Spaziergang im Lehmannpark

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James Blond

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Jou, lieber sufnus, ich habe die Widmung verstanden ...

Na, das liest sich doch gleich schon entspannter. :)

Gut, dass das Botanische (Feuerdorn, Ebenstrauß, Scheinfrucht) nicht zur Überlast gerät, auch die übliche lyrische Selbstbespiegelung hält sich hier in erträglichen Grenzen. Und es finden sich daneben tatsächlich eine Menge ganz gebräuchlicher ("normaler") Komposita wie Stadtpark und Herbstwind. Selbst die Reimadverbien "sommerflüchtig" und "septembersichtig" wirken nicht erzwungen und sind leicht verständlich. So weit so ausgeglichen!

Was mir noch fehlt, ist eine dritte Strophe, die das Metrum bestätigt und das Thema abrundet. Sie muss keinen Erkenntnisgewinn transportieren, auch keine Moral usw., dass aber die "Scheinfrucht" "gleich vor Ort" geerntet wird, erscheint mir final etwas (zu) banal (,allein schon, weil es anders wohl auch kaum ginge).

Dabei geht es, wie ich es verstehe, hauptsächlich um den sommerflüchtigen Dichter, der sich gierig auf die nun einsetzenden Herbstthemen stürzt, sich aber mit einer scheinbaren Frucht zufrieden gibt. Das könnte aber noch deutlicher herausgearbeitet werden. Als Schnellschuss ist der Text schon mal sehr erfrischend. Weiter so! :)

frühherbstliche Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Also... ich hatte zwischenzeitlich schon Bedenken, dass mir dieser Sommerschlussgesang immer noch etwas zu unleichtgängig geraten sein könnte und so die versprochene, verschwitzungsfreie Lesbarkeit vor Deinem Richterauge verfehlte.
So ganz kompositafrei (jetzt hätt ich beinahe kompostfrei geschrieben) scheinen sich meine Dichtversuche einfach nicht assemblieren zu wollen und insbesondere die botanischen Begriffe haben tatsächlich noch ein gewisses Hürdenpotenzial. Je nun. Ich taste mich offensichtlich relativ vorsichtig an Leichtsprachlichkeit heran. ;) Schön, dass Du dennoch eine Entspanntheitsmehrung rezipiert hast.
Was die dritte Strophe angeht, so hatte ich zwei konkurrierende Entwürfe in Arbeit (eine Variante hätte sich der Feuerdorn-Marmeladenherstellung gewidmet, eine andere eine hungrige Amsel auftreten lassen); leider haben beide Angänge der Sache jeweils auf ihre Weise irgendwie die Herbstleichtigkeit genommen, daher bleibt die dritte Strophe ein unsichtbarer Elefant im leeren Raum. :)
LG & so weiter ... :)
S.
 

mondnein

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listige Pseudoschmeichelei, ironisch-durchsichtig:

Gut, dass das Botanische (Feuerdorn, Ebenstrauß, Scheinfrucht) nicht zur Überlast gerät,
schreibt, James, gerade weil "das Botanische", also die bildkräftigen Pflanzennamen, hier zur Überlast geriete,
wenn "Feuerdorn" z.B. nicht eine so doppelt-schmerzhafte Imagination hervorriefe, und sich herausrisse aus der gleichgültigen Beispiele-Aufzählung,​
nun ja, kann man witzig als "das Botanische" marginalisieren,
dann sind die bunten Pflanzen Lexikonfunde,
fast eine "Überlast" für den, der das Schweißlexikon aus dem Regal wuchten muß.

auch die übliche lyrische Selbstbespiegelung hält sich hier in erträglichen Grenzen.
ironischer Seitenhieb:
die "Selbstbespiegelung" wird dem Leser erst durch die paradoxe Untertreibung ihrer Maß- und Grenzenlosigkeit in eben diesem Satz, dieser ironischen Lüge von den "Grenzen" der Selbstbespiegelung, "erträglich".
Vor diesem Scherz war (so gähnt es hier abschätzig durch) die Selbstbespiegelung unerträglich.

