Es half nichts.
Wendland schob die Decke beiseite, schwang sacht die Beine aus dem Bett und stand leise auf. So ein Quatsch! Edda war doch schon vorgestern geflogen. Kopfschüttelnd tappte er ins Bad und zielte ins Urinal, das sich als dunkler Umriss im schwachen Licht der Fußleisten abzeichnete. Heute Abend würde er auch im Flieger sitzen. Wirklich albern, dass Terhorst auf einem persönlichen Treffen zum Vertragsabschluss bestand. In welchem Jahrhundert lebte der eigentlich? Wendland schüttelte die letzten Tropfen ab und ging zum Waschbecken. Aber der Kunde ist König. "Ihro Majestät, König Terhorst!" Er streckte dem Schemen im Spiegel die Zunge heraus, während das Wasser über seine Hände rann.
Eigentlich konnte er auch gleich aufbleiben. Wie viel Uhr war es überhaupt?
"Sweethome, wie spät ist es?"
"Nicht autorisiert."
Was sollte das jetzt? Wendland runzelte die Stirn und griff zum Handtuch. "Sweethome, Uhrzeit!"
"Nicht autorisiert."
"Sweethome, hier spricht Maximilian Wendland. Wie viel Uhr ist es? Schalte das Licht ein und die Heizung hoch, ich bin aufgestanden!"
"Nicht autorisiert."
Wendland seufzte. Ausgerechnet heute! Wahrscheinlich hatte sich der Hausgeist einfach nur aufgehängt und nach einem Reset ... Sein Smartphone. Er brauchte sein Smartphone, da war der Code gespeichert. Er ging zurück ins Schlafzimmer.
"Das ist doch... Warum hast Du mich nicht geweckt!" Entsetzt starrte er auf die 8:32, die ihm von seinem Phone auf dem Nachttisch entgegen leuchtete.
8:33.
Zehn Uhr Termin. Anderthalb Stunden, um nach Düsseldorf zu kommen, Frühstück konnte ausfallen, aber duschen, rasieren, anziehen... Er musste Terhorst anrufen. Um den Hausgeist würde er sich später kümmern müssen. Wendland schnappte sich das Smartphone und hastete zum Kleiderschrank. "Sweethome, Fenster transparent!"
"Nicht autorisiert."
"Verd..." Wie sollte er sich bei dem Schummerlicht im Schrank zurecht finden?
Da.
Das musste das schwarze Sakko sein. Jetzt ein passendes Hemd. Jeans... Socken noch. Wendland warf die Sachen aufs Bett.
Okay.
Durchatmen.
Wendland sah in die Linse seines Smartphones. "Anruf Terhorst."
NUR NOTRUFE MÖGLICH
Klar, das Licht war zu schwach für die Gesichtserkennung. Er drückte seinen Daumen auf das Display.
NUR NOTRUFE MÖGLICH
"Ich klatsch dich gleich an die Wand!"
Stay cool, Max. Er könnte von unterwegs anrufen. Wendland ging ins Bad.
Natürlich weigerte sich auch die Dusche, seine Autorisierung anzuerkennen. Also Katzenwäsche am Wasserhahn mit dem dummen Infrarotsensor. Bei der Rasur musste er auf seine Fingerspitzen vertrauen, dass er wirklich alle Stoppel erwischt hatte. Nachdem er sich angezogen hatte, noch ein letzter Blick in den Spiegel. Nicht sehr aufschlussreich im Dämmerlicht der Nachtbeleuchtung. Wendland schaute auf das nutzlose Smartphone: 8:54.
Er tastete sich die Treppe hinunter. Nach dem Urlaub werden Stufenleuchten installiert, egal was Edda sagt. Ein gebrochener Hals ist allemal hässlicher.
Schuhe.
Er wandte sich zur Garderobe, blieb mit dem Schienbein hängen, taumelte vorwärts, seine Hände fanden die Kante des Schuhschranks, rutschten ab, fegten die bronzene Tempeltänzerin herunter, seine Stirn prallte gegen den Spiegel.
Das Licht flammte auf.
"Achtung! Hier spricht das Sweethome-Sicherheitssystem! Sie halten sich unbefugt in einem Privathaus auf. Der Sicherheitsdienst wurde verständigt, Fluchtversuche sind zwecklos! Verhalten Sie sich ruhig, bis die Sicherheitskräfte eintreffen."
Wendland blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Er zog die Füße über den Golfsack, stützte die Hände auf den Schuhschrank und stemmte sich in die Höhe. Der Spiegel zerklirrte auf dem Boden hinter dem Schrank.
