Lesmo
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Eine autobiographische Erzählung
Vorwort
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass dieses Buch weder anklagen, noch verurteilen, noch in irgendeiner Art und Weise Schuld zuweisen will. Ich bin mir durchaus bewusst, dass jeder Mensch die uneingeschränkte und immerwährende Möglichkeit besitzt, seine Lebensumstände und Inhalte, gemäß seinem freien Willen, in voller Eigenverantwortung, selbst zu bestimmen und zu gestalten.
MEINE KINDHEIT
Das erste Kindheitserlebnis an das ich mich noch erinnern kann, hatte ich im zarten Alter von 5 Jahren. Es war Silvester und ich freute mich wie ein kleines Kind auf das Feuerwerk. Ich versuchte meinen Eltern klarzumachen wie wichtig mir das war und sie versprachen mir daraufhin dass sie mich pünktlich wecken würden. Ich wurde, wie üblich um 20 Uhr ins Bett gepackt und da ich wohl der Meinung war, je öfter man ein Versprechen gibt umso wahrscheinlicher ist es auch, dass man es hält, verlangte ich meiner Mutter gleich eine ganze Stafette davon ab. Ich schlief dann einigermaßen beruhigt und mit großer Vorfreude ein. Als ich aufwachte, war es bereits hell und mir wurde ziemlich schnell klar, dass mein schönes Feuerwerk ohne mich stattgefunden hatte. Die Enttäuschung darüber war natürlich riesengroß und auch wenn ich noch ein kleiner Knirps war, so war mir dennoch klar, dass dieses Ereignis keine vertrauensbildende Maßnahme verantwortungsbewusster Eltern gegenüber ihrem Zögling war.
Genau ein Jahr später unternahm ich dann den zweiten Versuch, dieses Mal etwas schlauer, indem ich im Vorfeld schon derart nervte, dass meine Erziehungsberechtigten auf Nummer Sicher gingen und ein Nachbarehepaar zu uns in die Wohnung einluden. Wieder wurde ich um Punkt 20 Uhr ins Bett gebracht, wenn schon keine Zuverlässigkeit in meinem Erziehungsmodell Platz hatte, dann doch wenigstens so etwas wie übertriebene Ordnung, Schubladendenken, mangelnde Flexibilität, mit einem Wort, alles Dinge auf die ein junger Mensch eigentlich ganz gut verzichten kann. Ich durfte diesmal sogar im Bett meiner Eltern schlafen, denn die 6-jährige Tochter der Nachbarn wollte auch irgendwo untergebracht werden und man sah da wohl kein Risiko, obwohl wir bis dahin noch nie etwas miteinander zu tun hatten. Wir alberten erst etwas herum, bis mich das Früchtchen fragte ob ich mal ihr Pipi sehen wollte. Da ich, wie alle Kinder, sehr neugierig war und so ein Ding noch nie gesehen hatte, fiel meine Antwort natürlich positiv aus. Na gut, meinte sie, aber nur wenn du mir deins auch zeigst. Ich schluckte, ohne mir jedoch etwas anmerken zu lassen, denn ich war von jeher ein sehr schüchternes Kind, aber da die Neugierde inzwischen übermächtig geworden war, willigte ich erst mal in den Deal ein. Nachdem ich mich dann sehr interessiert bei ihr umgeschaut hatte, kam der Zeitpunkt unwillkürlich näher, wo ich mein Versprechen einlösen musste, aber irgendetwas hinderte mich daran und nachdem ich mich bis zum Anschlag gewunden hatte, nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte „ Nein, ich zeig´ s dir nicht “. Die ganze Zeit über hatte ich mir schon überlegt, wie meine kleine Bettgenossin darauf reagieren würde, dass sie vielleicht anfangen könnte lauthals zu schreien und dadurch unsere Eltern auf den Plan gerufen würden, was ich auf jeden Fall vermeiden wollte. Aber sie war eine Frau, wenn auch nur eine ganz kleine und da sollte man immer auf Überraschungen gefasst sein. Sie nahm wortlos den schweren Wecker vom Nachttisch und schleuderte ihn mir gegen den Kopf. Instinktiv fing ich lauthals an zu schreien und kaum hatte ich begriffen was geschehen war, standen auch schon unsere Eltern im Zimmer. Sofort fing die kleine Schlampe an zu brüllen „ Ich habe dem mein Pipi gezeigt und jetzt will er mir seins nicht zeigen. „ Der Nachteil eines Bettes besteht darin, dass man nicht im Erdboden versinken kann wenn man darin liegt, ich weiß wirklich nicht mehr was dann geschah, jegliche Erinnerungen an diesen Moment hat mein Gedächtnis auf immer und ewig ausgelöscht, nur die Konsequenz klingt mir noch im Ohr so als wäre es erst gestern gewesen - kein Feuerwerk !!