Und es finden sich daneben tatsächlich eine Menge ganz gebräuchlicher ("normaler") Komposita wie Stadtpark und Herbstwind. Selbst die Reimadverbien "sommerflüchtig" und "septembersichtig" wirken nicht erzwungen und sind leicht verständlich.
keine bis zu den extrem parallelen, schwergewichtig-seltsamen Kompositen "sommerflüchtig" und "septembersichtig",
Vor dem Sommer zu fliehen, ist gebongt.
Aber "september-sichtig",
wenn es nicht ein verschriebenes "september-süchtig"​
mit strengerem Reim auf "flüchtig" ist,​
könnte wohl anzeigen, daß das Lyri,
welch ein Jammer!,​
nun des Septembers ansichtig geworden sei:

natürlich "nicht erzwungen und leicht verständlich"
mit dem paradoxen Spott über das Erzwungene und Schwerverständliche eben dieser beiden Adjektiv-Komposita

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Moin James!

dass aber die "Scheinfrucht" "gleich vor Ort" geerntet wird, erscheint mir final etwas (zu) banal (,allein schon, weil es anders wohl auch kaum ginge).
Da (also obig) hast Du ja noch einen ebenso dicken, wie undisputablen Punkt, weshalb ich (bei noch weiterhin fortbestehender Drittstropheneinfallslosigkeit) zumindest die seltsame Vor-Ort-Ernte umformuliert habe.
Danke für den freundlichen Hinweis und
LG!
S.
 

James Blond

Mitglied
Hehe,
nicht so schnell. Das war ja nur ein Wink ...

So flicht der Dichter sommerflüchtig
den Ebenstrauß ins Wort
und erntet, kaum septembersichtig,
die Scheinfrucht gleich vor Ort.
Versteht man diese Strophe so, dass mit dem "ernten" auch das "ins Wort flechten", also das Gedichterstellen (einer "Scheinfrucht") angesprochen wird, so lässt sich doch in dieser Richtung weiter fahren, etwa:

Ihm folgt des Herbstes erste Ernte
auf Fersen in sein Heim,
und falls die Muse sich entfernte,
so blieb ihm doch der Reim.

;)

Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Vielen Dank für die Einordnung des Erntegeschehens per Interpretation (genauso war es von mir auch zunächst gedacht) und Weiterdichtung. Mir wird jetzt noch ein bisschen klarer, welche weitreichenden Folgen das unschuldige Wörtchen "erntet" zeitigt: Tatsächlich erzeugt das "erntet" insbesondere durch das (wie Du ganz richtig schreibst ja eigentlich selbstverständliche) "vor Ort" m. E. eine gewisse Humor-Boosterung und außerdem verlangt es dann wirklich dringend eine dritte Strophe, ohne die der Verdacht naheläge, dass der Dichter seine Verse nicht so recht "im Griff" hat. Du hast dementsprechend eine wirklich vorbildliche Lösung gefunden, durch die sich das Gedicht sich abrundet - zu einem Augenzwinkern mit leichter Herbstgrinsekatzenanmutung (ich will Dich nicht mit Bandwurmkomposita ärgern - das ist nur ein freundlich-selbstironisches Herumalbern ;) ).
Mir ging es bei der Gedichtstimmung aber eigentlich mehr um entspannte Heiterkeit als um höhergradige Humoranmutungen. Ich verbinde einen warmen Herbsttag mit so einer gewissen Heiterkeit, die genau an der Grenze zur Melancholie haltmacht.
Ich glaube daher, dass Deine Fassung vollgültig ist, aber meine nur zweistrophige Version, jetzt - dank Deines Hinweises - mit Ortsfindung anstelle der Ernte, gerade auch in ihrer Unfertigkeit etwas genauer meine Absichten trifft. :)
Mir hat dieser Austausch jetzt viel gebracht.
Und als kleine Ergänzung: Natürlich ist mir klar, dass wir (bzw. vor allem: ich) jetzt sehr viele, "tiefschürfende" (Ironie!) Worte um ein kleines, bagatelliges Ad-hoc-Gedicht machen. Ich finde, das ist aber ja gerade das schöne an Lyrik. Man schreibt ein kurzes Gedichtlein und dann kann man im wechselseitigen Austausch alle Schleusen des Vielredens öffnen. :)
LG!
S.
 

