Sonett und Spiegelsonett

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Achtstern 6 und 7

[ 4][ 4][ 4]Sonett


"Du bist mein Licht!" - Weißt Du noch, wie so schlicht, so dicht
So konzentriert Du Samenkorn Dich hast versenkt
In meiner Sinne Beet? Wie Du Dich mir geschenkt
Mit diesem bloßen Briefeswort: "Du bist mein Licht"?

Und hast mit süßen Zärtlichkeiten mich getränkt
Und mich genährt mit Deiner klugen Augen Licht
Du bist so schön: Dein Gang, Dein Gestus, Dein Gesicht!
Dir will ich ganz mich geben, wie Du mich beschenkt

Mein Geist, so wenig es auch sei, mein Leib sei Dein
Und meine Seele ganz - ich weiß, es ist zu viel
Wer faßt, wie paßt die Flut in eines Tropfens Ziel?

So mach ich mich ganz klein und schmieg mich eng hinein
Mein Wandern, Suchen, Sinnen schmilzt in dies Gedicht
In dieses Wort, in Sonn' ja Dich: Du bist mein Licht!



[ 4][ 4][ 4]Spiegelsonett


[ 4][ 4]Der wie ein Pudel Übergossene
[ 4]Bin ich, der längst Verflossene,
Von Dir nun an die Wand gestellt Erschossene;

[ 4][ 4]Denn übertreten habe ich zuletzt
[ 4]Die Grenze, die ich selber mir gesetzt,
Und Dich bedrängt, umworben und - verletzt,

Indem ich Dich beschämt, Dir ins Gedächtnis rief,
Ich, der "Verräter", Deine Lieb im frühren Leben!
Zurückgenommen hast Du längst, was Du gegeben;
An Dich zurück gerissen, was verwurzelt tief

Mich ganz durchwuchs, belebte und beseelte.
Nein, ich verriet Dich nicht. Und doch: Ich schlief,
Verraten selbst, betäubt, wie tot, so tief,
Daß ich in blinder Schuld den rechten Weg verfehlte.

Ich wein und schlag die Hände vors Gesicht;
[ 4]Mich schmerzt das kalte Licht
[ 4][ 4]Vom Zornesblitz in Deinen Blicken.

Um Gottes Willen! Dies "Du bist mein Licht"-Gedicht
[ 4]Durft ich Dir nimmer niemals nicht
[ 4][ 4]Zuschicken!
 

HerbertH

Mitglied
Kein Fazit

Die Form des Spiegelsonetts scheint auf Dietrich Weller zurückzugehen, vgl. http://dietrich-weller.de/gedichte/das-alte-und-das-neue-jahr-spiegelsonett/

Hier ist sie im Spiegelsonett anders als dort definiert, mit 4 Terzetten, zwei vor und zwei nach den Quartetten.

Auch ist die Spiegelung formal nicht streng durchgehalten. Sind im Sonett die Verse sechshebig, so variiert die Zahl der Hebungen im Spiegelsonett vor allem in den Terzetten.

Dies ist inhaltlich begründet, weil sich das LyrI im Spiegelsonett über das "Absenden" des Sonetts entsetzt zeigt,
das Spiegelsonett also als Kommentar zum Sonett zu sehen ist, dessen Form gewissermassen für "sich selbst" ablehnt.

Die Sprache empfinde ich als eher "blumig", sie arbeitet mit Wiederholungen wie "Dein Gang, Dein Gestus, Dein Gesicht",
"Wandern, Suchen, Sinnen" oder auch "Mich ganz durchwuchs, belebte und beseelte", mit Epitheta wie "süßen" und "schön" und weiteren in vergangenen Zeiten oft gewählten Begriffen wie "kaltes Licht", "Schuld", "Geist", "Seele".

Es könnte sich hier auch um ein Spiel mit Sprache und Form handeln.

Auf jeden Fall ist es ein interessantes Gedicht, weil es Alt und Neu zu mischen scheint.

Liebe Grüße

Herbert
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Stilfiguren

Danke sehr für die aufmerksame Sichtung!
Nicht "Wiederholungen" sind das, sondern Trikola, meist mit Klimax, machmal alliterierend, am Ende des "Spiegelsonetts" sogar in (bewußt) unsinniger Vervielfachung der Verneinung. In der Tat antike Stilfiguren. Aber kaum spielerisch, vielmehr völlig durch den Inhalt bestimmt, völlig authentisch und offen: Die Stilfiguren verdichten diese Inhalte (wie sie es auch in der Antike in der Regel tun, z.B. das berühmte "veni vidi vici"), sie schnörkeln nicht, sie posieren und imponieren nicht, - sie gliedern die Prädizierungen zu Dreiklängen und setzen überschaubare Verhältnisse.
Das erste ist ein werbendes Liebeslied, das zweite ein verzweifeltes Reuelied. Spiel ist da gar nichts.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dr. Weller

Habe gerade Wellers "Spiegelsonett" gelesen, denn natürlich kannte ich es nicht (ich lese nicht den Ärztealmanach, bin kein Arzt). Ich werde es auch nicht wieder aufsuchen.
 

HerbertH

Mitglied
Ich wollte nicht sagen, dass man Wellers Gedichte kennen muss, er behauptet nur, dass er die Form Spiegelsonett kreiert habe.
 
O

orlando

Gast
Hallo Hansz,
du scheinst mir recht dünnhäutig zu sein, aber das bin ich auch und kann es deshalb gut nachvollziehen. Doch bedenke, nicht jede Anmerkung ist krittelnder oder gar feindseliger Natur. ;)

Zum Text: Mit Spiegelsonetten habe ich mich noch nicht näher beschäftigt, kann deshalb nicht sagen, ob hier alle erforderlichen Vorgaben eingehalten werden, sofern es welche gibt.
Die vorliegende Form besticht mich jedoch durch ihre Eleganz und den spielerischen Duktus, der einen feinen Kontrast zum geistlichen Inhalt der Sonette bildet.
Es geht, wenn ich mich nicht sehr täusche, um eine große Liebe, die Liebe zu einem Erleuchteten.

Du beschreibst das Wollen, das Wandern, den Irrweg und das wartende Licht.

[Mich hast du mit deinen Sterngedichten übrigens ganz schön hinters Licht geführt, denn ich dachte eher an Irdisches. - Aber gerade für diese Kombination des Sinnlichen mit dem Geistigen, gebührt dir mein großes Lob.]

Herzliche Grüße
orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
erleuchtet?

Liebe Orlando! Ich habe mich, wenn ich meinen Worten da oben Glauben schenken darf, nicht beschwert über die Sichtung und Kritik, sondern mich dafür bedankt. Ich war auch sehr froh, daß da ein (auch sonst gut präsenter) Meistersinger mein Doppellied gefunden hat.
Und jetzt nimmst Du mich auf den Arm! Sag doch lieber gleich offen und ehrlich, daß das Wort "Licht" einfach vielzuviel hier vorkommt, wie z.B. auch die "Sterne" im Balkongrußgedicht (Achtstern Nr.5). Nichts ist hier metaphysisch oder religiös, es sei denn, Liebe ist an sich von der gleichen Substanz der Verehrung wie Frömmigkeit und Staunen. (Und ich sage: das sind sie.) Also verspotte mich bitte nicht weiter, es sei denn, Du willst mit mir weinen. (Und ich sage: ich lache mit Dir mit, Verliebte sind an sich komisch, selber schuld).
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
wo ein Weg ist, da ist auch ein Wille

Ach wenn Du wüßtest, liebe Orlando ...
 



 
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