"Vandalismus führt zu einem erhöhten Strafmaß! Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie auf sinnlose Zerstörungen verzichten!"
"Ach, halt die Klappe!" Er befühlte seinen Haaransatz, sah seine Finger an. Kein Blut. Die Sneaker waren im oberen Fach. Er ließ sie auf den Boden fallen, stieß sie mit den Füßen in Position und trat hinein. Sein rechtes Schienbein brannte. Behutsam stieg er über den Golfsack und ging zur Haustür. "Öffnen."
"Nicht autorisiert. Fluchtversuche sind zwecklos, also verhalten Sie sich ruhig bis zum Eintreffen der Sicherheitskräfte."
Wendland schüttelte benommen den Kopf. "Sweety bitte, ich habe einen Termin! Mach auf, verdammt noch mal!"
"Nicht autorisiert."
"Feuer! Es brennt! Sweethome, öffnen! Feuer!"
"Die Brandsensoren registrieren keine erhöhten Temperaturen. Rauchgase sind nicht vorhanden. Verweigert."
Frustriert trat er gegen die Tür.
"Vandalismus führt zu einem erhöhten Strafmaß! Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie auf sinnlose Zerstörungen verzichten!"
Denk nach, Max.
Wendland lehnte den Rücken an die Wand und rutschte zu Boden. Der Code. Jetzt war es hell, sein Smartphone musste ihn erkennen.
ZUGRIFF VERWEIGERT
9:03
Der Golfsack.
Eisen Sieben.
Achtlos ließ er das Smartphone fallen, um auf allen Vieren zum Golfsack zu krabbeln, wo er die Verschnürung öffnete und den Schläger heraus zog. Dann stand er auf, sorgsam darauf bedacht, sich nicht auf das Eisen zu stützen, zog das Sakko glatt und sah sich suchend um. Terrassentür im Wohnzimmer. Den Schaden werde ich Euch in Rechnung stellen. Wer immer das sein wird, darüber denken wir später nach. Das solide Gewicht in seiner Hand fühlte sich gut an, als er ins Wohnzimmer ging. Wendland stellte sich in Positur und ließ den Schläger locker vor und zurück schwingen. Er hielt inne. Vielleicht sollte er besser über Kopf schlagen, dann war die Wucht größer. Er holte aus.
"Fallen lassen und Hände hinter den Kopf!"
Mit erhobenem Schläger fuhr er herum. Die Waffe in der Hand des einen Uniformierten fauchte. Wendland spürte, wie sich etwas in seine Schulter und in seinen Bauch bohrte. "Fallen lassen!"
"Ich..." Ein brennender Schmerz schoss durch seinen Körper und mit einem letzten Krampf schleuderten seine Arme das Eisen quer durch den Raum, bevor er zu Boden sackte.
-------------------------------
"Hi Alex! Arbeit für Dich."
Wenn Kim dieses zuckersüße Lächeln trug, musste ich mit dem Schlimmsten rechnen. "Du weißt aber schon, das meine Schicht in einer halben Stunde zu Ende ist?"
Sie zog einen Schmollmund. "Du solltest mir dankbar sein, dreißig Minuten sind lang genug, um vor Langeweile zu sterben."
"Hast Du eigentlich eine Ahnung, was ich..."
"Schhhh." Sie legte den Zeigefinger an die Lippen. "Ich schicke ihn Dir jetzt rauf. Sieht übrigens nach einem Zweiundzwanzig aus..." Sie zwinkerte fröhlich, dann wurde der Schirm dunkel.
Ich stöhnte. Nicht schon wieder! Das war jetzt mein zweiter Zweiundzwanzig in diesem Quartal. Mein Achter in diesem Jahr.
"Jammern hilft nix. Mach's gleich, dann hast Du es hinter Dir!" Ich klopfte auf den Worktable. "Gurgelface, Daten!"
MAXIMILIAN WENDLAND
GEBOREN 14.02.1983
VERHEIRATET MIT EDDA WENDLAND, GEB. KLOSTERMANN
KINDERLOS
SELBSTÄNDIGER INDUSTRIEVERTRETER
GESTORBEN 28.08.2019
"Stopp. Details zu Todesursache und genauer Todeszeitpunkt."
HERZVERSAGEN
TODESEINTRITT 7:00 - 11:00
"Na wunderbar, auch noch ein Unvollendeter!" Es gibt Tage, da hasse ich meinen Job. Dieser gehörte eindeutig dazu. "Profile und Status."
