Joachim wird heimgeholt
Lydia zwängte sich durch das Knäuel der Aussteiger, bis sie neben dem Gesuchten Platz fand. Es war Joachim. Sie kannte ihn vom Sehen schon sehr lange, als er noch seiner Arbeit nachgegangen war. Dann war da ein Unfall, später folgte die Arbeitslosigkeit, seit Jahren beobachtete sie, wie er immer mehr verkam und sie hatte Mitleid. Aufmerksam wurde sie eigentlich schon in jungen Jahren auf ihn, denn er erinnerte sie an ihren Vater. Deswegen war sie unterwegs zu ihm.
Sie setzte sich neben Joachim hin: "Schönen Abend Herr Bendler, was machen Sie denn hier?" Der Mann starrte entgeistert auf die Frau, war er es doch nicht mehr gewohnt, angesprochen zu werden. Dann antwortete er: "Ich hier? Na ja, ich sitze hier, weil es da warm ist, und ich trinke, weil ich sonst nicht hier sein kann." Aber warum sie denn frage, wer sie denn sei?
Lydia rückte zu ihm hin und nahm die Hand des Mannes, hielt sie fest: "Joachim, Sie sollten mit dem Trinken aufhören, verstehen Sie, dann wüsste ich einen Ausweg aus ihrer Lage."
Weiter sprach sie nicht, sie dachte nur an die zwei Betten zu Hause in ihrer warmen Stube, dort wäre Platz für zwei. Er könne sich doch einer Frau anvertrauen, in seinem Alter. Nur mit dem Trinken müsste er halt aufhören.
Joachim ließ seine Hand in der ihren liegen, er rückte nicht ab, er wurde auch nicht zudringlicher. Ja, er hatte Haltung, wie ihr Vater, welcher erst vor einigen Monaten gestorben war, den sie gepflegt hatte bis zu seinem Tod.
Lydia blieb eine Weile bei dem Mann sitzen. Seine Hand war kalt, doch allmählich begannen seine Augen zu leuchten, als ob er verstanden habe.
Sie versprach ihm, bald wieder vorbeizukommen. Kurz, nachdem die Frau das Lokal verlassen hatte, richtete sich auch Joachim zum Fortgehen. Seine Zechgenossen witzelten hinter ihm her, wegen dieses überraschenden Besuches einer so attraktiven Frau. Doch der Mann verließ ruhig das Gasthaus und humpelte die Straße entlang. Es war bitterlich kalt. Seine Beine trugen ihn kaum, obwohl er diesmal nüchtern den Weg zu seiner Behausung ging.
Immer wieder murmelte er: „Sie hat meine Hand gehalten."
Er sperrte umständlich mit zittrigen Händen das Gartentor auf, schob die Eisentüre zum Keller zurück und stieg die Stufen nach unten. Da hatte er seine Bleibe. Er warf den Mantel über den einzigen Stuhl im Raum, holte mit dem Eimer Wasser aus der Waschküche und schob dann den Riegel vor seine Tür. Wackelig schlurfte er zu seinem Lager. Es bestand nur aus drei Matratzen am Boden. Seine Kleidung behielt er an.
Sie hat meine Hand gehalten, sie hat mich sogar angeschaut, murmelte er. Gerne hätte ich über ihr ergrautes Haar gestrichen, oder über ihre rosige Wange, aber sicher wäre sie dann abgerückt. Ich weiß ja, wie Frauen sind. Ich habe mich stillgehalten, redete er mit sich selber. Sie hat meine Hand gehalten und mich angeschaut. Wie groß ihre dunklen Augen waren, wie rot ihre Lippen brannten. Ihre Hand war warm und ihre Augen freundlich. Lydia heiße sie und ich solle mit dem Trinken aufhören, dann ..., ja, was meinte sie damit? Sie hat mich glücklich gemacht, mein Gott, wie lange war ich nicht mehr glücklich.
Wie war das Beisammensein heute schön und es war gut!
Lydia, murmelte er. Wie gut es doch ist, jemanden neben sich zu haben. Bald schlief Joachim ein.
