Binsenbrecher
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Spiegelfechtereien
Seit wir als Kind dem Märchen mit dem wundersamen Spruch vom „Spieglein Spieglein an der Wand ...“ gelauscht haben, geht uns der Spiegel nicht mehr aus dem Kopf. Wofür muss sein Name nicht alles herhalten! Dieser glanzbeschichtete Glasscherben funktioniert im Grunde ziemlich einfach - Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel - und ist eng mit dem Echo verwandt. Trotz dieser eher schlichten Physis hat er es zu einem riesigen Bündel von symbolischen, allegorischen, mythischen und metaphorischen Bedeutungen, zu einer ausschweifenden Metaphysik gebracht.
Anfangs hatte man nur stille Wasseroberflächen, um sich zu spiegeln, und damit ist schon die Szene für den Mythos vom Narzissos bereit, der Angesichts seines eigenen Spiegelbildes dem Rest der Welt entrückte und in selbstvergessener Entzückung jener späteren Abteilung der Bewußtseinsindustrie, die sich Psychologie nennt, eine ihrer zwei Denkschablonen lieferte.
Lange nach den Wasserspiegelungen lernte man, geblasenes Glas platt zu walzen, zu polieren und mit einem übel giftigen Gemisch von Silber und Quecksilber zu beschichten, wodurch glänzende Spiegel mit hoher Reflexionskraft und nur wenigen Fehlstellen entstanden. Was konnte man damit nicht alles spiegeln! Feine Damen konnten sich fragen, ob sie noch die schönsten im Lande seien, und während der Pöbel sich weiterhin in Wasserpfützen spiegeln musste, konnten die Herrschaften ihre Prunksäle mit Spiegelwänden ausstatten und damit ins scheinbar Unendliche erweitern.
Auch die dunklen Seiten des Lebens leuchtete der Spiegel aus, bzw. gab sich als Detektor für Vampire und Leute, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten oder die schon längst Geister waren, indem er sie eben nicht spiegelte. Ganz logisch eigentlich, dass etwas, was nicht existiert, auch nicht im Spiegel erscheint; ganz vertrackt verschränkt wird die Geschichte erst, wenn man bedenkt, dass das, was nicht existiert, anscheinend in der Wirklichkeit sichtbar ist und erst im Virtuellen, also im Scheinbaren der Spiegelung, verschwindet.
Verwirrend ist das wie die schier endlose Reihung von Spiegelbildern in parallel gestellten Spiegeln; man stecke seine Nase einmal zwischen die aufgeklappten Türchen eines Badezimmer-Spiegelschränkchens und weiß, was ich damit meine. Früher gab es in gutbürgerlichen Ankleide- und Schlafzimmern sog. Spiegelkommoden, die mit einem großen, dreiteiligen aufklappbaren Spiegel ausgestattet waren, einer Art Hausaltar für Schönheit und gepflegtes Aussehen. Damit konnte man diesen Effekt der Mehrfachspiegelung wunderbar darstellen. Aber wo sind sie hin verschwunden, diese eitlen Möbelstücke? Im Ikea-Katalog wird man sie vergebens suchen.
Ich vermute, dass sie schlicht überflüssig geworden sind, überflüssig durch neue Techniken der Bildgebung. Anfangs durch große unhandliche Kameras, in deren Abbildern man sich zur Genüge bespiegeln konnte. Gehörte es doch damals zum Guten Ton, dass man zu offiziellen Anlässen wie Taufe, Einschulung, Hochzeit bei einem Fotografen erschien und ein gültiges Bild von sich erstellen ließ. Heute gipfelt diese Entwicklung in den sog. Selfie-Stangen der Handies, die, effektiver noch als der kleine Spiegel im Handtäschchen, zur ständigen Selbstbespiegelung bereit stehen.
Es ist ganz klar, dass von der großen Symbolkraft des Spiegels bei vielen Gelegenheiten kleine Scheiben abgeschnitten werden. Man denke nur an Namen für Zeitschriften wie der Spiegel, aber auch Medien-Titel wie Wochenspiegel, Zeitspiegel, Welt im Spiegel, Rückspiegel, Hohlspiegel. Selbst die hohe Philosophie, ja, gerade sie, vermag ohne Spiegel nicht auszukommen. So heißt eine wichtige und recht schlüssige Abteilung der Erkenntnistheorie „Widerspiegelungstheorie“, und sie beschäftigt sich mit der gewichtigen Frage, wie das Bild der Welt in den Kopf hineinkommt. Und wie es wieder herauskommt, denn wenn es dort verbliebe, erhielten wir keine Kenntnis von der Spiegelung der Wirklichkeit im und durch den Menschen. Wir erhielten nicht einmal Nachricht von der ungespiegelten Wirklichkeit selbst.