Nach einer derart ausgeprägten Negativerfahrung ist es extrem wichtig, möglichst schnell ein positives Erlebnis folgen zu lassen, damit die damit verbundenen Gefühle erst gar keine Möglichkeit haben sich ins Bewusstsein einzugraben. Bereits einige Tage später stand ich an der Straßenkreuzung, die in wenigen Augenblicken als Ausgangspunkt einer schier unglaublichen Performance, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Zwischen meinen Beinen das geliehene, knallrote Rixe Kinderfahrrad, vor mir die abschüssige Straße, an deren unterem Ende meine Eltern zwar noch relativ klein aber dennoch deutlich sichtbar wurden. Heute war der Tag an dem ich endlich beweisen wollte was wirklich in mir steckte, jegliche Zweifel an meinen genialen Talenten mussten zerstreut werden, hier und jetzt. Ich setzte mich auf den Sattel und trat in die Pedale, innerhalb weniger Sekunden hatte ich bereits eine beachtliche Geschwindigkeit erreicht, was nicht zuletzt mit der stark abfallenden Straße zusammenhing. Meine beiden Erzeuger waren nur noch ein paar Meter von mir entfernt, jetzt musste es passieren, ich riss den Lenker scharf nach links, bereit einen Kurvenradius zu manifestieren, der sämtliche physikalischen Gesetze außer Kraft setzte und mich befähigte auf der etwa 5 Meter breiten Straße mit knapp 30 km/h eine astreine Wende hinzulegen, um dann mit Schmackes den Berg wieder hinaufzurollen, ein ungläubig und verwundert dreinschauendes Elternpaar zurücklassend. Meine Glaube, dass dies gelingen würde war unerschütterlich, ließ allerdings auf Höhe der Straßenmitte etwas nach, um sich mit dem näher kommenden Bordstein langsam aber sicher in zärtliche Zweifel zu verwandeln, die sich dann in einem engelsgleichen Flug kopfüber in Richtung einer aus Stein gebauten Mauer zur harten Realität formten. Gottseidank war mein Vater, der dieses Spektakel aufmerksam von Anfang an beobachtet hatte, ausnahmsweise mal zur rechten Zeit am rechten Ort und fing den tieffliegenden Sohn kurz vor dessen Einschlag in die Mauer auf. Ich war zwar froh darüber, fühlte mich aber verständlicherweise wie jemand, dem etwas gründlich misslungen war. Alles in allem, so befand ich nach einer Weile, dennoch keine so schlechte Vorstellung für einen 6-jährigen, der vor einer halben Stunde zum ersten Mal die Stützräder von seinem Fahrrad montieren ließ. Außerdem machte ich meinen Vater dezent mit dem Gefühl eines heldenhaften Lebensretters vertraut, denn dieses Abenteuer hätte ich ohne seinen reaktionsschnellen und mutigen Einsatz nur mit schwerwiegenden gesundheitlichen Einbußen überstanden. Wenn überhaupt.
Meine Eltern waren dennoch zufrieden, hatte ich ihnen doch gerade den eindeutigen Beweis geliefert, ein mutiger, risikofreudiger und engagierter Charakter zu sein, jemand also, der mit allen Attributen ausgestattet ist die man braucht, um erfolgreich und zielstrebig durchs Leben zu gehen. Wie sich jedoch später herausstellte, war die ganze Aktion lediglich ein Hinweis auf eine abgrundtiefe Naivität, die mich noch jahrzehntelang verfolgen und mir für den größten Teil meines darauffolgenden Daseins heftigste Turbulenzen bescheren sollte.
Knallhart untermauert wurde dies ein paar Monate später, als ich mit einigen Spielkameraden unterwegs war. Wir hatten viel Spaß daran auf dem Hosenboden eine Böschung hinunter zu rutschen, was logischerweise dazu führte, dass meine Hose danach total versaut war. Ich war mit Abstand der Jüngste in der Runde und einer der Älteren meinte dann, dass ich mich mit diesem verdreckten Teil nicht ungestraft bei meinen Eltern blicken lassen könnte, was ich auf der Stelle einsah. Er hatte auch gleich einen Lösungsvorschlag parat, der darin bestand meine Hose in die nahegelegene Usa zu halten, einem eher kleinen und harmlosen Flüsschen, das an dieser Stelle allerdings eher einer Wildwasserstrecke glich und kaum hatte ich mein Beinkleid eingetaucht, machte es sich auch schon auf die Reise und ich konnte nur noch hilflos hinterherschauen. An dieser Stelle hatte das Schicksal jedoch ein Einsehen und befahl einem im Wasser hängenden Ast meine arme Hose auf der Stelle anzuhalten. Puuh, nochmal Glück gehabt, dank der tatkräftigen Unterstützung meiner Kameraden gelang es tatsächlich die kleine Ausreißerin an Land zu fischen und als ich sie erleichtert und glücklich wieder in den Händen hielt und sie anziehen wollte, meinte der Drahtzieher der hinterhältigen Aktion, dass man mit einer derart durchnässten Hose unmöglich rumlaufen kann, die müsste man am besten auf den Schultern nach Hause tragen, was ich auf der Stelle auch einsah und sofort in die Tat umsetzte. Die merkwürdigen Blicke derer, die mir auf meinem Nachhauseweg begegneten, verunsicherten mich zwar etwas, aber ich dachte mir, dass liegt bestimmt an meiner viel zu großen Unterhose, die von meiner Mutter in der Absicht erworben wurde, sich innerhalb der nächsten 5 Jahre sukzessive an meinen schmächtigen Körper anzupassen.
Fortsetzung folgt…….
