Spinne

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Im Schoß sitzt die Spinne
Ja wo du Gesichter vermutest und wolltest sie sitzen zu sehen
___________________________________________________________die Blicke
Im Schoß sitzt die Spinne
Die Glieder umsponnen weiß nur man zu wählen das Gift seiner Sinne
___________________________________________________________und Sonnen
Im Schoß sitzt die Spinne
Da lebt noch der Unterste in dir der sieht durch die gläsernen Fäden
___________________________________________________________und Spulen
Im Schoß sitzt die Spinne
Du legst ihr das Nest ihrer Bisse die hissen die Segel der Pest und
___________________________________________________________der Nägel
Im Schoß sitzt die Spinne
Dich will sie nicht täuschen sie weiß sich durchschaut von der Iris im Rücken
___________________________________________________________von vorne
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Aufbau ist interessant.

Ja, wo du Gesichter vermutest und wolltest. Sie sitzen zu sehen
Ja, wo du Gesichter vermutest. Und wolltest sie sitzen. Zu sehen die Blicke.
Ja, wo du Gesichter vermutest und wolltest sie sitzen. Zu sehen. Die Blicke.

Nur ein paar Variationsmöglichkeiten. Zum Inhalt: wer vermutet Gesichter in seinem Schoß?
Er bekommt eine Spinne, wer oder was ist die Spinne? Und hier wird’s witzig denn man kann:

Die Glieder umsponnen weiß. Nur man: zu wählen das Gift seiner Sinne

Aus der nächsten Zeile lesen. Dann wird die Spinne mit „man“ gleichgesetzt.
Und „man“ ist man selber. Das ist aber wieder nur eine Lesart. Eine Möglichkeit.

Allerdings:
"Da noch der Unterste in dir", legt so eine Deutung ja sogar nahe. Es heißt ja sicher bewusst „in dir“ und nicht „auf dir“

"Dich will sie nicht täuschen." Welche Absicht die Spinne, oder man selbst, oder der Heuchler, oder die enttäuschte Erwartung, ach, sie kann ja beinah für alles stehen auch hat, hier:

„Von vorne“

Beginnt alles von Neuem.

Die Blicke
Und Sonnen
Und Spulen
Und Nägel
Von vorne

Hier übrigens 8 Worte, Augenpaare, bis es von vorne losgeht.

Ist auch ein eigenes Gedicht, locker weiter kombinierbar.

Zu sehen die Blicke
Seiner Sinne und Sonnen
Die gläsernen Fäden und Spulen
Der Pest und der Nägel
Von der Iris im Rücken
Von vorne
Usw.

Was übrigens noch im Schoß an Gesichtern vermutet werden könnte?

Die Blicke im Schoß
Und Sonnen im Schoß
Und Spulen im Schoß
Nägel im Schoß

Locker kombiniere Fäden sind das, denen man, wie den Spinnennetzweben folgen kann, ohne je anzukommen.

Richtig gut. Mein Lieblingsgedicht von dir bisher.
 
Ach, es macht mich sehr froh, dass dir das Gedicht gefällt. Die Variation mit:

Die Blicke
Und Spulen
Und Sonnen
Und Nägel
Von vorne

Gefällt mir von deinem Herausgepflücktem am besten.
Und überhaupt, es fühlt sich gut an, gedeutet zu werden!
Aber Patrick, ich bin mir nicht sicher, das ist nur eine Vermutung, kann es sein dass du das auf dem Handy gelesen hast und dieses senkrecht haltend? Denn da sehe ich gerade, das meine Form verloren geht...
Vielleicht war gerade deshalb die nicht intendierte Form interessant. Dann ist meine eigentliche vielleicht doch langweilig. Aiaiai

Vielen Dank jedenfalls für die ausführliche Auslegung!
 

revilo

Mitglied
Sorry , aber das ist einfach nur langweilig .. und die Wiederholung macht es auch nicht besser ... lg revilo
 

rainer Genuss

Mitglied
Hallo Eis
wirkt auf mich zu abstrakt, mit losen Wortverbindungen únd Wiederholungen.
Ich persönlich konnte zu deinem Werk keine Verbindung finden.
Freundliche Grüße
 