FACEBOOK: GEDENKSTATUS
GOOGLE+: INAKTIV
XING: GELÖSCHT
LINKEDIN: GELÖSCHT
TWITTER: GELÖSCHT
BÜRGERSCORE: 0
Die Tür meldete sich: "Ihr Klient ist da."
Ich schob die Infokachel beiseite, lehnte mich zurück und knipste mein Kundenlächeln an. "Öffnen."
Der Sec-Chair rollte herein und hielt knapp vor der gelben Linie auf dem Boden, die meine Schutzzone markiert. Früher hatten sich die Markierungen einen Meter vor den Worktables befunden, aber nach einem Zwischenfall vor zwei Jahren wurden die Schutzzonen vergrößert. Ich hatte nur Gerüchte über das Vorgefallene in der Mitarbeiterlounge gehört. Sie reichten, um mich vom Sinn der neuen Distanzregel zu überzeugen.
"Würden Sie mich bitte aus diesem Ding befreien?"
Ich hob bedauernd die Hände. "Tut mir leid, das ist gegen die Vorschrift." Er machte keinen unsympathischen Eindruck, trotz seiner lädierten Erscheinung. Gefährlich wirkte er eigentlich auch nicht. "Also gut, ich mache es Ihnen ein wenig bequemer. Sec-Chair, Handfesseln öffnen."
"Danke." Er nahm die Hände aus den Fixiermulden der Armlehnen und rieb sich die Handgelenke. Er sah an sich herunter und wollte nach dem Draht greifen, der unterhalb der Körperklammer aus seinem blutbefleckten Hemd ragte und sich in lockeren Spiralen zwischen den Schenkelklammern und Fußfesseln zur Unterseite des Sec-Chairs wand.
"Nicht anfassen!" Mein Finger schwebte über dem Taserbutton des Worktables.
Er zuckte zurück und schaute auf. "Warum werde ich hier wie ein Schwerverbrecher behandelt? Ich bin ein unbescholtener Bürger. Ich verlange, dass Sie mich sofort frei lassen! Sofort! Hören Sie!" Trotzig hieb er auf die Armlehne.
Ich tippte auf die Infokachel und scrollte eine Weile rauf und runter. Las den Bericht der Sicherheitskräfte und überprüfte die biometrischen Daten noch einmal.
"Ich bin Geschäftsmann! Kein Krimineller! Man hat mich in meinem eigenen Haus mit Elektroschocks traktiert und dann hierher verschleppt!" Er keuchte und für einen Moment hatte ich die Hoffnung, dass sich der Fall von selbst erledigen würde. Ich sah auf. Nein, wohl doch nicht.
"Ihr Name ist..."
"Wendland! Maximilian Wendland!"
Ich tippte auf den Projektorbutton, schob meinen Workseat beiseite und deutete auf die Projektion an der Wand. "Das ist die Videoaufzeichnung Ihrer Festnahme. Das sind doch Sie mit dem erhobenen Golfschläger oder etwa nicht?" Ich sah ihn eindringlich an. "Das nennt man tätlichen Angriff, Herr Wendland."
"Aber das ist ein Missverständnis! Ich wollte doch nur..." Er fingerte nervös über die Verfärbung an seiner Stirn. "Mein... Also unser Haussystem... Ich meine, das von meiner Frau und mir..."
Ich ließ mich auf meinen Workseat fallen und hob den Zeigefinger. "Genau, Herr Wendland! Kommen wir besser auf den eigentlichen Kern des Problems."
Er hielt inne. "Wie meinen Sie das?"
Ich tippte auf den Worktable und wies mit dem Kopf zur Wand. "Sie sind tot, Herr Wendland."
Er starrte auf die Projektion und sein Kiefer sank herab. "Das ist..."
"Unmöglich?" Ich scrollte durch Infokachel. "Die Überwachung Ihrer Vitalfunktionen sowohl durch Ihr Haussystem, als auch durch die Med-Apps Ihres Smartphones haben Ihren Tod durch Herzversagen festgestellt. Zwar gibt es gewisse Unklarheiten bezüglich des exakten Todeszeitpunktes, aber das ändert nichts am Ergebnis."
"Aber das ist doch Unsinn!" Er schluckte schwer und leckte sich über die Lippen. "Ich meine, ich sitze doch hier und spreche mit Ihnen. Ich bin doch kein Geist!" Er fasste das Revers seines Sakkos und zerrte daran.
