Sterne (Der Beginn)

STERNE

Ann-Kathrin Deininger
(16.6. – 20.6.1998)


Zwischen den dahin rasenden, zerfaserten, dunklen Wolkenfetzen blitzte der Mond silbern auf, dann verschwand er wieder. Der Himmel zeigte ein schauriges , düsteres Farbenspiel aus nächtlichen Blau und Schwarztönen. Das flackernde Licht des Mondes lies Geistergestalten über den Himmel zucken . Ein Stern blitzte auf, wie das Auge einer schwarzen Katze, die ihre unheimliche Bahn am Himmel vollzog ; von links nach rechts . Die Dunkelheit war vollkommen , nur zeitweise von silbrigem , einem Blitz ähnlichen Leuchten erhellt . Trotzdem war es hier, unter den Bäumen noch dunkler . Es war so dunkel , daß man nicht einmal mehr seine Hand sehen konnte , wenn man sie vors Gesicht hielt. Es war so, als werde jeglicher Lichtstrahl, der von den Wolken durchgelassen wurde, von einer undurchdringlichen, schwarzen Macht absorbiert. Eine Windbö peitschte die Äste der drei Kastanien, die knorrigen Geisterfratzen gleich aus der Dunkelheit ragten. Die Blätter rauschten wie eine stürmische Meeresbrandung, die an den Wänden einer unterirdischen Grotte zerschellt. Ein Kastanienblatt glitt hinab, auf den Boden, wo zwischen Haufen von morschen Balken Unkraut wucherte. Es legte sich auf einen Balken, schmiegte sich um dessen zersplitterte, wurmstichige Spitze; wie eine riesige Hand Der Balken ächzte und knackte. Morsches Holz rieselte hinab.
Mitten im Unterholz stand eine kleine, zarte, blaue Blüte . Ein Donnerschlag hallte durch die Finsternis. Ein Windstoß folgte. Sträucher und Bäume knarrten bedenklich. Die Äste peitschten sich gegenseitig. Nur die Stämme der drei Kastanien standen unbewegt, unbeteiligt da, als gehörten sie nicht zu dieser Welt. Der Kopf der kleinen, zarten , blauen Blüte knickte ab. Ein winziger Faden schimmernden Grüns blieb zwischen ihren beiden zerbrochenen Stengeln bestehen. Aber er blieb nicht grün . Von der Wurzel der Pflanze her lief stockend dunkles Blau hinauf, einem giftigen Krebsgeschwür gleich. Das Gift überwand die Bruchstelle , kletterte mühelos höher und höher . Die kleine, zarte , blaue Blüte verdorrte; mit dem Gesicht zum Boden.
Der helle, zuckende Blitz durchbrach die Dunkelheit. im blendenden Lichtschein sah man jetzt jenes alte Haus; halb zerfallen. Der gelbe Zettel flatterte protestierend im Wind : BETRETEN VERBOTEN ! EINSTURZGEFAHR! Der Schatten des hohen Maschendrahtzaunes warf ein unheimliches Muster auf die Wände des alten Winkelhofes. Auf der durch den Zerfall unregelmäßigen Wand wirkte das Muster auf schaurige Weise unwirklich.
Etwas lebte in diesem Haus. Lebte schon lange hier, unter den drei riesigen Kastanien, die sich weit über die Lammerskreuzstraße wölbten. Etwas lebte hier seit einer Ewigkeit. In dieser Nacht; dieser dunklen, verschleierten Nacht; wachte es auf ...
Der Moment war vorbei, und Finsternis herrschte wieder unter den Kastanien; über den braunen, trockenen Überresten einer verdorrten, blauen Blume. Im nächsten Moment setzte peitschender Regen ein.


DIENSTAG 16.6.

Ich habe es satt mich schuldig zu fühlen,weil mein Bruder den Einkaufszettel nicht finden konnte, den ich nicht einmal angerührt habe. Immer wird nach banalen Dingen gesucht, die man mir vorwerfen kann, um doch noch für jenes altbekannte schlechte Gewissen zu sorgen, das tagelang hinter meiner Stirn wütet.


