Ji Rina
Mitglied
Meine Schwester sagte immer, sie habe einen direkten Draht zu Gott. Egal über was wir auch diskutierten, sie gab immer dieselbe Antwort. Sie sagte: Gott will das so, oder, Gott will das nicht.
Eines Tages, sagte sie, Gott habe vor, sie zu sich zu holen. Aber er holte sie nicht. Und so entschied sie sich, im Alter von 35 Jahren, zu ihm zu gehen.
Dies geschah in Paris, wo sie dreizehn Jahrelang gelebt hatte.
Mein Vater war ein Träumer. Jazzmusiker. Jede Menge Freunde. Drei mal war auch er kurz davor, bei Gott zu landen; aber er kratzte jedes Mal die Kurve. Wie dem auch sei, zwischen uns liefen die Dinge nie so gut.
In Berlin, als ich noch ein Kind war, ging es immer hoch her: Mein Leben dort, war eine einzige Reise: von der Kantstrasse in die Clausewitz, von da aus in die Schlüterstrasse, dann in die Tauentzienstrasse, und irgendwann wieder zurück. Meine Mutter und mein Vater waren ständig unterwegs, und so landete ich immer wieder bei irgendwelchen Leuten. Eigentlich brauchte ich mich nur an sie zu gewöhnen, und schon war das ein sicheres Zeichen dafür, dass es weiterging. Wieder zu neuen Leuten.
Eines Tages, ich war fünf, brachte meine Mutter mich und meine Schwestern in den Süden, zweitausend Kilometer weit weg. Das Bild vor meinen Augen veränderte sich; statt nasse, bepflasterte Strassen, statt in Hetze eilender Menschen, Autos, Busse und Strassenbahnen, die immer kamen oder wegfuhren – sah ich jetzt das Meer. Das Meer bewegte sich – aber es ging nicht weg. Als meine Schwestern und ich, am nächsten Tag, an den Strand zurückkehrten, war ich überrascht, das Meer noch immer an derselben Stelle zu sehen. Völlig fasziniert, betrachtete ich die Weite, die Schattierungen, das Aufschlagen der Wellen auf den Felsen.
Das Meer und ich wurden unzertrennliche Freunde.
Man sagte, dieser Strand sei nicht schön, weil er keinen Sand, sondern nur Steine habe. Man sagte, das sei ein Hindernis, andere Strände seien schöner. Grund genug für mich, es zu versuchen. Täglich lief ich über die Steine, zuerst langsam und vorsichtig, dann immer schneller, und schon nach einigen Wochen, rannte ich über sie hinweg, ohne sie überhaupt zu bemerken, auch nicht im Hochsommer, wenn sie viel zu heiss waren. Meine Füsse und die Steine, wurden eins.
Am wohlsten fühlte ich mich unter dem Wasser, weit unten, mit offenen oder geschlossenen Augen, mich mit den Händen auf dem Grund entlang ziehend, ganz langsam über Steine, vorbei an Felsen, dann mit dem Körper mich windend, wie ein Fisch.
Wenn ich einen sah, lächelte ich ihm zu.
Unten, auf dem Grund, war meine eigene Welt, da konnte niemand kommen, niemand gehen. Ich verbrachte ganze Tage an diesem Strand, ich verbrachte Wochen, viele Sommer, Jahre. Irgendwann, wurde ich zu einem Teil des Meeres. Und immer wieder riss mich etwas weg. Es gab Zeiten in meinem Leben, voller Einsamkeit, und jedes Mal wenn ich dann zurückkam, war es, als habe das Meer auf mich gewartet.
Meine erste große Liebe schloss mich in eine Wohnung ein, und steckte sich den Schlüssel in die Hosentasche. Aber auch da, in dieser Wohnung, schaffte ich mir meinen Grund: vom Wohnzimmer bis zur Küche waren es zehn Meter, vom Bad bis zur Terrasse fünf. Ich schuf mir Quadrate, erkundete jeden Tag die Flächen und malte sie mir in Farben aus. Ich schuf mir eine eigene Welt, von der niemand etwas ahnte. Und das einzige was ich tat, war warten, bis irgendetwas mich von dort wieder weg reißen würde. Und als ich nach einem Jahr frei kam, spürte ich nichts, weder Erleichterung noch irgendeinen Schmerz. Ich brauchte nur noch Luft. Luft zum atmen und Wasser für die Seele.
