Sprachwandeln

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James Blond

Mitglied
Wenn Worte zuweilen sich Messern angleichen,
warum nur durchtrennst du dein Glück dir damit?
Es werden danach keine Reden mehr reichen,
zu tilgen das eine, das Bande zerschnitt.

Was erst einmal ist deinen Lippen entwichen,
hat noch kein Dementi in Watte gehüllt,
es wurde vielleicht von der Zeit ausgeglichen,
doch hat es auch Herzen und Hirne befüllt.

Wenn Ausflüchte Mienen in Mauern verwandeln,
die kein offner Blick zu durchdringen vermag,
erreichen sie nichts, ihr verlogenes Handeln
vergiftet die Saat für den kommenden Tag.

So schweige und harre der Dinge, die kommen,
bis ohne der Worte ergreifender Sog
sich Nähe verbreitet, wird dir nicht genommen,
was Sprache zuvor in die Arme sich zog.
 
Was erst einmal ist deinen Lippen entwichen,
Und wieder ein Werk so ganz nach meinem Geschmack ,mein lieber James.
Man könnte jetzt das berühmte Zitat anführen ... si tacuisses philosophus mansisses ... mit dem unsere Lehrer gespöttelt haben aber das wäre zu profan.
In dem Gedicht steckt viel mehr, als man so ad-hoc schreiben könnte. (Vielleicht später mehr)
Vorab erinnere ich mich an einen Text, in dem es darum geht, dass ohne Sprache unsere Wirklichkeit nicht abgebildet werden kann und sie deshalb nicht nur der Kommunikation dient. Sprache IST unsere Wirklichkeit. Sprache ist mehr, ganz wie du es in deinem Gedicht gekonnt beschreibst.
Sehr gerne reingelesen.
Beislgrüße

 

James Blond

Mitglied
Lieber Hans,

schön, dass du hier eine Antwort hinterlassen hast. Und einen Link, in dem ausgeführt wird, wie Sprache unsere soziale Wirklichkeit erst erzeugt. Das Gendern ist ja ein aktueller Beleg für den Versuch, durch Sprachregelungen eine erwünschte soziale Wirklichkeit herzustellen.

Allerdings sind die Verwurzelungen unserer Psyche in der Sprache weitaus tiefer und unterliegen oft nicht der Kontrolle unserer bewussten Absichten. Schon mancher hat sich ungewollt um Kopf und Kragen geredet. Selbst den Sprachprofis der politischen Bühne entgleitet hin und wieder das Konzept ihrer Unfehlbarkeit und sie versteigen sich zu Äußerungen, die sie angreifbar machen und sogar ihren Job kosten können. Dazu gehören auch die Momente emotionaler Ehrlichkeit, in denen das zivile Kleid der Sprache derart eng wird, dass es aufreißt und den Blick auf unser nacktes Ich freigibt.

Das kann nicht nur in Situationen des Zorns verheerend sein. Was einmal gesagt wurde, ist in der Welt und kann nicht wieder zurückgenommen werden lässt uns Dürrenmatt in "Die Physiker" wissen. Insofern trägt auch ein jeder Verantwortung für sein Sagen, ohne allerdings dieser Verantwortung gerecht werden zu können, das ist die Crux.

Das Gedicht rät da zum Schweigen, zum Verzicht, durch Sprache eine Wirklichkeit herzustellen, die sich als trügerisch erweist, weil sie unseren Strategien ausgeliefert bleibt. Wer schweigt, verzichtet auf die Gestaltung der Wirklichkeit, lässt stattdessen die Dinge auf sich zukommen - und hört vielleicht auch einmal zu.

Grüße
JB
 
sind die Verwurzelungen unserer Psyche in der Sprache weitaus tiefer und unterliegen oft nicht der Kontrolle unserer bewussten Absichten
.
Guter Einstieg in das Thema James... ging es um bewußte Kontrolle der Sprache, hätte die Demagogie eine extra Strophe verdient.

Von Cato (...Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. ...) über Saint-Just (... wenn sich das Rad der Geschichte schneller dreht...) bis zur Berliner Sportpalast Rede, hat Sprache den Lauf der Geschichte verändert und Millionen von Menschen das Leben gekostet.

Oder auch das Thema Kaderschulungen, wo Menschen politisch oder wirtschaftsspezifisch geschult werden in einer Art Gehirnwäsche. Das beginnt beim charmanten Briefing und geht bis zum beinharten Ausbildungscamp.
Mir sind solche Auswüchse ein Greuel.
Beislgrüße
 

sufnus

Mitglied
Hi JB!
Mal rein auf der sprachlichen Ebene sind mir persönlich hier zu viele Inversionen am Start und durch die Bemühung um ein gehobenes und ganz leicht altertümliches Sprachniveau (zu tilgen, vergiftet die Saat, harre der Dinge) ist es für mich ein bisschen steif und nicht so richtig einladend, auch wenn mir das zugrundeliegende Thema, die Reflexion über unser Sprechen, durchaus zusagt! :)
LG!
S.
 

