Story XIV: Die alpischen Spiele des Macrinus Meyer

Mit einem legeren Hieb enthauptete Ragnar Lodbrok, der muskelgewaltige und Testosteron gepimpte Barbar, den mächtigen Oger, sodass der hässliche Schädel jener grausamen Bestie bis in den hintersten Winkel der virtuellen Höhle flog und der 40-Zoll Bildschirm schier von der Menge des vergossenen Pixel-Blutes troff; mit einem derartigen Bildschirm lohnte sich doch die Paystation 99 ½ doch ganz enorm. Macrinus Meyer, seines Zeichens Assistenzkaufmann für mediales Advertising, genoss derartige Momente des avatarischen Triumphes ungemein, vorallendingen, wenn die gar bösewichtigen Opponenten bei ihrem gewaltsamen Ableben kläglich grunzten oder lustig zuckten. So kicherte unser rabiater Gamer glückselig angesichts des ruhmlosen Endes des aktuellen Level-Bosses und schob sich laut schmatzend - gewisse Ähnlichkeiten mit dem an einen Livemittschnitt aus einem Wutzenstall erinnernden Kampfschrei des soeben Getöteten ließen sich dabei nicht abstreiten- ein gewaltiges Stück seiner fetttriefenden Pizza-Bacon-Speziale-XXL rein. Im Gegensatz zu seiner Kunstfigur war unser Gourmet nicht ganz so Mister-Universe-mäßig gebaut, da seine Muskulatur sich vornehmlich auf die wachsenden Fettschichten der Körpermitte konzentrierte. Während der Killer unzähliger, digitaler Monstrositäten noch genüsslich an seiner Cholesterinmegatonnenbombe herumkaute, dachte er verzückt an seinen zweitliebsten Charakter, den mächtigen Nekromanten Trumpino. Mit dessen kolossalen, magischen Fähigkeiten beseitigte man die stereotypen Formen des Bösen im momentan angesagten Mainstream-MMORG ‚World of Xenophobia‘ auf für Macrinus höchst originelle Weise; unser Bürogehilfe der Werbeagentur Gobbel & Partners hätte sich auch durchaus vorstellen können, den unglücklichen Oger mundgerecht zu grillen, zumal das verendete Meistermonster ihn irgendwie an seinen despotischen Chef, Dr. Alfred Hugenberg, erinnerte, der Meyer trotz seiner charakterlich äußerst flexiblen, kriechtieraffinen Art auf eine eher desinteressierte, reflexartige Weise unterdrückte. Der aufkeimende Gedanke an den diktatorischen Bürovorsteher verursachte in der Folge denn auch, dass der servile Assistenzkaufmann ein unangenehmes Rumpeln in der Darmgegend verspürte und ihm ein gewaltiges Bäuerchen aus einer etwas südlich gelegeneren Körperöffnung entfleuchte. Durch solch überzeugende Argumente angetrieben, entschied sich der tapfere Drachentöter -Fafnir der Oberlindwurm von Trivilianistan fiel doch tatsächlich der grausamen Barbarenaxt im vorherigen Level zum Opfer- eilig ein weniger heroisches Örtchen aufzusuchen, um schlimmere, verdauungsbasierte Events zu vermeiden. Trotz seines wenig athletischen Körperbaus bewegte sich der sonst behäbige Meyer mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit zum ersehnten Ziel darmentleerender Aktivitäten und platzierte sich, noch sprintend von seinen Beinkleidern befreiend, dort auf die hängende Billigversion einer Toilette, die unter seinem Gewicht doch bedenklich ächzte. Mit einem Seufzer lustvoller Befriedigung befreite sich der Werbefachmann von der leidigen Last und lächelte glücksselig nach gelungenem Werk, da derartige Tätigkeiten zu den wenigen Erfolgserlebnissen seines recht eintönig eindimensionalen Lebens gehörten. Daneben gehörte besagtes Onlinerollenspiel ebenfalls zu den nicht zahlreichen Freuden im Dasein des passionierten Latrinengängers, zumindest seitdem er sich für die als Grundversion kostenlose Hack+Slay-Orgie das ‚Super Hero Upgrade Pack‘ für schlappe 199 Tacken besorgt hatte. Selbst einem untalentierten Pseudozocker wie unserem biederen Freund ebnete die Erweiterung den Weg bis mindestens Level 99; für die weiteren 500 Stufen virtuellen Abschlachtens bot der Spielehersteller völlig uneigennützig den ultimativen ‚Gaming God Exploitation Mode‘ gegen eine kleine Gebühr von 499,99 Euro monatlich an. Diverse Cheats von freundlichen Hackern gab es zwar im Netz freilich für lau, aber die waren für den trägen Denkapparat des wenig geistreichen Hilfswerbemanagers doch zu kompliziert; ebenso verhielt es sich mit dem aktuellen Gimmick der VR-Technik, das ganze Spielsequenzen als Hologramm in den eigenen vier Wänden wiedergab.