"Vorsicht, sonst löst der Taser aus."
"Sie können mich anfassen!"
"Das ist gegen Vorschrift. Aber darum geht es auch gar nicht" Ich scrollte langsam weiter. "Alle Ihre personalisierten Dienste und Accounts sind ohne Ausnahme deaktiviert, gesperrt oder im Gedenkmodus. Sie sind weder kranken- noch sozialversichert. Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung ist erloschen. Ihre Lebensversicherungen befinden sich im Auszahlungsmodus." Ich sah ihn an. Er brauchte jetzt etwas Aufbauendes. "Kompliment übrigens, wie sorgfältig Sie Ihren Nachlass geregelt haben. Das läuft vollkommen sauber durch, ohne dass sich ein Mensch damit befassen muss. Hat man derzeit noch selten, dass jemand so geordnete Daten hinterlässt." Ich lächelte ihn aufmunternd an.
"Aber ich bin nicht tot!" Er stemmte sich gegen die Brustklammer. "Nicht tot! Hören Sie! Ich lebe doch noch!" Er umfasste die Schenkelklammern und zerrte daran, natürlich vergeblich.
Ich bückte mich unter den Worktable, öffnete die oberste Schublade des Containers und nahm ein Glas und ein Blister heraus. "Herr Wendland, Sie müssen sich beruhigen."
"Sie... Sie... Wieso soll ich mich beruhigen? Sie erklären mich für tot und ich soll mich beruhigen!" Er lachte auf. "Das ist ein schlechter Scherz? Oder?"
"Bitte, Herr Wendland, ich versuche Ihnen zu helfen." ich ging zu dem Wasserspender in der Ecke und füllte das Glas. "Das geht aber nur, wenn Sie sich beruhigen."
"Okay." Er ließ die Schenkelklammern los und verschränkte die Arme. "Was muss ich tun und wie können Sie mir helfen?"
"Erst einmal nehmen Sie die. Zur Beruhigung." Ich drückte eine Tablette aus dem Blister und hielt sie ihm mit dem Glas hin.
"Was ist das?" Misstrauisch sah er auf die Tablette in meiner Hand.
"Für die Nerven. Nun nehmen Sie schon."
Seine Hand zitterte leicht, als er nach dem Glas griff. Er trank einen Schluck. "Aber das nehme ich nicht." Er deutete mit dem Kinn auf die Pille.
Ich zuckte die Achseln. "Wie Sie wollen." Ich ging um den Worktable herum und setzte mich. Seine Augen folgten jeder meiner Bewegungen, als ich die Tablette zurück in den Blister drückte und die Packung wieder in die Schublade warf. "Also sehen wir uns Ihren weiteren Datenstatus an."
Ich holte die Infokachel aus dem Ruhemodus. "Bankdaten," erklärte ich, während ich scrollte. "Banksysteme sind etwas eigen, was den Netzverbund angeht."
Er trank ein wenig. "Das bedeutet?"
"Wenn es noch irgendwo Lebenszeichen von Ihnen gibt, dann am ehesten hier."
"Suchen Sie, los Mann, suchen Sie!" Er stürzte den Rest hinunter und beugte sich vor, soweit die Brustklammer es zuließ.
"Ach Du Sch..." Verblüfft starrte ich auf den Worktable. Unglaublich. Der Account war tatsächlich noch offen.
"Ha! Sehen Sie!" Triumphierend zeigte Wendland auf die Projektion hinter mir. "Ich lebe! Ich bin lebendig!" Er schluchzte. "Ich habe es Ihnen doch gesagt!"
ACCOUNT GESPERRT
"Ich..." Er verstummte.
Ich schwieg.
"Kann ich bitte noch ein Glas Wasser bekommen," flüsterte er.
"Natürlich." Ich ging zu ihm, nahm ihm das Glas aus der Hand und ging zum Spender, um es aufzufüllen.
Hinter mir ertönte ein seltsamer Laut, ein wenig wie der leise Schrei einer Katze. Ich drehte mich um. Wendland hing in der Brustklammer, den Mund leicht geöffnet. Ein Speichelfaden hing an seinem Mundwinkel. Die Füße zuckten ein paar Male auf und nieder, waren dann still und seine Hände sanken von der Brust herab.
Er hätte es schmerzloser haben können. Aber er wollte ja die Tablette zum Wasser nicht. Ich zuckte die Achseln und goss das Glas im Ausguss neben dem Spender aus. Dann ging ich zum Worktable, um mich abzumelden.
10:56
Passte doch.