James Blond

Mitglied
Danke für deine Rückmeldung, lieber sufnus.

Ich bin ja immer ganz glücklich, wenn ich etwas über die Präferenzen und Einschätzungen meiner Mittäter erfahren darf. Nicht alles gefällt jedem und das ist auch ganz ok so.
Ein historisierender, um nicht zu sagen: altertümlicher Sprachduktus hat es in der zeitgenössischen Lyrik recht schwer, trifft ihn doch die ganze Ablehnung einer in die Jahre gekommenen und oft als überholt bezeichneten lyrischen Tradition.

Mich schert das allerdings nur wenig, weil ich mit allen Sprachstilen bis hin zu barocken Stilfomen gern spiele und in ihren Sprachduktus wie in eine Verkleidung zu schlüpfen suche. Wichtig ist mir dabei, dass es nicht zu manieriert erscheint und stets ein Quäntchen postmoderner Ironie durchscheint, die hier leider allzu oft übersehen wird. Aus dieser Sicht gehört eben auch die Sprache moderner Lyrik längst zum alten Eisen, ist ebenso nur eine Stilmode unter vielen, auch wenn das hier oft anders gesehen wird.

Was die Wortstellungen anbelangt, so halte ich die enthaltenen Inversionen noch für verträglich, bzw. sogar sinnvoll. Natürlich werden sie aus reimtechnischen Gründen gebraucht, weil ansonsten im Deutschen an den Versenden nur Hilfsverben auftauchen würden, der Daktylus trägt das seine dazu bei, aber die Sprache verflacht auch, wenn man sich auf die übliche Wortstellung beschränkt. Schwere Inversionen im Stile eines Meister Yodas kommen auch nicht vor.

Dazu ein kleiner Test: Ich habe hier einmal (ohne Rücksicht auf die Betonungen) alle ursprünglichen Inversionen (rot) getilgt. Das Schwebende, tänzelnd Leichte ist damit verschwunden, es bleibt fast nur Prosa in einem vorwurfsvollen Ton übrig:

Wenn Worte sich zuweilen Messern angleichen,
warum nur durchtrennst du dir dein Glück damit?
Es werden danach keine Reden mehr reichen,
das eine zu tilgen , das Bande zerschnitt.

Was erst einmal deinen Lippen entwichen ist ,
hat noch kein Dementi in Watte gehüllt,
es wurde vielleicht von der Zeit ausgeglichen,
doch hat es auch Herzen und Hirne befüllt.

Wenn Ausflüchte Mienen in Mauern verwandeln,
die kein offener Blick zu durchdringen vermag,
erreichen sie nichts, ihr verlogenes Handeln
vergiftet die Saat für den kommenden Tag.

So schweige und harre der Dinge, die kommen,
bis sich ohne ergreifender Sog der Worte
Nähe verbreitet, wird dir nicht genommen,
was zuvor Sprache sich in die Arme zog.


Liebe Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hi JB!
Interessantes Experiment von Dir, die Inversionen und den Rhythmus aufzulösen! :) Allerdings führt der Versuchsausgang ein bisschen zu einem Zirkelschluss in der Art: Wenn ich einen durchrhythmisierten Text in einen unmelodiösen Prosatext umschreibe, klingt es irgendwie nicht mehr musikalisch ;)
Ich sehe aber Deinen Punkt und bin auch gar kein grundsätzlicher Feind der Inversion, nur gibt es mir in Deinem Ausgangstext eine Spur zu viele davon, soweit als ich bin betroffen.
Ich koche zum Beispiel aus Gründen der Gaumenkitzelung sehr gerne ab und zu mal mit einer ordentlichen Salzbeigabe, aber es ist natürlich durchaus möglich, dabei ein Gericht zu versalzen (und meinen Internisten will ich halt auch nicht zum Weinen bringen). :)
LG!
S.
 

Hera Klit

Mitglied
Meines Erachtens handelt das Gedicht lediglich von der Tatsache, die
auch der Spruch: "Ein Wort ist wie ein Vogel ..." meint.
Nicht mehr und nicht weniger.


Liebe Grüße
Hera
 

James Blond

Mitglied
Lieber sufnus,

was kümmern uns die Internisten? :)
Die Geschmäcker mögen verschieden sein, doch bei Inversionen sollte man zumindest zwischen lyrischen Absichten und banalem Yoda-Geraune unterscheiden. Sieben rote Stellen bei 16 Versen sind mir da noch nicht zuviel, selbst wenn meine Internisten zum Taschentuch greifen sollten ... ;)

Es liegt auch nicht nur am fehlenden Rhythmus, wenn die inversionsfreie Version flacher klingt.
V3,4 zum Beispiel sind hier noch immer daktylisch:

Es werden danach keine Reden mehr reichen,
das eine zu tilgen, das Bande zerschnitt.


Mir gefällt aber die invertierte Version:

Es werden danach keine Reden mehr reichen,
zu tilgen das eine, das Bande zerschnitt.


Liebe Grüße
JB
 



 
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