Stahlschwarm

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rolfreist

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Warten auf Kommando „Maulwurf“.
Funkstille.
Kommando „Maulwurf“: Grünes Licht.
Drohnen stiegen am Himmel auf.
Lautlos. Unsichtbar. Dann feuerten sie ihre Munition ab.
Skrupellose, präzise Zerstörung.
Die Kameras lieferten Live-Bilder.
Alle tot.
Mission erfolgreich.
Der Ausnahmezustand wird angekündigt.
Die Wahlen werden abgesagt.


Während in fernen Städten Flugkörper Hochhäuser zum Einsturz brachten, explodierten sie hierzulande farbenfroh am Himmel. Die reichen Besitzer der Rüstungsindustrie feierten das Neujahrsfest, doch noch mehr zelebrierten sie ihre Rekordbilanz. Noch nie in der Geschichte von Helsmetal waren die Geschäfte so lukrativ gewesen. Das Unternehmen hatte sich als globale Marke etabliert und lieferte neben Waffen, Munition, Artillerie und Flugabwehrsystemen alles, was nötig war, um jemanden an die Macht zu bringen oder dort zu halten.

Martin: Du, Gustav, was hast du da am Arm?
Gustav: Ein Tattoo.
Martin: Ist das nicht ... der Stahlschwarm, unsere Bombe?
Gustav: Ja, genau.
Martin: Aber warum?
Gustav: Erinnerst du dich an Ruanda, Somalia, Angola? Die Streubombe kam dort tausendfach zum Einsatz und siegte.
Martin: Gehst du nächste Woche zum NATO-Gipfel?
Gustav: Ja, ich habe mit "TACO-Man" telefonisch den Text durchgesprochen. Er soll das Budget für Rüstung erhöhen. Dafür haben wir ihn schließlich aufgestellt. Aber ich weiß nicht, er wirkt auf mich ein bisschen verwirrt.
Martin: Wie meinst du das?
Gustav: Er denkt nur an Zölle und Immigranten, und je tiefer er sich politisch vergräbt, desto ehrgeiziger wird er. Eine reine Zeitverschwendung. Dann startet er einen Angriff gegen den Iran, der in wenigen Stunden vorbei ist. Das hilft uns wirklich kein Stück weiter. Und als Krönung wird er auch noch für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Martin: Oh nein, das kann doch gar nicht sein. Er soll richtige Kriege führen, so wie immer, lang andauernde Schlachten, die eine echte Bedrohung darstellen.
Gustav: Ich habe einen Plan B, falls unser Mann zum Pazifisten wird.
Martin: Jetzt bin ich gespannt.
Gustav: Es gibt keinen Ort, an dem mehr Wert entstehen oder vernichtet werden kann als an der Börse. Sie zerstört keine Häuser, aber Existenzen. In Sekunden. Doch sie kann uns in Zeiten des Friedens sehr nützlich sein.
Martin: Was genau sollen wir tun?
Gustav: Ganz einfach: Wir werben für den Frieden.
Martin: (lacht) Frieden ... Ich weiß gar nicht mehr, wie man das schreibt.
Gustav: Hör zu. Das magische Wort heißt: Leerverkäufe. Wir leihen uns von der Bank 100 Millionen Helsmetal-Aktien, Rückgabe in einem Monat. Der Kurs steht heute bei 100 Euro.
Martin: Das heißt, wir haben eine Aktienschuld gegenüber der Bank?
Gustav: Genau. Die Bank leiht uns die Aktien, die wir sofort für 100 Euro pro Stück verkaufen. Die Milliarde legen wir erst mal auf unser Konto. Nach ein paar Tagen gehen wir an die Presse und teilen ihnen mit, dass aufgrund der Abrüstungsabkommen verschiedener Länder ein Umsatzrückgang von über 15 Prozent in diesem Jahr erwartet wird.
Martin: Ok, das bringt den Wert der Aktien nach unten.
Gustav: Genau. Dann verlieren wir ein paar Aufträge und machen es publik.
Martin: Oha, dann gehen die Aktien in den Keller.
Gustav: Am Tiefpunkt kaufen wir mit der Milliarde, die wir auf der Bank haben, die 100 Millionen Aktien und geben sie an die Bank wieder zurück. Da sie jetzt sehr viel weniger wert sind, machen wir einen riesigen Gewinn, ohne nur eine Bombe vergoldet zu haben.
Martin: (zögernd) Verstehe. Ist das nicht ein bisschen viel? Wir sind doch Waffenhändler, keine Spekulanten.
Gustav: Martin, du musst deine Sparkassen-Mentalität ablegen. THINK BIG. Wir kontrollieren die Informationen. Wir bestimmen die Richtung.
Martin: Und was passiert danach?
Gustav: Nun, danach können wir mit dem Geld unsere Aktien kaufen, die Prognosen für das Jahr verbessern und hier und da noch einen Krieg anzetteln.
Martin: Und wo soll der stattfinden?
Gustav: Europa.
Martin: Ist das nicht zu nah?
Gustav: Gerade deshalb. Wenn der Feind näher rückt, muss der Staat noch mehr investieren. Und mal ehrlich, selbst Timbuktu hat modernere Waffen als wir.
Martin: Also verdienen wir, egal was passiert.
Gustav: Genau. Frohes neues Jahr, Martin.
Martin: Frohes neues Jahr, Gustav.

