Spytilitos (die Geschichte eines Säulenheiligen)

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen
Rolf-Peter Wille


In einer Provinz des byzantinischen Reiches lebte ein frommer Mann namens Brontéon, genannt Spytilitos. Brontéon war Asket und ein berühmter Säulenheiliger. (Bilder von St. Spytilitos findet man in den Ikonostasen zahlreicher orthodoxer Kirchen und auch in den byzantinischen Sammlungen des Bode Museums, der Eremitage und des Metropolitan Museums.) Er wohnte im Freien auf dem Kapitell einer kleinen römischen Säule in der Wüste vor den Mauern der Stadt. Dem Schlaf ergab sich der strenge Mönch nur wenige Stunden, denn meist sah man ihn, hoch unter dem Himmel stehend, tief in Andacht versunken. Die grau verwaschene Farbe der Säule hatte er bereits angenommen, selbst sein Heiligenschein wirkte versteinert, und an ihn hätte wohl niemand auch nur einen winzigen Augenblick seines Interesses verschwendet, wenn Spytilitos nicht alltäglich eine markante Schimpfpredigt wuchtig in die Wüste gedonnert hätte. Eine gewaltige Stimme besaß der Säulenheilige, einen Bass, um den ihn manch griechischer oder römischer Orator beneidet hätte, und wenn er predigte mit erhobenen Armen, meist gegen die Laster der Völlerei und der Wollust, so spuckte er gewaltig aus nach jedem Satze und als Kadenz in die große Menge seiner Jünger. Die frommen Pilger nun, anstatt sich zu beschirmen, wetteiferten um die Ehre, von St. Spytilitos bespuckt zu werden. Bereits ein mikroskopischer Tropfen des heiligen Speichels galt als glückbringende Kostbarkeit, und die begehrten Plätze in Spuckweite der Säule waren schon Stunden vor der Predigt besetzt. Fanatiker schmorten dort sogar unter der sengenden Mittagssonne und in weißen Gewändern, und sie hielten tönerne Schalen in den Händen, um den Segen des Redners zu empfangen.
[ 8] Zwei Rivalen des Spytilitos platzierten sich auf weiteren Säulen in Ruf- und Spuckweite des Heiligen. Auch sie eroberten sich ihre Verehrer mit gewaltigen Predigten, und es brach ein Speichelkrieg aus vor den Mauern der Stadt. Spytilitos gewann den Streit, da seine Gegner nach nur sieben Jahren einem Sonnenstich erlagen.
[ 8] Da geschah es jedoch, dass eine Dürre das Land ergriff, seine Brunnen versiegen ließ, Vieh und Menschen marterte. Um Regen zu erbitten, begab sich das Volk zur Säule des heiligen Spytilitos. Der aber stand nur stur und steinern auf seinem Kapitell, und kein Wort sprach der Asket. Da erhob sich ein Murren aus der Menge, und Kunde von dem Unwillen des Volkes gelang sogar zum Kaiser, der einen Aufruhr befürchten musste. Der Kaiser, ein weiser Herrscher, befahl, dass man ihn auf einer Reise durch die Provinz heimlich des nachts in einer Sänfte zur Säule des Spytilitos trage. Zwei Wächter stellten eine goldene Leiter an die Säule und die bestieg der Kaiser ganz allein.
[ 8] “Erhabener! Heiliger! Es geht...”, sprach der Kaiser, als er das Kapitell erreicht hatte, “...so nicht weiter! Eine Dürre plagt uns. Das Volk murrt, weil Du ihm Deinen heiligen Speichel verweigerst. Wenn es einen Aufruhr gibt, so werden die Säulen des Reiches wanken. Und auch die Säule des Spytilitos. Dich wird man wird steinigen.”
[ 8] Bei diesen Worten des Kaisers erschrak Spytilitos. “Majestät!” widerkrächzte er, strich sich den Sand aus dem Bart, und die Blume seines verbrannten Odems erblühte in der kaiserlichen Nase. “Vertrocknet ist mein Gaumen von der Dürre. Die Zunge klebt mir verwelkt auf den Zähnen. Kaum kann ich sprechen.”
[ 8] Da befahl der Kaiser, dass man eine Amphore Kamelmilch vor jeder Predigt des Heiligen auf das Kapitell der spytilitischen Säule trage, damit der Heilige, wenn ihm der Speichel trockne, das Volk mit Kamelmilch bespucke.
[ 8] Grausame Dürre! Auch die Kamele bezwangest Du endlich, und ihre Milch versiegte wie zuvor die Brunnen. St. Spytilitos verdorrte stehend und klebte nur noch als Mumie auf seiner Säule. Das durstige Volk murrte. Die Menschen rissen sich ihre Gewänder vom Leibe, bewarfen die Mumie mit Sandalen, tönernen Schalen, und mit Steinen, bis sie zu Staub zerfallen war. Da aber erhob sich ein gewaltiger Donner aus der Wüste, gewaltiger noch als der Bass des Spytilitos. Ein Orkan fegte vom Himmel, mischte den Staub des Säulenheiligen mit dem Wüstensande und wehte ihn auf das zitternde, furchtentzückte Volk. Nur wenige Augenblicke später wurden die Menschen von einem sintflutartigen Regen überschüttet.