Teil 2
Ein paar Monate später sind wir dann, gottseidank, von Bad-Nauheim nach Rüsselsheim umgezogen, dort war ich noch ein unbeschriebenes Blatt und keiner begegnete mir mit hässlichen Vorurteilen. Innerhalb der nächsten 10 Jahre haben es meine Eltern dann tatsächlich geschafft genau 7 Mal umzuziehen und das obwohl in unserem Stammbaum nachweislich weder Beduinen noch Sinti oder Roma aufgetaucht sind. Aber diese beiden Freizeit Nomaden wussten nie wirklich was sie wollten und sind wohl fälschlicher Weise davon ausgegangen, ihre innere Unzufriedenheit mit einem Wohnungswechsel positiv beeinflussen zu können. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie irgendwann gemerkt haben, dass man seine Probleme überall hin mitnimmt, oder ob sie diese tiefgreifende Erkenntnis auf ihr nächstes Leben verschoben haben. Ich selbst habe im Laufe der Jahre eine tiefgreifende Abneigung gegen Umzüge jeglicher Art entwickelt, die irgendwann chronisch wurde und sich bis zum heutigen Tag nicht wesentlich gebessert hat. Wann immer jemand in meinem Bekanntenkreis eine räumliche Veränderung plant, kann ich mich hundertprozentig darauf verlassen, rechtzeitig eine schwere Erkältung oder starke Rückenschmerzen zu bekommen.
Das kleine, sechsjährige Ullichen stand vor dem Küchentisch, auf dem seine Mutter gerade bügelte und langweilte sich. Aus dem Radio schmetterte die aufmunterte Schunkelstimme des unvergessenen Karnevalisten Ernst Neger hervor - heile heile Gänsje, es is bald widder guud, es Kätzje hat a Schwänzje, es is bald widder guud, heile heile Mausespeck in hunnerd Jahr is alles weg - Das kleine Ullichen war etwas irritiert, was meinte der lustige Mann mit seiner letzten Aussage, in hunnerd Jahr is alles weg ? Jetzt war die bügelnde Frau gefragt, die sich schon seit ich denken konnte als meine Mutter ausgegeben hatte, sich aber nicht wirklich immer so verhielt, da sie eigentlich mehr bügelte, als sich um ihren angeblichen Sohn zu kümmern. Wer so viel bügelt, der muss auch wissen, was es mit diesem schwerwiegenden Mysterium auf sich hat, dachte ich mir und richtete mit kindlich naiver Stimme und angespanntem Blick meine Frage in Richtung des hochkonzentrierten Bügelgesichtes. Die Antwort war ernüchternd und niederschmetternd zugleich, irgendwann wäre eben alles zu Ende, auch das Leben und die Menschen müssten dann die Augen schließen und für alle Ewigkeit schlafen, soweit ihr bekannt sei sogar ohne zu träumen. Bumms, das hatte gesessen, ich wusste damals noch nicht was ein Schock ist, aber dieses leere, dumpfe und aussichtslose Gefühl musste, wie mir später klar wurde, zumindest ansatzweise etwas damit zu tun haben. Ich konnte es nicht glauben, ich wollte es nicht glauben. Was diese Bügelfrau da gerade behauptet hat, ist nicht wahr, auch wenn sie noch so gut bügeln kann, aber hier irrt sie sich entschieden. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich mir dessen so sicher war, wahrscheinlich haben kleine Kinder zu diesen, sogenannten übersinnlichen Dingen noch einen viel engeren Bezug als verschachtelte Erwachsene, weil sie noch nicht so viel von dem was sie an Erinnerungen mit in dieses Leben brachten, vergessen haben. Für Kinder gibt es mehrere Realitäten, sie haben noch Zugang zu Dingen, die sich Erwachsene mit ihrem Intellekt selbst zugeschüttet haben, von daher gäbe es eine Menge von den Kleinen zu lernen, aber wer nimmt schon ein Kind ernst. Genau so ging es auch mir in dieser Situation, der Versuch meine Mutter davon zu überzeugen, dass es kein endgültiges Ende gibt, schlug gründlich fehl, sie vermittelte mir lediglich, dass Kinder von solchen Sachen nichts verstehen, legte das nächste, wie aus dem Ei gepellte Taschentuch zusammen und damit war die Sache ein für alle Mal erledigt.
Ich war in gewisser Weise schon ein sehr außergewöhnliches Kind. Irgendwann wurde ich mal gefragt, ob ich denn wisse, was ich später mal werden wolle und ich habe ohne zu zögern geantwortet : Witwe !! Ich habe bis heute keine Ahnung wer mir diesen Text eingegeben hat, aber irgendwas wird schon dahinter gesteckt haben. Wann immer meine Eltern und ich dann in Gesellschaft anderer Leute waren, haben sie mir diese Frage gestellt. Da ich nicht direkt dumm war, wusste ich natürlich sofort was von mir erwartet wurde und habe artig meinen Spruch aufgesagt. So hatten wir immer die Lacher auf unserer Seite und konnten uns als lustige Familie präsentieren. Das wir das in Wirklichkeit gar nicht waren, brauchte niemand zu wissen. Mein Vater bemühte sich zwar immer als Berliner Schnauze den Eindruck eines Witzboldes zu vermitteln, aber das war nur Fassade, in seinem tiefsten Inneren war er eher ängstlich, verunsichert und alles andere als lustig. Ich habe dieses Verhalten, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein, später teilweise übernommen und mich daran festgehalten so gut es ging. Aber irgendwann holt einen die Realität ein und dann nützt ein gerüttelt Maß an Vaterwitz auch nichts mehr. Trotzdem war ich immer sehr dankbar, dass ich, gerade in schlechten Zeiten, meinen Humor nie verloren habe.
