Sternenflügel

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Trist

Mitglied
Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still blättre in den Gedankenbildern,
die Ewigkeiten schon hinter den Augen wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.

Erneut erinnere ich mich an das "Für Immer",
an dieses Scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmung deiner Zärtlichkeit im dunklem Zimmer.

Die Finsternis schwingt sachte ihre Sternenflügel,
ein warmer Windhauch klettert durch mein Fenster;
Gardinen tanzen mit ihm, wie Gespenster,
der Schlaf, er holt mich ein - und ich verlier die Zügel

an einen Traum - an ein sekundenkurzes Glück:
in diesem Traum, da kehrt die Ewigkeit zurück ...
 

sufnus

Mitglied
Hey!

Ein elisabethanisches Sonett. Immer wieder schön, die alten Formen am Start zu sehen! :)
Interessanterweise erinnert mich dieses Gedicht an lyrische Angänge meines früheren Ichs, als ich, noch jung und unverbraucht, darum bemüht war, meine Gefühle zu Papier (bzw. Bildschirm) zu bringen. Aber das ist ja für die Allgemeinheit einigermaßen unerheblich, also genug mit der Selbstbeschau und zurück zu Deinem Gedicht!

An ein paar Stellen verlässt Dein Text die jambische Grundstruktur. Ist das Absicht?

Und dann gibts das immer wieder debatable Thema der Apostrophe bei Verkürzungen ("fortgeschlichn'ne" vs. "fortgeschlichne"). Wenn man will kann man das gleich darum erweitern, ob es die Verkürzungen in einem Gedicht überhaupt braucht - manche Kolleg:inn:en verzichten auf Verkürzungen ganz und nehmen lieber metrische Extrasilben oder etwas gestörte Endreime in Kauf.

Ich persönlich hab nix gegen das Weglassen von zuvielenen Silben, bin aber kein so großer Freund von '-Markierungen, also persönlich eher Team "fortgeschlichne". :)

Sehr schön finde ich den Schluss, ein gutes Bild, ein guter Gedanke und - wie es die Form befiehlt - in einem schmissigen Zweizeiler dargeboten. Like! :)

LG!
S.
 

Trist

Mitglied
Hallo Sufnus,

danke für deine frühzeitlichen Erinnerungen, welche besagen, dass ich gerade auf dem Stand deiner jungen unverbrauchten ersten Schritte bin, Gefühle, bzw. Gedanken zu Papier zu bringen bin.
Es erfreut mich.

Wenn mein Text an ein paar Stellen irgendeine Grundstruktur verlässt, so liegt es daran, dass ich keiner dieser Strukturen nachgehe.
Ich schreibe nur so aus dem Bauch.
Trotzdem lieben Dank für deine sachlichen Beitrag!
Und ja, die Markierungen in meinem Text kann ich eigentlich ausradieren, da stimme ich dir zu, manchmal übertreibe ich es damit.
Komische Angewohnheit ...

Danke und liebe Grüße zurück
Trist
 

Trist

Mitglied
Hallo Reisende!

Bin beglückt, dass du mir zwei Sterne aus deinem Kleidchen schüttelst - ohne etwas zu beanstanden.
ich hoffe du schreibst auch mal etwas,
damit ich deinen geistigen Ergüssen erliege.
Du bist sicher ein Genie ...

LG
Trist
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Wenn mein Text an ein paar Stellen irgendeine Grundstruktur verlässt, so liegt es daran, dass ich keiner dieser Strukturen nachgehe.
Ich schreibe nur so aus dem Bauch.
Ich stell hier mal als Vergleich zu Deiner Fassung eine metrisch regelmäßige Fassung vor und eine Version, die einige der "Holperer" beibehält und nur ein paar metrisch Stellen etwas glättet. Einfach als Experiment, wie sich das dann jeweils für Dich liest. :)
Ich glaube, selbst wenn man einfach aus dem Bauch heraus schreibt, ist es hilfreich im Nachgang nochmal zu reflektieren, ob die spontan entstandene Lösung wirklich die für einen selbst (!!!) beste Lösung ist.
Ob ich als Leser eine andere Lösung bevorzugen würde, ist dabei natürlich erstmal zweitrangig (sofern Du nicht mit der Lyrik Geld verdienen willst, was aber bekanntermaßen ein etwas riskantes Geschäftsmodell wäre ;) ). Insofern gehts auch überhaupt nicht darum, ob ich, als Leser, jetzt eine meiner zwei Versionen "besser" finde, als Deine Fassung - das soll für Dich wirklich keine Rolle spielen - es geht nur darum, für Dich selbst eine möglichst optimale Lösung zu erarbeiten. "Erarbeiten" klingt dabei ganz schön unlyrisch und eher mühsam, aber ich bin der Überzeugung, dass außer bei ganz seltenen extremen Naturtalenten eine spontane Primärfassung fast niemals die für den Autor/die Autorin bereits optimale Fassung darstellen kann, weil einem als Normalsterblichem im Eifer des Gefechts immer ein paar Dinge durch die Lappen gehen.

