Sternenfahrt

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James Blond

Mitglied
Sternenfahrt. Prolog

Wer wollte schon nach fremden Sternen greifen
und kennt vom Duft der Dunkelheit beseelt
den Ort nicht mehr, an dem die Wünsche reifen,
weil ihm das klare Licht der Ferne fehlt?


Sternenfahrt. Der Aufbruch

Im Rausch der Nacht trieb ich durch blaue Bänder
bis vor das Sternentor des Magellan,
es lockten Myriaden ferner Länder
in einen wolkentiefen Ozean.

Wohin? Wohin wird diese Reise führen?
Zum Stelldichein mit der Unendlichkeit
verschloss die Umsicht alle Sinnestüren
und führte mich aufs Schiff der Sternenzeit.

Dem trüben Licht des unbewohnten Zimmers
gefiel der angeschwemmte Reisegast,
ein letzter Augenblick des Sternenschwimmers
ersah noch Ruder, Segel und den Mast.

Der Aufbruch in die stillen Lichtgefilde
verlief im Abdruck eines Regenschuhs,
dann glitt die Fähre aus dem Daseinsbilde
und hinterließ die Nacht als Sternengruß.


Sternenfahrt. Die Säulen des Olymp

Getaucht ins graue Licht des frühen Morgens
errang die erste Säule meine Gunst,
so nah den weißen Kitteln des Versorgens,
so nah dem Dialog von Macht und Kunst.

In reines, seidenhaftes Weiß gekleidet
ertrug sie schimmernd ihre Tragelast
und gab dem Raum sein Licht, das wandernd weidet,
gelöst von jeder Ungeduld und Hast.

Hier lagen wir gefügt zu einer Reihe
im Sarkophag des Lebens aufgebahrt,
mit Ausblick auf die säulenhafte Weihe
als Fraß der Zeit, vereint in stiller Fahrt.


Sternenfahrt. Die Kameraden

Bei Tageslicht verspricht man Schutz den Kranken,
die Hoffnung trägt uns durch die Leidensnot,
im Schwarz der Nacht ertrinken die Gedanken
und Sehnsucht malt ihr Stimmungsbild vom Tod.

Wir blieben, bis die stumm verbrachten Wochen
im Aufgebot des uferlosen Lichts
aus ihrer schweigenden Erwartung krochen,
verstaut und angeheftet an das Nichts.

Nachdem der Schein sich aus den Gliedern löste,
verhüllte uns der unverstandne Glanz,
wobei er eine Schattenwelt entblößte,
die züngelnd eiferte im Flammentanz.

Da reichte es, dem Fieber nachzugeben,
dem vagen Rhythmus jener Sternenspur,
schon füllte sich die Nacht mit neuem Leben
und fremdes Sein gewann in uns Kontur.

Vielleicht ging unser Atem nur verhalten,
so fest geklammert an ein Reiseglück:
Das Dutzend abenteuernde Gestalten
begrüßte totenstarr den Start ins Heldenstück.


Sternenfahrt. Die Nachtwache

Das Segeltuch verdankt die Gunst den Winden,
es tränkt das Leben aus geblähtem Rund,
der Sternenblick wird in der Flaute schwinden,
wenn Gegenwart vereitelt jeden Fund.

Dann zehrt der Geist von angespannten Sinnen,
er hadert mit dem auferlegten Halt
und lässt sich über Illusionen rinnen,
mit trübem Blick, die Augen kalt.

Noch harren wir der Dinge, die uns blühen
und ahnen nichts vom Lohnbetrug der Zeit,
wie sehr wir unsre Aussicht auch bemühen,
die Nacht bleibt einem fremden Zweck geweiht.


Sternenfahrt. Schiffbruch

Sekunden quälten uns im Takt der Uhren
durch eine wüstenweite Gegenwart.
Wir wandelten auf engen Zirkelspuren
und merkten nicht, wie uns die Zeit verscharrt.

Versandet trieben wir im Strom der Tage,
bis schließlich alle Bindung uns entwich,
verschwunden waren da längst Sinn und Frage,
verloren ging nun unbemerkt das Ich.

Bis wir am Schluss den fernsten Kindern glichen
und nichts mehr waren, das im Staub verblieb:
Da hatte uns die Zeit aus dem gestrichen,
was ungezeugt in Sternennebeln trieb.


Sternenfahrt. Gescheitert

Und niemand weiß, wohin die Wellen tragen,
kein Auge fand den Strand der Sternenbucht;
kein Steuermann ließ sich zum Kurs befragen,
allein die Suche blieb uns Lebensfrucht.

Doch hatte nichts das Hoffnungsglück betrogen,
mit dem wir drangen in die Sternennacht,
nichts war gestört am großen Klang der Wogen,
die uns ertrugen als des Himmels Fracht.

Wir waren es, die sich nicht selbst erkannten
und wollten blind zu einem fernen Ziel
und wussten nicht, dass sie verzweifelt rannten
um einen Heldenplatz im Sternenspiel.