An meinem 7. Geburtstag fand ich nach dem Aufstehen im Wohnzimmer ein paar Rollschuhe vor. Meine beiden Mitbewohner, die wohl der Meinung waren, dass man mit Erreichen des siebten Lebensjahres alt genug sei, um seinen Geburtstag alleine zu feiern, waren schon auf der Arbeit und so schnürte ich mir kurzentschlossen die Rollschuhe um und hangelte mich, in Ermangelung fehlender Fahrpraxis, an den Häuserwänden entlang, bis ich nach ca. 2 Stunden an dem Haus angekommen war, in dem ich meine Mutter ihr Tagewerk verrichtete. Nachdem ich, in Ermangelung griffiger Häuserwände, in einen großen Raum gestolpert war, sah ich sie, man glaubt es kaum, vor einer Mangel stehen. In diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass dieses geniale Multitalent nicht nur bügeln konnte wie ein Derwisch, sondern auch als begnadete Mangel-Ikone zu beeindrucken wusste. Ich war verblüfft und stolz zugleich, zumal sie auch noch auf mich zukam, mich herzte und mir alles Gute zum Geburtstag wünschte, so als gäbe es nichts selbstverständlicheres auf der Welt.
Ich kann mich an insgesamt 2 Situationen in meiner Kindheit erinnern, in denen mein Vater etwas für mich getan hat, das erste Mal als ich 8 war und er mir auf die Schnelle und ohne großen Aufwand das damals typische Kinderspielzeug armer Leute, nämlich Pfeil und Bogen bastelte. Die Pfeile waren vorne und hinten natürlich stumpf, denn wir hatten noch keine Haftpflichtversicherung. Ich war schon immer ein sehr bescheidenes und leicht zufriedenzustellendes Kind gewesen und so ging ich euphorisch und stolz auf die Straße um mein neues Spielzeug einem ersten Test zu unterziehen. Ich legte einen Pfeil in den Bogen, spannte die Schnur, zielte, wie von meinem Vater verordnet in den Himmel und gab dem Pfeil seine Freiheit. Er flog fast 20 Meter hoch, drehte dann um und sauste nach unten, direkt auf die Glatze eines älteren Mannes, der ausgerechnet in diesem Moment mit seinem Pferdefuhrwerk vorbeifuhr, als wenn es keine anderen Straßen gäbe die man benutzen könnte. Er gab seinen Gäulen den Befehl zu einer Notbremsung, kam wild fluchend auf mich zu, entriss mir den Bogen und zerbrach ihn in mehrere ungleiche Teile. Meine Enttäuschung war groß, denn außer ein bisschen Vorfreude hatte ich eigentlich nicht viel von meinem tollen Spielzeug gehabt und mein Vater weigerte sich konsequent seinem zielunsicheren Sohn noch ein zweites Mal ein derart gefährliches Spielzeug auszuhändigen.
Ein Jahr später hat er es dann tatsächlich fertiggebracht mir einen echten Drachen zu bauen, ich weiß bis heute nicht was ihn dazu veranlasst hat, aber er hat ihn gebaut. Ich suchte, von Glückshormonen überschwemmt, einen Acker auf, um zu vermeiden das glatzköpfige alte Leute auf Pferdefuhrwerken mit meinem gefährlichen Spielzeug in Berührung kamen und versuchte ihn fliegen zu lassen. Aus irgendwelchen, mir damals völlig unverständlichen Gründen, stürzte der verwunschene Ikarus aber ein ums andere Mal ab, bis das Schicksal ein Einsehen hatte und mir einen Retter in Form eines Boxers vorbeischickte, der das missratene Flugobjekt in mehrere ungleiche Teile zerbiss. Der Besitzer des einsichtigen Tieres entschuldigte sich gleich mehrmals und versprach hoch und heilig mir sofort ein Ersatzgerät zu bauen, in spätestens einer Stunde wäre er wieder zurück, um mir eine neue, hoffentlich flugtüchtigere Version auszuhändigen. Etwa 4 Stunden später war ich immer noch voller Hoffnung, dass der gute Mann jeden Moment auftauchen müsste, denn er hatte es ja versprochen, aber meine beiden Feldwebel zu Hause rechneten jeden Augenblick mit meinem Eintreffen in der Kaserne und so machte ich mich auf den Weg. Mein Vater war froh, dass es dieses Mal wenigstens keine Verletzten gab und versicherte mir, dass er nie wieder etwas für mich basteln würde. Am nächsten Tag ging ich sofort nach der Schule wieder auf den Acker, ich war immer noch optimistisch, aber irgendwann begann ich dann doch einzusehen, dass es wohl keinen Sinn mehr hat noch länger zu warten und ging nach Hause, um mich dort zur Strafe für meine Gutgläubigkeit noch ein paar Stunden zu langweilen, bevor ich mich dann erschöpft aber unglücklich in mein Bett fallen lassen durfte.