Coryll blickte auf ihr Tagebuch . Zwei Sätze . Zwei Sätze über einen normalen Tag, einen Tag wie jeden anderen. Es waren nur zwei Sätze, aber anhand dieser Sätze würde sie nach Jahren noch wissen wie sie sich heute gefühlt hatte. Nachdem ihre Eltern wieder einmal den Grund für das, was passiert war, bei ihr gesucht hatten – wahrscheinlich taten sie das nur, weil sie fast immer zu Hause war, im Gegensatz zu ihrem Bruder – saß sie in ihrem Zimmer mit einer Kanne Tee; Earl Grey wahrscheinlich , weil sie meistens Earl Grey trank , wenn sie Streit mit ihren Eltern gehabt hatte; und schrieb in ihr Tagebuch . Sie seufzte , klappte es zu und strich über den mit grünen Schlieren verzierten Umschlag . Coryll stand auf , das Tagebuch noch immer in der Hand . Sie öffnete die Tür und lief die Treppe hinunter . Aus der Küche hörte sie die laute Stimmen ihrer Eltern ; die eine hoch , die andere ein tiefer Baß . Sie wollte nicht wissen, um was es jetzt schon wieder ging . Coryll holte ihre Schuhe hervor und während sie sie anzog , sprang Laryt ; die lebhafte Labradorretrieverhündin um sie herum , stupste sie mit ihrer feuchten Nase und wedelte freudig mit dem Schwanz. „ Willst du mitkommen ?“ fragte Coryll sie. Laryt legte sich flach auf den Boden , den Kopf zwischen den Pfoten und jaulte leise. Coryll stand auf , griff nach ihrer Jacke. Sie steckte ihr Tagebuch und einen Kugelschreiber in die Innentasche und zog den Reißverschluß zu . Sie griff nach ihrem Schlüssel und steckte ihn ein. Dann nahm Coryll von der Garderobe die Hundeleine , machte Laryt daran fest und schlüpfte mit ihr durch die Tür nach draußen .
Es war neun Uhr abends , da es hier in Roetgen fast den ganzen Tag geregnet hatte war es nicht sonderlich warm . Der Ort wirkte so leer und ausgestorben . Nicht das in Roetgen an anderen Tagen viel mehr los gewesen wäre, aber heute begegnete sie auf der Straße keinem Menschen. Niemand war zu sehen. Laryt wollte bereits den Weg zum Wald einschlagen, aber irgendwie überkam Coryll ein sehr merkwürdiges Gefühl. Sie bog in die Vogelsangstraße ein und lief Richtung Faulenbruchstraße . Sie überquerte die Faulenbruchstraße und kam in die Lammerskreuzstraße. Coryll ging diese Straße entlang. Das merkwürdige Gefühl wurde immer stärker. Der Riemen ihres Schuhs schlug leicht gegen ihre Jeans und sie bückte sich, um ihn zuzubinden.
Ein eiskalter Hauch fuhr ihr über den Rücken, Laryt jaulte kläglich. Coryll blickte sich um. Sie hockte vor einem hohen Maschendrahtzaun, unter dem dichten Blätterdach von zwei riesigen, direkt am Zaun stehenden Kastanien . Coryll sah eine weitere große Kastanie , die direkt hinter der stand , die sich links von ihr befand . Zu dritt bildeten diese Bäume ein exaktes Dreieck . Weiter hinter dieser Kastanie erblickte sie einen Haufen morscher Balken , Stangen , Streben . Über dem herausragenden , zersplitterten Ende eines Balkens lag ein riesiges Kastanienblatt, wie eine Hand, vom Regen festgeklebt, nicht bereit, den Balken loszulassen.