Wendland schob die Decke beiseite, schwang sacht die Beine aus dem Bett und stand leise auf. So ein Quatsch! Edda war doch schon vorgestern geflogen. Kopfschüttelnd tappte er ins Bad und zielte ins Urinal, das sich als dunkler Umriss im schwachen Licht der Fußleisten abzeichnete. Heute Abend würde er auch im Flieger sitzen. Wirklich albern, dass Terhorst auf einem persönlichen Treffen zum Vertragsabschluss bestand. In welchem Jahrhundert lebte der eigentlich? Wendland schüttelte die letzten Tropfen ab und ging zum Waschbecken. Aber der Kunde ist König. "Ihro Majestät, König Terhorst!" Er streckte dem Schemen im Spiegel die Zunge heraus, während das Wasser über seine Hände rann.
Eigentlich konnte er auch gleich aufbleiben. Wie viel Uhr war es überhaupt?
"Sweethome, wie spät ist es?"
"Nicht autorisiert."
Was sollte das jetzt? Wendland runzelte die Stirn und griff zum Handtuch. "Sweethome, Uhrzeit!"
"Nicht autorisiert."
"Sweethome, hier spricht Maximilian Wendland. Wie viel Uhr ist es? Schalte das Licht ein und die Heizung hoch, ich bin aufgestanden!"
"Nicht autorisiert."
Wendland seufzte. Ausgerechnet heute! Wahrscheinlich hatte sich der Hausgeist einfach nur aufgehängt und nach einem Reset ... Sein Smartphone. Er brauchte sein Smartphone, da war der Code gespeichert. Er ging zurück ins Schlafzimmer.
"Das ist doch... Warum hast Du mich nicht geweckt!" Entsetzt starrte er auf die 8:32, die ihm von seinem Phone auf dem Nachttisch entgegen leuchtete.
8:33.
Zehn Uhr Termin. Anderthalb Stunden, um nach Düsseldorf zu kommen, Frühstück konnte ausfallen, aber duschen, rasieren, anziehen... Er musste Terhorst anrufen. Um den Hausgeist würde er sich später kümmern müssen. Wendland schnappte sich das Smartphone und hastete zum Kleiderschrank. "Sweethome, Fenster transparent!"
"Nicht autorisiert."
"Verd..." Wie sollte er sich bei dem Schummerlicht im Schrank zurecht finden?
Da.
Das musste das schwarze Sakko sein. Jetzt ein passendes Hemd. Jeans... Socken noch. Wendland warf die Sachen aufs Bett.
Okay.
Durchatmen.
Wendland sah in die Linse seines Smartphones. "Anruf Terhorst."
NUR NOTRUFE MÖGLICH
Klar, das Licht war zu schwach für die Gesichtserkennung. Er drückte seinen Daumen auf das Display.
NUR NOTRUFE MÖGLICH
"Ich klatsch dich gleich an die Wand!"
Stay cool, Max. Er könnte von unterwegs anrufen. Wendland ging ins Bad.
Natürlich weigerte sich auch die Dusche, seine Autorisierung anzuerkennen. Also Katzenwäsche am Wasserhahn mit dem dummen Infrarotsensor. Bei der Rasur musste er auf seine Fingerspitzen vertrauen, dass er wirklich alle Stoppel erwischt hatte. Nachdem er sich angezogen hatte, noch ein letzter Blick in den Spiegel. Nicht sehr aufschlussreich im Dämmerlicht der Nachtbeleuchtung. Wendland schaute auf das nutzlose Smartphone: 8:54.
Er tastete sich die Treppe hinunter. Nach dem Urlaub werden Stufenleuchten installiert, egal was Edda sagt. Ein gebrochener Hals ist allemal hässlicher.
Schuhe.
Er wandte sich zur Garderobe, blieb mit dem Schienbein hängen, taumelte vorwärts, seine Hände fanden die Kante des Schuhschranks, rutschten ab, fegten die bronzene Tempeltänzerin herunter, seine Stirn prallte gegen den Spiegel.
Das Licht flammte auf.
"Achtung! Hier spricht das Sweethome-Sicherheitssystem! Sie halten sich unbefugt in einem Privathaus auf. Der Sicherheitsdienst wurde verständigt, Fluchtversuche sind zwecklos! Verhalten Sie sich ruhig, bis die Sicherheitskräfte eintreffen."
Wendland blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Er zog die Füße über den Golfsack, stützte die Hände auf den Schuhschrank und stemmte sich in die Höhe. Der Spiegel zerklirrte auf dem Boden hinter dem Schrank.
