Ich begegnete dem Fremden in unserer Stadt vor langer Zeit zum ersten Mal. Um seinen Mund kräuselte sich ein schwarzer Bart und aus freudlosen Blicken sprach Wehmut. Schwerfüßig bewegte er sich unter der Last eines Sackes, den er auf der Schulter trug, prall gefüllt mit Steinen von handlicher Größe. Er humpelte auf das Münster zu. Dort verharrte er, kniete nieder und öffnete den Beutel, entnahm ihm einen Stein, der eine Aufschrift zu tragen schien, und legte ihn auf die Stufen des Gotteshauses. Dabei murmelte er beschwörende Worte, dann erhob er sich. Ich verlor ihn aus den Augen.
Ich begegnete dem betagten Mann fernab im Süden, erkannte ihn sogleich im Schatten einer Synagoge. Er hockte im Staub, wendete einen runden Kiesel bedächtig in seinen zerfurchten Händen und strich behutsam über die Schrift auf dem befleckten Stein. Dann legte er ihn auf die Treppen zum Eingangsportal und ging seiner Wege. Ich trat näher und las in krakeliger Schrift auf dem Stein: AYASHA.
Ich begegnete dem Greis nach Jahren im Maghreb in einer weltfernen Oase. Grau war er geworden und wankte unter der Last seines Sackes mit noch reichlich Steinen, von denen er einen in den Innenhof der Moschee an die Mauer des Minaretten legte. Die Schrift war verkratzt, doch ich erkannte: AYASHA. Einem Mullah schien er anstößig, er trat ihn achtlos zur Seite.
Man begegnete ihm in Städten und Dörfern, an Flüssen und Seen, in Tälern und auf den Bergen und seine Steine AYASHAS fanden sich in den Gebetshäusern aller Religionen des einen Gottes. Und nicht wenige Menschen raunten allerlei, wovon sie nichts ahnten, und verlachten den Schweigsamen mit dem weißen Bart.
Eines nachts überfielen mich schlimme Träume. Ich sah einen kleinen Jungen, barfuß, erbärmlich und mit entsetzt blickenden Augen, der unablässig schrie. Er reckte sich auf Zehenspitzen zwischen Menschen, rang die Hände und zeigte auf eine in weiße Tücher gehüllte Gestalt, die brusthoch im Wüstensand vergraben die Steinwürfe erwartete. Ein Gottesmann schleuderte den ersten, dann flogen unzählige Steine. Das weiße Tuch verfärbte sich blutig; die verzweifelt schreiende, junge Frau sank in sich zusammen, wurde still, leblos, und der Junge wimmerte: Mama, Mama… Dann schleiften sie sie fort.
Des nachts schlich der Kleine zu dem Loch. Er sammelte die mit Blutkrusten behafteten Steine auf, schrieb AYASHA, den Namen seiner Mutter, der „Leben“ bedeutet, auf jeden einzelnen und verwahrte sie in einem Sack.
Ich begegnete dem Alten ein letztes Mal, als er ein Boot bestieg, sterbensmüde, und hinaus ruderte aufs offene Meer. Dort öffnete er seinen Sack und entnahm ihm den letzten Stein. Der schien glasklar wie ein Kristall und AYASHA flammte darauf. Doch er löschte mit zitternder Hand den Namen seiner Mutter und schrieb stattdessen: GOTT, ALLAH, JAHWE.
Dann versenkte er ihn mit einem gotteslästerlichen Fluch ins Meer, dort, wo es ihm am tiefsten schien.
Und…sie steinigen noch immer!
Ich begegnete dem betagten Mann fernab im Süden, erkannte ihn sogleich im Schatten einer Synagoge. Er hockte im Staub, wendete einen runden Kiesel bedächtig in seinen zerfurchten Händen und strich behutsam über die Schrift auf dem befleckten Stein. Dann legte er ihn auf die Treppen zum Eingangsportal und ging seiner Wege. Ich trat näher und las in krakeliger Schrift auf dem Stein: AYASHA.
Ich begegnete dem Greis nach Jahren im Maghreb in einer weltfernen Oase. Grau war er geworden und wankte unter der Last seines Sackes mit noch reichlich Steinen, von denen er einen in den Innenhof der Moschee an die Mauer des Minaretten legte. Die Schrift war verkratzt, doch ich erkannte: AYASHA. Einem Mullah schien er anstößig, er trat ihn achtlos zur Seite.
Man begegnete ihm in Städten und Dörfern, an Flüssen und Seen, in Tälern und auf den Bergen und seine Steine AYASHAS fanden sich in den Gebetshäusern aller Religionen des einen Gottes. Und nicht wenige Menschen raunten allerlei, wovon sie nichts ahnten, und verlachten den Schweigsamen mit dem weißen Bart.
Eines nachts überfielen mich schlimme Träume. Ich sah einen kleinen Jungen, barfuß, erbärmlich und mit entsetzt blickenden Augen, der unablässig schrie. Er reckte sich auf Zehenspitzen zwischen Menschen, rang die Hände und zeigte auf eine in weiße Tücher gehüllte Gestalt, die brusthoch im Wüstensand vergraben die Steinwürfe erwartete. Ein Gottesmann schleuderte den ersten, dann flogen unzählige Steine. Das weiße Tuch verfärbte sich blutig; die verzweifelt schreiende, junge Frau sank in sich zusammen, wurde still, leblos, und der Junge wimmerte: Mama, Mama… Dann schleiften sie sie fort.
Des nachts schlich der Kleine zu dem Loch. Er sammelte die mit Blutkrusten behafteten Steine auf, schrieb AYASHA, den Namen seiner Mutter, der „Leben“ bedeutet, auf jeden einzelnen und verwahrte sie in einem Sack.
Ich begegnete dem Alten ein letztes Mal, als er ein Boot bestieg, sterbensmüde, und hinaus ruderte aufs offene Meer. Dort öffnete er seinen Sack und entnahm ihm den letzten Stein. Der schien glasklar wie ein Kristall und AYASHA flammte darauf. Doch er löschte mit zitternder Hand den Namen seiner Mutter und schrieb stattdessen: GOTT, ALLAH, JAHWE.
Dann versenkte er ihn mit einem gotteslästerlichen Fluch ins Meer, dort, wo es ihm am tiefsten schien.
Und…sie steinigen noch immer!