LG!

S.



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"Glatte Fassung"

Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still beim Blättern in Gedankenbildern,
die hinter meinen Augen ständig lauernd wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.

Im Halbschlaf denke ich zurück an das "Für Immer",
an dieses scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmung, Haut an Haut im dunklem Zimmer.

Die Finsternis schwingt sachte ihre Sternenflügel,
ein warmer Windhauch klettert durch mein off'nes Fenster,
Gardinen tanzen mit ihm Tango: Nachtgespenster;
der Schlaf, er holt mich ein - und ich verlier die Zügel

an einen Traum - an ein sekundenkurzes Glück:
in diesem Traum, da kehrt die Ewigkeit zurück ...

=> Glättungen:

In S1Z2 gibt es im Original einen Hebungsprall: Bei "lieg ich still, blättre... " möchte sowohl das "still" als auch das "blättre" betont werden. Zwei betonte Silben hinter einander versucht man in traditioneller, metrisch gebundener Dichtung eher zu vermeiden, weil sich das nicht "flüssig" vortragen lässt.

In S1Z3 gibt es in Deiner Fassung verschiedene Betonungsmöglichkeiten, die aber alle nicht der sonst vorherrschenden jambischen Grundstruktur entsprechen und einige "walzernde" Senkungspralle (zwei unbetonte Silben hinter einander) erfordern, je nachdem wie man es liest evtl. auch mit einem zusätzlich eingeschobenem Hebungsprall.

S2Z1: Hier gibt es beim streng metrischen Lesen eine unnatürliche Betonung auf dem letzten "e" von erinnere, was man im Vortrag gut durch eine schwebende Betonung auflösen kann; dennoch in der "Glattfassung" mal eine Umgehung dieses Betonungsproblems.

S2Z4: In Deiner Fassung völlig regelmäßiger Jambus, allerdings mit 7 statt mit 6 Hebungen, daher in der geglätteten Fassung für 6-Hebung umformuliert, wobei es, abweichend von Deiner Fassung, etwas erotischer wird. Das müsste man ggf. wieder etwas zurückbauen, wenn hier gar keine erotische Situation besungen werden soll (ich hab Deine Fassung aber eigentlich schon als romantisch-verliebt aufgefasst, vor allem wegen der Katzenpfoten, die doch einen etwas prädatorischen Kontext andeuten und für mich weniger zu einer "platonischen" Liebe passen).

S3Z3+4: Beide Zeilen sind metrisch regelmäßig, aber nur mit 5 Hebungen statt der sonstigen 6 Hebungen, daher entsprechend leicht umgeformt. Der Tango ist hier womöglich etwas zu expressiv - ggf. gäbe es natürlich auch Möglichkeiten auf 6 Hebungen zu kommen.

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"Leicht geglättete Fassung"

Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still --- blättere in Gedankenbildern,
die schon zwei Ewigkeiten hinter meinen Augen wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.

Erneut erinnere ich mich an das "Für Immer",
an dieses scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmungen ganz sanft im dunklem Zimmer.

Die Finsternis schwingt sachte ihre Sternenflügel,
ein warmer Windhauch klettert durch mein Fenster;
Gardinen tanzen mit ihm wie Gespenster,
der Schlaf, er holt mich ein - und ich verlier die Zügel

an einen Traum - an ein sekundenkurzes Glück:
in diesem Traum, da kehrt die Ewigkeit zurück ...

