Sperrige Krawatten

5,00 Stern(e) 3 Bewertungen

C F Jacobsen

Mitglied
Zwei Krawatten. Was soll ich mit denen anfangen? Sie haben scheußliche Farben, die mich an Kopfschmerzen und Depressionen erinnern und die schlimmsten 90er Jahre Muster, die man sich ausmalen kann. Eine ist aus Polyester. Ich hasse Polyester, ich trage kein Polyester. Polyester verursacht mir Hitzestau und Beklemmungen.

Ich trage nicht mal Krawatten.

Sie liegen halb sorgfältig zweimal zusammengelegt auf meinem Tisch. Ich hatte die Krawatten schon fast so weit, dass sie mit den anderen abgetragenen Kleidungsstücken in die Altkleidersammlung gegangen wären, aber irgendetwas hat sie doch wieder zurückgehalten. Vermutlich war ich das. Ich hätte sie gar nicht erst annehmen sollen, aber wie hätte ich das übers Herz bringen können? Ständig versuche ich, mich darin zu üben, nein zu sagen, aber hier musste ich mich zusammenreißen, nicht noch viel mehr zu nehmen. Vielleicht um das Gefühl der Hilflosigkeit zu ersticken, oder um wieder atmen zu können nach all der Sprachlosigkeit. Es waren so viele.

Die, die aussieht wie Kopfschmerzen nach einem zu langen Abend mit zu viel Rotwein, ist aus Viskose. Ich liebe Viskose, ich trage gerne Viskose. Viskose kühlt mich und fühlt sich fließend an.

Aber ich trage keine Krawatten.

Wenn ich mir vorstelle, wo ich sie wohl aufbewahren soll und wie lange, werde ich hoffnungslos und möchte sie wieder loswerden. Ich möchte wieder krawattenlos sein, mir keine Gedanken darüber machen müssen, warum ich sie überhaupt habe, was ich mit ihnen machen soll und ob ich mit ihnen leben kann oder nicht.

Sie werden bleiben. In einer Kiste vermutlich, einem Karton, einer Schublade. Vielleicht werde ich sie immer wieder in die Hände nehmen und einen neuen Platz für sie suchen, werde mich an dem Polyester stören und sachte über die Viskose streichen. Irgendwann gehören sie dann dazu, vielleicht. Oder vielleicht auch nicht. Manche Dinge bleiben bei uns und passen niemals richtig. Sie sind immer zu groß, zu eckig, zu schwer, zu fremd. Wir lernen, um sie herum zu gehen, uns nicht mehr ganz so oft an ihnen zu stoßen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal an Krawatten stoßen würde.

Du hast dich entschieden zu gehen. Die Urne war schön.
 

petrasmiles

Mitglied
Hoppla! Was für ein überraschender und tiefer Text.
Eine außergewöhnliche Metapher.
Ich wage die These, dass diese Dinge, die uns unverständlicherweise anhaften, doch zu uns gehören, wenn auch nicht unbedingt im buchstäblichen Sinne.
Ein Text zum öfter lesen.

Liebe Grüße
Petra
 

C F Jacobsen

Mitglied
Vielen lieben Dank.
Deine These über die unverständlicherweise anhaftenden Dinge ist etwas, das mich immer wieder beschäftigt. Ich denke, dass du mit dieser These richtig liegst, aber allzu oft will ich das nicht so sehen und stehe mir damit selbst im Weg. Ich und wahrscheinlich viele andere auch. Vielleicht ist reifen, wenn wir erkennen und annehmen, was zu uns gehört? Eine weitere These.

Liebe Grüße zurück
 

petrasmiles

Mitglied
Eine wiederum interessante These. Ich denke nur, dass jeder einen anderen Weg zur Reife nimmt, weil wir alle verschiedene Ausgangspunkte haben. Ob man widersprüchliche Tendenzen bei sich annehmen kann, hat sehr viel mit unserer Ich-Gewissheit zu tun, mit der wir geboren werden und die von außen frühkindlich beeinflusst wird. Das Annehmen ist das eine, damit klar zu kommen, das andere. Sind wir nicht in den geheimen Stunden manchmal für uns selbst ein Mysterium? Und gründet nach außen getragene Selbstgewissheit nicht oft genug auf einem Willensakt? Ich fand es immer reine Zeitverschwendung, mich nach dem Bild von anderen zu richten, musste nur lernen, mit den Konsequenzen daraus zu leben. Wer da seine Krawatten immer mal wieder in die Hand nimmt, und sich wundert, wieso sie da sind, ist auf einer wunderbaren Reise, die einzige, die sich wirklich lohnt.

Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende!

Liebe Grüße
Petra
 



 
Oben Unten