Dann sah Coryll das Haus, ein altes Fachwerkhaus, halb zerfallen. Der ehemals weiße Anstrich war jetzt eher gelblich, der Lehm bröckelte allmählich ab . Man konnte stellenweise das Geflecht von Ästen sehen , das letztendlich die Wand bildete. Die wackligen Schindeln auf dem Dach , das an einigen Stellen bereits eingebrochen war , waren von Moos überzogen . Die meisten Fenster waren durch hölzerne Läden verschlossen oder einfach zugenagelt , nur bei einem ganz oben im Giebel des Winkelhofes fehlte ein Laden ; das winzige Fenster wirkte wie ein spöttisch auf sie herabblickendes Auge . An der Tür hing in einer durchsichtigen Folie ein gelber Zettel . BETRETEN VERBOTEN ! EINSTURZGEFAHR ! Coryll wunderte sich, warum der Zettel nicht hier vorne am Zaun hing, sondern hinten an der Tür, so weit von der Straße entfernt, daß man die Worte , die darauf standen, nur noch erraten konnte. Daneben , am Türrahmen hing das lächerlich wirkende Wappen von Nordrhein Westfalen mit der Aufschrift: DENKMAL . Von dem alten, zerfallenden Haus strahlte etwas sonderbares aus – oder von etwas in diesem alten Haus - . Coryll konnte nicht genau sagen, was es war, aber das erste was ihr einfiel war Finsternis, totale Dunkelheit. Nicht die Dunkelheit in einer Nacht, die man sehen konnte , sondern eine Finsternis, die sich wie eine dunkle Wolke über ihre Seele legte, eine Finsternis, die sie nicht sehen, aber fühlen konnte in ihrem Geist. Nein , nicht nur in ihrem Kopf. Sie konnte sie fühlen, wie sie ihre Fingerspitzen umstreifte, konnte sie greifen, wenn sie die Finger schloß, konnte sie durchdringen mit jeder kleinsten Bewegung ; aber sie war immer da, wich nicht mehr von Corylls Seite .
Dann spürte Coryll noch etwas . Die Finsternis zog sie an . Sie schien zu schweben und wurde immer näher an den Zaun herangezogen , näher und näher . Coryll wollte schreien , aber kein Laut kam über ihre Lippen . Krampfhaft klammerte sie die Leine fest , in der Hoffnung , daß Laryt sie von dem Sog befreien konnte. Aber sie spürte keinen Widerstand und als sie sich umsah , erblickte sie Laryt , die ebenfalls in jenem Sog gefangen war. Die Hündin heulte , heulte wie ein Wolf, unvorstellbar laut, jaulte und japste . Jeder ; jeder in der Umgebung mußte sie heulen hören . Ein Mann ging auf der anderen Straßenseite entlang . Er mußte Laryt einfach hören . Der Mann wandte kurz den Kopf und Coryll versuchte ihm zuzuwinken, aber er sah sie nicht . Genauso wenig wie er Laryt hörte. Coryll schrie verzweifelt auf , aber niemand hörte sie.
Ganz plötzlich hörte der Sog wieder auf . Coryll fand sich auf dem Boden liegend wieder , zwischen wuchernden Unkräutern , morschen Ästen und verfaulten Blättern . Sie lag direkt vor dem alten Haus,unter den Ästen der Kastanien . Aber der Zaun war verschwunden . Verschwunden !!!
Ein Zaun konnte nicht einfach verschwinden ! Das war unmöglich . Vorsichtig blickte sie sich um . Der Zaun war noch da , aber er war hinter ihr . Die Finsternis hatte sie mitten durch den Zaun gezogen, und sie hatte es nicht einmal gemerkt. Sie schob sich zitternd an die rechte Kastanie heran und lehnte sich ängstlich an den mächtigen Stamm. Laryt drängte sich ganz dicht an sie.
Coryll bemerkte, daß es inzwischen Nacht geworden war. Sie konnte durch die Bäume hindurch die Sterne sehen. Der Himmel war vollkommen wolkenfrei. Auf irgendeine Weise beruhigten sie die Sterne. Die hatte immer davon geträumt, zu den Sternen zu reisen; weit weg; in unendliche Weiten; einfach die Hand ausstrecken und nach den Sternen greifen zu können. Aber sie wußte, daß dieser Traum nie wahr werden würde. Coryll blickte weiter zu den Sternen, helle, blitzende Lichter am Himmel. Sie versuchte sich vorzustellen, wie weit die Sterne wohl auseinander lagen. Sie dachte darüber nach, ob alle Sterne wie die Sonne aussahen, oder ob es auch andere gab – blaue oder grüne oder...schwarze. Von hier sahen sie alle gleich aus . Dasselbe silbrige Licht, strahlend und hell ... Irgendwann schlief sie über diesem Gedanken ein.

