Walther
Mitglied
Frank W.: Sohnevaterungo
„Heute kommt Hänschen!“, freut sich Frank W. bereits beim Aufwachen. Der Sohn, der Vater, das Wochenende: feste Zeit, beste Zeit. Festzeit!
Seit er geschieden ist, haben sich seine Freizeit und seine Ansprache noch weiter reduziert. Es erstaunt ihn, wie rasch man vereinsamt. Wenn die Frau den Mann am Rande des Wegs zurücklässt, nimmt sie die sozialen Kontakte mit. So ist es ihm auch ergangen. Er lechzt nach Begegnung und nach Nähe. Hänschen ist alles, was geblieben ist. Statt in der Zeit davor teilen sich die Monate nicht mehr durch ca. vier Wochenenden, „wo der Vater mit dem Sohne um die Häuser zog“. Alle vierzehn Tage kommt Hänschen jetzt am Freitag um 6 Uhr abends. Oder Frank W. holt ihn. Die Worte, die er mit Edith, seiner geschiedenen Frau, wechselt, sind wenige. Was soll man sich nach diesem Desaster auch sagen.
Nachdem er ohne Arbeit ist, kann der Freitag ruhig angegangen werden. Bewerbungen schreiben, aufräumen, saugen, das Kinderzimmer vorbereiten, Hänschen das Lieblingsessen einkaufen. Geschiedene Eltern sind permanent im Wettbewerb um die Kindesliebe. Die Mutter ist im Vorteil. Sie gewinnt meistens, aber ein bisschen verwöhnen darf man doch. Auch wenn Edith immer wieder sagt, er solle ihm nicht zuviel Zucker in den Hintern blasen. Wenigstens das Kinderglück im Gesicht sehen, wenn schon sonst nicht wirklich viel Glückserlebnis übrig geblieben ist.
Am Spätnachmittag steigt schließlich die Vorfreude, und er fühlt sich fast wie als Primaner vor der Mathematikprüfung: die Hände leicht feucht, der Mund leicht trocken, im Magen ein dumpfer Druck. Nervös rennt er in der Wohnung durch die Gegend, seltsam planlos, unruhig immer wieder auf das Ziffernblatt des Schweizer Chronometers schauend, den er sich zum Geburtstag gegönnt hatte.
Endlich ist so weit, und er setzt er sich ins Auto und weiß am Ende gar nicht mehr vor lauter Spintisieren und Vorstellen und Träumen, wie er bei Edith angekommen ist, vor dem vertrauten Einfamilienhaus in der vertrauten Straße. Es gibt ihm immer wieder einen Stich, diese Ansicht des Verlusts, der gemeinsamen Niederlage. Und zugleich macht sein Herz einen Luftsprung, als er seinen Sohn sieht, der schon winkt und freudig erregt fast auf den Beinen dabei herumhüpft.
Edith, die vertraute Gestalt, deren Gesichtslinie er immer wieder bewundern muss; wie er sie noch immer liebt und vermisst. Der Trennungsschmerz ist so viel größer als der Zorn, er ist fast körperlich. Frank W. hält an und schluckt trocken. Tief durchatmend öffnet er die Fahrzeugtür und steigt aus.
Hänschen stürmt zu ihm und wirft sich in seine Arme, kaum dass er sich aufrichten konnte. Die Umarmung will beinahe ewig währen. Dann, eine Träne hat sich in den Augenwinkel stibitzt, sieht er auf und sagt: „Hallo, Edith. Siehst gut aus. Geht’s gut?“, so fragt er, will keine Antwort hören und hört sie doch. „Guten Tag, dass Du einmal pünktlich bist.“ Edith weiß noch nicht, dass er freigestellt wurde. Es gibt sich wenig Rede zwischen Menschen, die sich getrennt haben. Jeder trägt seinen Teil nun alleine. Jeder will nur noch die gute Seite zeigen. Auch da ist ein Wettbewerb, ein elender, aber selbst wenn man das weiß und durchschaut, entziehen kann sich keiner. Wer sich und einander verliert, dem bleibt nur noch das Gesicht, die Fassade.