Fortsetzung folgt……
Vorwort
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass dieses Buch weder anklagen, noch verurteilen, noch in irgendeiner Art und Weise Schuld zuweisen will. Ich bin mir durchaus bewusst, dass jeder Mensch die uneingeschränkte und immerwährende Möglichkeit besitzt, seine Lebensumstände und Inhalte, gemäß seinem freien Willen, in voller Eigenverantwortung, selbst zu bestimmen und zu gestalten.
MEINE KINDHEIT
Das erste Kindheitserlebnis an das ich mich noch erinnern kann, hatte ich im zarten Alter von 5 Jahren. Es war Silvester und ich freute mich wie ein kleines Kind auf das Feuerwerk. Ich versuchte meinen Eltern klarzumachen wie wichtig mir das war und sie versprachen mir daraufhin dass sie mich pünktlich wecken würden. Ich wurde, wie üblich um 20 Uhr ins Bett gepackt und da ich wohl der Meinung war, je öfter man ein Versprechen gibt umso wahrscheinlicher ist es auch, dass man es hält, verlangte ich meiner Mutter gleich eine ganze Stafette davon ab. Ich schlief dann einigermaßen beruhigt und mit großer Vorfreude ein. Als ich aufwachte, war es bereits hell und mir wurde ziemlich schnell klar, dass mein schönes Feuerwerk ohne mich stattgefunden hatte. Die Enttäuschung darüber war natürlich riesengroß und auch wenn ich noch ein kleiner Knirps war, so war mir dennoch klar, dass dieses Ereignis keine vertrauensbildende Maßnahme verantwortungsbewusster Eltern gegenüber ihrem Zögling war.
Genau ein Jahr später unternahm ich dann den zweiten Versuch, dieses Mal etwas schlauer, indem ich im Vorfeld schon derart nervte, dass meine Erziehungsberechtigten auf Nummer Sicher gingen und ein Nachbarehepaar zu uns in die Wohnung einluden. Wieder wurde ich um Punkt 20 Uhr ins Bett gebracht, wenn schon keine Zuverlässigkeit in meinem Erziehungsmodell Platz hatte, dann doch wenigstens so etwas wie übertriebene Ordnung, Schubladendenken, mangelnde Flexibilität, mit einem Wort, alles Dinge auf die ein junger Mensch eigentlich ganz gut verzichten kann. Ich durfte diesmal sogar im Bett meiner Eltern schlafen, denn die 6-jährige Tochter der Nachbarn wollte auch irgendwo untergebracht werden und man sah da wohl kein Risiko, obwohl wir bis dahin noch nie etwas miteinander zu tun hatten. Wir alberten erst etwas herum, bis mich das Früchtchen fragte ob ich mal ihr Pipi sehen wollte. Da ich, wie alle Kinder, sehr neugierig war und so ein Ding noch nie gesehen hatte, fiel meine Antwort natürlich positiv aus. Na gut, meinte sie, aber nur wenn du mir deins auch zeigst. Ich schluckte, ohne mir jedoch etwas anmerken zu lassen, denn ich war von jeher ein sehr schüchternes Kind, aber da die Neugierde inzwischen übermächtig geworden war, willigte ich erst mal in den Deal ein. Nachdem ich mich dann sehr interessiert bei ihr umgeschaut hatte, kam der Zeitpunkt unwillkürlich näher, wo ich mein Versprechen einlösen musste, aber irgendetwas hinderte mich daran und nachdem ich mich bis zum Anschlag gewunden hatte, nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte „ Nein, ich zeig´ s dir nicht “. Die ganze Zeit über hatte ich mir schon überlegt, wie meine kleine Bettgenossin darauf reagieren würde, dass sie vielleicht anfangen könnte lauthals zu schreien und dadurch unsere Eltern auf den Plan gerufen würden, was ich auf jeden Fall vermeiden wollte. Aber sie war eine Frau, wenn auch nur eine ganz kleine und da sollte man immer auf Überraschungen gefasst sein. Sie nahm wortlos den schweren Wecker vom Nachttisch und schleuderte ihn mir gegen den Kopf. Instinktiv fing ich lauthals an zu schreien und kaum hatte ich begriffen was geschehen war, standen auch schon unsere Eltern im Zimmer. Sofort fing die kleine Schlampe an zu brüllen „ Ich habe dem mein Pipi gezeigt und jetzt will er mir seins nicht zeigen. „ Der Nachteil eines Bettes besteht darin, dass man nicht im Erdboden versinken kann wenn man darin liegt, ich weiß wirklich nicht mehr was dann geschah, jegliche Erinnerungen an diesen Moment hat mein Gedächtnis auf immer und ewig ausgelöscht, nur die Konsequenz klingt mir noch im Ohr so als wäre es erst gestern gewesen - kein Feuerwerk !!