Sie taten es und verdienten gut damit. Und sie wiederholten das Spielchen ein paar Mal. Sie waren die Götter der Kriege, die Könige der Finanzen. Auf Galaabenden und Spendenbällen standen sie im Rampenlicht. Präsidenten suchten ihre Nähe. Tausende Anleger folgten ihrem Beispiel. Als die Helsmetal-Aktie ihren Höchststand erreichte, begannen auch Kleinanleger, mit geliehenem Geld auf fallende Kurse zu spekulieren. Es wurde zur Massenbewegung, eine Party ohne Ende.


..........………


Norbert, seit einigen Monaten bei Glassklar, einem Reinigungsunternehmen, war an diesem Abend für die Büroreinigung einer großen Bank eingeteilt. Alles musste exakt so hinterlassen werden, wie es war, keine Berührung von Dokumenten, keine Störung der Technik.
Er putzte konzentriert Schreibtische und Empfangstheken, leerte Mülleimer, bis plötzlich ein Bildschirm aufleuchtete. Eine rote Kurve erschien, steil nach unten. „Sieht nicht gut aus“, murmelte er.
Als er die Tastatur zum Reinigen anhob, stürmte ein Kollege ins Büro. Norbert erschrak, die Tastatur fiel ihm aus der Hand. Beim Aufprall wurde die Enter-Taste aktiviert. Ein Kaufauftrag wurde ausgelöst. Er legte die Tastatur zurück. Der Bildschirm erlosch. Alles schien normal. Doch die Taste war beschädigt und sendete weiter Einkäufe. Im Minutentakt.

Die Helsmetal-Aktie stieg langsam, dann immer schneller. Algorithmen bestimmten die Kurse: intelligente Systeme, die an der Börse jede Gelegenheit in Bruchteilen von Millisekunden erkennen, Entscheidungen treffen und Geld machen. Als Europa schlief, begannen in den USA erste Panikkäufe. Leerverkäufer mussten zu immer höheren Preisen zurückkaufen, um ihre Schulden zu decken. Der Kurs explodierte. 40 €, 60 €, 80 €, 100 €, 200 €, 400 €, 600 €, 1000 € pro Aktie. Am nächsten Morgen verlangte die Bank Rückzahlung. Helsmetal war zahlungsunfähig. Kurz vor dem Kollaps.


......………….


Martin: Was jetzt, Gustav? Wie konnte das passieren? Was machen wir jetzt?
Gustav: (schweigt)
Martin: Sag was!
Gustav: Wir sind erledigt. Börsenaufsicht, Bank, Vorstand, Aufsichtsrat – sie werden uns zerreißen. Es bleibt nur eine letzte Chance.
Martin: Und die wäre?
Gustav: Wir verkaufen Anteile der Firma. Waffen braucht schließlich jeder.
Martin: An wen denn?
Gustav: Syrien?
Martin: Nein, dort ist die Musik schon gelaufen.
Gustav: Israel?
Martin: Machen nur mit den Amis Geschäfte.
Gustav: Ukraine? Sie brauchen dringend Waffen.
Martin: Die haben kein Geld. Sie verkaufen bereits das Land. Die NATO-Abwicklung würde Monate dauern.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Der Kartoffel-Diktator war in der Leitung und reichte an den Zar weiter.
Noch in derselben Woche war das Geschäft abgeschlossen.
Die Firma war gerettet.
Der Stahlschwarm hatte eine neue Heimat gefunden und flog jetzt über Köpfe, die einst an Demokratie glaubten.
 

rolfreist

Mitglied
Danke @Aniella für die Verbesserungsvorschläge vor der Veröffentlichung und die Sterne.
Hi @wirena, danke für deinen Kommentar und die Sterne.
Es freut mich sehr, dass die KG euch gefallen hat.
Liebe Grüße
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber rolfreist,

erinnert ein bisschen an die 'Glücksritter', aber da hatte man noch ein Lachen für die betrogenen Betrüger, aber hier ist man ja im Hier und Jetzt und das Lachen bleibt im Halse stecken - weil am Ende doch nicht 'das Gute' siegt.

Hier finde ich das 'einst' überflüssig, denn der Glaube lässt sich leider nicht von Fakten besiegen - und die Aussage wird durch die Vergangenheitsform schon 'vorbereitet', dass die Köpfe nun immerhin die Chance haben, die Realität zu betrachten.
die einst an Demokratie glaubten.
Liebe Grüße
Petra
 



 
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