Späte Albernheiten

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Am liebsten umgebe ich mich mit uralten Spinnern.
Oder mögen Sie etwa diese relativ betagten Jammerlappen, die über die Leiden ihrer späten Jahre klagen und ununterbrochen die angeblichen Übel heutiger Zeiten verdammen?
Möge Gott sie bald von ihrem leidvollen Dasein erlösen.
Aber das wollen die auch wieder nicht.
Vielmehr begannen sie schon in der Zeit, die sie für den Beginn ihres Alters hielten, ganz nebenbei und mit feuchten Augen zu behaupten, bestimmt nicht mehr lange zu leben.
Obwohl ich positives Denken gern als neumodisches Zeugs moderner Motivationstrainer abtue, probiere ich dennoch vom zweifelnden Pessimisten zum überzeugten Optimisten zu mutieren.
Pessimisten sind im Grunde auch positive Denker. Glauben sie doch voller Zuversicht daran, dass ihre negativen Vermutungen unweigerlich eintreten werden.
Gelegentlich gehöre ich auch zu jenen, die stets das Allerschlimmste annehmen, um wenigstens vom etwas erfreulicheren Gegenteil überrascht zu werden.

Selbstverständlich nähere ich mich als Siebzigjähriger von Tag zu Tag rasanter meinem tödlichen Ende. Doch bisher gewährt mir der Tod stets noch einen weiteren Tag Aufschub.
Und auch in Zukunft wird ein Tag ein Tag sein, selbst wenn er in meinen jüngeren Jahren gefühlt Stunden länger dauerte, obwohl ich einst - unbelästigt von seniler Bettflucht – pro Tag bzw. Nacht einige Stunden mehr verschlief.
Unter lauter Alten zu sitzen, um mit ihnen unsere angeblich so wertvollen Erfahrungen und vermeintlichen Weisheiten auszutauschen, kann in seelische Folter ausarten, denn Dummschwätzer brachten die Menschheit noch nie weiter.
Viel lieber bin ich in Gesellschaft albern kichernder Greise.
Und wenn sich Vertreter jüngerer Generationen oder gar nahe Verwandte für uns unreife Alte zu schämen beginnen und tuschelnd sowie tratschend unseren Geisteszustand anzweifeln, dann haben wir endlich jene Narrenfreit, die ich so genieße. Sollen sie uns doch für unrettbar spätpubertär halten.
Am allerschönsten sind Momente, in denen sie sich über unsere vermutlich dementen Ausfälle beklagen, von denen wir genau wissen, dass wir nur so tun, als ob wir sie selbst gar nicht bemerkt hätten.
Herrlich, diese entrüsteten Mienen aufgebrachter junger Neider, die für den Ernst des Lebens noch Opfer zu bringen bereit sind. Und sei es nur jenes, bis zu ihrem nächsten Herzinfarkt zu schuften.
Da kichere ich doch lieber mit denen, die bereits einen oder mehrere Infarkte überlebt haben.
Die Wiederauferstandenen wissen, wovon sie reden und wie das Leben danach von Stunde zu Stunde an Wert gewinnt. Ihr Kichern klingt besonders schadenfroh, wenn ihnen jene mittelalten Mitbürger, die meinen, sich auf der Höhe ihrer persönlichen Karriere zu tummeln, erzählen wollen, was im Leben wirklich zählt.
Als unsere Eltern uns zu Schulbeginn erzählten, der Ernst des Lebens habe begonnen, waren wir, brav wie wir uns geben mussten, ja noch bereit, es zu glauben.
Und mindestens bis zur Lebensmitte wollten wir auch Unvergängliches schaffen, das uns überlebt.
Jetzt wissen wir, wichtig sein wollen offenbar nur jene Wichte, die an all den vermeintlichen Übergrößen um sich herum leiden. Immer wieder gehen sie auf die Überholspur, um ihre privaten Rennen um Ansehen und Wohlstand zu gewinnen, die sie schließlich doch verlieren werden.
Mir reicht es vollkommen, in unserer Stammkneipe „Zur ewigen Lampe“ zu hocken, dumme Witze über Mitmenschen und ihre Macken zu reißen, zu kichern und gelassen zu bleiben. Denn gerade Gelassenheit ist eine der schwierigste -heiten. Vor allem ist sie um vieles mühsamer als jene alten Gewohnheiten, an die Senioren sich auf Wunsch jüngerer Generationen zu halten haben.
Gut, ein paar davon sind ganz bequem. Aber die meisten langweilen ungemein.
Zum Beispiel, immer die Ruhe zu bewahren, um Schlaganfälle zu verhindern.
Schamgefühle zu entwickeln, da wir Faltenreichen nicht mehr mit straffer Haut aufwarten können.
Klug und weise zu erscheinen, um jeglicher Dummheit zu entgehen, und deswegen am besten gleich zu Hause zu bleiben.
Und auf der Straße gilt es, seriöse Kleidung zu tragen – am besten in Beige-Tönen.
Den Kicher-Reiz kaum beherrschen kann ich, wenn mir so eine beige bekleidete Rentnertruppe im Heimatmuseum vor ausgestellten Haushaltswerkzeugen begegnet und sich darüber auslässt, wie es einst zu Hause doch so beschaulich zugegangen sei.
„Solche Bratpfannen…“ schwärmen sie mit verklärtem Blick, „… die hat meine Oma noch benutzt“. Dass die, hinter der Haustür stehend, ihren Mann, den Großvater, mit hocherhobener Pfanne empfing, wenn er vom Wirtshaus zurückgetorkelt kam, wird der ältere Museumsbesucher natürlich nicht einfach zum Besten geben. Darüber aber könnten sie gemeinsam wirklich lachen.
Ich freue mich jedenfalls schon. Heute treffen wir uns wieder in unserer Stammkneipe. Hoffentlich kommt Ewald auch. Ihm ging es beim letzten Mal nicht so gut. Immerhin ist er achtundneunzig. Er erzählt seit Jahren immer die allerbesten Witze über Beerdigungen.
 



 
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