Nach einer derart ausgeprägten Negativerfahrung ist es extrem wichtig, möglichst schnell ein positives Erlebnis folgen zu lassen, damit die damit verbundenen Gefühle erst gar keine Möglichkeit haben sich ins Bewusstsein einzugraben. Bereits einige Tage später stand ich an der Straßenkreuzung, die in wenigen Augenblicken als Ausgangspunkt einer schier unglaublichen Performance, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Zwischen meinen Beinen das geliehene, knallrote Rixe Kinderfahrrad, vor mir die abschüssige Straße, an deren unterem Ende meine Eltern zwar noch relativ klein aber dennoch deutlich sichtbar wurden. Heute war der Tag an dem ich endlich beweisen wollte was wirklich in mir steckte, jegliche Zweifel an meinen genialen Talenten mussten zerstreut werden, hier und jetzt. Ich setzte mich auf den Sattel und trat in die Pedale, innerhalb weniger Sekunden hatte ich bereits eine beachtliche Geschwindigkeit erreicht, was nicht zuletzt mit der stark abfallenden Straße zusammenhing. Meine beiden Erzeuger waren nur noch ein paar Meter von mir entfernt, jetzt musste es passieren, ich riss den Lenker scharf nach links, bereit einen Kurvenradius zu manifestieren, der sämtliche physikalischen Gesetze außer Kraft setzte und mich befähigte auf der etwa 5 Meter breiten Straße mit knapp 30 km/h eine astreine Wende hinzulegen, um dann mit Schmackes den Berg wieder hinaufzurollen, ein ungläubig und verwundert dreinschauendes Elternpaar zurücklassend. Meine Glaube, dass dies gelingen würde war unerschütterlich, ließ allerdings auf Höhe der Straßenmitte etwas nach, um sich mit dem näher kommenden Bordstein langsam aber sicher in zärtliche Zweifel zu verwandeln, die sich dann in einem engelsgleichen Flug kopfüber in Richtung einer aus Stein gebauten Mauer zur harten Realität formten. Gottseidank war mein Vater, der dieses Spektakel aufmerksam von Anfang an beobachtet hatte, ausnahmsweise mal zur rechten Zeit am rechten Ort und fing den tieffliegenden Sohn kurz vor dessen Einschlag in die Mauer auf. Ich war zwar froh darüber, fühlte mich aber verständlicherweise wie jemand, dem etwas gründlich misslungen war. Alles in allem, so befand ich nach einer Weile, dennoch keine so schlechte Vorstellung für einen 6-jährigen, der vor einer halben Stunde zum ersten Mal die Stützräder von seinem Fahrrad montieren ließ. Außerdem machte ich meinen Vater dezent mit dem Gefühl eines heldenhaften Lebensretters vertraut, denn dieses Abenteuer hätte ich ohne seinen reaktionsschnellen und mutigen Einsatz nur mit schwerwiegenden gesundheitlichen Einbußen überstanden. Wenn überhaupt.
Meine Eltern waren dennoch zufrieden, hatte ich ihnen doch gerade den eindeutigen Beweis geliefert, ein mutiger, risikofreudiger und engagierter Charakter zu sein, jemand also, der mit allen Attributen ausgestattet ist die man braucht, um erfolgreich und zielstrebig durchs Leben zu gehen. Wie sich jedoch später herausstellte, war die ganze Aktion lediglich ein Hinweis auf eine abgrundtiefe Naivität, die mich noch jahrzehntelang verfolgen und mir für den größten Teil meines darauffolgenden Daseins heftigste Turbulenzen bescheren sollte.
Knallhart untermauert wurde dies ein paar Monate später, als ich mit einigen Spielkameraden unterwegs war. Wir hatten viel Spaß daran auf dem Hosenboden eine Böschung hinunter zu rutschen, was logischerweise dazu führte, dass meine Hose danach total versaut war. Ich war mit Abstand der Jüngste in der Runde und einer der Älteren meinte dann, dass ich mich mit diesem verdreckten Teil nicht ungestraft bei meinen Eltern blicken lassen könnte, was ich auf der Stelle einsah. Er hatte auch gleich einen Lösungsvorschlag parat, der darin bestand meine Hose in die nahegelegene Usa zu halten, einem eher kleinen und harmlosen Flüsschen, das an dieser Stelle allerdings eher einer Wildwasserstrecke glich und kaum hatte ich mein Beinkleid eingetaucht, machte es sich auch schon auf die Reise und ich konnte nur noch hilflos hinterherschauen. An dieser Stelle hatte das Schicksal jedoch ein Einsehen und befahl einem im Wasser hängenden Ast meine arme Hose auf der Stelle anzuhalten. Puuh, nochmal Glück gehabt, dank der tatkräftigen Unterstützung meiner Kameraden gelang es tatsächlich die kleine Ausreißerin an Land zu fischen und als ich sie erleichtert und glücklich wieder in den Händen hielt und sie anziehen wollte, meinte der Drahtzieher der hinterhältigen Aktion, dass man mit einer derart durchnässten Hose unmöglich rumlaufen kann, die müsste man am besten auf den Schultern nach Hause tragen, was ich auf der Stelle auch einsah und sofort in die Tat umsetzte. Die merkwürdigen Blicke derer, die mir auf meinem Nachhauseweg begegneten, verunsicherten mich zwar etwas, aber ich dachte mir, dass liegt bestimmt an meiner viel zu großen Unterhose, die von meiner Mutter in der Absicht erworben wurde, sich innerhalb der nächsten 5 Jahre sukzessive an meinen schmächtigen Körper anzupassen.
Fortsetzung folgt…….
