Solferino

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Rodolfo

Mitglied
Augen schauen auf blutgedüngte Auen,
Bauen Kriege, Siege, Krieger, Sieger und Besiegte,
Bekriegte, Schlachtgetöse, böse Blicke,
Stricke Weib, das Totenhemd: Er kommt nicht heim,
Ist fremd in fremdem Lande.
Zerrissene Bande.
Rosenblütige Wunden schwären
Grausig und gebären Gewürm, das Mensch und Tier,
Geschlachtet hier, zerfetzt, zersetzt.
Gehetzt fliehet, wer ihn spüret, den Tod,
Der Hochzeit hier gehalten. Nebel kleidet Ungestalten.
Ungehalten klagen sie ihn an, den Wandersmann,
Der vorüber geht, sich ängstlich dreht,
Verharrt, ahnend Todes Gegenwart.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
seufz

Stricke Weib, das Totenhemd: Er kommt nicht heim,
Ist fremd in fremdem Lande.
klingt alt.
aber wieso alte klagen über alte kriege singen? statt heutige klagen über heutige kriege? schon die dreißigjährigen des 17. jahrhunderts kennen keine totenhemdstrickenden weiber oder einen odysseus, der 20 jahre fremde er-fährt.
und was macht denn dieser arme wandersmann da auf einmal? braunrock mit ranzen? nicht, daß der gleich vom kreidefelsen fällt!
 

Rodolfo

Mitglied
alte Kriege

Wenn ich über neue Kriege berichten wollte, würde ich das tun. Das Gedicht ist der Eindruck, den ich als Wanderer habe, wenn ich im Herbstnebel vom Fluss Mincio über die Wiesen von Solferino wandere. Es ist verstörend, was einem da durch den Kopf geht. Und gestrickte Totenhemden? Die Mutter meiner italienischen Schwiegermutter hat ihres und dasjenige ihres Mannes selbst gestrickt wie schon Generationen vor ihr.Und der Wanderer kommt nicht "auf einmal". Wessen Augen schauen wohl in ersten Satz? Der 20-jährige Odysseus ist deine Erfindung, dazu kann ich nichts sagen. Ich mag es einfach, wenn man erst gut liest und über das Gelesene nachdenkt, bevor man mit dem Hammer dreinschlägt.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
da du Odysseus nicht kennst: er war nicht zwanzig, als er heimkehrte, sondern er war zwanzig jahre in der fremde.

aber auch sonst - nein, kein gutes lied:
über rezentes altmodisch zu schreiben ist hohles pathos.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
bestrickend

pardon, ich habe dein alter nicht bedacht. wegen der lange hemden strickenden schwiegermutter. könnte wohl hinhauen.
ist auf jeden fall eine tradition, die einen geradezu ins märchenhafte versetzt: da sitzen die schwarzen omis und stricken riesig lange hemden, vorn geschlossene mäntel aus wolle, jeder gestrickte ganzkörperschlauch braucht lange nasse winternächte, nur selten tritt senta auf und singt die ballade vom holländer, ist ja auch nicht norwegen, sondern war callas-land, da sangen die weiber andere volkslieder. die mädels der soldaten aus der napoleondreiarmee sangen vielleicht frivole carmen-couplets in der zigarettenfabrik. aber die bestrickenden solferinetten wollten wollenes wirken. juckt auf der nackten haut, nur die toten nicht. das ist beeindruckend. großartig.
 
O

orlando

Gast
Hallo Rodolfo,
mir gefällt dein Gedicht so übel nicht, weil ich Expressives mag.
Was ich zu kritisieren wage, ist das Altertümelnde deiner Sprache, das noch dazu völlig unnötig ist; ebenso die Zeichensetzung in manchen Versen. - Könntest du dich mit folgender Vereinfachung anfreunden?
Augen schauen [strike]auf[/strike] blutgedüngte Auen,
Bauen Kriege, Siege, Krieger, Sieger und Besiegte.
[strike]Bekriegte,[/strike] Schlachtgetöse, böse Blicke,

Stricke Weib, das Totenhemd: Er kommt nicht heim,
Ist fremd in fremdem Lande.

Zerrissene Bande,
Rosenblütig. Wunden schwären
Grausig und gebären Würmer. [strike]das[/strike] Mensch und Tier,
Geschlachtet hier, zerfetzt, zersetzt.
[strike]Gehetzt fliehet, wer ihn spüret, den Tod,[/strike]

Es flieht gehetzt, der Hochzeit hier gehalten:
Nebel kleidet Ungestalten.
[strike]Ungehalten klagen sie ihn an, den Wandersmann,[/strike]
Klagen an den Wandersmann,
Der vorüber geht, sich ängstlich dreht,
[strike]verharrt, ahnend des Todes Gegenwart.
[/strike]
Verharrt und ahnt
des Todes Gegenwart
Die Sache mit den rosenblütigen Wunden ist mir durchaus klar. Durch eine geänderte Zeichensetzung käme aber ein Innehalten des Lesers
zustande, was bei einem solchen Text nix schadet.

Aufgrund der echten und unechten Binnenreime zeigt das Gedicht guten Klang.

Freundliche Grüße
orlando
 

revilo

Mitglied
Guten Morgen,

ich konnte mit dem Text zuerst nichts anfangen und dachte, es sei wieder einer dieser Sozialarbeitertexte...erst nach deiner Erklärung habe ich verstanden, worum es geht....Das Totenhemd, welches offensichtlich das Zentrum ist, wabert so vor sich hin, ohne das sich dem Leser die Bedeutung erschließt....das finde ich schade...stelll doch vielleicht einen persönlichen Bezug her....
was den Stil angeht, schließe ich mich Heidrun an.....aus dem Gedicht ist wesentlich mehr rauszuholen...

LG revilo
 

Rodolfo

Mitglied
Altertümelnd

Ja, einverstanden, aus dem Gedicht ist mehr rauszuholen. Es ist aus dem erlebten Moment heraus geschrieben, ohne dass ich es gross überarbeitet hätte. Mein altertümelnder Stil, naja, der geht mir manchmal selber auf den Sack, aber ich bin schliesslich selbst ein Altertum. Anderseits finde ich es auch etwas schade, wenn Worte und Wendungen verloren gehen, weil sie "altertümeln". Da es doch ein Echo hervorgerufen hat, werde ich das Gedicht nochmal zur Brust nehmen. Und - nein, die Schlacht von Solferino, die entscheidend war im sardischen Krieg zwischen Österreich und Sardinien, fand zwar in der Nähe des Gardasees statt, war aber überhaupt keine Seeschlacht.
 
Lieber Rudolfo,
entschuldige bitte, aber ich habe sie mit der Schlacht von Navarino (Griechenland) verwechselt. Tut mir Leid. Hat wohl was mit meinem alternden Gedächtnis zu tun.
Nichts für ungut und herzliche Grüße
Karl
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
schlacht bei solferino

es geht unter anderem auch um die gründung des roten kreuzes durch Henri Dunant, den tief geschockten, das sollte man als hintergrund dieses gedichtes auch würdigen oder mit-lesen.

ich selbst sehe (nach meinem hin und her) auch längst ein, daß wir die freiheit der stile haben, und das heißt auch: uns in eine ältere geistes- und sprachhaltung zurück zu versetzen, wie etwa ein maler des phantastischen realismus (gott segne ernst fuchs) mittelalterliche akkuratesse pflegen mag, und das ist auch eine form der modernität, solange der kitsch gebrochen wird.
ich bin nicht mehr so "gegen" klassizistische oder neobarocke schwere wie noch zu beginn dieser diskussion. ich wandle mich.
 



 
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