Frank W. lächelt. „Ja, heute bin ich pünktlich. Lass es gut sein. Wir wollen es nicht schlimmer machen, als es für Hans sowieso schon ist.“ Er nimmt die vorbereitete Tasche und sagt: „Komm, mein Großer, wir müssen.“ Und: „Auf Wiedersehen, ich bringe ihn dann Sonntagabend. Wann wäre es Dir recht?“ „Nicht nach sieben. Er muss Montag früh raus, Du weißt ja, die Schule. Mach’s gut, mein Sohn!“, sagt sie, nimmt Hans in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Stirn und wendet sich ein wenig zu betont schwungvoll ab, um zurück zum Haus zu gehen.
Frank und Hans W. steigen in den Wagen. Hänschen winkt strahlend der Mutter zu, diese grüßt mit einem Küsschen zurück. Das Küsschen freut den einen der beiden und trifft den anderen tief: Verletzungen und Sehnsüchte sind Gefühle, die nach Trennungen zu einer unentwirrbaren Gemengelage sich vermischen. Nichts Vergleichbares hat Frank W. je davor gespürt. Vielleicht die Trauer nach dem Tod des Bruders, ja, die hoffnungslose Trauer, die kommt dieser Aufwallung am nächsten.
Als sie in der Wohnung ankommen, stürzt Hans in das Zimmer und sieht den Schmuselöwen, den der Vater damals vom ihm mitbekommen hat, „damit etwas von mir immer bei Dir ist, weißt Du!“, hat der Sohn damals gesagt. Wer war da der Erwachsene, schoss Frank in jenem Moment durch den Kopf. Hans stürzt sich auf das Bett, wo der Löwe liegt, und herzt diesen. Frank W. muss ein aufkommendes Schluchzen unterdrücken.
Beim Abendessen sagt Hans: „Du, Daddy, ich muss mit Dir reden.“ Er spricht das Daddy immer mit einem weichen „A“ aus. Es ist das Wort, bei dem es Frank immer wie ein Schauer den Rücken hinunterläuft, weil er sich fragt, ob und womit er diese rückhaltlose Liebe und dieses Kosewort verdient hat. „Was ist, Großer?“ fragt er und wuschelt durch das Haar von Hans, wie das nur ein Vater bei seinem Sohn tut. Es gibt eben Dinge, die nur Männer können, und das wissen schon kleine Männer, und große vergessen das selten. Dazu gehört dieses kameradschaftliche Haarwuscheln. Später werden andere Dinge hinzukommen.
„Mama geht wieder abends weg!“ beklagt sich sein Sohn. „ Sie geht mit einem Mann aus.“ Frank W. sieht vor sich auf den Teller. Was soll ich jetzt nur sagen, denkt er. Ein Kloß in seinem Hals entsteht. „Ich will das nicht!“ sagt Hans bestimmt, „ich habe schon einen Vater.“ Der Kloß ist immer noch da. „Du sagst gar nichts!“ beschwert der Sohn sich.
Frank W. blickt auf. „Das ist ein ernstes Thema, mein Großer! Und die Antwort ist so schwer, weil ich Partei bin.“ Er schluckt. „Aber ich will Deiner Frage nicht ausweichen.“ Er steht auf, beginnt abzuräumen. „Lass uns Ordnung machen, und dann sprechen wir darüber. Von Mann zu Mann, nicht von Vater zu Sohn.“ Er holt sich ein Weizenbier und Hänschen ein Mezzomix. Dann setzen sie sich ins Wohnzimmer an den Couchtisch. „Weißt Du, Mama und Papa haben sich auseinander gelebt, sie sind jetzt geschieden, also kein Paar mehr. Deine Mutter ist eine junge und attraktive Frau, die Bedürfnis nach Liebe hat. Dein Vater kann ihr diese nicht mehr geben. Trotzdem bleiben wir immer Deine Eltern. Du brauchst also keine Angst zu haben, dass Du mich als Deinen Vater verlierst.“
„Warum ist das so kompliziert, muss das immer so sein? Sind alle Erwachsenen so?“ fragt Hans, und Frank weiß nicht, was er darauf antworten soll. „Wenn sich zwei Menschen nicht mehr lieben, sich nichts mehr zu sagen haben, kann es ein, dass die Ehe nicht mehr repariert werden kann. Das ist dann wie bei einem Auto, das nach einem Unfall so kaputt ist, dass man es nur noch auf den Schrottplatz geben kann.“, bemüht sich der Vater um eine nachvollziehbare Erklärung.