Vielen Dank auch für deine Einschätzung, Rainer.
Ich denke, dass gerade die Literatur und die Lyrik in Sachen Abstraktion einiges nachzuholen haben, da sind Einzelne wie Jandl, aber die Dichtung scheint mir etwas im Inhalt zu verkommen. Tiefe und entschlüsselbare Bedeutung sind ja keine kunstimmanenten Kriterien, keineswegs, man könnte sogar beinahe sagen: das allein ist schon lange passé und langweilig. Na, und die ewigen Themen der Melancholie, der Liebe, der Erotik, etc... ist es denn Kunst, diese zum hunderttausendsten Male wieder mit ungereimt oder gereimt zu gestalten? Will man sich nicht vielmehr instinktiv davon abwenden? Ich will nicht, dass die Lyrik wie die klassische Komposition zu 95% Stilkopien des 18. und 19. und teilweise 20. JH verkommt. Natürlich, die Nachfrage des Experimentellen ist so dürr wie der Ringfingerknochen eines Pianisten, mich deshalb zu einem bloßen Gestalter zu machen, bringe ich aber nicht über mich, dazu ist mir die Kunst selbst zu bedeutend. Wer weiß, vielleicht aus Schwäche.
Na, jedenfalls: ich denke, Abstraktion ist der falsche Vorwurf für die experimentelle Rubrik, danke aber dennoch für deine Zeit.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Frage, die du stellst ist ja schon berechtigt. Es müsste dann aber auch die Frage gestellt werden, ob die experimentelle Poesie tatsächlich noch Neues zu vermitteln hat. Ich liebe sie, keine Frage, schreibe aber kaum mehr abstrakt, experimentell, konkret, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass sich diese Art von Poesie eigentlich immer um dieselben Gedanken dreht.

Tatsächlich ist das Experimentelle überhaupt nicht mehr experimentell: zusammenfügungen von Sinneinheiten. Figuren, die den Inhalt unterstützen, oder verneinen. Die Frage wann ein Autor wirklich Autor eines Gedichtes ist. Wann Kunst beginnt und wo sie endet. Ob alles Kunst ist. Ob Texte entindividualisiert werden können. Das Spiel mit verschiedenen Sprachen. Die reine Form, die über den Inhalt siegt, weil man nicht die alten Inhalte wiederholen will. Die visuellen Aspekte eines Textes usw. ... es ist alles hundert mal schon wiederholt worden.

Deswegen habe ich ein paar Jahre Experimente geschrieben, in denen ich solche Fragen stellen wollte und wurde immer enttäuscht - es war alles schon da.


Was hingegen neu ist, ist das, was du über dich als Person und deine Erfahrungen sagen kannst. Das kann nämlich niemand anderes für dich tun.

Warum sage ich dir das? Weil ich glaube, das auch bei dir sich irgendwann die Erkenntnis einstellen wird, das dass Abstrakte und Experimentelle die dauernde Wiederholungen von 7-8 Konzepten ist und das alles Experimentelle in seinen Darstellungsmöglichkeiten so beschränkt ist, dass du ab einem gewissen Punkt auch nur noch wiederholen kannst.

Wie gesagt, ich liebe sie noch immer, die Abstraktion, das Experiment, die Konkrete Poesie, aber den Anspruch neu zu sein, haben sie alle schon vor gut drei Jahrzehnten verloren. Das bemerkt man aber meistens erst, wenn man länger schreibt und viel in die Richtung liest.


Trotzalledem ist das ein hervorragendes Gedicht! Auch wenn es nicht jedem gefallen mag, muss man zugeben, dass es überdurschnittlich gut gemacht ist.