=>
Hier habe ich den Hebungsprall in S1Z2 erhalten, aber die Sprechpause, die er einfordert deutlicher gekennzeichnet. Diese Pause passt ja grundsätzlich zu der geschilderten Stille des lyr. Ichs.
Die etwas irreguläre Metrik in S1Z3 habe ich zwar geglättet, aber unter Inkaufnahme einer zusätzlichen Hebung (7 statt der üblichen 6), was hier ggf. zu den Ewigkeiten passen könnte (die Zeile dauert halt dadurch zwar nicht "ewig", aber doch spürbar länger).
Die Metrik in S2Z1 hab ich so belassen, hier müsste man also im Vortrag die Betonungen etwas "verflüssigen"
In S2Z4 hab ich die Siebenhebigkeit wieder aufgelöst, hier aber mal die Haut in der "Glattfassung" aus dem Spiel gelassen.
Die restlichen Zeilen, inklusive der silbenmäßig verkürzten "Fünfheber" hab ich mal so gelassen.
 

fee_reloaded

Mitglied
Das gefällt mir mit all seiner Kantigkeit und trotz der leichten Sperrigkeit beim Erst-Lesen doch richtig gut, Trist!

Ich finde, es ist dir schön gelungen, diese spezielle Nacht-Stimmung eines nicht zur Ruhe kommenden Geistes einzufangen und das, was da in der Dunkelheit sein "Eigenleben" entfaltet. Da passen Rhythmus und Klang für mich sehr gut und auch die Bilder sind stimmig.

Klar - ein paar Zeilen gibt es, da müsste ich mir, bevor ich das Gedicht laut vortrage, mit Rotstift ein paar Betonungs-Erinnerungen markieren, um es fließend durchzubringen. Aber es geht! Und wenn man sich das erst mal - nach zwei, drei Lesedurchgängen - erarbeitet hat, ist auch dieses Sperrige wie gesagt, sehr stimmig.

Sufnus hat dir ganz gut veranschaulicht, was eine aufgeräumtere Metrik leisten kann...ein Fließen und leichtes Er-Lesen stellt sich dann ein. Und in ein, zwei Zeilen würde ich zwar nicht so extrem, aber doch auch minimal zu glätten versuchen (denn nicht jeder Leser liest freiwillig noch zwei-, drei Mal einen Text, der ihn im ersten Lauf an manchen Stellen gefühlt ein wenig "abwirft"). Zu glatt würde ich aber auf keinen Fall werden wollen an deiner Stelle. Wie gesagt - Sprache und Botschaft empfinde ich als sehr stimmig, so, wie es ist.

Zwei Uhr, was tun - bin wieder viel zu früh erwacht.
Nun lieg ich still und blättre in den Gedankenbildern,
die Ewigkeiten schon hinter den Augen wildern:
auf Katzenpfoten schleicht die Sehnsucht durch die Nacht.

Erneut erinnere ich mich an das "Für Immer",
an dieses scheue, fortgeschlich'ne Glücksgefühl;
an deine Schritte - sie erklangen im Gewühl -
an die Umarmung deiner Zärtlichkeit im dunklen Zimmer.
Wie du siehst, funktioniert dein Text für mich in sehr weiten Teilen einwandfrei und ich habe lediglich in S1V2 einen doch schwer zu bewältigenden Betonungsprall glattgebügelt. Und in S2V4 war ein kleiner Fallfehler...ev. ein Überbleibsel nach einer Umformulierung (passiert mir auch öfter mal).
Vielleicht kannst du mit meinem Beispiel ja was anfangen.

Auf jeden Fall sehr gerne gelesen und eine Nacht wie diese sehr vertraut gefunden und wiedererkannt.

LG,
fee
 

Trist

Mitglied
Hallo sufnus, hallo fee,

ich danke euch für euer auseinandersetzen mit meinen Versen.
Ich habe am Wo. Ende die Zeit um euch entsprechend zu antworten,
da vor allem sufnus hier tolle Textarbeit geleistet hat.
da möchte ich nicht nur ein Dankeschön hinblättern.

Bis dahin
Trist
 



 
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