Die Frau besuchte Joachim jeden zweiten Tag abends im Gasthaus. Er nahm einen kleinen Imbiss zu sich, besoff sich aber nie mehr. So vergingen einige Wochen.
Nach dieser Zeit dann, stand der Sandler Joachim lange an einer Straßenecke. Seine rotblau gefärbten Finger ragten gekrümmt aus zerrissenen Handschuhen. Sein Körper steckte in einem zerschlissenen, farblosen, dunklen Mantel, viel zu groß, viel zu lang und um einen Knopf schief zusammengeknöpft. Unter dem Mantel lugten abgetragene Sommerschuhe hervor. Er stand da als warte er auf etwas. Er wartete und wartete, keiner beachtete ihn.
Tränen liefen über sein bärtiges Gesicht. Rot, und wässrig waren seine Augen. Ein grauer Filzhut hielt seinen leicht ergrauten Haarkranz zusammen.
Sein Blick schien ins Leere zu schweifen. Doch zeitweise schrak er zusammen und seine Augen irrten rundum, als wäre er blind.
Immer wieder putzte sich Joachim die Nase mit einem rotkarierten Tuch.
Seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit, als er noch als Tischler arbeitete, dann, als er erkrankte, arbeitslos wurde und letztlich im Wirtshaus landete. Aber was hätte er denn tun sollen, wenn’s zu kalt wurde, flüchtet man eben ins Gasthaus und trinkt. Aber die Frau, auf die er jetzt wartete, würde ihm helfen. Mit dem Trinken habe er ja aufgehört, das hatte sie verlangt. Sie wollte ihn zu sich holen. Sie hat ein Bett frei in einer warmen Stube. Lydia! Er träumte vor sich hin. Um zwölf Uhr holt sie mich ab, dann wird das Leben nochmal beginnen.
Es war erst 10 Uhr. Aber der Mann wollte diese zwei Stunden warten. Es ist doch schön auf jemanden warten zu können, dachte er und es war ihm bewusst, dass es nicht viele Menschen gibt, die, aus einer solchen Situation heraus, von jemandem heimgeholt werden.
anna grasshof
Lydia zwängte sich durch das Knäuel der Aussteiger, bis sie neben dem Gesuchten Platz fand. Es war Joachim. Sie kannte ihn vom Sehen schon sehr lange, als er noch seiner Arbeit nachgegangen war. Dann war da ein Unfall, später folgte die Arbeitslosigkeit, seit Jahren beobachtete sie, wie er immer mehr verkam und sie hatte Mitleid. Aufmerksam wurde sie eigentlich schon in jungen Jahren auf ihn, denn er erinnerte sie an ihren Vater. Deswegen war sie unterwegs zu ihm.
Sie setzte sich neben Joachim hin: "Schönen Abend Herr Bendler, was machen Sie denn hier?" Der Mann starrte entgeistert auf die Frau, war er es doch nicht mehr gewohnt, angesprochen zu werden. Dann antwortete er: "Ich hier? Na ja, ich sitze hier, weil es da warm ist, und ich trinke, weil ich sonst nicht hier sein kann." Aber warum sie denn frage, wer sie denn sei?
Lydia rückte zu ihm hin und nahm die Hand des Mannes, hielt sie fest: "Joachim, Sie sollten mit dem Trinken aufhören, verstehen Sie, dann wüsste ich einen Ausweg aus ihrer Lage."
Weiter sprach sie nicht, sie dachte nur an die zwei Betten zu Hause in ihrer warmen Stube, dort wäre Platz für zwei. Er könne sich doch einer Frau anvertrauen, in seinem Alter. Nur mit dem Trinken müsste er halt aufhören.
Joachim ließ seine Hand in der ihren liegen, er rückte nicht ab, er wurde auch nicht zudringlicher. Ja, er hatte Haltung, wie ihr Vater, welcher erst vor einigen Monaten gestorben war, den sie gepflegt hatte bis zu seinem Tod.
Lydia blieb eine Weile bei dem Mann sitzen. Seine Hand war kalt, doch allmählich begannen seine Augen zu leuchten, als ob er verstanden habe.