L.G
Patrick
 
Hey Patrick,
Ich weiß nicht, diese Klage höre ich nicht zum ersten Mal. Ich glaube niemand hört diese Klage zum ersten Mal, es ist eben die, die jede Epoche irgendwann zu erheben gezwungen ist; was nun?
Aber eine Erkenntnis würde ich das nicht nennen; die unfruchtbare Erkenntnis, höchstens. Von hier an ist alles schon getan, das ist das Begräbnis der Kunst. Schönberg - und nun? Die Frage selbst schläft schon bevor sie gesprochen wurde. Weshalb ich dort auch keine Frage sehe, sondern nur die ungeduldigen Augen und die gebundenen Hände, die, wie ich, nicht stillsitzen können, der große Wandel ist aber so langsam im Gehen.
Erfahrungen, Persönliches verdichtet zu publizieren finde ich nicht neu, das ist viel mehr eigen, rutscht schnell in bloße Idiosynkrasie, und du weißt, dass das kein Angriff gegen dich ist, denn die Ferne, die in deinen Werken leise summt, pflegst du gut und sie gefallen mir sehr. Aber neu ist es nicht.
Warum es in der Poesie so chancenlos scheint, noch "neues zu finden", liegt, denke ich, an dem dämlich groben Begriff "eperimentell", der schlicht zu allgemein ist. Herrgott, wie viele Begriffe führt die bildende Kunst? Man gliedert doch nicht umsonst epochal. Kunst kann feiner werden. Und ebenso selbstverständlich ist, dass Avantgarde längst kein Neuheit mehr ist. Na, darum geht es mir ja auch nicht, im Moment lerne ich.
Ich finde das klingt sehr nach Resignation und auch deine Aufzählungen scheinen mir nur einen winzigen Teil des Möglichen zu umfassen. Im Übrigen kann man alles hinababstrahieren, dann bleibt, wie immer, entweder nichts oder alles am Schluss davon über, so über die Dinge zu sprechen, kommt ihnen nicht nahe.
Ich habe da sogar ein paar Ideen, was kümmert es mich, wer das schon alles auch gedacht hat! Und wenn ich die kleinste, feinste, lächerlichste Nuance neu ins Leben rufe! Ich kann nicht anders, als das zu wollen! - aus Schwäche, das sagte ich bereits.
Jeder Schaffende muss zunächst durch die sieben Walzen der Technik, so lehrt es am besten die Musik - so wird es mir auch in der Poesie ergehen. Und ich würde mir niemals selbst anmaßen, dass das, was ich schreibe, bereits Kunst ist; daran ist nichts reif, vieles Ungeduld und ADS-Impuls-Blabla - ich sehe einen abgeschlossenen Text aber mehr als Asche für neues, nie will ich auf einem verharren, Stillsitzen überhaupt ist mir, wie gesagt, fremd.
Ach Patrick, vielmehr hoffe ich nach diesem Text dass du den Kampf wieder aufnimmst, ohne Versagen und Scheitern und Zweifeln und für sinnlos erklären kann doch gar nichts zustande kommen, das weißt du gewiss selbst am besten.
Also, wohlan, keine Begräbnisse und keine Vergreisung, wer früher stirbt ist kürzer krank? Nein nein nein und zehnmal nein!
Ah, ich hoffe jetzt habe ich dich nicht verärgert.
Und dass du das nicht persönlich nimmst.
-Jakob
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo Eis Ohne Vergangenheit,

ich muss sagen, dass es mir schwer fällt, einen Zugang zu deinem Gedicht zu finden. gleichsam es sprachlich interessante Wendungen enthält (durchschaut von der Iris im Rücken). Auch der Rhythmus deiner Verse gefällt mir, an den Stellen, wo zwei betonte Silben aufeinander treffen, erinnert es mich sogar an die Melodie von Celans Todesfuge.

Beeindruckend ist zudem, mit welcher Inbrunst du den Drang nach dem Neuen in der Kunst zu einem derart wichtigen Prinzip erhebst. In der Kulturgeschichte des Abendlandes ist die Idee des Neuen mit Sicherheit einer der Evergreens im Diskurs um die Art des künstlerischen Ausdrucks. Und die Avantgarde war wohl immer dann besonders im Kommen, wenn es hieß, gesellschaftlich festgefahrene Muster zu sprengen und Gegenwelten zu entwerfen, die in der Lage sein sollten, große Veränderungen anzukündigen und auch mit zu gestalten.

Ich persönlich halte dies für sehr wichtig, aber meiner Ansicht nach gibt es einen großen Unterschied zwischen einem derart motivierten Veränderungsstreben und der Idee, das Neue zum Prinzip der Kunst zu erheben. Denn wenn die Originalität des künstlerischen Ausdrucks vor allem daran gemessen wird, ob er die Qualität der Neuheit besitzt, geht meiner Meinung nach viel mehr verloren, als letztlich gewonnen wird. Erstens, weil es aus philosophischer Sicht gar nicht funktionieren kann, Neues ohne einen Bezug auf das Alte zu erschaffen und zweitens, weil man mit der Herausstellung des Neuen als Qualitätsmerkmal tatsächlich der neoliberalen Denkstruktur auf dem Leim geht und sich letztlich im leeren Raum verläuft. Dies ist allerdings ein riesiges Thema (für eine Diskussion darüber bin ich trotzdem zu haben), falls sich jemand dafür interessiert, empfehle ich das Buch des Soziologen Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität.

