Spaten

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lietzensee

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Spaten​

Er gräbt. Seinen Spaten schlägt er in den feuchten Boden und von seiner Stirn tropft Schweiß. Die Erde riecht gärig. Guter Ackerboden, er knöpft sich die Jacke auf. Zuhause hatten sie in solchem Boden immer Radieschen gepflanzt, große, rote Knollen, die auf der Zunge brannten. Er leckt sich die Lippen, wischt sich die Stirn und rammt den Spaten in den Boden. Keine Zeit, an Radieschen zu denken, jetzt muss er graben. Sie haben es eilig. Links und rechts neben sich hört er das Knirschen anderer Spaten, die auf Kiesel im Boden schlagen.
Er hofft, dass sie rechtzeitig fertig werden. Er hat aber Angst, dass sie es nicht schaffen. Im Garten hatte sein Großvater das viele Gebuddel gern als Grund für sein langes Leben genannt. Jetzt trifft sein Spaten den Boden im falschen Winkel. Dreck spritzt. Er flucht und gräbt weiter. Ja, der Opa, als Kind hatte er zu solchen Geschichten immer genickt und gehofft, ein Stückchen Zucker zu bekommen.
Fast hüfttief haben sie sich nun eingegraben, vor ihnen ein Wall aus Aushub, um sie der Geruch des aufgerissenen Bodens. Sein Loch hat er so lange erweitert, bis es links und rechts auf die Löcher der Kameraden getroffen war. Jetzt ist es Teil eines Grabens. Sie haben es eilig. Wurzeln, Steinchen und ein paar Scherben spritzen unter den Schlägen ihrer Spaten. Ihnen sitzt der Offizier im Nacken, der einen fertigen Schützengraben haben will. Der Offizier ist aber nicht das, was er fürchtet. Noch vor dem Frühstück hatten sie eine Ansprache über die drohende Gefahr gehört und über die militärische Bedeutung, die dieser Landstrich immer wieder gehabt hatte. Zum Essen war dann kaum noch Zeit gewesen.
Für einen Moment hält er inne. Er wirft die Jacke auf den Grabenrand und wischt sich die Stirn. Hört er schon Motorenlärm von der anderen Seite? Nein, noch knallen nur Spaten auf die Kiesel im Boden. Er holt tief Luft. Er arbeitet weiter. Als sie fast schon die Sohlentiefe erreicht haben, stößt sein Spatenblatt noch einmal gegen etwas Hartes. Er hebelt es ans Tageslicht - ein Knochen. Dann findet er Reste eines Helmes und eine rostige Metallplatte. Keine Zeit für Archäologie, er wirft alles auf den Wall vor ihnen und schachtet die letzten Zentimeter des Grabens aus. Nach getaner Arbeit steht er da, keucht und blickt angespannt über den Wall. Aus dessen Erde ragt ein Stück der Platte. Er starrt. Dann begreift er. Die rostige Platte ist der Rest eines Spatens.
 

Blue Sky

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Einen schaurigen Eindruck vermittelst du hier. Aber wirklich nicht abwegig bei den ganzen Vermissten, welche Kriege zu verantworten haben. Stößt man beim Buddeln auf Überreste mit dazugehörigen Erkennungsmarken ist ein Spatenrest vergleichsweise harmlos aber mindestens gleich unheimlich, wenn man in dem Graben liegen muss und Zeit zum Grübeln findet.

LG
BS
 



 
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