MITTWOCH 17.6. 4:27 UHR

Die Finsternis hält mich fest. Ich komme nicht daran vorbei. Der Zaun ist unerreichbar. Irgend etwas will, daß ich bleibe, aber ich habe Angst, ihm zu begegnen.


Coryll saß noch immer unter der Kastanie. Sie traute sich nicht, sich zu bewegen , solange es noch dunkel war. Das heißt, richtig dunkel war es nicht mehr, die Sonne ging auf. Allmählich wurde es heller und Coryll beschloß, mit Laryt zunächst einmal das Gebiet zu erkunden. Sie gingen dicht am Zaun entlang, durch das Unkraut und Gestrüpp hindurch. Mehrmals stolperte Coryll über Balken und Wurzeln, die unter dem Gestrüpp total unsichtbar waren. Sie umrundete das Haus einmal, versuchte dabei, soviel wie möglich zu sehen. Sie wußte, daß sie irgendwann in dieses Haus gehen mußte, also versuchte sie immer wieder, ins Innere zu blicken, um so gut wie möglich darauf vorbereitet zu sein. Sie machte eine weitere Runde. Dabei achtete sie auf alles, was um das Haus herum lag. Auf dem Boden entdeckte sie auf einmal eine freie Fläche, die vom Unkraut noch nicht angerührt worden war. Es war so, als wiche das Gestrüpp in einem großen Bogen davor zurück. In die Erde war etwas eingeritzt. Coryll blickte sich um. Sie befand sich jetzt hinter dem Haus. Wenn sie über das Dach schaute, konnte sie die drei mächtigen Kronen der Kastanien sehe. Sie mußten jetzt genau vor ihr liegen. Wäre das zerfallende Haus nicht gewesen, hätte sie genau ihr gegenüber den Platz sehen können, an dem sie gesessen hatte. Coryll ging in die Hocke um die in den Boden geritzte Zeichnung zu betrachten. Sie zeigte folgendes:


O

+

O O


Sie konnte nichts damit anfangen. Nachdem sie es eine zeitlang angestarrt hatte stand sie auf. Dabei fuhr ihr eine Dornenranke über den Arm . Feines Blut lief an ihrer Hand hinab und tropfte auf den Boden. Im nächsten Moment war die Dornenranke verschwunden, so als wäre sie nie dagewesen. Coryll blickte hinab auf die Zeichnung im Boden. Der Blutstropfen fiel in die Zeichnung, genau über dem rechten Kreis, so daß die Kreise zusammen mit dem Blutstropfen ein Quadrat bildeten. Das Kreuz in der Mitte des Dreiecks, daß die Kreise zuvor gebildet hatten, verblaßte und verschwand dann. Coryll starrte auf die Zeichnung. Sie versuchte einen Sinn darin zu sehen. Es gelang ihr nicht.


MITTWOCH 17.6. 6:54 UHR


Niemand sieht mich.


Coryll stand vor dem Haus. Sie blickte es an. Die abblätternde Farbe, die morschen Balken. Sie kam näher heran. Laryt folgte ihr. Coryll tastete vorsichtig über den Türbalken. Ihre Finger glitten über das Wappen. Es war so glatt, so anders. Es paßte nicht zu dem Haus. Sie drückte probeweise gegen die Tür. Sie schwang knarrend und quietschend auf. „ Warte hier “ , sagte sie zu Laryt. Die Hündin schüttelt ihr helles Fell. Sie legte sich neben die Tür und wuffte kurz. Coryll strich ihr über den Kopf, dann schob sie die Tür weiter auf. Licht fiel in das dunkle Innere. Sie konnte wieder diese Finsternis spüren, die sie hierher gebracht hatte, und die sie hier gefangen hielt. Die Tür fiel klappernd hinter ihr zu.


MITTWOCH 17.6. 10:33 UHR


Ich habe nichts gefunden, das mir weiterhilft, außer morschen Balken, zerfallendem Holz und Farbresten. Die Finsternis scheint jedes Leben hier auszulöschen, entgegen aller Gerüchte, die hier in Roetgen kursieren, gibt es nicht einmal Ratten.


