Sonnenblumen

Till Müller

Mitglied
Ich stehe vor ihrer Tür den Finger über den Klingelknopf haltend. Nach vielen Rückschlägen werde ich hier hoffentlich finden, was ich schon seit Monaten suche. „Tanja Maier“ steht auf dem leicht angerosteten Klingelschild. Es muss sicher sehr einsam sein, allein in einem so großen Haus. Je länger ich zögere zu klingeln, desto mehr merke ich, dass ich schon viel zu lange tatenlos dastehe. Nervös fasse ich die Sonnenblumen, die ich gerade für sie gekauft habe, fester, atme tief durch und klingle. Nach einiger Zeit ertönt ein leises Klicken und das große eiserne Gartentor schwingt minimal auf. Während ich den schmalen Pfad durch den verwilderten Garten zur Haustür entlanggehe, scheint sich die Zeit zu verlangsamen. Schritt für Schritt lasse ich den vertrauten Weg, den ich die letzten Wochen immer öfter entlanggegangen bin hinter mir. Die vielen Sonnenblumen, die auf den Weg hängen geben schließlich den Blick frei auf eine sonnengelb gestrichene Tür. Zaghaft nähere ich mich, als plötzlich die Tür von einem muskulösen jungen Mann aufgerissen wird. „Wer sind sie?“, schnauzt er mich an, „Was wollen sie hier?“. Erschrocken zucke ich zurück und stammle, „Äh … Ich habe Sonnenblumen …“. Wer ist das denn? Warum ist er so unfreundlich? Meine Augen werden feucht und meine Hände zittern. „Ganz ruhig!“ sage ich mir „Denk immer daran, was dein Therapeut dir gesagt hat!“ Unauffällig fange ich an meine Atemübungen zu machen. Ein und aus, ein und aus. Der Mann schaut mich komisch an. Eine unangenehme Stille entsteht, die nur von meinen langsamen Atemzügen unterbrochen wird. Stille. Noch mehr Stille. Worte. Der Mann sagt etwas. Seine Worte wehen an mir vorbei wie eine kühle Sommerbriese. Eine eiskalte Sommerbriese. Ich fange an zu zittern. Der Mann weicht verunsichert einen Schritt zurück. Ich glaube er fühlt sich jetzt auch unwohl, aber bei anderen Menschen bin ich mir nie so sicher, was sie denken und fühlen.

Da kommt sie aus dem Wohnzimmer und erlöst mich aus der Situation. Tatjana, die Frau wegen der ich hier bin. Ich fasse mir ein Herz und sage „Ich bin hier wegen … Äh … der Anzeige in der Zeitung.“ Na ja, eigentlich wispere ich es eher. Trotzdem scheint sie es verstanden haben. Der Mann ist mittlerweile gegangen, aber der Duft seines starken Deos hängt immer noch in der Luft. Tatjana nimmt mir die Sonnenblumen aus der Hand und führt mich ins Wohnzimmer. Dort bedeutet sie mir auf dem Sofa Platz zu nehmen. Oder zumindest deute ich ihre Handbewegung so. Vielleicht wollte sie auch nur auf die schön bestickten Kissen hinweisen. Oder sie hat eine Fliege verscheucht. Doch bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, setzt sie sich schon neben mich. „Du bist also wegen der Zeitungsannonce hier.“ sagt sie und rutscht etwas näher zu mir. „Ja ich möchte gerne hier als Gärtner arbeiten.“ antworte ich durch ihre plötzliche Nähe verunsichert. „Ach so, wegen DER Zeitungsannonce.“ Stößt sie überrascht hervor und rutscht wieder von mir weg „Das ist ja schon ewig her.“ Verdammt! Ich hatte also zu lange mit mir gerungen. Ich hatte sie mit meinem Besuch zu sehr überrascht. Ich hätte vorher anrufen sollen oder einen Brief schreiben oder… „Alles in Ordnung?“ fragt sie. „Na ja“ gestehe ich „eigentlich hatte ich wirklich gehofft diese Stelle zu bekommen und jetzt ist es zu spät und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Ohne eine Stelle verdiene ich nichts und ich finde keine Stelle, weil ich nicht gut mit Menschen umgehen kann und ich würde ja gerne aber jedes Mal, wenn ich etwas versuche, geht es schief und ich werde abgelehnt und jetzt hatte ich gerade den Mut gefunden es wieder zu versuchen…“ In diesem Moment fällt mir auf, dass ich schon wieder quassle. Entweder bekomme ich kein Wort heraus oder ich rede und rede und rede. Tatjana bemerkt, dass es in mir gerade kocht und leget beruhigend ihre Hand auf mein Knie. „Es ist alles gut! Die Stelle ist immer noch offen. Das Nötigste hat zwar bisher immer mein Bruder gemacht, du hast ihn ja vorhin an der Tür schon getroffen, aber gut sieht der Garten trotzdem nicht aus.“ sagt sie und blicht mit tief in die Augen. Hilfe, Augenkontakt. Meine Augenlieder fangen unkontrolliert an zu blinzeln. Soll ich den Augenkontakt halten oder wirkt das zu sehr, als ob ich sie anstarren würde? Ist es unhöflich den Augenkontakt direkt abzubrechen? Egal. Die Wand an der gegenüberliegenden Raumseite zieht meinen Blick auf sich. Gelb, glatt und gefühllos. Mit einem leicht angedeuteten Sonnenblumenmuster darauf. Tatjana scheint Sonnenblumen wirklich zu lieben. Da fällt mir auf, dass meine linke Hand immer noch krampfhaft die Sonnenblumen umklammert, die ich ihr eigentlich geben wollte. Wortlos strecke ich ihr die Blumen hin. Mit einem Lächeln nimmt sie die Blumen. Dabei berühren sich unsere Hände leicht. Vor Schreck lasse ich fast die Blumen aus meinen Händen fallen, doch sie hält sie schon fest. Also die Blumen nicht meine Hände. Überhaupt hätte ich mehr auf die Blumen als auf unsere Hände achten sollen. Hätte ich etwas dazu sagen sollen? War es komisch ihr die Blumen zu geben, ohne etwas zu sagen? Bestimmt! Sie steht auf und geht. Bestimmt holt sie nur eine Vase. Oder einen Therapeuten für mich. Oder gleich die Polizei. Als sie wieder zurückkommt hat sie eine schöne, mit Sonnenblumen bemalte Vase in den Händen. Ich beschließe noch einen letzten Versuch zu starten: „Also … ich weiß, dass ich … ähm … vielleicht nicht der Geeignetste für diesen Job bin aber …“ Mit einer leichten Handbewegung unterbricht sie mich. War das ein Abwinken? Ich bin mir nicht ganz sicher. Wahrscheinlich wird sie mich jetzt bitten zu gehen. „Danke für das Angebot, aber wir werden ihre Dienste nicht in Anspruch nehmen.“ Diesen Satz habe ich schon so oft gehört, ein Mal mehr oder weniger ist auch egal. Sie blinzelt, lächelt und sagt: „Sie sind eingestellt.“
 
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