Was uns gebildet hatte aus Äonen,
zum Augenblick in eignes Sein vereint,
das löste sich nun wieder zu Atomen,
von denen jedes seinen Sinn verneint.


Sternenfahrt. Epilog

Gefahr liegt in der Saat der freien Wege,
wenn jeder Schritt uns an den Abgrund führt,
die Rettung folgt dem Pfad der guten Pflege,
den selten nur das Sternenlicht berührt.

Erwartet nicht, vorab das Grab zu sehen,
wo uns die Zeit im Dauerlauf besiegt!
Wir wissen nur, es wird einmal geschehen
und ahnen nicht, wie nah das Ziel schon liegt.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
So. Fertig! Ich auch. ;)

Ich muss die Leser warnen: Dies ist keine leichte Kost - nur soviel sei verraten. Über die Entstehungsgeschichte aber werde ich mich ausschweigen.

Ich habe den Text schrittweise (ca. täglich) ergänzt und dabei festgestellt, dass die Zugriffe nach 10 Tagen nunmehr bei Null liegen und mir daher erlaubt, den kompletten Inhalt jetzt einmal hochzuholen. Dabei werde ich es belassen. Versprochen. :)

Gruß an Alle
JB
 

Aniella

Mitglied
Ich muss die Leser warnen: Dies ist keine leichte Kost

Hallo James,

keine leichte Kost und nichts, worüber man auch nur entfernt schmunzeln könnte.
Da ich kein (wirklicher) Lyriker bin, halte ich mich an die Inhalte.
Ich werde (weil es mir unmöglich erscheint, dass im Einzelnen alles zu kommentieren, sorry), auf die Punkte beschränken, die ich meine herausgelesen zu haben.
Ich kann natürlich völlig daneben liegen, aber es erscheint mir als eine Darstellung des Lebens vom Anfang bis zum (bitteren) Ende. Parallelen zur Realität sehe ich besonders in der Reise mit vermeintlich erstrebenswertem Ziel unter gefährlichen Umständen, die lange verleugnet werden. Wenn es um die augenblicklichen Kriegssituationen in unserer momentanen Weltlage geht, wie ich vermute, dann ist die Erkenntnis, wie sinnlos das alles war, leider zu spät gekommen. Was zu erwarten war, wenn man es mit ein wenig Abstand und vor allem mit Vernunft betrachten will.
Alle Träume zerplatzen wie Seifenblasen und klar sieht man erst, wenn es zu spät ist.
Selbst ohne den Kriegsgedanken dahinter, spiegelt der Text für mich die oft sinnlose Suche und Verfolgung des vermeintlichen Glücks im Leben, anstatt einfach nur friedlich zu leben.

Mit wundervollen Worten zusammengestellt.

Meine Gedanken dazu, ich hoffe, ich liege nicht zu weit neben Deiner Intention.

LG Aniella
 

mondnein

Mitglied
Wer wollte schon nach fremden Sternen greifen
und kennt vom Duft der Dunkelheit beseelt
den Ort nicht mehr, an dem die Wünsche reifen,
weil ihm das klare Licht der Ferne fehlt?
Das gefällt mir am besten, sage ich nach dem Lesen des Ganzen, also nicht etwa, weil ich nur diesen Anfang gelesen hätte, sondern nun beim Wiederlesen.
Was nicht bedeutet, daß ich die ganze Bedeutung dieser Strophe schon ausloten könnte, dazu brauche ich noch ein tieferes Eintauchen, glaube ich.

grusz, hansz
 

Ubertas

Mitglied
Lieber James,
ich danke dir, dein Gedicht jetzt in voller Länge lesen zu dürfen (habe schon darauf gewartet).
Was mich besonders beeindruckt ist, wie sich der Sternenschwimmer entwickelt unter dem Aspekt, dass wir alle immer Sternenschwimmer bleiben werden, ob wir gegangen sind oder nicht. In Hinblick auf die harte Kost ist das ein harter Satz.

So wie Hansz die erste Strophe deines Gedichts beeindruckt und gewiss auch die folgenden - so geht es mir mit der letzten Strophe:

Erwartet nicht, vorab das Grab zu sehen,
wo uns die Zeit im Dauerlauf besiegt!
Wir wissen nur, es wird einmal geschehen
und ahnen nicht, wie nah das Ziel schon liegt.
Für mich ist dieses Gedicht eines der emotionalsten Gedichte, die ich jemals gelesen habe und (wieder)lesen werde!
Vor deiner "Sternenfahrt" sitze ich, lese sie.
Ich will kein weiteres Wort mehr in den Orbit schicken.

Liebe Grüße,
Anita.
 