"Vandalismus führt zu einem erhöhten Strafmaß! Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie auf sinnlose Zerstörungen verzichten!"
"Ach, halt die Klappe!" Er befühlte seinen Haaransatz, sah seine Finger an. Kein Blut. Die Sneaker waren im oberen Fach. Er ließ sie auf den Boden fallen, stieß sie mit den Füßen in Position und trat hinein. Sein rechtes Schienbein brannte. Behutsam stieg er über den Golfsack und ging zur Haustür. "Öffnen."
"Nicht autorisiert. Fluchtversuche sind zwecklos, also verhalten Sie sich ruhig bis zum Eintreffen der Sicherheitskräfte."
Wendland schüttelte benommen den Kopf. "Sweety bitte, ich habe einen Termin! Mach auf, verdammt noch mal!"
"Nicht autorisiert."
"Feuer! Es brennt! Sweethome, öffnen! Feuer!"
"Die Brandsensoren registrieren keine erhöhten Temperaturen. Rauchgase sind nicht vorhanden. Verweigert."
Frustriert trat er gegen die Tür.
"Vandalismus führt zu einem erhöhten Strafmaß! Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, wenn Sie auf sinnlose Zerstörungen verzichten!"
Denk nach, Max.
Wendland lehnte den Rücken an die Wand und rutschte zu Boden. Der Code. Jetzt war es hell, sein Smartphone musste ihn erkennen.
ZUGRIFF VERWEIGERT
9:03
Der Golfsack.
Eisen Sieben.
Achtlos ließ er das Smartphone fallen, um auf allen Vieren zum Golfsack zu krabbeln, wo er die Verschnürung öffnete und den Schläger heraus zog. Dann stand er auf, sorgsam darauf bedacht, sich nicht auf das Eisen zu stützen, zog das Sakko glatt und sah sich suchend um. Terrassentür im Wohnzimmer. Den Schaden werde ich Euch in Rechnung stellen. Wer immer das sein wird, darüber denken wir später nach. Das solide Gewicht in seiner Hand fühlte sich gut an, als er ins Wohnzimmer ging. Wendland stellte sich in Positur und ließ den Schläger locker vor und zurück schwingen. Er hielt inne. Vielleicht sollte er besser über Kopf schlagen, dann war die Wucht größer. Er holte aus.
"Fallen lassen und Hände hinter den Kopf!"
Mit erhobenem Schläger fuhr er herum. Die Waffe in der Hand des einen Uniformierten fauchte. Wendland spürte, wie sich etwas in seine Schulter und in seinen Bauch bohrte. "Fallen lassen!"
"Ich..." Ein brennender Schmerz schoss durch seinen Körper und mit einem letzten Krampf schleuderten seine Arme das Eisen quer durch den Raum, bevor er zu Boden sackte.
-------------------------------
"Hi Alex! Arbeit für Dich."
Wenn Kim dieses zuckersüße Lächeln trug, musste ich mit dem Schlimmsten rechnen. "Du weißt aber schon, das meine Schicht in einer halben Stunde zu Ende ist?"
Sie zog einen Schmollmund. "Du solltest mir dankbar sein, dreißig Minuten sind lang genug, um vor Langeweile zu sterben."
"Hast Du eigentlich eine Ahnung, was ich..."
"Schhhh." Sie legte den Zeigefinger an die Lippen. "Ich schicke ihn Dir jetzt rauf. Sieht übrigens nach einem Zweiundzwanzig aus..." Sie zwinkerte fröhlich, dann wurde der Schirm dunkel.
Ich stöhnte. Nicht schon wieder! Das war jetzt mein zweiter Zweiundzwanzig in diesem Quartal. Mein Achter in diesem Jahr.
"Jammern hilft nix. Mach's gleich, dann hast Du es hinter Dir!" Ich klopfte auf den Worktable. "Gurgelface, Daten!"
MAXIMILIAN WENDLAND
GEBOREN 14.02.1983
VERHEIRATET MIT EDDA WENDLAND, GEB. KLOSTERMANN
KINDERLOS
SELBSTÄNDIGER INDUSTRIEVERTRETER
GESTORBEN 28.08.2019
"Stopp. Details zu Todesursache und genauer Todeszeitpunkt."
HERZVERSAGEN
TODESEINTRITT 7:00 - 11:00
"Na wunderbar, auch noch ein Unvollendeter!" Es gibt Tage, da hasse ich meinen Job. Dieser gehörte eindeutig dazu. "Profile und Status."