Teil 2
Ein paar Monate später sind wir dann, gottseidank, von Bad-Nauheim nach Rüsselsheim umgezogen, dort war ich noch ein unbeschriebenes Blatt und keiner begegnete mir mit hässlichen Vorurteilen. Innerhalb der nächsten 10 Jahre haben es meine Eltern dann tatsächlich geschafft genau 7 Mal umzuziehen und das obwohl in unserem Stammbaum nachweislich weder Beduinen noch Sinti oder Roma aufgetaucht sind. Aber diese beiden Freizeit Nomaden wussten nie wirklich was sie wollten und sind wohl fälschlicher Weise davon ausgegangen, ihre innere Unzufriedenheit mit einem Wohnungswechsel positiv beeinflussen zu können. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie irgendwann gemerkt haben, dass man seine Probleme überall hin mitnimmt, oder ob sie diese tiefgreifende Erkenntnis auf ihr nächstes Leben verschoben haben. Ich selbst habe im Laufe der Jahre eine tiefgreifende Abneigung gegen Umzüge jeglicher Art entwickelt, die irgendwann chronisch wurde und sich bis zum heutigen Tag nicht wesentlich gebessert hat. Wann immer jemand in meinem Bekanntenkreis eine räumliche Veränderung plant, kann ich mich hundertprozentig darauf verlassen, rechtzeitig eine schwere Erkältung oder starke Rückenschmerzen zu bekommen.
Das kleine, sechsjährige Ullichen stand vor dem Küchentisch, auf dem seine Mutter gerade bügelte und langweilte sich. Aus dem Radio schmetterte die aufmunterte Schunkelstimme des unvergessenen Karnevalisten Ernst Neger hervor - heile heile Gänsje, es is bald widder guud, es Kätzje hat a Schwänzje, es is bald widder guud, heile heile Mausespeck in hunnerd Jahr is alles weg - Das kleine Ullichen war etwas irritiert, was meinte der lustige Mann mit seiner letzten Aussage, in hunnerd Jahr is alles weg ? Jetzt war die bügelnde Frau gefragt, die sich schon seit ich denken konnte als meine Mutter ausgegeben hatte, sich aber nicht wirklich immer so verhielt, da sie eigentlich mehr bügelte, als sich um ihren angeblichen Sohn zu kümmern. Wer so viel bügelt, der muss auch wissen, was es mit diesem schwerwiegenden Mysterium auf sich hat, dachte ich mir und richtete mit kindlich naiver Stimme und angespanntem Blick meine Frage in Richtung des hochkonzentrierten Bügelgesichtes. Die Antwort war ernüchternd und niederschmetternd zugleich, irgendwann wäre eben alles zu Ende, auch das Leben und die Menschen müssten dann die Augen schließen und für alle Ewigkeit schlafen, soweit ihr bekannt sei sogar ohne zu träumen. Bumms, das hatte gesessen, ich wusste damals noch nicht was ein Schock ist, aber dieses leere, dumpfe und aussichtslose Gefühl musste, wie mir später klar wurde, zumindest ansatzweise etwas damit zu tun haben. Ich konnte es nicht glauben, ich wollte es nicht glauben. Was diese Bügelfrau da gerade behauptet hat, ist nicht wahr, auch wenn sie noch so gut bügeln kann, aber hier irrt sie sich entschieden. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich mir dessen so sicher war, wahrscheinlich haben kleine Kinder zu diesen, sogenannten übersinnlichen Dingen noch einen viel engeren Bezug als verschachtelte Erwachsene, weil sie noch nicht so viel von dem was sie an Erinnerungen mit in dieses Leben brachten, vergessen haben. Für Kinder gibt es mehrere Realitäten, sie haben noch Zugang zu Dingen, die sich Erwachsene mit ihrem Intellekt selbst zugeschüttet haben, von daher gäbe es eine Menge von den Kleinen zu lernen, aber wer nimmt schon ein Kind ernst. Genau so ging es auch mir in dieser Situation, der Versuch meine Mutter davon zu überzeugen, dass es kein endgültiges Ende gibt, schlug gründlich fehl, sie vermittelte mir lediglich, dass Kinder von solchen Sachen nichts verstehen, legte das nächste, wie aus dem Ei gepellte Taschentuch zusammen und damit war die Sache ein für alle Mal erledigt.
Ich war in gewisser Weise schon ein sehr außergewöhnliches Kind. Irgendwann wurde ich mal gefragt, ob ich denn wisse, was ich später mal werden wolle und ich habe ohne zu zögern geantwortet : Witwe !! Ich habe bis heute keine Ahnung wer mir diesen Text eingegeben hat, aber irgendwas wird schon dahinter gesteckt haben. Wann immer meine Eltern und ich dann in Gesellschaft anderer Leute waren, haben sie mir diese Frage gestellt. Da ich nicht direkt dumm war, wusste ich natürlich sofort was von mir erwartet wurde und habe artig meinen Spruch aufgesagt. So hatten wir immer die Lacher auf unserer Seite und konnten uns als lustige Familie präsentieren. Das wir das in Wirklichkeit gar nicht waren, brauchte niemand zu wissen. Mein Vater bemühte sich zwar immer als Berliner Schnauze den Eindruck eines Witzboldes zu vermitteln, aber das war nur Fassade, in seinem tiefsten Inneren war er eher ängstlich, verunsichert und alles andere als lustig. Ich habe dieses Verhalten, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein, später teilweise übernommen und mich daran festgehalten so gut es ging. Aber irgendwann holt einen die Realität ein und dann nützt ein gerüttelt Maß an Vaterwitz auch nichts mehr. Trotzdem war ich immer sehr dankbar, dass ich, gerade in schlechten Zeiten, meinen Humor nie verloren habe.