Ich kehrte zurück ans Meer. Tauchte ein, bis auf den Grund, dann drehend wieder hinauf, mit dem Rücken auf der Oberfläche, Wasser über meine geöffneten Augen, eine verschwommene Scheibe Himmel, eine vorbeiziehende Wolke. Niemand der fragte, wo ich war. Dieser Strand hatte nur Steine. Es war nie jemand da, nur ich, vielleicht, weil Gott es so wollte.
Manchmal bekamen wir Nachrichten aus dem Ausland, kurze oder lange Briefe, Anrufe: Friedel hatte sich ein Häuschen an der Ostsee gekauft. Mein Opa war im Alter von 80 Jahren gestorben, meine Oma sehr krank. Eines Tages bekamen wir die Nachricht, dass auch meine Tante jetzt bei Gott war. Auch sie, freiwillig gegangen.
Es gab Zeiten, da holte Gott sich vieler meiner Freunde, einige wurden nicht mal 30 Jahre alt. Einer meiner besten Freunde, entschied sich für immer ein Freund des Meeres zu bleiben. Er tat es auf seine ganz eigene Art. Eines Morgens lief er hinein und kam nie mehr zurück. Menschen verschwinden vom Feld wie Schachfiguren. Dinge beginnen, Dinge enden, manchmal ohne Fragen, ohne ein letztes Wort.
Hin und wieder spreche auch ich mit Gott.
Wir sitzen am Strand und erzählen uns Dinge. Wir diskutieren und verhandeln. Sehr oft sind wir uns nicht einig, und verfallen in Schweigen.
Über dem Horizont, geht die Sonne wieder auf!
Ich trete ans Ufer und blicke in die Ferne, werfe Steine gegen die Wellen.
Eines Tages, sagte sie, Gott habe vor, sie zu sich zu holen. Aber er holte sie nicht. Und so entschied sie sich, im Alter von 35 Jahren, zu ihm zu gehen.
Dies geschah in Paris, wo sie dreizehn Jahrelang gelebt hatte.
Mein Vater war ein Träumer. Jazzmusiker. Jede Menge Freunde. Drei mal war auch er kurz davor, bei Gott zu landen; aber er kratzte jedes Mal die Kurve. Wie dem auch sei, zwischen uns liefen die Dinge nie so gut.
In Berlin, als ich noch ein Kind war, ging es immer hoch her: Mein Leben dort, war eine einzige Reise: von der Kantstrasse in die Clausewitz, von da aus in die Schlüterstrasse, dann in die Tauentzienstrasse, und irgendwann wieder zurück. Meine Mutter und mein Vater waren ständig unterwegs, und so landete ich immer wieder bei irgendwelchen Leuten. Eigentlich brauchte ich mich nur an sie zu gewöhnen, und schon war das ein sicheres Zeichen dafür, dass es weiterging. Wieder zu neuen Leuten.
Eines Tages, ich war fünf, brachte meine Mutter mich und meine Schwestern in den Süden, zweitausend Kilometer weit weg. Das Bild vor meinen Augen veränderte sich; statt nasse, bepflasterte Strassen, statt in Hetze eilender Menschen, Autos, Busse und Strassenbahnen, die immer kamen oder wegfuhren – sah ich jetzt das Meer. Das Meer bewegte sich – aber es ging nicht weg. Als meine Schwestern und ich, am nächsten Tag, an den Strand zurückkehrten, war ich überrascht, das Meer noch immer an derselben Stelle zu sehen. Völlig fasziniert, betrachtete ich die Weite, die Schattierungen, das Aufschlagen der Wellen auf den Felsen.