FACEBOOK: GEDENKSTATUS
GOOGLE+: INAKTIV
XING: GELÖSCHT
LINKEDIN: GELÖSCHT
TWITTER: GELÖSCHT
BÜRGERSCORE: 0
Die Tür meldete sich: "Ihr Klient ist da."
Ich schob die Infokachel beiseite, lehnte mich zurück und knipste mein Kundenlächeln an. "Öffnen."
Der Sec-Chair rollte herein und hielt knapp vor der gelben Linie auf dem Boden, die meine Schutzzone markiert. Früher hatten sich die Markierungen einen Meter vor den Worktables befunden, aber nach einem Zwischenfall vor zwei Jahren wurden die Schutzzonen vergrößert. Ich hatte nur Gerüchte über das Vorgefallene in der Mitarbeiterlounge gehört. Sie reichten, um mich vom Sinn der neuen Distanzregel zu überzeugen.
"Würden Sie mich bitte aus diesem Ding befreien?"
Ich hob bedauernd die Hände. "Tut mir leid, das ist gegen die Vorschrift." Er machte keinen unsympathischen Eindruck, trotz seiner lädierten Erscheinung. Gefährlich wirkte er eigentlich auch nicht. "Also gut, ich mache es Ihnen ein wenig bequemer. Sec-Chair, Handfesseln öffnen."
"Danke." Er nahm die Hände aus den Fixiermulden der Armlehnen und rieb sich die Handgelenke. Er sah an sich herunter und wollte nach dem Draht greifen, der unterhalb der Körperklammer aus seinem blutbefleckten Hemd ragte und sich in lockeren Spiralen zwischen den Schenkelklammern und Fußfesseln zur Unterseite des Sec-Chairs wand.
"Nicht anfassen!" Mein Finger schwebte über dem Taserbutton des Worktables.
Er zuckte zurück und schaute auf. "Warum werde ich hier wie ein Schwerverbrecher behandelt? Ich bin ein unbescholtener Bürger. Ich verlange, dass Sie mich sofort frei lassen! Sofort! Hören Sie!" Trotzig hieb er auf die Armlehne.
Ich tippte auf die Infokachel und scrollte eine Weile rauf und runter. Las den Bericht der Sicherheitskräfte und überprüfte die biometrischen Daten noch einmal.
"Ich bin Geschäftsmann! Kein Krimineller! Man hat mich in meinem eigenen Haus mit Elektroschocks traktiert und dann hierher verschleppt!" Er keuchte und für einen Moment hatte ich die Hoffnung, dass sich der Fall von selbst erledigen würde. Ich sah auf. Nein, wohl doch nicht.
"Ihr Name ist..."
"Wendland! Maximilian Wendland!"
Ich tippte auf den Projektorbutton, schob meinen Workseat beiseite und deutete auf die Projektion an der Wand. "Das ist die Videoaufzeichnung Ihrer Festnahme. Das sind doch Sie mit dem erhobenen Golfschläger oder etwa nicht?" Ich sah ihn eindringlich an. "Das nennt man tätlichen Angriff, Herr Wendland."
"Aber das ist ein Missverständnis! Ich wollte doch nur..." Er fingerte nervös über die Verfärbung an seiner Stirn. "Mein... Also unser Haussystem... Ich meine, das von meiner Frau und mir..."
Ich ließ mich auf meinen Workseat fallen und hob den Zeigefinger. "Genau, Herr Wendland! Kommen wir besser auf den eigentlichen Kern des Problems."
Er hielt inne. "Wie meinen Sie das?"
Ich tippte auf den Worktable und wies mit dem Kopf zur Wand. "Sie sind tot, Herr Wendland."
Er starrte auf die Projektion und sein Kiefer sank herab. "Das ist..."
"Unmöglich?" Ich scrollte durch Infokachel. "Die Überwachung Ihrer Vitalfunktionen sowohl durch Ihr Haussystem, als auch durch die Med-Apps Ihres Smartphones haben Ihren Tod durch Herzversagen festgestellt. Zwar gibt es gewisse Unklarheiten bezüglich des exakten Todeszeitpunktes, aber das ändert nichts am Ergebnis."
"Aber das ist doch Unsinn!" Er schluckte schwer und leckte sich über die Lippen. "Ich meine, ich sitze doch hier und spreche mit Ihnen. Ich bin doch kein Geist!" Er fasste das Revers seines Sakkos und zerrte daran.
