Steinbildhauer

muskl

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Steinbildhauer


Er hatte schon viele verschiedene Formen aus Naturstein herausgebildet. Er konnte einem Stein die eigentliche endgültige Form geben, er hatte Buchstaben herauskommen lassen und auch Bilder konnte er dem Stein entlocken. Das Geheimnis einen Naturstein durch schleifen die Politur zu entlocken und den Glanz zu geben war im ebenso bekannt. Während seiner Ausbildung hatte er schon unzählige Steine bearbeitet, meistens war es weißer Griechischer Marmor. Es gab immer eine Zeit für Materialien, zu seiner Zeit war es weißer Marmor.

Natürlich hatte während der Ausbildung auch andere Materialien bearbeitet, den sehr harten Granit, oder den weichen Sandstein, aber nichts war für ihn so gut wie der weiße Marmor. Er lag in der Mitte, war hart und zäh, aber nicht zu hart, er war mit nicht allzu viel Kraftaufwand zu bearbeiten, allerdings war Anstrengung nötig. Er war auch nicht zu weich und nachgiebig wie der Sandstein, es war Anstrengung war um ihm seine Geheimnisse zu entlocken.

Zu seinem Bedauern war die Zeit des Marmors weitestgehend vorbei, die Menschen kauften in dieser gefühllosen Zeit eher den harten Granit. Der weiße Marmor hatte sein Dasein im Schatten der gefühllosen Härte. Seinen Platz in der Ausstellung hatte er zwar, aber es waren eher die dunklen Ecken, in denen er stand. So konnte er auch nicht seine weiße Wärme ausstrahlen, die blendende Helligkeit in der Sonne, ein Zeichen dafür das die Trauer nicht dunkel sein musste, eine Hoffnung als Erinnerung.

Vor einiger Zeit war ein fliegender Händler für Naturstein mit seinem Transporter in den Ort gekommen. Der Transporter war natürlich voller Granitsteine, meistens schon fertige industriell in Form gebrachte Natursteine. Aber in einer freien Ecke der Ladefläche stand ein Block aus Griechischen Marmor, nicht geschnitten mit geraden Kanten, sondern unregelmäßig, wie gerade aus der Erde heraus gebrochen. Er kaufte den Stein ohne die geringste Vorstellung, was er damit anfangen wollte, der Preis für dieses Außenseiterstück war zu hoch. Wenn es Zeit war, dann würde er schon etwas daraus machen.

So blieb der Stein Monate liegen, aber jedes Mal wenn er vorbei ging, bekam der Marmor einen nachdenklichen Blick zugeworfen. Mit jedem vorbei schreiten spürte etwas in sich wachsen, was er noch nicht benennen konnte. Ihn erstaunte die Gelassenheit mit der er das langsame Spüren zuließ, zu anderer Zeit hatte er nicht die Geduld Situationen auf sich zukommen zu lassen.

An einem Tag mit einem wunderschönen Sonnenaufgang wurde es in ihm gewiss, heute würde er den großen weißen Stein bearbeiten. Er hatte eine tiefe, traumvolle Nacht gehabt, aber es waren keine Albträume an die er sich erinnerte, es waren Träume in denen er durch sehr helle Lichter gegangen ist. Und nun wollte er in der hellen Weiße des Marmors sitzen und den Tag mit dem Stein genießen. Er war gespannt was der Stein ihm zu sagen hatte, welche Gefühle er auslösen würde.

An jeder Seite des unförmigen Steines waren die Spuren des gewaltsamen Herausbrechens zu sehen. Tiefe Rillen, gezogen von Presslufthämmern, gebrochene Kanten und verschieden eingeritzte Kennzeichnungen über den Weg des Marmors zu ihm. Er stand sicher auf der geradesten Fläche des Quaders, was aber insgesamt einen schiefen Eindruck machte. Er erinnerte sich, auch er hatte auch am Anfang seines Erwachsenen Lebens so gestanden, schief und voller Spuren des Lebens auf dem Weg zur Trennlinie zum Erwachsen werden. Die selbe Unförmigkeit, auch ein roher Klotz, heraus gebrochen aus der Natur. Er hatte auch lange unbearbeitet in der Ecke gestanden, umgeben von fertigen Granitsteinen. Bis jemand gekommen war, der nicht nur die Spuren der Gewalt sah, sondern wusste das seine Helligkeit verborgen war, aber sie mit einem bisschen Mühe sichtbar gemacht werden konnte.