fee_reloaded

Mitglied
So flicht der Dichter sommerflüchtig
Wieder mal ein wunderschöner Klang-Schatz, den es da zu heben gibt, lieber sufnus!

Septembersichtig ist nicht minder schön. Wie das ganze Gedicht, wenn man's genau nimmt. ;)

Sehr gerne gelesen. Und diese spezielle Herbstwärme des Septemberlichts gespürt.

Liebe Grüße,
fee
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Weil Du gestern noch Deine Bewertung nebst Verweis auf Deinen ersten Kommentar nachgetragen hast: Ich lass Dir für Dich persönlich natürlich sehr gerne Deinen Punkt, glaube (nicht: weiß) aber, dass in einem objektivierbaren ästhetischen Korridor (an den ich ebenfalls glaube, ohne ihn „zu wissen“), eine Hinzufügung einer dritten Strophe (wenn sie von Schreiber*innen unserer Talentklasse kommt) das Gedicht schwächer und nicht stärker macht.
Liebe - parenthetische -Grüße!
S.
 

James Blond

Mitglied
Hm - warum sollte die Ergänzung mit einer dritten Strophe dieses Gedicht grundsätzlich schwächer machen?
Wie bereits geschrieben, teile ich dieses Gefühl nicht, aber das sind natürlich (meine) antrainierte Erwartungen: Alle guten Dinge sind drei [Strophen]. ;)

Liebe Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Naja, bei drei Strophen schwingt sehr häufig so ein These-Antithese-Synthese-Ding mit und wenn das vermieden wird (nicht, dass man das grundsätzlich bei jedem Gedicht vermeiden müsste!), dann ergibt sich meist bei drei Strophen eine Art "dramaturgische" Gliederung (Expo-Höhepunkt-Nachklapp oder Einstieg-Spannungsaufbau-Grand Finale oder Donnerschlag-Nachgegrummel-Befriedung usw.) - will sagen: Drei Strophen bedingen fast unvermeidlich eine gewisse "Vollendung" eines Gedichts und ich glaube, dass das hier zu viel "behauptete Bedeutsamkeit" ins Spiel brächte.
LG!
S.
 

James Blond

Mitglied
Hm, lieber sufnus,

verstehe ich deine Überlegungen dahingehend richtig, dass dir die Möglichkeiten, die dir zu einer 3. Strophe in den Sinn kommen, allesamt nicht behagen - und du daher - klugerweise verzichtest auf den letzten Teil der Dichtereise? ;)

Na, wenn das keinen lyrischen Offenbahrungseid abgäbe. ;)

Man sollte doch die Herausforderung suchen, nicht aber sie meiden! :)

Ich denke, deine Schwierigkeiten rühren daher, dass du bereits eine abschließende Strophe hast, nämlich die 2. :

"So flicht der Dichter sommerflüchtig
den Ebenstrauß ins Wort
und findet, kaum septembersichtig,
der Scheinfrucht einen Ort."


Die Strophe hat - unterstützt von dem resümierenden "So" - schon etwas Abschließendes und erschwert eine Fortsetzung, die nicht doch weiter ins Reflektierende abhebt. Eine einfachere Lösung wäre daher z. B. der Einschub einer neuen 2. Strophe, welche die bisherige zur 3. finalen Strophe werden ließe.

