Sonntagspredigt: Oben und unten

Papiertiger

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Ich bin kein Fan von Tommy Jaud. Allerdings finde ich seine Texte wesentlich hilfreicher, um das Schreiben zu erlernen als diejenigen von Max Goldt, Marc-Uwe Kling oder Marc-Uwe Kling, weil ich das (möglicherweise falsche) Gefühl habe: das kann ich auch. Tatsächlich sind mir auch viele Szenen seiner Bücher sehr klar im Gedächtnis geblieben, etwa das Werk „Millionär“. Darin geht es um einen arbeitslosen Querulanten, der sich durchs Leben mogelt. Er trifft auf eine reiche Nachbarin. Jaud stellt heraus, dass es eben diese beiden Gruppen sind, die über ganz viel Zeit verfügen: diejenigen, die nicht mehr arbeiten müssen, weil sie finanziell ausgesorgt haben und diejenigen, auf die der Arbeitsmarkt offenbar sehr gut verzichten kann. Das geht aber nicht in eine zynische Richtung, denn natürlich ist Hartz-4 nun wirklich keine Hängematte und keine Arbeit zu haben und in ständiger Sorge und Armut zu leben ist stressiger als viele Jobs. Dennoch, der Punkt ist doch interessant: woran erkenne ich jemanden im mittleren Alter, der mitten während der Woche frei hat und nicht zur Arbeit muss. Das könnte ein Herr Schwarz sein, dem Lidl und Kaufland gehören, ein Erbe der Familie Albrecht, jemand im Urlaub oder Home-Office, aber eben auch ein Abgehängter. Tatsächlich finde ich das Nachdenken über diesen Aspekt viel unterhaltsamer als den Rest von Jauds Buch, in dem es einige solide Gags gibt. Das ist gut funktionierende, leichte Unterhaltung und selbstverständlich ist das schwerer zu schreiben als es den Anschein machen könnte.

Literarisch etwas höher angesiedelt sind die Geschichten über Felix Krull von Thomas Mann oder auch Der Hauptmann von Köpenick. Und richtig populär sind die Geschichten über „Der Pate“, „The wolf of Wall Street“ oder Tony Soprano. Alles Menschen, die über mehr Schein als Sein verfügen. Donald Trump kann wohl auch dazu gezählt werden. Warum faszinieren solche Typen so sehr? Warum wirkt ein Warren Buffet bodenständig und sympathisch, weil er noch immer in einem relativ kleinen Haus in Nebraska lebt, gleichzeitig aber Geld in ein Unternehmen wie Coca-Cola steckt, einfach deshalb, um immens reich zu werden. Würde er der Welt nicht mehr dienen, wenn er das Geld einem Hersteller von Solar- und Windenergie oder in die Erforschung von Medikamenten gegen Krebs stecken würde statt in Getränke, die nachweislich schlecht für Menschen und Umwelt sind? Ist Erfolg an sich ein Wert - egal woher das Geld stammt, das einen reich gemacht hat? Ist dieser Text einen verkappte Sonntagspredigt und eine unerträgliche moralinsaure Bleiwüste? Zumindest ist das nicht meine Absicht.

Ist es eine gewisse Freiheit, ein Ausbrechen aus dem langweiligen Alltag, die uns fasziniert? Nicht jeden Morgen aufstehen zu müssen und sich nicht durch grässliche Tage quälen zu müssen? Vielleicht sind das Stellvertreterleben so wie Rockstars. Zur Not, wenn ich den Job gar nicht mehr aushalte, kann ich alles hinschmeißen und lebe von der Stütze. Oder: irgendwann gewinne ich im Lotto, dann lasse ich die Sau raus. Optionen und Hoffnung zu haben hilft dagegen zu verzweifeln. Was genau soll dieser Text nun erreichen? Vermutlich Selbstreflexion, seelische Hygiene und der Wunsch mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen über Themen, die mich wirklich interessieren. Ich finde das bei den echten Kirchen-Predigten immer so grässlich, dort ist man zum passiven Zuhören verdammt. Der „interaktive“ Teil besteht aus dem Befüllen des Klingelbeutels, der vor, während und nach dem Gottesdienst herumgereicht wird. Und als Reaktionen ist erwünscht „Amen“ zu sagen und mittelalterliche Lieder abzusingen. Man stelle sich dieses Verhalten mal in einem Kontext wie einer Schule vor.

„Cedric, wie viel ist 2 mal 4?“.

„Amen“.

Befremdlich und äußerst missverständlich wäre es wiederum, würde der Herr Pastor dazu aufrufen, den Like-Button zu hitten und die Glocke zu drücken.

Aber was weiß ich schon, ich bin Wochenend-Autor. Amen.
 



 
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