Seit wir als Kind dem Märchen mit dem wundersamen Spruch vom „Spieglein Spieglein an der Wand ...“ gelauscht haben, geht uns der Spiegel nicht mehr aus dem Kopf. Wofür muss sein Name nicht alles herhalten! Dieser glanzbeschichtete Glasscherben funktioniert im Grunde ziemlich einfach - Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel - und ist eng mit dem Echo verwandt. Trotz dieser eher schlichten Physis hat er es zu einem riesigen Bündel von symbolischen, allegorischen, mythischen und metaphorischen Bedeutungen, zu einer ausschweifenden Metaphysik gebracht.
Anfangs hatte man nur stille Wasseroberflächen, um sich zu spiegeln, und damit ist schon die Szene für den Mythos vom Narzissos bereit, der Angesichts seines eigenen Spiegelbildes dem Rest der Welt entrückte und in selbstvergessener Entzückung jener späteren Abteilung der Bewußtseinsindustrie, die sich Psychologie nennt, eine ihrer zwei Denkschablonen lieferte.
Lange nach den Wasserspiegelungen lernte man, geblasenes Glas platt zu walzen, zu polieren und mit einem übel giftigen Gemisch von Silber und Quecksilber zu beschichten, wodurch glänzende Spiegel mit hoher Reflexionskraft und nur wenigen Fehlstellen entstanden. Was konnte man damit nicht alles spiegeln! Feine Damen konnten sich fragen, ob sie noch die schönsten im Lande seien, und während der Pöbel sich weiterhin in Wasserpfützen spiegeln musste, konnten die Herrschaften ihre Prunksäle mit Spiegelwänden ausstatten und damit ins scheinbar Unendliche erweitern.
Auch die dunklen Seiten des Lebens leuchtete der Spiegel aus, bzw. gab sich als Detektor für Vampire und Leute, die ihre Seele dem Teufel verkauft hatten oder die schon längst Geister waren, indem er sie eben nicht spiegelte. Ganz logisch eigentlich, dass etwas, was nicht existiert, auch nicht im Spiegel erscheint; ganz vertrackt verschränkt wird die Geschichte erst, wenn man bedenkt, dass das, was nicht existiert, anscheinend in der Wirklichkeit sichtbar ist und erst im Virtuellen, also im Scheinbaren der Spiegelung, verschwindet.
Verwirrend ist das wie die schier endlose Reihung von Spiegelbildern in parallel gestellten Spiegeln; man stecke seine Nase einmal zwischen die aufgeklappten Türchen eines Badezimmer-Spiegelschränkchens und weiß, was ich damit meine. Früher gab es in gutbürgerlichen Ankleide- und Schlafzimmern sog. Spiegelkommoden, die mit einem großen, dreiteiligen aufklappbaren Spiegel ausgestattet waren, einer Art Hausaltar für Schönheit und gepflegtes Aussehen. Damit konnte man diesen Effekt der Mehrfachspiegelung wunderbar darstellen. Aber wo sind sie hin verschwunden, diese eitlen Möbelstücke? Im Ikea-Katalog wird man sie vergebens suchen.
Ich vermute, dass sie schlicht überflüssig geworden sind, überflüssig durch neue Techniken der Bildgebung. Anfangs durch große unhandliche Kameras, in deren Abbildern man sich zur Genüge bespiegeln konnte. Gehörte es doch damals zum Guten Ton, dass man zu offiziellen Anlässen wie Taufe, Einschulung, Hochzeit bei einem Fotografen erschien und ein gültiges Bild von sich erstellen ließ. Heute gipfelt diese Entwicklung in den sog. Selfie-Stangen der Handies, die, effektiver noch als der kleine Spiegel im Handtäschchen, zur ständigen Selbstbespiegelung bereit stehen.
Es ist ganz klar, dass von der großen Symbolkraft des Spiegels bei vielen Gelegenheiten kleine Scheiben abgeschnitten werden. Man denke nur an Namen für Zeitschriften wie der Spiegel, aber auch Medien-Titel wie Wochenspiegel, Zeitspiegel, Welt im Spiegel, Rückspiegel, Hohlspiegel. Selbst die hohe Philosophie, ja, gerade sie, vermag ohne Spiegel nicht auszukommen. So heißt eine wichtige und recht schlüssige Abteilung der Erkenntnistheorie „Widerspiegelungstheorie“, und sie beschäftigt sich mit der gewichtigen Frage, wie das Bild der Welt in den Kopf hineinkommt. Und wie es wieder herauskommt, denn wenn es dort verbliebe, erhielten wir keine Kenntnis von der Spiegelung der Wirklichkeit im und durch den Menschen. Wir erhielten nicht einmal Nachricht von der ungespiegelten Wirklichkeit selbst.