Laryt lag auf Corylls Füßen zusammengerollt, während sie mit dem Rücken am Stamm der Kastanie lehnte. Inzwischen war das Unkraut niedergedrückt und hatte einen recht bequemen Sitzplatz gebildet. Die Stiche von Brennesseln juckten auf Corylls Armen und Beine. Sie versuchte nicht darauf zu achten. Außerdem hatte sie Hunger. Laryt stand plötzlich auf und hüpfte bellend um Coryll herum. Das Mädchen erhob sich und folgte ihrem Hund durch das Gestrüpp. Laryt blieb vor einem Busch ganz in der Nähe des Zaunes stehen. Sie bellte Coryll an. Coryll fand endlich, worauf Laryt hinauswollte. Nach einiger Kletterei verfügten sie über eine Handvoll Beeren und zwei Äpfel von einem Baum aus dem Nachbargarten, dessen Äste sich herübergebeugt hatten. Nicht unbedingt die beste Mahlzeit, aber wenigstens etwas. Nach dem Essen rollte sich Coryll unter den drei Kastanien zusammen und schlief ein. Sie träumte von den Sternen.


MITTWOCH 17.6. 16:48 UHR


Es ist dunkel geworden, viel dunkler, als es eigentlich hätte sein dürfen. Die Finsternis ist aufgewacht, ist aufgewacht um Macht zu bekommen. Wenn man sie jemals besiegen kann, dann jetzt. Ich habe Angst.


Es war stockdunkel. Der Wind heulte durch die großen Kastanien, Äste knackten, das Unkraut wurde vom Sturm regelrecht niedergedrückt. Coryll klammerte sich krampfhaft am Stamm der Kastanie fest. Laryt bellte verzweifelt, während sie sich gegen den Sturm lehnte . Irgendetwas geschah . Unter dem hellen Heulen des Windes war jetzt ein dumpfer, tragender Ton zu hören, der unregelmäßig an und abschwoll. Etwas kam. Der Ton wurde lauter. Der Boden vibrierte. Mit einem dumpfen Knall brach der Boden auf, genau in der Mitte des Dreiecks , das die drei Kastanien bildeten.
Genau an der Stelle, wo ... sich das Kreuz auf der Zeichnung befunden hatte. Coryll erschrak. Das Unkraut und das Gestrüpp flog in hohem Bogen davon, traf Coryll , zerriß ihre Haut. Laryt heulte auf. Coryll wich von dem Baum weg, bis sie etwa an der Stelle stand, wohin ihr Blut auf der Zeichnung getropft war. Es war da. Sie konnte es spüren, aber es wogte in der Finsternis, so daß sie es nicht sehen konnte. Es hatte keine Gestalt. Etwas traf Coryll mit unglaublicher Gewalt, schleuderte sie wieder gegen jene Kastanie, an die gelehnt sie versucht hatte zu schlafen. Sie verlor das Bewußtsein.
Laryts Schrei ließ sie wach werden. Die Hündin jaulte vor Schmerz. Es klang so entsetzlich hilflos. Coryll rannte zu ihr, soweit das noch möglich war. Laryt lag in der Mitte des Dreiecks. Bis zu den Schulterblättern war sie mit einem blauen Film bedeckt. Er fraß sie auf. Laryt heulte kläglich. Coryll begriff plötzlich. Sie packte die Leine an Laryts Halsband und zog daran. „ Steh auf, du mußt hier weg. Steh auf! Bitte ! “ schrie sie sie an. Sie zerrte und zog an der Leine. „Komm raus da, du dummer Hund, komm raus sonst stirbst du!“ Laryt jaulte immer kläglicher, röchelte eher. „ Nun mach schon!“ flüsterte Coryll nur noch, dann sank sie neben Laryt auf den Boden. Das Blau auf ihrem Körper kroch immer weiter. Coryll lag neben der Hündin und streichelte vorsichtig ihre Schnauze. „ Es tut mir leid, Laryt, es tut mir leid.“ Coryll weinte. Sie strich weiter über die Schnauze der Hündin. „ Du wirst nicht sterben. Du wirst erwachen. Erwachen ... Hab keine Angst.“ Corylls Stimme versagte.


Coryll blickte auf die Stelle, an der gerade noch Laryt gelegen hatte. Jetzt war sie fort. Coryll weinte noch immer. Sie sah hinauf zum Himmel Sie konnte jetzt die Sterne sehen. Aber sie konnte nicht sagen wieviel Zeit vergangen war.


DONNERSTAG 18.6. 0:47 UHR


Es ist noch immer hier. Es ist die Finsternis. Laryt ist tot, aber ich sage lieber, sie ist erwacht. Es ist dasselbe, letztendlich, aber vor dem Tod habe ich Angst. Deshalb sage ich Erwachen. Es nimmt mir die Angst, die die Finsternis benutzen will.