„Schau, Hänschen, wir beide, Mama und Papa, wir lieben Dich immer noch wie früher. Nur Deine Mama liebt Deinen Vater nicht mehr, und das kann man nicht herbeizwingen. Liebe kommt und geht wie die Freundschaft. Mit Maik hast Du auch gerade so einen Ärger, dass ihr nicht mehr Freunde seid, obwohl ihr über Jahre nebeneinander gesessen habt.“ Hans schaut seinen Vater an. „Also ist das wie mit Maik und mir bei Euch.“ Frank W. nickt, fast erleichtert. „Ja, so ähnlich. Du wirst das bald selbst erleben, wie das ist mit der Liebe. Sie kommt über einen, sie kann nicht herbei befohlen werden, auch wenn man das noch so wünschte.“ Und weiß Gott, wie ich es wünschte, denkt er bei sich und sagt es nicht.
„Was soll ich jetzt tun?“ will Hans wissen. „Mach es Deiner Mutter nicht zu schwer, das Leben muss weitergehen. Und wir beide, Hans, bleiben zusammen, immer, was auch geschieht, versprochen.“ Er steht auf und nimmt seinen Sohn in den Arm.
Frank W. sagt beinah leichthin diese großen Worte und wäre dessen gerne sich genauso sicher, wie seine Stimme hoffentlich klingt. Wenn er seinen Sohn auch noch verlöre, gäbe es nichts mehr, das ihn noch zusammen hielte. Und das schwarze Loch ist schrecklich nah. Und es verschlänge ihn so gern. Nie war das absolute Nichts präsenter als just jetzt, als er seinen Sohn in den Arm nimmt, um ihn fest an sich zu drücken. Wer gibt hier wem nun Sicherheit, das ist das Letzte, was Frank W. heute denkt, bevor er einschläft, spät, nach vielem sich Hin- und Herwenden. Wer braucht hier wen am Nötigsten.
Das Gedicht zu dieser Geschichte: http://www.leselupe.de/lw/titel-Kartesisch-82658.htm
„Heute kommt Hänschen!“, freut sich Frank W. bereits beim Aufwachen. Der Sohn, der Vater, das Wochenende: feste Zeit, beste Zeit. Festzeit!
Seit er geschieden ist, haben sich seine Freizeit und seine Ansprache noch weiter reduziert. Es erstaunt ihn, wie rasch man vereinsamt. Wenn die Frau den Mann am Rande des Wegs zurücklässt, nimmt sie die sozialen Kontakte mit. So ist es ihm auch ergangen. Er lechzt nach Begegnung und nach Nähe. Hänschen ist alles, was geblieben ist. Statt in der Zeit davor teilen sich die Monate nicht mehr durch ca. vier Wochenenden, „wo der Vater mit dem Sohne um die Häuser zog“. Alle vierzehn Tage kommt Hänschen jetzt am Freitag um 6 Uhr abends. Oder Frank W. holt ihn. Die Worte, die er mit Edith, seiner geschiedenen Frau, wechselt, sind wenige. Was soll man sich nach diesem Desaster auch sagen.
Nachdem er ohne Arbeit ist, kann der Freitag ruhig angegangen werden. Bewerbungen schreiben, aufräumen, saugen, das Kinderzimmer vorbereiten, Hänschen das Lieblingsessen einkaufen. Geschiedene Eltern sind permanent im Wettbewerb um die Kindesliebe. Die Mutter ist im Vorteil. Sie gewinnt meistens, aber ein bisschen verwöhnen darf man doch. Auch wenn Edith immer wieder sagt, er solle ihm nicht zuviel Zucker in den Hintern blasen. Wenigstens das Kinderglück im Gesicht sehen, wenn schon sonst nicht wirklich viel Glückserlebnis übrig geblieben ist.
Am Spätnachmittag steigt schließlich die Vorfreude, und er fühlt sich fast wie als Primaner vor der Mathematikprüfung: die Hände leicht feucht, der Mund leicht trocken, im Magen ein dumpfer Druck. Nervös rennt er in der Wohnung durch die Gegend, seltsam planlos, unruhig immer wieder auf das Ziffernblatt des Schweizer Chronometers schauend, den er sich zum Geburtstag gegönnt hatte.