Ich habe das hier - als Beispiel zur Veranschaulichung - nur einmal kurz ausprobier( natürlich auch mit kleinen kursiven Änderungen) :


Der Feuerdorn im Stadtpark facht
den Herbstwind an, so dicht
gebündelt steht die herbe Fracht
im lyrischen Bericht.

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Beweis der Endlichkeit:


So flicht der Dichter sommerflüchtig
den Ebenstrauß ins Wort
und bindet, schon septembersüchtig,
die Scheinfrucht an den Ort.

Eine Verlängerung hätte außerdem den Vorteil, die Fülle der einsilbigen Trochäenauftakte (dem,der, in, so den, und,der) etwas zu verdünnen und so einem möglicherweise drohenden ironisierenden Geklapper entgegenzuwirken. ;)

Gern kommentiert :)

Liebe Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!

Ich denke, deine Schwierigkeiten rühren daher, dass du bereits eine abschließende Strophe hast, nämlich die 2. :
Ich freue mich wirklich sehr über Deine Bemühungen, aus dem Zweiklang einen Dreiklang zu machen! :) Mir gefällt nach wie vor das Strophen-Tandem besser als ein Strophen-Trio, selbst wenn ich auf der Linie Deines hübschen letzten Angangs mit eingeschobener driter Strophe weiterdenke.
Es gibt ja aus Gründen ein- und zweistrophige Poeme (und vermutlich heißem die nicht immer Unvermögen oder Faulheit ;) ).
Übrigens ist mir persönlich meine zweite und letzte ;) Strophe fast - aber nur fast - etwas zu resümmierendend. Ich hab es mir aber durchgehen lassen und bin happy.

Und natürlich bedeutet dies unzweifelhaft, dass mein selbstgestellter Auftrag, einmal ein Gedicht zu schreiben, dass Deine lyrischen Vorlieben "bedient" nur in so eingeschränkten Teilen "erfolgreich" (naja) war, dass die (von Dir nicht bestellte und daher auch nicht abbestellbare :p ) "Bestellung" eines James-konformen Gedichts nach wie vor offen ist.
Mit dieser Ankündigung (Drohung? - na ich hoffe nicht!) überzeuge ich Dich vielleicht, dass ich ganz sicher keine Herausforderungen scheue, wenn sie mir ergiebig erscheinen.

LG!

S.
 

James Blond

Mitglied
Hey sufnus,

gute Idee mit dem Dreiklangvergleich eines 3-Strophengedichts! So wird deutlich, dass sich erst darin ein Dur- oder Moll-Charakter ergibt, während die üblichen Powerchords (Grundton + Quinte) des Metal sich um derartig feinsinnige Differenzierungen einen Dreck scheren ... ;)

Aber ich gestehe (es gern):

Ein James-gefälliges Gedicht zu schreiben, ist nicht einfach; mir gelingt es in den seltensten Fällen. Andererseits prägen (die meisten von) uns die gleichen Denk- und Hörgewohnheiten; wie anders gelänge sonst eine fruchtbare Kommunikation. Wir brauchen Bezüge, um nicht im vollkommenen gegenseitigen Unverständnis zu enden, in der absoluten Beliebigkeit - ein Zustand übrigens, der sich auch auf diesen Seiten trotz aller Gemeinsamkeiten des Öfteren offenbart, von dem wir beide aber glücklicherweise noch weit entfernt sind. :)

So bedaure ich zwar deine Entscheidung, hier bei einer "unvollendeten" 2-Strophenversion zu verharren, sie überrascht mich allerdings wenig. Mir war es dennoch ein Vergnügen, angesichts der einleitenden Widmung ("Für J.") darüber herzufallen und den Text zu zerrupfen wie ein gieriger Wolf. Es hat gehörig Spaß gemacht und geschmeckt.

Ich hoffe, du kannst dich dafür auch einmal revanchieren!

Liebe Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James!
Freut mich wirklich, dass Dir die Zerrupfung (es war mir eine Ehre) kulinarische Vergnügungen beschert hat! Gerne wieder!
LG!
S.
 



 
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