Sie versprach ihm, bald wieder vorbeizukommen. Kurz, nachdem die Frau das Lokal verlassen hatte, richtete sich auch Joachim zum Fortgehen. Seine Zechgenossen witzelten hinter ihm her, wegen dieses überraschenden Besuches einer so attraktiven Frau. Doch der Mann verließ ruhig das Gasthaus und humpelte die Straße entlang. Es war bitterlich kalt. Seine Beine trugen ihn kaum, obwohl er diesmal nüchtern den Weg zu seiner Behausung ging.
Immer wieder murmelte er: „Sie hat meine Hand gehalten."
Er sperrte umständlich mit zittrigen Händen das Gartentor auf, schob die Eisentüre zum Keller zurück und stieg die Stufen nach unten. Da hatte er seine Bleibe. Er warf den Mantel über den einzigen Stuhl im Raum, holte mit dem Eimer Wasser aus der Waschküche und schob dann den Riegel vor seine Tür. Wackelig schlurfte er zu seinem Lager. Es bestand nur aus drei Matratzen am Boden. Seine Kleidung behielt er an.
Sie hat meine Hand gehalten, sie hat mich sogar angeschaut, murmelte er. Gerne hätte ich über ihr ergrautes Haar gestrichen, oder über ihre rosige Wange, aber sicher wäre sie dann abgerückt. Ich weiß ja, wie Frauen sind. Ich habe mich stillgehalten, redete er mit sich selber. Sie hat meine Hand gehalten und mich angeschaut. Wie groß ihre dunklen Augen waren, wie rot ihre Lippen brannten. Ihre Hand war warm und ihre Augen freundlich. Lydia heiße sie und ich solle mit dem Trinken aufhören, dann ..., ja, was meinte sie damit? Sie hat mich glücklich gemacht, mein Gott, wie lange war ich nicht mehr glücklich.
Wie war das Beisammensein heute schön und es war gut!
Lydia, murmelte er. Wie gut es doch ist, jemanden neben sich zu haben. Bald schlief Joachim ein.
Die Frau besuchte Joachim jeden zweiten Tag abends im Gasthaus. Er nahm einen kleinen Imbiss zu sich, besoff sich aber nie mehr. So vergingen einige Wochen.
Nach dieser Zeit dann, stand der Sandler Joachim lange an einer Straßenecke. Seine rotblau gefärbten Finger ragten gekrümmt aus zerrissenen Handschuhen. Sein Körper steckte in einem zerschlissenen, farblosen, dunklen Mantel, viel zu groß, viel zu lang und um einen Knopf schief zusammengeknöpft. Unter dem Mantel lugten abgetragene Sommerschuhe hervor. Er stand da als warte er auf etwas. Er wartete und wartete, keiner beachtete ihn.
Tränen liefen über sein bärtiges Gesicht. Rot, und wässrig waren seine Augen. Ein grauer Filzhut hielt seinen leicht ergrauten Haarkranz zusammen.
Sein Blick schien ins Leere zu schweifen. Doch zeitweise schrak er zusammen und seine Augen irrten rundum, als wäre er blind.
Immer wieder putzte sich Joachim die Nase mit einem rotkarierten Tuch.
Seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit, als er noch als Tischler arbeitete, dann, als er erkrankte, arbeitslos wurde und letztlich im Wirtshaus landete. Aber was hätte er denn tun sollen, wenn’s zu kalt wurde, flüchtet man eben ins Gasthaus und trinkt. Aber die Frau, auf die er jetzt wartete, würde ihm helfen. Mit dem Trinken habe er ja aufgehört, das hatte sie verlangt. Sie wollte ihn zu sich holen. Sie hat ein Bett frei in einer warmen Stube. Lydia! Er träumte vor sich hin. Um zwölf Uhr holt sie mich ab, dann wird das Leben nochmal beginnen.
Es war erst 10 Uhr. Aber der Mann wollte diese zwei Stunden warten. Es ist doch schön auf jemanden warten zu können, dachte er und es war ihm bewusst, dass es nicht viele Menschen gibt, die, aus einer solchen Situation heraus, von jemandem heimgeholt werden.
anna grasshof