Endlich ist so weit, und er setzt er sich ins Auto und weiß am Ende gar nicht mehr vor lauter Spintisieren und Vorstellen und Träumen, wie er bei Edith angekommen ist, vor dem vertrauten Einfamilienhaus in der vertrauten Straße. Es gibt ihm immer wieder einen Stich, diese Ansicht des Verlusts, der gemeinsamen Niederlage. Und zugleich macht sein Herz einen Luftsprung, als er seinen Sohn sieht, der schon winkt und freudig erregt fast auf den Beinen dabei herumhüpft.
Edith, die vertraute Gestalt, deren Gesichtslinie er immer wieder bewundern muss; wie er sie noch immer liebt und vermisst. Der Trennungsschmerz ist so viel größer als der Zorn, er ist fast körperlich. Frank W. hält an und schluckt trocken. Tief durchatmend öffnet er die Fahrzeugtür und steigt aus.
Hänschen stürmt zu ihm und wirft sich in seine Arme, kaum dass er sich aufrichten konnte. Die Umarmung will beinahe ewig währen. Dann, eine Träne hat sich in den Augenwinkel stibitzt, sieht er auf und sagt: „Hallo, Edith. Siehst gut aus. Geht’s gut?“, so fragt er, will keine Antwort hören und hört sie doch. „Guten Tag, dass Du einmal pünktlich bist.“ Edith weiß noch nicht, dass er freigestellt wurde. Es gibt sich wenig Rede zwischen Menschen, die sich getrennt haben. Jeder trägt seinen Teil nun alleine. Jeder will nur noch die gute Seite zeigen. Auch da ist ein Wettbewerb, ein elender, aber selbst wenn man das weiß und durchschaut, entziehen kann sich keiner. Wer sich und einander verliert, dem bleibt nur noch das Gesicht, die Fassade.
Frank W. lächelt. „Ja, heute bin ich pünktlich. Lass es gut sein. Wir wollen es nicht schlimmer machen, als es für Hans sowieso schon ist.“ Er nimmt die vorbereitete Tasche und sagt: „Komm, mein Großer, wir müssen.“ Und: „Auf Wiedersehen, ich bringe ihn dann Sonntagabend. Wann wäre es Dir recht?“ „Nicht nach sieben. Er muss Montag früh raus, Du weißt ja, die Schule. Mach’s gut, mein Sohn!“, sagt sie, nimmt Hans in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Stirn und wendet sich ein wenig zu betont schwungvoll ab, um zurück zum Haus zu gehen.
Frank und Hans W. steigen in den Wagen. Hänschen winkt strahlend der Mutter zu, diese grüßt mit einem Küsschen zurück. Das Küsschen freut den einen der beiden und trifft den anderen tief: Verletzungen und Sehnsüchte sind Gefühle, die nach Trennungen zu einer unentwirrbaren Gemengelage sich vermischen. Nichts Vergleichbares hat Frank W. je davor gespürt. Vielleicht die Trauer nach dem Tod des Bruders, ja, die hoffnungslose Trauer, die kommt dieser Aufwallung am nächsten.
Als sie in der Wohnung ankommen, stürzt Hans in das Zimmer und sieht den Schmuselöwen, den der Vater damals vom ihm mitbekommen hat, „damit etwas von mir immer bei Dir ist, weißt Du!“, hat der Sohn damals gesagt. Wer war da der Erwachsene, schoss Frank in jenem Moment durch den Kopf. Hans stürzt sich auf das Bett, wo der Löwe liegt, und herzt diesen. Frank W. muss ein aufkommendes Schluchzen unterdrücken.
Beim Abendessen sagt Hans: „Du, Daddy, ich muss mit Dir reden.“ Er spricht das Daddy immer mit einem weichen „A“ aus. Es ist das Wort, bei dem es Frank immer wie ein Schauer den Rücken hinunterläuft, weil er sich fragt, ob und womit er diese rückhaltlose Liebe und dieses Kosewort verdient hat. „Was ist, Großer?“ fragt er und wuschelt durch das Haar von Hans, wie das nur ein Vater bei seinem Sohn tut. Es gibt eben Dinge, die nur Männer können, und das wissen schon kleine Männer, und große vergessen das selten. Dazu gehört dieses kameradschaftliche Haarwuscheln. Später werden andere Dinge hinzukommen.
