später Sommer

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Gabriele

Mitglied
Die Sonne scheint schon etwas zu lange auf meinen Kopf, den ich doch schützen sollte, damit mein Tumor noch nicht nachwächst. Es ist etwas zu heiß hier auf meinem Balkon; ich sollte wohl in den Schatten gehen oder zumindest meinen Strohhut holen und aufsetzen?!
Aber vielleicht muss ich das ja auch gar nicht tun, denn allmählich kommt ein leichter Wind auf, streicht sanft über meine Haut, spielt mit meinem Haar. Ich lausche dem leisen Flüstern der Blätter im Wind, dem Summen einer Biene unten im Gras, fernem Kinderlachen. Alles fühlt sich gut an, ich höre und spüre meinen ruhigen Atem...
Und doch: So hätte ich wenigstens ein einziges Mal mit dir da sitzen wollen. Nicht auf meinem Balkon bei einem unserer fast immer an der Oberfläche verweilenden Gespräche - bei deinen mich immer wieder irritierenden und gleichzeitig so feinsinnigen Scherzen, von denen du glaubtest, sie immer wieder auch bei mir los werden zu müssen - bei dem meiner widerspenstigen Espresso-Maschine jedesmal wieder mühsam abgerungenen schnellen gemeinsamen Kaffee vor unserer Therapiesitzung...
Nein! Irgendwo auf einer Wiese, an einem Bach oder einem See, ohne Zeitdruck, ohne die Notwendigkeit von Worten, ohne die Fesseln unseres für uns beide zu hektischen und doch so unterschiedlichen Alltags.
Vielleicht hättest auch du dich dann endlich einmal - länger als für eine unserer regelmäßigen, gar nicht mal so flüchtigen, aber doch immer wieder viel zu kurzen Abschiedsumarmungen - fallen lassen können und wärst nur an diesem Ort, nur in dieser Stunde nur bei mir gewesen. Frei von Pflichtgefühl und Angst vor Kontrollverlust, schweigend und ganz entspannt, unsere Hände einander berührend, absichtslos?
Vielleicht hätten wir einander dann irgendwann geküsst, vielleicht auch miteinander geschlafen, aber darum wäre es ja gar nicht gegangen. Wichtig wäre die Nähe gewesen, die Zeitlosigkeit, die stille Offenheit zwischen uns und gegenüber der Natur, die uns umgeben hätte…
Hätte... Wäre...
Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, und der nahende Herbst wird dich sehr bald sehr weit fort von mir tragen. Du wolltest es so, und es wird gut für uns beide sein. Auch ich liebe den heftigen Herbstwind, der das Laub von den Bäumen fegt; er ist so stark und durchsetzungsfähig, wie ich es nun schon manchmal, aber doch noch immer viel zu selten bin.
Und doch ist mir bange vor dem Tag, an dem ich die verwelkten Blumen auf meinem Balkon werde wegräumen müssen, vor den kahlen Laubbäumen vor meinem Fenster, vor meinen kalten Händen, die niemand wärmen wird.
 

anbas

Mitglied
Hallo Gabriele,

ein eindrucksvoller Text, der nachklingt, wie ich finde. Er gefällt mir wirklich gut.
Allerdings solltest Du ihn bezüglich der Wörter "mein", "meine" usw. noch einmal durchforsten und Dich von mindestens der Hälfte, wenn nicht noch deutlich mehr trennen ;).

Liebe Grüße

Andreas
 

Nosie

Mitglied
Servus Gabriele,
Mir gefällt dein Text ausgesprochen gut, sehr einfühlsam und nachvollziehbar geschrieben. Starke Gefühle wie Sehnsucht, Traurigkeit und Hoffnung ohne Pathos auszudrücken oder in den Kitsch abzugleiten ist nicht leicht, aber es ist dir sehr gut gelungen.

Gerne gelesen.
Liebe Grüße
Gertraud
 

Gabriele

Mitglied
Die Sonne scheint schon etwas zu lange auf meinen Kopf, den ich doch schützen sollte, damit der Tumor nicht nachwächst. Es ist etwas zu heiß hier auf dem Balkon; ich sollte wohl in den Schatten gehen oder zumindest meinen Strohhut holen und aufsetzen?!
Aber vielleicht muss ich das ja auch gar nicht tun, denn allmählich kommt ein leichter Wind auf, streicht sanft über meine Haut, spielt mit meinem Haar. Ich lausche dem leisen Flüstern der Blätter im Wind, dem Summen einer Biene unten im Gras, fernem Kinderlachen. Alles fühlt sich gut an, ich höre und spüre meinen ruhigen Atem...
Und doch: So hätte ich wenigstens ein einziges Mal mit dir da sitzen wollen. Nicht auf meinem Balkon bei einem unserer fast immer an der Oberfläche verweilenden Gespräche - bei deinen mich immer wieder irritierenden und gleichzeitig so feinsinnigen Scherzen, von denen du glaubtest, sie immer wieder auch bei mir los werden zu müssen - bei dem meiner widerspenstigen Espresso-Maschine jedesmal wieder mühsam abgerungenen schnellen gemeinsamen Kaffee vor unserer Therapiesitzung...
Nein! Irgendwo auf einer Wiese, an einem Bach oder einem See, ohne Zeitdruck, ohne die Notwendigkeit von Worten, ohne die Fesseln unseres für uns beide zu hektischen und doch so unterschiedlichen Alltags.
Vielleicht hättest auch du dich dann endlich einmal - länger als für eine unserer regelmäßigen, gar nicht mal so flüchtigen, aber doch immer wieder viel zu kurzen Abschiedsumarmungen - fallen lassen können und wärst nur an diesem Ort, nur in dieser Stunde nur bei mir gewesen. Frei von Pflichtgefühl und Angst vor Kontrollverlust, schweigend und ganz entspannt, unsere Hände einander berührend, absichtslos?
Vielleicht hätten wir einander dann irgendwann geküsst, vielleicht auch miteinander geschlafen, aber darum wäre es gar nicht gegangen. Wichtig wäre die Nähe gewesen, die Zeitlosigkeit, die stille Offenheit zwischen uns und gegenüber der Natur, die uns umgeben hätte…
Hätte... Wäre...
Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, und der nahende Herbst wird dich sehr bald sehr weit fort von mir tragen. Du wolltest es so, und es wird gut für uns beide sein. Auch ich liebe den heftigen Herbstwind, der das Laub von den Bäumen fegt; er ist so stark und durchsetzungsfähig, wie ich es nun schon manchmal, aber doch noch immer viel zu selten bin.
Und doch ist mir bange vor dem Tag, an dem ich die verwelkten Blumen auf dem Balkon werde wegräumen müssen, vor den kahlen Laubbäumen vor dem Fenster, vor meinen kalten Händen, die niemand wärmen wird.
 

Gabriele

Mitglied
Vielen Dank euch beiden - es freut mich, dass euch der Text berührt hat und ihr ihn nicht kitschig findet!
Lieber Andreas, deine Anregungen hinsichtlich der Possessivpronomina habe ich gerne angenommen und schon einen Verbesserungsversuch gemacht.
Liebe Grüße
Gabriele
 



 
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