Langsam ging er um den Stein herum und besah ihn sich von allen Seiten, strich mit seinen Händen über die Flächen und Spuren, um ihn fühlen zu können. Die oberste Fläche war am gröbsten strukturiert, sie hatte in etwa die Form einer zerbrochenen Kirche, der Saal für die Andacht schien niedergerissene Wände zu besitzen, die angefüllt waren mit Stein. Der Glockenturm schien auf der Hälfte schief abgebrochen zu sein. An dem Punkt konnte er ansetzen, seinen ersten Schlag ziehen, um einen Anfang zu finden.

Nach anfänglichem Zögern ging seine Arbeit flüssig und gleichmäßig, nachdem er die Grundflächen gelegt hatte, machte er sich daran den stehen gebliebenen groben Stein wegzuarbeiten. Wie immer überkam ihn dabei die Freude etwas mit den Händen zu schaffen, Grobheiten für eine schöne Form zu entfernen. Es war ihm, als wenn er seine persönliche Kirche endgültig abreißen würde. Lange Zeit hatte er versucht sie aufrecht zu erhalten, in ihr befand sich sein Glauben an Gott. Irgendwann hatte er bemerkt, das dieser Glaube nicht sein Glaube war und es so was wie den lieben Gott für ihn nicht gab. Er hatte aufgehört Gott als gut oder böse zu betrachten, er wollte ihn nicht vermenschlichen und nicht begreifen. Sein Leben lang hatte er versucht ihn menschlich zu begreifen und war jedes Mal gescheitert. Das hieß für ihn aber nicht, dass es keinen Gott gab, er gab ihm bloß keine Wertung. Er fühlte das es etwas gab, was er als Mensch nicht begreifen konnte, das aber auch in ihm war und er es spürte.

Bei seiner Arbeit war es wichtig, erst einmal eine gerade Fläche herzustellen, die er als Bezugspunkt nahm und von der alles ausging. Die oberste Fläche war der Kopf des Steines, vom Kopf ging seine Form aus und es war auch ein Kopf den er herausarbeitete. Die Kopfform war oval mit ebenmäßigem Gesicht und kurzen Haaren. Die Marmor-Augen schienen ihn ununterbrochen anzuschauen, sie waren freundlich und schienen etwas zu wissen, was er nicht wusste. Die Lippen waren voll, die Nase und das Kinn sahen nicht energisch aus. Alles an diesem Kopf strahlte Sanftheit und Gelassenheit aus, auch der kühle Stein nahm diesen Eindruck nicht. Es dauerte einige Zeit, bis er auch die Arme, Beine und den restlichen Körper herausbildet hatte. Wie die Zeit verging, oder wie lange es dauerte, bis er dahin kam, war ihm nicht bewusst, hatte für ihn auch keine Wichtigkeit. Er genoss jede Minute des langen Weges, in der er den Körper seiner Figur schaffte. Er gab ihr einen etwas gebeugten Oberkörper, lange Arme und Beine, die Beine gebeugt, die Arme halbhoch erhoben. Die Kleidung war alt und weit. Unter der Figur ließ er einen quadratischen Block stehen, auf dem die Figur saß. An dem Block waren die obere und untere Fläche eben, die Seiten stilisierte er wie gebrochenen unbearbeiteten Naturstein.

Erst dann unterbrach er seine Arbeit, schaute sein Werk an und wusste das erste Mal nicht weiter. Die Haltung war eindeutig, sie war irgendwas oder irgendwem mit erhobenen Armen zugewandt. Fast sah es gestikulierend aus, aber der gelassene Gesichtsausdruck passte nicht dazu, er hatte nichts überzeugen wollendes, nichts drängendes. Der Gedanke, dass es ein Steinmetz bei der Arbeit sein könnte, vielleicht sogar er, verging so schnell wie er gekommen war. Seine Figur hatte Hände, aber kein Werkzeug in ihnen. Die Haltung drückte nichts gebendes aus, es machte den Eindruck, als wenn die ganze Figur nahm. Oder empfing sie etwas?

Er setzte sich ähnlich der Figur auf einen Steinblock und nahm die gleiche Position ein. Seine Hände streckte er der Figur aus Stein entgegen und er stellte sich vor zu empfangen. Er empfing den Dank der Figur sie geschaffen zu haben, so wie sie war, gelassen, sanft und freundlich. Er empfing den Dank dafür, sie ernst zu nehmen, selbst wenn sie nur aus Stein war. Dank, sie schön gebildet zu haben und mit dem nötigen Respekt, selbst wenn sie augenscheinlich ohne Leben war.

Dann streckte er die Hände seinem Leben zu und empfing.


2001 / Michael
 



 
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