Das Meer und ich wurden unzertrennliche Freunde.
Man sagte, dieser Strand sei nicht schön, weil er keinen Sand, sondern nur Steine habe. Man sagte, das sei ein Hindernis, andere Strände seien schöner. Grund genug für mich, es zu versuchen. Täglich lief ich über die Steine, zuerst langsam und vorsichtig, dann immer schneller, und schon nach einigen Wochen, rannte ich über sie hinweg, ohne sie überhaupt zu bemerken, auch nicht im Hochsommer, wenn sie viel zu heiss waren. Meine Füsse und die Steine, wurden eins.
Am wohlsten fühlte ich mich unter dem Wasser, weit unten, mit offenen oder geschlossenen Augen, mich mit den Händen auf dem Grund entlang ziehend, ganz langsam über Steine, vorbei an Felsen, dann mit dem Körper mich windend, wie ein Fisch.
Wenn ich einen sah, lächelte ich ihm zu.
Unten, auf dem Grund, war meine eigene Welt, da konnte niemand kommen, niemand gehen. Ich verbrachte ganze Tage an diesem Strand, ich verbrachte Wochen, viele Sommer, Jahre. Irgendwann, wurde ich zu einem Teil des Meeres. Und immer wieder riss mich etwas weg. Es gab Zeiten in meinem Leben, voller Einsamkeit, und jedes Mal wenn ich dann zurückkam, war es, als habe das Meer auf mich gewartet.
Meine erste große Liebe schloss mich in eine Wohnung ein, und steckte sich den Schlüssel in die Hosentasche. Aber auch da, in dieser Wohnung, schaffte ich mir meinen Grund: vom Wohnzimmer bis zur Küche waren es zehn Meter, vom Bad bis zur Terrasse fünf. Ich schuf mir Quadrate, erkundete jeden Tag die Flächen und malte sie mir in Farben aus. Ich schuf mir eine eigene Welt, von der niemand etwas ahnte. Und das einzige was ich tat, war warten, bis irgendetwas mich von dort wieder weg reißen würde. Und als ich nach einem Jahr frei kam, spürte ich nichts, weder Erleichterung noch irgendeinen Schmerz. Ich brauchte nur noch Luft. Luft zum atmen und Wasser für die Seele.
Ich kehrte zurück ans Meer. Tauchte ein, bis auf den Grund, dann drehend wieder hinauf, mit dem Rücken auf der Oberfläche, Wasser über meine geöffneten Augen, eine verschwommene Scheibe Himmel, eine vorbeiziehende Wolke. Niemand der fragte, wo ich war. Dieser Strand hatte nur Steine. Es war nie jemand da, nur ich, vielleicht, weil Gott es so wollte.
Manchmal bekamen wir Nachrichten aus dem Ausland, kurze oder lange Briefe, Anrufe: Friedel hatte sich ein Häuschen an der Ostsee gekauft. Mein Opa war im Alter von 80 Jahren gestorben, meine Oma sehr krank. Eines Tages bekamen wir die Nachricht, dass auch meine Tante jetzt bei Gott war. Auch sie, freiwillig gegangen.
Es gab Zeiten, da holte Gott sich vieler meiner Freunde, einige wurden nicht mal 30 Jahre alt. Einer meiner besten Freunde, entschied sich für immer ein Freund des Meeres zu bleiben. Er tat es auf seine ganz eigene Art. Eines Morgens lief er hinein und kam nie mehr zurück. Menschen verschwinden vom Feld wie Schachfiguren. Dinge beginnen, Dinge enden, manchmal ohne Fragen, ohne ein letztes Wort.
Hin und wieder spreche auch ich mit Gott.
Wir sitzen am Strand und erzählen uns Dinge. Wir diskutieren und verhandeln. Sehr oft sind wir uns nicht einig, und verfallen in Schweigen.
Über dem Horizont, geht die Sonne wieder auf!
Ich trete ans Ufer und blicke in die Ferne, werfe Steine gegen die Wellen.