Sondern erlöse uns von dem Bösen
Wir wollen hier nicht die Frage des Bösen schlechthin erörtern, sondern nur festhalten, daß das Böse zu unserer Welt gehört und aus ihr auch nicht eliminiert werden kann, denn ohne das Böse existiert auch das Gute nicht. Das Böse ist dann aber auch Polarität und damit unsere gesamte Welt, die ja durch die Vertreibung aus dem Paradies entstanden ist.
Nach C. G. Jung ist das Böse auch der Schatten, all das, was der Mensch seit Jahrtausenden verdrängt und als sein Nicht-Ich betrachtet. Er schreibt dazu:
"Die im zivilisierten Menschen aufgestauten Triebkräfte sind ungeheuerlich destruktiv und um vieles gefährlicher als die Triebe des Primitiven, der seine negativen Triebe beständig in bescheidenem Maße lebt. Dementsprechend kann kein Krieg der historischen Vergangenheit an grandioser Scheußlichkeit mit dem Krieg zivilisierter Nationen rivalisieren.
Wenn wir auch juristisch gesehen nicht dabei waren, um mitzutun, so sind wir doch, kraft unseres Menschseins, potentielle Verbrecher. Es hat uns in Wirklichkeit nur an der passenden Gelegenheit gefehlt, mit in den infernalischen Wirbel hinabgerissen zu werden. Keiner steht außerhalb des schwarzen Kollektivschattens der Menschheit."
So ist also das Böse auch in jedem Menschen zu sehen und damit ist jeder vom Teufel besessen.
"Der klügste Trick des Teufels ist, uns davon zu überzeugen, daß es ihn nicht gibt" (Bandelaire).
Erlöse uns von dem Bösen heißt, löse das Böse von uns, damit es uns nichts mehr anhaben kann. Führe uns nicht in die Versuchung des Bösen, in die Verlockungen dieser Welt, sondern erlöse uns davon.
"Töte das Böse in Dir, dann kann Dich das Böse in der Welt nicht mehr angreifen" (Krishnamurti).
Die Erlösung des Bösen heißt ein Loslösen von dieser Welt, denn das Böse ist die Polarität, ist der Zwang zur Entscheidung, der uns die Schuld, das Karma, das Böse aufzwingt. Wir bitten, uns von der Fessel der Polarität zu lösen. Jesus hat uns vorgelebt, wie über das Kreuz diese Welt zu verlassen ist, aber dazu muss man zuerst das Kreuz ertragen und auf sich nehmen.
Jesus lebt die Überwindung des Bösen, der Polarität, die Überwindung dieser Welt. Er sagt auch: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt".
Den Teufel, als das Symbol des Bösen, mit Hörnern darzustellen, ist eine Vorliebe der mittelalterlichen Kirche. Hörner gehören in den Kult der Mondgöttin und stehen für die Sichel des zu und abnehmenden Mondes. Damit ist der Teufel den dunklen lunaren Kräften zugeordnet und ist deshalb der Herr dieser Welt, die ebenfalls der dunklen lunaren Seite zugerechnet wird.
Der Teufel ist psychologisch ausgedrückt unser Schatten und versinnbildlicht damit auch die Eigenart, dass er offensichtlich außerhalb von uns liegt, obwohl er durch uns bedingt und hervorgerufen ist. Nach C. G. Jung ist alles, womit wir uns nicht identifizieren im Schatten, der aber zu uns gehört. Alles, mit dem wir uns nicht identifizieren, liegt aber außerhalb unseres Ich und wer identifiziert sich schon mit dem Teufel.
So kann die Erlösung vom Bösen nur darin bestehen, daß wir es in uns integrieren (Töte das Böse in Dir...), so dass wir nicht mehr daran gebunden sind. Dies kann nur dadurch geschehen, dass wir alles in uns aufnehmen und so wieder eingehen in die Einheit, in Gott.
Es ist viel leichter, den Schatten draußen, beim anderen zu sehen, als bei sich selbst. Die Erlösung vom Bösen bedeutet die Fähigkeit, zu erkennen, dass auch der Schatten des anderen seine Ursache in uns hat. Wer seinen Schatten erkennen will, zähle einmal alle die Eigenschaften auf, die er an anderen überhaupt nicht ausstehen kann. Das Ergebnis ist wohl die treffendste Aufstellung der eigenen Schattenseiten.
Das Hässliche daran ist, dass die störenden Eigenschaften gerade in einem Bereich liegen, der es uns schwer macht, sie als zu uns gehörig anzunehmen. Um sich aber von diesen Ketten zu lösen, muss man sich erst ihrer bewusst werden, nur dann kann man sie abstreifen.
Diese notwendige Selbsterkenntnis wird im TaoTeKing so ausgedrückt:
"Andere kennen, verlangt Wahrnehmung,
Sich kennen verlangt Einsicht.
Andere bezwingen, verlangt Stärke,
Sich zwingen verlangt Durchdrängung.
Wer einsichtig ist, ist unerschöpfbar.
Wer durchdrungen ist, ist unbezwingbar.
Nicht aufgeben Beruhung heißt währen.
Nicht sterben mit dem Tode, heißt ewig sein."
Sich kennen verlangt Einsicht.
Andere bezwingen, verlangt Stärke,
Sich zwingen verlangt Durchdrängung.
Wer einsichtig ist, ist unerschöpfbar.
Wer durchdrungen ist, ist unbezwingbar.
Nicht aufgeben Beruhung heißt währen.
Nicht sterben mit dem Tode, heißt ewig sein."
Nicht sterben mit dem Tode, heißt ewig sein, heißt in der Einheit sein, heißt zeitlos sein, heißt in die kosmische Ordnung eingegangen sein.
Wenn wir aber im kosmischen Gesetz leben, sind wir erlöst vom Bösen. Unsere Menschenwelt ist das Chaos, weil wir nicht in der Ordnung leben. Wir haben beim Auszug aus dem Paradies die kosmische Ordnung verlassen und sind heute dabei, auch die Ordnung der Natur zu zerstören.
So endet das Vater unser wie ein Kreis, das Symbol der Vollkommenheit; wir beginnen mit dem Vater im Himmel, mit der kosmischen Ordnung und bitten am Schluss, wieder in diese aufgenommen zu werden.
Zahlensymbolisch verschlüsselt hat Böse den Wert 22. So kann die
Versuchung
als die polare Darstellung (2x22) des Bösen gedeutet werden. Wir haben die Versuchung als Verlockung des Bösen im Gewande des Guten gedeutet.