Es schleuderte ihr das Tagebuch aus der Hand. Du wirst sterben, lachte eine grauenvolle Stimme in ihrem Kopf. Es war die Stimme der Finsternis. Tod! Du wirst tot sein! "Nein“, flüsterte Coryll. „Ich werde erwachen.“ Tod und Erwachen sind dasselbe. „ Tod ist Erwachen, aber Erwachen ist nicht Tod.“ Erwachen ist Tod. Du hast Angst vor dem Tod. Darum kannst du mich nicht besiegen. „Ich werde erwachen “, sagte sie bestimmt. Die Finsternis fiel über sie her. Coryll spürte einen unerträglichen Schmerz. Sie wand sich und fiel zu Boden. Sie spürte das Blau an ihren Beinen. Die Finsternis stieß erneut zu. Coryll keuchte auf, als plötzlich ihr Brustkorb zusammengedrückt wurde. Der Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen. Mit dem Schmerz kam die Wut . Coryll zerrte ihren Schlüssel aus der Tasche. „Du Schwein hast meinen Hund umgebracht!“ schrie sie. Sie reckte den Schlüssel hoch in die Luft. Das Licht eines Sternes prallte hell auf den Schlüssel und wurde abgelenkt. Ein heller Strahl schnitt tief in die Dunkelheit ein. Es / die Finsternis schrie auf. Coryll war befreit von dem Druck. Sie kroch vorwärts. Muß das Quadrat bilden, dachte sie. Die Finsternis schlug ein letztes Mal zu. Coryll zog sich noch weiter, noch ein Stück weiter. Der finstere Blitz traf sie. Noch ein halber Meter. Coryll zog sich noch einmal weiter, das letzte Stück, dann brach sie zusammen. Sie hörte den Todesschrei der Finsternis. Das Quadrat ist geschlossen, dachte sie. Sie sah hinauf in den Himmel. Sie griff nach den Sternen.



EPILOG


Der Fluch war gebrochen. Das alte Haus, in Roetgen in der Lammerskreuzstraße, lag so ruhig da wie zuvor. Der Wind heulte durch die Kastanien. Eine winzige neue Kastanie wuchs. Das Quadrat war geschlossen. Der Wind spielte mit den vergilbten Seiten eines grünen Buches. Auf einer Seite stand:

DIENSTAG 16.6.


Ich habe es satt, mich schuldig zu fühlen, ...



Der Wind blätterte weitere Seiten um. Sie waren leer. Die letzte Seite flog herum. Dort stand ein Satz:


DONNERSTAG 18.6. 1:01 UHR

Ich bin erwacht .
 

Pennywise

Mitglied
Hallo Ann-Kathrin !
Ich bin neu hier im Forum und habe jetzt ein paar Deiner Werke gelesen und finde sie durchweg sehr gut gelungen!!
Gibt es eigentlich (gedruckte)Veröffentlichungen von Dir ?
Gruß, Pennywise
 
Leider bisher nicht

Tut mir leid, es gibt von mir noch nichts in gedruckter Version. Mein erster fertiger Roman "Dämonen des Steines" wurde leider überall abgelehnt, die Manusskripte liegen jetzt alle bei mir zu Hause rum, sofern ich sie denn zurück bekommen habe. Deshalb hab ich mich dann selber dran gemacht, ein paar Kapitel von Dämonen des Steines findest du auch bei den Fortsetzungsgeschichten, den kompletten Roman gibt es las Download entweder auf meiner HP http://www.anka-dei.de.vu (Da finden sich auch noch ein paar andere meiner Werke) oder auf http://www.online-roman.com, das waren meine Versuche, an Leser für den Roman zu kommen. Im Moment schreibe ich an einem zweiten Roman, ich kann allerdings noch nicht sagen, wann er fertig sein wird.

Vielen Dank für das große Lob!

Viele Grüße Ann-Kathrin
 

Pennywise

Mitglied
Ich werde mir die Seiten mal anschauen, wenn ich mehr Zeit habe.Aber an Deiner Stelle würde ich es mit dem veröffentlichen immer weiter versuchen !
Viel Glück dabei !!
 



 
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