An meinem 7. Geburtstag fand ich nach dem Aufstehen im Wohnzimmer ein paar Rollschuhe vor. Meine beiden Mitbewohner, die wohl der Meinung waren, dass man mit Erreichen des siebten Lebensjahres alt genug sei, um seinen Geburtstag alleine zu feiern, waren schon auf der Arbeit und so schnürte ich mir kurzentschlossen die Rollschuhe um und hangelte mich, in Ermangelung fehlender Fahrpraxis, an den Häuserwänden entlang, bis ich nach ca. 2 Stunden an dem Haus angekommen war, in dem ich meine Mutter ihr Tagewerk verrichtete. Nachdem ich, in Ermangelung griffiger Häuserwände, in einen großen Raum gestolpert war, sah ich sie, man glaubt es kaum, vor einer Mangel stehen. In diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass dieses geniale Multitalent nicht nur bügeln konnte wie ein Derwisch, sondern auch als begnadete Mangel-Ikone zu beeindrucken wusste. Ich war verblüfft und stolz zugleich, zumal sie auch noch auf mich zukam, mich herzte und mir alles Gute zum Geburtstag wünschte, so als gäbe es nichts selbstverständlicheres auf der Welt.
Ich kann mich an insgesamt 2 Situationen in meiner Kindheit erinnern, in denen mein Vater etwas für mich getan hat, das erste Mal als ich 8 war und er mir auf die Schnelle und ohne großen Aufwand das damals typische Kinderspielzeug armer Leute, nämlich Pfeil und Bogen bastelte. Die Pfeile waren vorne und hinten natürlich stumpf, denn wir hatten noch keine Haftpflichtversicherung. Ich war schon immer ein sehr bescheidenes und leicht zufriedenzustellendes Kind gewesen und so ging ich euphorisch und stolz auf die Straße um mein neues Spielzeug einem ersten Test zu unterziehen. Ich legte einen Pfeil in den Bogen, spannte die Schnur, zielte, wie von meinem Vater verordnet in den Himmel und gab dem Pfeil seine Freiheit. Er flog fast 20 Meter hoch, drehte dann um und sauste nach unten, direkt auf die Glatze eines älteren Mannes, der ausgerechnet in diesem Moment mit seinem Pferdefuhrwerk vorbeifuhr, als wenn es keine anderen Straßen gäbe die man benutzen könnte. Er gab seinen Gäulen den Befehl zu einer Notbremsung, kam wild fluchend auf mich zu, entriss mir den Bogen und zerbrach ihn in mehrere ungleiche Teile. Meine Enttäuschung war groß, denn außer ein bisschen Vorfreude hatte ich eigentlich nicht viel von meinem tollen Spielzeug gehabt und mein Vater weigerte sich konsequent seinem zielunsicheren Sohn noch ein zweites Mal ein derart gefährliches Spielzeug auszuhändigen.
Ein Jahr später hat er es dann tatsächlich fertiggebracht mir einen echten Drachen zu bauen, ich weiß bis heute nicht was ihn dazu veranlasst hat, aber er hat ihn gebaut. Ich suchte, von Glückshormonen überschwemmt, einen Acker auf, um zu vermeiden das glatzköpfige alte Leute auf Pferdefuhrwerken mit meinem gefährlichen Spielzeug in Berührung kamen und versuchte ihn fliegen zu lassen. Aus irgendwelchen, mir damals völlig unverständlichen Gründen, stürzte der verwunschene Ikarus aber ein ums andere Mal ab, bis das Schicksal ein Einsehen hatte und mir einen Retter in Form eines Boxers vorbeischickte, der das missratene Flugobjekt in mehrere ungleiche Teile zerbiss. Der Besitzer des einsichtigen Tieres entschuldigte sich gleich mehrmals und versprach hoch und heilig mir sofort ein Ersatzgerät zu bauen, in spätestens einer Stunde wäre er wieder zurück, um mir eine neue, hoffentlich flugtüchtigere Version auszuhändigen. Etwa 4 Stunden später war ich immer noch voller Hoffnung, dass der gute Mann jeden Moment auftauchen müsste, denn er hatte es ja versprochen, aber meine beiden Feldwebel zu Hause rechneten jeden Augenblick mit meinem Eintreffen in der Kaserne und so machte ich mich auf den Weg. Mein Vater war froh, dass es dieses Mal wenigstens keine Verletzten gab und versicherte mir, dass er nie wieder etwas für mich basteln würde. Am nächsten Tag ging ich sofort nach der Schule wieder auf den Acker, ich war immer noch optimistisch, aber irgendwann begann ich dann doch einzusehen, dass es wohl keinen Sinn mehr hat noch länger zu warten und ging nach Hause, um mich dort zur Strafe für meine Gutgläubigkeit noch ein paar Stunden zu langweilen, bevor ich mich dann erschöpft aber unglücklich in mein Bett fallen lassen durfte.
Fortsetzung folgt……
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