Wenn mein Text an ein paar Stellen irgendeine Grundstruktur verlässt, so liegt es daran, dass ich keiner dieser Strukturen nachgehe.
Ich schreibe nur so aus dem Bauch.
Ich stell hier mal als Vergleich zu Deiner Fassung eine metrisch regelmäßige Fassung vor und eine Version, die einige der "Holperer" beibehält und nur ein paar metrisch Stellen etwas glättet. Einfach als Experiment, wie sich das dann jeweils für Dich liest.
Ich glaube, selbst wenn man einfach aus dem Bauch heraus schreibt, ist es hilfreich im Nachgang nochmal zu reflektieren, ob die spontan entstandene Lösung wirklich die für einen selbst (!!!) beste Lösung ist.
Ob ich als Leser eine andere Lösung bevorzugen würde, ist dabei natürlich erstmal zweitrangig (sofern Du nicht mit der Lyrik Geld verdienen willst, was aber bekanntermaßen ein etwas riskantes Geschäftsmodell wäre
). Insofern gehts auch überhaupt nicht darum, ob ich, als Leser, jetzt eine meiner zwei Versionen "besser" finde, als Deine Fassung - das soll für Dich wirklich keine Rolle spielen - es geht nur darum, für Dich selbst eine möglichst optimale Lösung zu erarbeiten. "Erarbeiten" klingt dabei ganz schön unlyrisch und eher mühsam, aber ich bin der Überzeugung, dass außer bei ganz seltenen extremen Naturtalenten eine spontane Primärfassung fast niemals die für den Autor/die Autorin bereits optimale Fassung darstellen kann, weil einem als Normalsterblichem im Eifer des Gefechts immer ein paar Dinge durch die Lappen gehen.
LG!
S.
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"Glatte Fassung"
Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still beim Blättern in Gedankenbildern,
die hinter meinen Augen ständig lauernd wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.
Im Halbschlaf denke ich zurück an das "Für Immer",
an dieses scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmung, Haut an Haut im dunklem Zimmer.
Die Finsternis schwingt sachte ihre Sternenflügel,
ein warmer Windhauch klettert durch mein off'nes Fenster,
Gardinen tanzen mit ihm Tango: Nachtgespenster;
der Schlaf, er holt mich ein - und ich verlier die Zügel
an einen Traum - an ein sekundenkurzes Glück:
in diesem Traum, da kehrt die Ewigkeit zurück ...
=> Glättungen:
In S1Z2 gibt es im Original einen Hebungsprall: Bei "lieg ich still, blättre... " möchte sowohl das "still" als auch das "blättre" betont werden. Zwei betonte Silben hinter einander versucht man in traditioneller, metrisch gebundener Dichtung eher zu vermeiden, weil sich das nicht "flüssig" vortragen lässt.
In S1Z3 gibt es in Deiner Fassung verschiedene Betonungsmöglichkeiten, die aber alle nicht der sonst vorherrschenden jambischen Grundstruktur entsprechen und einige "walzernde" Senkungspralle (zwei unbetonte Silben hinter einander) erfordern, je nachdem wie man es liest evtl. auch mit einem zusätzlich eingeschobenem Hebungsprall.
S2Z1: Hier gibt es beim streng metrischen Lesen eine unnatürliche Betonung auf dem letzten "e" von erinnere, was man im Vortrag gut durch eine schwebende Betonung auflösen kann; dennoch in der "Glattfassung" mal eine Umgehung dieses Betonungsproblems.
S2Z4: In Deiner Fassung völlig regelmäßiger Jambus, allerdings mit 7 statt mit 6 Hebungen, daher in der geglätteten Fassung für 6-Hebung umformuliert, wobei es, abweichend von Deiner Fassung, etwas erotischer wird. Das müsste man ggf. wieder etwas zurückbauen, wenn hier gar keine erotische Situation besungen werden soll (ich hab Deine Fassung aber eigentlich schon als romantisch-verliebt aufgefasst, vor allem wegen der Katzenpfoten, die doch einen etwas prädatorischen Kontext andeuten und für mich weniger zu einer "platonischen" Liebe passen).
S3Z3+4: Beide Zeilen sind metrisch regelmäßig, aber nur mit 5 Hebungen statt der sonstigen 6 Hebungen, daher entsprechend leicht umgeformt. Der Tango ist hier womöglich etwas zu expressiv - ggf. gäbe es natürlich auch Möglichkeiten auf 6 Hebungen zu kommen.
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"Leicht geglättete Fassung"
Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still --- blättere in Gedankenbildern,
die schon zwei Ewigkeiten hinter meinen Augen wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.
Erneut erinnere ich mich an das "Für Immer",
an dieses scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmungen ganz sanft im dunklem Zimmer.
Die Finsternis schwingt sachte ihre Sternenflügel,
ein warmer Windhauch klettert durch mein Fenster;
Gardinen tanzen mit ihm wie Gespenster,
der Schlaf, er holt mich ein - und ich verlier die Zügel
an einen Traum - an ein sekundenkurzes Glück:
in diesem Traum, da kehrt die Ewigkeit zurück ...
=>
Hier habe ich den Hebungsprall in S1Z2 erhalten, aber die Sprechpause, die er einfordert deutlicher gekennzeichnet. Diese Pause passt ja grundsätzlich zu der geschilderten Stille des lyr. Ichs.
Die etwas irreguläre Metrik in S1Z3 habe ich zwar geglättet, aber unter Inkaufnahme einer zusätzlichen Hebung (7 statt der üblichen 6), was hier ggf. zu den Ewigkeiten passen könnte (die Zeile dauert halt dadurch zwar nicht "ewig", aber doch spürbar länger).
Die Metrik in S2Z1 hab ich so belassen, hier müsste man also im Vortrag die Betonungen etwas "verflüssigen"
In S2Z4 hab ich die Siebenhebigkeit wieder aufgelöst, hier aber mal die Haut in der "Glattfassung" aus dem Spiel gelassen.
Die restlichen Zeilen, inklusive der silbenmäßig verkürzten "Fünfheber" hab ich mal so gelassen.