Sonett als Spiel und Verschwörung (Fragment)

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein Gedichtband ohne Sonett
ist wie ein Garten ohne Phlox.​
Ursprünglich wollte ich hier zur Geschichte und Theorie des Sonetts schreiben, jedoch gibt es hierfür schon soviel Literatur, dass ich stundenlang Seiten nur mit Copy und Paste (Kopieren und Einfügen) füllen könnte. Ich habe mich entschlossen, hierauf zu verzichten, ebenso wie auf Literaturangaben.
Ich verwende keine explizite Literatur für diesen Text, sondern nur Erinnerungen und Gedanken.
Jedenfalls sind Thema und Motto nur teilweise von mir. Geklaut habe ich beim Titel "Die Welt als Spiel und Verschwörung" von Stanislaw Lem und "Ein Garten ohne Phlox ist ein Irrtum" stammt von Karl Foerster.

1. Das Sonett als Spiel

Das Sonett ist eine sehr strenge Form, heute mit zwölf Zeilen und mit Endreim, wobei es verschiedene Formen des Endreims gibt.
Das Sonett hat enge Verbindungen zu Mathematik und Musik.
Man nannte es auch Klanggedicht, denn der Klang ist ein wesentliches Symptom.
Sehr viele Sonette sind mit Jamben geschrieben, einige haben andere Rhythmen, wie Trochäus oder Anapäst.
Von Puristen werden solche Sonderformen verdammt.
Jede Sonettzeile wurde als Elfsilber geschrieben, ehe die Form in andere Sprachen übertragen wurde.
Beim Übergang in andere Sprachen änderten sich Form und Inhalt.
Heute sind praktisch alle Inhalte möglich und zahlreiche Versformen.

Worin besteht nun das Spiel?
Wir haben Spielregeln.
Diese können sich für jedes Sonett ändern, stellen aber ein Kennzeichen des aktuellen Sonetts dar.

Alternative Regeln sind:
1. Reime
2. Assonanzen
3. ohne Reim

Den Übergang zu Assonanzen und zu reimlosen Sonetten begannen Übersetzer, die die Spielregel vertraten: Möglichst genaue Übersetzung des Textes. Dieses Spiel ist eines, welches sehr angreifbar ist, denn es ist praktisch unmöglich. Und doch ist es möglich. Es scheint sich zu vereinfachen, wenn man auf den Reim verzichtet.

Das Spiel mit Reim hat mehrere Vorzugsregeln, wobei die Regeln für das Oktett (die ersten 8 Zeilen) und das Sextett unterschiedlich sind.

Oft verwendete Regeln für das Oktett sind
abba abba
abab abab
abba cddc
abab cdcd

Beim Sextett gibt es zum Beispiel
cde cde
cdc dcd

Ein besonders schönes Spiel ist das Shakespeare-Sonett
abab cdcd efef gg

Spielen wir das Sonett abba abba cde cde als Beispiel.

zunächst schreibe ich die Zeilen untereinander
a
b
b
a

a
b
b
a

c
d
e

c
d
e

Das ist zugleich eine sehr vereinfachte Sonderform eines Sonetts, ich nenne es A.

Als Takt verwende ich den fünfhebigen bzw. fünffüßigen Jambus.

Das Spiel beginnt mit dem Sammeln von Ideen.
Ich möchte ein Liebessonett an eine unerreichbare liebste schreiben.
Hierzu suche ich Reime, wobei "Liebe-Triebe" möglich wäre, aber wenige Punkte brächte. Ich suche starke Reime.

Und ich suche Motive.
Möge sie auf einer fernen Insel leben. Möge sie verzaubert sein. Möge sie zum Stein erstarrt sein.
Ich lege eine Reimsammlung für das Oktett an.

rein, Stein, mein, fein, klein, gemein, sein, Beine, Haine
Insel, Gewinsel, Pinsel, Gerinnsel

Das Sextett folgt später.
Im Kopf habe ich schon den Schluss, verrate ihn aber noch nicht.

a Du Allerliebste, Schönste, ewig meine
b sitzt seit geraumer Zeit auf einer Insel
b gefangen, von dir hört man kein Gewinsel,
a bist du gefesselt in dem fernen Haine.

a Du hast so edelweiße reine Beine
b schlürfst reines Wasser aus dem Bachgerinnsel,
b mit reinen Händen führst du einen Pinsel;
a so schreibst du "Hilfe!" auf dem dunklen Steine.

Jetzt muss etwas anderes kommen, eine Wende, und sie kommt.

c Die Götter hören in der Ferne Schreie
d und rufen mich aus ziemlich weiter Ferne,
e ich rudere das Floß, dich zu erreichen.

c Das Floß, auf dem ich bin, umgeben Haie,
d mich leiten nur die Sehnsucht und die Sterne,
e und stelle deinem Leben neue Weichen.

Nun habe ich hier ein reines Nonsense-Sonett geschrieben, also eine Art reines Sonett.

Je mehr Sinn in ein Sonett kommt und je besser die Metaphern sind, umso schwieriger wird das Spiel.


2. Das Sonett als Verschwörung

"Die machen unser schönes Sonett kaputt!" ist eines der bekanntesten Meme. Was du hier geschrieben hast, ist doch gar kein Sonett. Ein Sonett hat die und die Form, also ist es keins, oder jedenfalls kein richtiges."

Trotzdem ist die Form nicht beliebig und der Inhalt auch nicht. Es ist ein Klanggedicht mit (relativ) fester Form.
 
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