Die Säule des Spytilitos ist noch heute eine bekannte Wallfahrtsstätte. Ihr Sockel ist gut erhalten, und Touristen kaufen dort tönerne Schalen, an denen der versteinerte Speichel des Heiligen klebt.
 
Danke, Marius! Ja, auf der Fantasy & Märchen Saeule kann Spytilitos auch stehen. Das satirische Element ist hier wohl etwas in den Hintergrund gerutscht. (Es hat einen historischen Saeulenheiligen namens Symeon Stylite in Syrien gegeben, einen Kolumnisten sozusagen, der taeglich predigte.) Aber es ist mir schon recht.

Rolf-Peter
 

IHaveADream

Mitglied
Hallo Rolf-Peter Wille

Schade dass Du den Titel in Klammer gesetzt hast und etwas erklärend darstellst.
"Spytilitos der Säulenheilige" wäre doch perfekt.

Du beginnst nüchtern mit einer ernsten Erklärung und kommst dann gleich zum Thema.
Er wohnte im Freien auf dem Kapitell einer kleinen römischen Säule in der Wüste vor den Mauern der Stadt.
… der Stadt … man ersehnt sich direkt nach dem Namen der Stadt.
Schade dass Du keinen nennst.
Dem Schlaf ergab sich der strenge Mönch nur wenige Stunden…
Schön formuliert.
…selbst sein Heiligenschein wirkte versteinert…
Finde ich jetzt ehrlich gesagt zu Engelhaft.
…anstatt sich zu beschirmen…
"beschirmen" ein interessanter Ausdruck.

"Die Ehre bespuckt zu werden vom heiligen Speichel."
Eine äußerst ausgefallene Idee.
…schmorten dort sogar unter der sengenden Mittagssonne und in weißen Gewändern, und sie hielten…
"und in weißen Gewändern" Bin ich der Ansicht, dass dies nichts aussagt.
Möchte sogar behaupten, dass es unwichtig ist.
Denn es lenkt auch von dem wichtigeren "den tönernen Schalen" ab.
…auf weiteren Säulen in Ruf- und Spuckweite des Heiligen.
Warum des Heiligen?
Nicht in Ruf- und Spuckweite der Pilger?
…gewann den Streit, da seine Gegner nach nur sieben Jahren einem Sonnenstich erlagen.
Wunderbar gelungen. Wer hätte das gedacht.
…stellten eine goldene Leiter…
Du hast das wichtige Detail nicht vergessen "goldene".
Viele hätten einfach nur Leiter geschrieben.
…das Volk mit Kamelmilch bespucke.
Konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
…bekannte Wallfahrtsstätte. Ihr Sockel ist gut erhalten, und Touristen kaufen dort tönerne Schalen, an denen der versteinerte Speichel des Heiligen klebt.
Wie viele werden jetzt wohl dort hin gehen um sich so eine Schale zu holen?

Du wärst ein wunderbarer Touristenführer.
Biblisch gesehen würde ich sagen: "Schade dass Gott ihn bestraft. Hat er doch nur gutes gepredigt."
Das Lesen hat mir Spaß gemacht. Du hast es verstanden gut im alten Stile zu Erzählen.

Grüssend
 
Herzlichen Dank, Dream, fuer die detaillierten Vorschlaege!

"Spytilitos der Säulenheilige" wäre doch perfekt.
Stimmt.

Name der Stadt: Hm..., Antiochia (allerdings nicht in der Wueste).

"und in weißen Gewändern" Bin ich der Ansicht, dass dies nichts aussagt.
Stimmt.

"Schade dass Gott ihn bestraft. Hat er doch nur gutes gepredigt."

Ah! Nur der Koerper ist bestraft. "Sparagmos" wird mit "Apotheose" belohnt...

Liebe Gruesse,
Rolf-Peter

PS: Lord Alfred Tennyson hat uebrigens ein sehr langes und sehr pathetisches Gedicht ueber den Tod von "St Simeon Stylites" geschrieben.
 



 
Oben Unten