„Mama geht wieder abends weg!“ beklagt sich sein Sohn. „ Sie geht mit einem Mann aus.“ Frank W. sieht vor sich auf den Teller. Was soll ich jetzt nur sagen, denkt er. Ein Kloß in seinem Hals entsteht. „Ich will das nicht!“ sagt Hans bestimmt, „ich habe schon einen Vater.“ Der Kloß ist immer noch da. „Du sagst gar nichts!“ beschwert der Sohn sich.
Frank W. blickt auf. „Das ist ein ernstes Thema, mein Großer! Und die Antwort ist so schwer, weil ich Partei bin.“ Er schluckt. „Aber ich will Deiner Frage nicht ausweichen.“ Er steht auf, beginnt abzuräumen. „Lass uns Ordnung machen, und dann sprechen wir darüber. Von Mann zu Mann, nicht von Vater zu Sohn.“ Er holt sich ein Weizenbier und Hänschen ein Mezzomix. Dann setzen sie sich ins Wohnzimmer an den Couchtisch. „Weißt Du, Mama und Papa haben sich auseinander gelebt, sie sind jetzt geschieden, also kein Paar mehr. Deine Mutter ist eine junge und attraktive Frau, die Bedürfnis nach Liebe hat. Dein Vater kann ihr diese nicht mehr geben. Trotzdem bleiben wir immer Deine Eltern. Du brauchst also keine Angst zu haben, dass Du mich als Deinen Vater verlierst.“
„Warum ist das so kompliziert, muss das immer so sein? Sind alle Erwachsenen so?“ fragt Hans, und Frank weiß nicht, was er darauf antworten soll. „Wenn sich zwei Menschen nicht mehr lieben, sich nichts mehr zu sagen haben, kann es ein, dass die Ehe nicht mehr repariert werden kann. Das ist dann wie bei einem Auto, das nach einem Unfall so kaputt ist, dass man es nur noch auf den Schrottplatz geben kann.“, bemüht sich der Vater um eine nachvollziehbare Erklärung.
„Schau, Hänschen, wir beide, Mama und Papa, wir lieben Dich immer noch wie früher. Nur Deine Mama liebt Deinen Vater nicht mehr, und das kann man nicht herbeizwingen. Liebe kommt und geht wie die Freundschaft. Mit Maik hast Du auch gerade so einen Ärger, dass ihr nicht mehr Freunde seid, obwohl ihr über Jahre nebeneinander gesessen habt.“ Hans schaut seinen Vater an. „Also ist das wie mit Maik und mir bei Euch.“ Frank W. nickt, fast erleichtert. „Ja, so ähnlich. Du wirst das bald selbst erleben, wie das ist mit der Liebe. Sie kommt über einen, sie kann nicht herbei befohlen werden, auch wenn man das noch so wünschte.“ Und weiß Gott, wie ich es wünschte, denkt er bei sich und sagt es nicht.
„Was soll ich jetzt tun?“ will Hans wissen. „Mach es Deiner Mutter nicht zu schwer, das Leben muss weitergehen. Und wir beide, Hans, bleiben zusammen, immer, was auch geschieht, versprochen.“ Er steht auf und nimmt seinen Sohn in den Arm.
Frank W. sagt beinah leichthin diese großen Worte und wäre dessen gerne sich genauso sicher, wie seine Stimme hoffentlich klingt. Wenn er seinen Sohn auch noch verlöre, gäbe es nichts mehr, das ihn noch zusammen hielte. Und das schwarze Loch ist schrecklich nah. Und es verschlänge ihn so gern. Nie war das absolute Nichts präsenter als just jetzt, als er seinen Sohn in den Arm nimmt, um ihn fest an sich zu drücken. Wer gibt hier wem nun Sicherheit, das ist das Letzte, was Frank W. heute denkt, bevor er einschläft, spät, nach vielem sich Hin- und Herwenden. Wer braucht hier wen am Nötigsten.
Das Gedicht zu dieser Geschichte: http://www.leselupe.de/lw/titel-Kartesisch-82658.htm