Sprechende Paare

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ständig hört und liest man, Paare müssen miteinander sprechen. Ja doch. Aber wie lange sprechen sie denn wirklich? Neun Minuten am Tag? Oder noch weniger?

Das Problem ist altbekannt: Männer wollen nicht sprechen - Frauen wollen es.

Der Ehemann kommt nach Hause, abgekämpft, müde von der täglichen Maloche. Die Ehefrau ist schon da, sie ist zwar auch müde, aber das zählt jetzt nicht so. Die Kinder sind ebenfalls anwesend - aber nicht wirklich. Sie führen ein geheimnisvolles Eigenleben und tauchen nur auf, wenn sie Mama oder Papa brauchen.

Die kluge Ehefrau fragt ihren Mann, wie sein Tag war. Sie wird sich hüten, ihn noch mehr zu fragen oder gar von sich selbst zu erzählen. Nach Wälzen zahlreicher Bücher folgt sie der obersten Regel: Männer müssen erst einmal in das Feuer starren, wenn sie von der Arbeit kommen.

Der Mann antwortet auf ihre Eingangsfrage erwartungsgemäß mit den Worten "Wie soll es heute schon gewesen sein? Einfach nur ein Scheißtag eben!" und vertieft sich in sein Feuer, das allerdings wie eine Zeitung und ein Getränk seiner Wahl aussieht.

Die kluge Ehefrau schweigt und weiß sich zu beschäftigen - aber das ist nach fünf Minuten verkehrt. "Was war heute bei Dir? Los, berichte mir alles! Du erzählst doch sonst immer!" fordert der Ehemann, mit einem Auge in die Zeitung schielend.
Das kann natürlich die liebende Ehefrau (die genau weiß, dass die beste Kommunikation immer noch die ohne Worte ist) nicht abschrecken, in allen Einzelheiten von ihrem Tag zu berichten. Ob er sie hört? Sie kann es nur vermuten, denn seine Antworten - wenn überhaupt - bleiben einsilbig. Falls ein Kind unvermutet die eheliche Gemeinschaft stört, wird es von seiner Mutter mit barschen Worten hinausgeschickt. Verstört stellt es fest: Mama hält zu Papa!

So geht es die ganze Woche. Aber die Ehefrau weiß: Es wird der Tag kommen, an dem sie etwas von ihrem Mann erfährt.

Sie soll Recht behalten. Samstags sind Mann und Frau eingeladen. Mehrere Paare sind gekommen und es wird gelacht, getrunken und geredet. Vor allem am Ende des Tisches. Denn dort sitzt der schweigsame Ehemann.

Die Ehefrau knabbert Erdnüsse, hält ihren Mund und lauscht ansonsten entzückt den ausführlichen Erzählungen ihres Mannes. Sie erfährt staunend, dass seine Kollegin einem Sohn von neun Pfund das Leben geschenkt hat, dass die Sekretärin einen Riesenbockmist verursacht hat und dass Kollege X schon seit drei Wochen krank feiert. Verborgen blieb ihr bis dahin auch die anstehende Beförderung - sie ist aber ja wirklich nicht der Rede wert angesichts der Tatsache, dass ihr Mann nun doch tatsächlich für den alternativen Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Er wird ihn aber ablehnen. Die Gründe erläutert er weitschweifig.

Die kluge Ehefrau hört gebannt zu und weiß nicht zum ersten Mal, welch attraktiven, tollen und redseligen Mann sie geheiratet hat. Das letzte Attribut trifft durchaus zu. Denn er redet schon.

Es müssen halt nur noch ein paar mehr Leute dabei sein !
 

Charmaine

Mitglied
Hallo DocSchneider,

sehr erhellend erscheint deine Darstellung sprechender Paare. Ich sage absichtlich nicht Geschichte, denn ich finde dein Text geht schon mehr in Richtung Essay. Ob es deine Absicht ist weiß ich nicht, doch näherst du dich mehr der Kolumne, als einer Kurzgeschichte. So betrachtet, finde ich deine Arbeit gelungen.
Ein paar Vorschläge für Veränderungen habe ich aber schon.

Die Einleitung könntest du noch ein wenig ausbauen. Ein paar Gründe dafür angeben, warum Paare miteinander sprechen sollten. Vlt. die Scheidungsquote anführen oder das Steigen seelischer Erkrankungen

Über die Anwesenheit der Kinder könntest du noch ein paar Worte mehr verlieren. Ein paar Anzeichen, liegen gebliebene Sachen oder das Klingeln der Mikrowelle.

Nach Wälzen zahlreicher Bücher folgt sie der obersten Regel: Männer müssen erst einmal in das Feuer starren, wenn sie von der Arbeit kommen.
Hier wäre ein Zitat aus einem der Bücher ganz brauchbar. Mich würde jedenfalls interessieren, woher sie das hat, dass Männer, wenn sie heimkommen in das Feuer starren. Vielleicht würde sich dann erhellen, welche Art von Feuer gemeint ist.

Im Folgenden könntest du das Heimkommen des Mannes ein wenig beschreiben, was tut er gewöhnlich, was zu aller erst, wie sieht er aus. Das könntest du in die Erwartungen der Frau verpacken, auf diese Weise die Ironie ein wenig schärfen.

Falls ein Kind unvermutet die eheliche Gemeinschaft stört, wird es von seiner Mutter mit barschen Worten hinausgeschickt. Verstört stellt es fest: Mama hält zu Papa!
Das ist nicht logisch. Warum stört das Kind? Sie streiten doch nicht oder sind gerade dabei sich libidonös zu nähern.

Bei der Beschreibung der Einladung kommt die atmosphärische Darstellung zu kurz Wie verhält sich der Ehemann? Ist er großsprecherisch, zuvorkommend oder ein Männerbündler?
Du könntest ein paar wörtliche Zitate einflechten und etwas über den Rest der Gesellschaft, die Aufmachung der Feier und die Art der Gastgeber verlieren.

Den letzten Satz braucht es nicht. Das beinhaltet der vorhergehende Abschnitt und „Denn er redet schon“.
Dies könnte die Überleitung für eine allgemeinere Zusammenfassung sein, ein Fazit oder vielleicht ein Ausblick darauf, wie die Ehefrau in Zukunft vorgeht, um mehr über ihren Gatten zu erfahren. Oder vlt. um nicht mehr zu sehr nur die Frau an seiner Seite zu sein.

Der Aufbau und die daraus folgende Absicht, die Ironisierung gefällt mir sehr gut.

LG
Charmaine
 



 
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