"Vorsicht, sonst löst der Taser aus."
"Sie können mich anfassen!"
"Das ist gegen Vorschrift. Aber darum geht es auch gar nicht" Ich scrollte langsam weiter. "Alle Ihre personalisierten Dienste und Accounts sind ohne Ausnahme deaktiviert, gesperrt oder im Gedenkmodus. Sie sind weder kranken- noch sozialversichert. Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung ist erloschen. Ihre Lebensversicherungen befinden sich im Auszahlungsmodus." Ich sah ihn an. Er brauchte jetzt etwas Aufbauendes. "Kompliment übrigens, wie sorgfältig Sie Ihren Nachlass geregelt haben. Das läuft vollkommen sauber durch, ohne dass sich ein Mensch damit befassen muss. Hat man derzeit noch selten, dass jemand so geordnete Daten hinterlässt." Ich lächelte ihn aufmunternd an.
"Aber ich bin nicht tot!" Er stemmte sich gegen die Brustklammer. "Nicht tot! Hören Sie! Ich lebe doch noch!" Er umfasste die Schenkelklammern und zerrte daran, natürlich vergeblich.
Ich bückte mich unter den Worktable, öffnete die oberste Schublade des Containers und nahm ein Glas und ein Blister heraus. "Herr Wendland, Sie müssen sich beruhigen."
"Sie... Sie... Wieso soll ich mich beruhigen? Sie erklären mich für tot und ich soll mich beruhigen!" Er lachte auf. "Das ist ein schlechter Scherz? Oder?"
"Bitte, Herr Wendland, ich versuche Ihnen zu helfen." ich ging zu dem Wasserspender in der Ecke und füllte das Glas. "Das geht aber nur, wenn Sie sich beruhigen."
"Okay." Er ließ die Schenkelklammern los und verschränkte die Arme. "Was muss ich tun und wie können Sie mir helfen?"
"Erst einmal nehmen Sie die. Zur Beruhigung." Ich drückte eine Tablette aus dem Blister und hielt sie ihm mit dem Glas hin.
"Was ist das?" Misstrauisch sah er auf die Tablette in meiner Hand.
"Für die Nerven. Nun nehmen Sie schon."
Seine Hand zitterte leicht, als er nach dem Glas griff. Er trank einen Schluck. "Aber das nehme ich nicht." Er deutete mit dem Kinn auf die Pille.
Ich zuckte die Achseln. "Wie Sie wollen." Ich ging um den Worktable herum und setzte mich. Seine Augen folgten jeder meiner Bewegungen, als ich die Tablette zurück in den Blister drückte und die Packung wieder in die Schublade warf. "Also sehen wir uns Ihren weiteren Datenstatus an."
Ich holte die Infokachel aus dem Ruhemodus. "Bankdaten," erklärte ich, während ich scrollte. "Banksysteme sind etwas eigen, was den Netzverbund angeht."
Er trank ein wenig. "Das bedeutet?"
"Wenn es noch irgendwo Lebenszeichen von Ihnen gibt, dann am ehesten hier."
"Suchen Sie, los Mann, suchen Sie!" Er stürzte den Rest hinunter und beugte sich vor, soweit die Brustklammer es zuließ.
"Ach Du Sch..." Verblüfft starrte ich auf den Worktable. Unglaublich. Der Account war tatsächlich noch offen.
"Ha! Sehen Sie!" Triumphierend zeigte Wendland auf die Projektion hinter mir. "Ich lebe! Ich bin lebendig!" Er schluchzte. "Ich habe es Ihnen doch gesagt!"
ACCOUNT GESPERRT
"Ich..." Er verstummte.
Ich schwieg.
"Kann ich bitte noch ein Glas Wasser bekommen," flüsterte er.
"Natürlich." Ich ging zu ihm, nahm ihm das Glas aus der Hand und ging zum Spender, um es aufzufüllen.
Hinter mir ertönte ein seltsamer Laut, ein wenig wie der leise Schrei einer Katze. Ich drehte mich um. Wendland hing in der Brustklammer, den Mund leicht geöffnet. Ein Speichelfaden hing an seinem Mundwinkel. Die Füße zuckten ein paar Male auf und nieder, waren dann still und seine Hände sanken von der Brust herab.
Er hätte es schmerzloser haben können. Aber er wollte ja die Tablette zum Wasser nicht. Ich zuckte die Achseln und goss das Glas im Ausguss neben dem Spender aus. Dann ging ich zum Worktable, um mich abzumelden.
10:56
Passte doch.