und Verstandesfressers lässt Leser unberührt. Schade.

Meine Kindheit endete wie voll gesogenes Treibholz, das vom Meer an den Strand gespuckt wurde.
An diesem Bild blieb ich eine ganze Weile stehen. Wann endet Kindheit? Und wie? Treibholz, als Fingerzeig auf das Drama des auf hoher See, im Sturm, gottverlassen untergegangenen Heil-und Glücklichseins? Was wäre die Alternative zu [blue]"voll gesogenes Treibholz"[/blue]? Ein fesches Boot, geile Gören lockend? Oder... lassen wir das!

Das Bild meiner nicht fassbaren Jugend zeichnete meine Mutter. Sie saß meistens weinend im Bett, tastete nach ihren Medikamenten und balsamierte damit ihre von Angst zerfressene Seele.
Wenn es bis zu diesem Zeitpunkt ungewiss war, ist nun endgültig klar: ErzählerIn hat für Mutter nicht viel übrig (Mutter hat nicht viel übriggelassen?) Kein Mitleid, keine Zuneigung. Jetzt mag Leser Kind nicht mehr! Wolltest du das?

Sie hungerte nach Wärme, nach Licht und, wenn sie mich sehnsüchtig in den Arm nahm, brandschatzte sie mich.
Das Bild verstehe ich nicht. "[blue]brandschatzte[/blue]" - ist das etwas Unanständiges? Hat es etwas mit Sex zu tun?
 
Status
Für weitere Antworten geschlossen.



 
Oben Unten