Herzliche Grüße
Frodomir
 
Hallo Frodomir,
Erst einmal danke ich auch dir für den Kommentar zu meinem Gedicht!
Vielleicht ist es wirklich zu kryptisch, ich habe den Inhalt natürlich nicht vollkommen außer Acht gelassen, wenn man davon so gar nichts aufnehmen kann, muss ich versagt haben.

Nun zu dem anderen:
Manche Einwände kann ich nicht ganz nachvollziehen, zum einen das: "den Drang nach dem Neuen zu einem derart wichtigen Prinzip erhebst" - mache ich das denn? Ich denke, ich würde alles, was sich als kunstimmanentes Kriterium vorstellt, instinktiv verneinen. Mir geht es viel mehr um den Wandel in der Kunst, nicht um den großen epochalen Mittelfinger und die alles vernichtende Walze, sondern um die Bewegung, damit sie sich nicht nur um die eigene Achse dreht. Und dazu noch: Aus einer persönlichen Schwäche, das meine ich auch so.
Das heißt vielmehr mit egoistischen Motiven, als...ja, als was?

Dann noch hierzu: Dass etwas ohne Vergleich und Gegensatz nicht existieren kann (Das Neue nie ohne das Alte), das spreche ich doch sogar selbst an, indem ich sage, "ich begnüge mich sogar eine Weile mit der Verfeinerung und dem Nuancenentwurf, für's erste". Wer weiß wohin danach! Aber Detail, Nuance, dafür muss ja schon etwas dort sein, worin noch nicht alle Winkel ausgekehrt und leergefegt sind. Kunstgeschichte, das ist ein Staffellauf, ganz recht; und ich will doch nur nicht, dass da plötzlich einer stehen bleibt und sagt: "Von hier an gibt es nirgendwo mehr, wohin ich, wohin man noch den Stab hintragen könnte.".

Zusammenfassend: Ich stelle meinen Gedanken vielleicht zu sehr selbst ein Bein, indem ich sage: "Ich kann nicht anders, als Bewegung zu wollen!", das ist natürlich ein abstrakter Satz und mehr Bild als Gedanke, aber vielleicht kann ich es nur so, manchmal verbiete ich mir das Bewusstsein absichtlich.
Wenn ich schreibe, zum Beispiel, ob kompositorisch (ist das geeitelt?), ob poetisch, im übrigen sich sehr ähnlich.
Und auch manches Wissen und manche Geschichte der Kunst verbiete ich mir, einfach, damit meine Hände nicht lahm werden.
Wie du siehst, viele dieser Dinge geschehen aus Jugend und aus Schwächen, aber das ist meine Art zu schaffen, meine Eigenart vielleicht, wie wir alle Artgenossen der Eigenart sind.
Ich hoffe damit sind ein paar der Einwände behoben und gelobt sei der Wandel!
-Jakob
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja wo du Gesichter vermutest und wolltest sie sitzen zu sehen
___________________________________________________________die Blicke
Die Glieder umsponnen weiß nur man zu wählen das Gift seiner Sinne
___________________________________________________________und Sonnen
Da lebt noch der Unterste in dir der sieht durch die gläsernen Fäden
___________________________________________________________und Spulen
Du legst ihr das Nest ihrer Bisse die hissen die Segel der Pest und
___________________________________________________________der Nägel
Dich will sie nicht täuschen sie weiß sich durchschaut von der Iris im Rücken
___________________________________________________________von vorne
Ob einem nun die Wiederholungen (Im Schoß sitzt die Spinne) gefallen oder nicht, alleine das sind sehr gelungene Bilder.

Liebe Grüße
Manfred
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Was ich noch anmerken will:

Mich persönlich stören die Wiederholungen in diesem Fall nicht.
Ganz im Gegenteil, sie lockern die geballte Bilderflut doch etwas auf.

Liebe Grüße
Manfred
 

Ralf Langer

Mitglied
Halllo bemerkenswertes Stück, ja kryptisch, aber auch hier ist die Melodie beim lautlesen wunderbar.
Fein gearbeites bildgewaltiges Worte Ensemble, das sich einer analytischen Deutung mit und nach jedem Wort entzieht.

Da schaue ich bestimmt nocheinmal vorbei

Ralf
 
Vielen Dank, Ralf!
Gerade bei diesem Gedicht freut es mich sehr.
Ich weiß nicht wieso, aber irgendwo bedeutet mir dieser mir von den letzten Versuchen am meisten..
 



 
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