James Blond

Mitglied
Das gefällt mir am besten, sage ich nach dem Lesen des Ganzen, also nicht etwa, weil ich nur diesen Anfang gelesen hätte, sondern nun beim Wiederlesen.
Hey Hansz,
schön, dass dir die Eingangsfrage der "Sternenfahrt" gut gefällt. Die Antwort (auf das "wer") musst du dir allerdings selbst geben. :)

Liebe Grüße
JB
 

James Blond

Mitglied
Für mich ist dieses Gedicht eines der emotionalsten Gedichte, die ich jemals gelesen habe und (wieder)lesen werde!
Liebe Anita,
das ist ein so tolles Kompliment, dass ich es noch nicht einmal abschätzen kann! Danke. :)
Ich freue mich natürlich, wenn ich dir seelische Nahrung bieten konnte, auch wenn die Kost nicht leicht ist ...

Liebe Grüße
JB
 

Frodomir

Mitglied
Hallo James Blond,

ich lese hier ein gleichermaßen klassisches wie in seiner Aufmachung gewaltiges und beeindruckendes Gedicht über die Heldenreise des irdischen Individuums, endend allerdings wenig heldenhaft in einer den Sinn unseres Tuns in Frage stellenden Auflösung des Irdischen in seine Atome.

Weil das Gedicht dabei nicht an abstrakten Begriffen spart (es ist in hohem Maße substantivlastig) und damit überwiegend nicht darauf ausgelegt ist, greifbare oder sinnlich erfassbare Bilder zu erzeugen, habe ich mich jedoch ob der Länge des Gedichtes dabei erwischt, wie mir die Verse beim Lesen zwischendurch verschwommen sind und ich mich manchmal zwingen musste, meine Lesekonzentration aufrecht zu erhalten.

Das soll allerdings nicht meine Anerkennung für die hervorragende Leistung, die du mit deinem Werk meiner Meinung nach abgeliefert hast, schmälern, auch wenn es vielleicht nicht die Art Lyrik ist, die ich bevorzuge, was aber nichts zur Sache tut.

Ich hätte noch die Frage, ob es Absicht ist, dass in der ersten Teilüberschrift Sternenfahrt.Prolog kein Leerzeichen nach dem Punkt ist?

Insgesamt habe ich dein Gedicht sehr gern gelesen, mein Kompliment!

Viele Grüße
Frodomir
 

James Blond

Mitglied
Hallo Frodomir,
danke, dass du dich an mein Ungetüm herangetraut hast und mir deine Eindrücke so verständlich offen legst!

Ich hätte vielleicht meine Warnung in #1 etwas genauer formulieren sollen. Vom Umfang her ist es nicht ratsam, alle 100 Verse in einem Zuge durchzulesen, zumal die 25 Strophen sich im Aufbau und in der Sprache entsprechen. Da ist fast zwangsläufig mit einem Verschwimmen zu rechnen.
Ich hatte zuvor überlegt, jeden Teil einzeln zu veröffentlichen, doch dann wäre die Einheit des Ganzen dahin. So habe ich die Teile schrittweise im selben Faden angehängt, in der Hoffnung, dass sie dann mit zeitlichem Abstand gelesen würden. Doch leider bewirkt das "Bearbeiten" eines Textes keine Neudatierung und so rutschte das Ganze schnell aus der Übersicht der "neuen Beiträge".

Es hätte vielleicht eine Ballade werden können, aber es ist ein Bericht über Erfahrungen geworden und dieser Form ist - denke ich - die Menge an Substantiven zu verdanken.

Danke für deine Anerkennung, zumal es sich nicht um deine favorisierte Dichtung handelt! :)

Grüße
JB

P.S. Das fehlende Blank in der 1. Überschrift habe ich ergänzt
 

petrasmiles

Mitglied
Ich bin beeindruckt von dieser Sprachgewalt, Dein Finden von Bildern und Formulierungen machen die 'Erzählung' frisch.
Im Gegensatz zu Frodomir sehe ich da gar keine 'abstrakte' Sprache, das geschieht ja nicht durch Substantive, sondern eine packende 'Balladensprache', die sehr konkret wird.
Diese Reise ist nicht neu oder (in meinem Alter) überraschend, aber die Wortgewalt bewirkt, als würde diese Reise zum ersten Mal beschrieben.
Ich werde sicher wieder vorbeischauen.

Liebe Grüße
Petra

P.S. Zum Niederknien: 'es tränkt das Leben aus geblähtem Rund'
 

James Blond

Mitglied
Liebe Petra,
sehr gern höre ich es, dass meine Balladensprache dich packen konnte, denn wie du auch schreibst, ist die beschriebene Reise ja nicht neu (und auch nicht überraschend), sondern bildet nahezu regelmäßig einen Spannungsbogen unserer Existenz. Natürlich ist sie damit - was du sicherlich auch weißt - ein lyrisches Dauerthema und die Gefahr ist groß, damit in abgegrasten Worten und Versen zu landen. Umso wertvoller (und wohltuender) ist für mich dein Eindruck, als würde diese Reise zum ersten Mal beschrieben. :)

Hab vielen Dank für diese Eindrücke!

Liebe Grüße
JB
 



 
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