Voller Sehnsucht nach weiteren imaginär exorzistischen Brutalitäten auf dem gequälten Flatscreen erhob sich der unechte Terminator des virtuellen Mainstream-Universums vom Ort des fäkalen Vergnügens -wenn es am schönsten ist, soll man halt gehen- und bekleidete umständlich die untere Partie seines Körpers wieder mit den vorher entledigten Stoffmengen. Frohgemut bewegte also Macrinus aus seinem ungepflegten Hygienebereich in Richtung Wohnzimmer und stellte zu seiner äußersten Verwunderung fest, dass sich inzwischen unliebsamer Besuch eingefunden hatte. Breitbeinig und mit einem bösen Grinsen im Gesicht stand doch die bürokratische Nemesis aller geknechteter Assistenten in des Werbe-Meyers heruntergekommenen Wohnbereich.
‚Also nein, immer dieser Meyer! Wie konnten Sie nur! Einige Menschen wissen wirklich nicht, wie sehr sie sich vergehen!‘
Völlig entgeistert starrte der Gerügte den Überraschungsgast, der statt in einem edlen Maßanzug obendrein in schmutzige Felle gekleidet war, mit heruntergeklappter Kinnlade an, unfähig einen geordneten Gedanken zu fassen.
‚Nun sagen sie doch etwas, Sie undeutscher Würmling! Sie wissen doch, wie ich Ihre unbeholfenen Rechtfertigungsversuche liebe! ‘
Der wohlkonditionierte Büroangestellte reagierte nach dieser forcierten Aufforderung denn auch routiniert in erlernter Hilflosigkeit.
‚Verzeihen Sie, Herr Doktor! Ich habe wirklich viele Stunden intensiv nachgedacht, um unseren neuen Slogan zu vollenden, aber mir fällt wirklich nichts ein. Vergeben Sie mir Chef, den ersten Teil habe ich jedenfalls: Bist Du elend drauf um drei (…). Bitte, lieber Herr Doktor, geben Sie mir noch einige Tage und verbieten Sie mir nicht wieder in der Mittagspause etwas zu essen.‘
‚(…) schlägt der Oger Dich zu Brei! Sie haben Ihre hohle Birne wirklich nur zum Haare halten. Ich rede hier nicht von dümmlichen Sprüchen, die allenfalls Idioten wie Sie oder unsere unbedarften Auftraggeber ernstnehmen. Sie haben es gewagt, die Hand gegen mich zu erheben und mich mit Ihrer vermaledeiten Axt auf hinterhältige Weise zu erschlagen. Dieses Sakrileg darf nicht ungesühnt bleiben. Ich fürchte, mit Abmahnung und folgender Entlassung ist es nicht getan, da es sich hier nicht um einen einfachen Fall von Widerworten oder renitenten Blicken handelt. Zu Ihrem eigenen Besten sehe ich mich ohne Bedauern genötigt, Sie mit meiner Kriegskeule zu bestrafen und anschließend zu fressen!‘
Dem völlig entsetzten Übeltäter fiel mit einem Mal auf, dass sein gestrenger Büroleiter in der rechten Hand lässig eine gewaltige, mit eisernen Dornen gespickte Kriegskeule hielt.
‚Aber bitte Herr Doktor, das war keine Absicht. Ich konnte das doch nicht wissen, haben Sie doch Gnade mit einem Schwachkopf wie mir (…)‘
‚Schweigen Sie! Sie haben jedes Anrecht auf Gnade, die ich Ihnen sowieso nicht gewähren würde, verwirkt. Ihr Gewinsel und die späte Selbsterkenntnis nützt Ihnen jetzt nichts mehr. Ich werde mich nun stärken und dann Ihr insubordinäres Verhalten ahnden.‘
Voller Panik beobachtete der abgewiesene Bittsteller, wie seine wenig humane Führungskraft mit der prankenartigen, linken Hand sich die Reste der vor Äonen erwähnten Bacon-Pizza griff, diese genüsslich vertilgte und sich dabei in der Art von schlechten Hollywoodstreifen nicht etwa in einen Werwolf, sondern tatsächlich in den vor kurzem erledigten Oger aus dem vielgeliebten Onlinerollenspiel verwandelte. Zwischen Fluchtreflex und lähmender Furcht gefangen, erblickte der mächtige Konsolenkrieger mit einem Mal eine gewaltige Streitaxt in greifbarer Nähe an einer benachbarten Wand seiner ärmlichen Behausung lehnend.
Derweil beendete die voll transformierte Führungskraft seine Vorspeise mit einem gewaltigen Rülpser.
‚So Meyer, nun zu Ihnen!‘
Ohne Zweifel hätte sich jetzt Ragnar Lodbrok die bereitwillige Axt geschnappt und Alfred Hugenberg wieder in die Hölle geschickt, aus der sich dieser üble Schatten der Vergangenheit erhob. Wie ihr euch vermutlich denken könnt, mangelte es unserem digitalem Monsterjäger doch ein wenig an den dazu notwendigen, heroischen Eigenschaften, sodass der Fluchtreflex den Wettstreit der Gefühle gewann und Macrinus leicht watschelnd versuchte, seinem unangenehmen Schicksal zu entrinnen; fairerweise sollte man wohl erwähnen, dass unser Mann mangels physischer Kräfte die Axt auch nicht hätte schwingen können. Lachend holte Alfred der Oger sein Opfer spielend ein und schmetterte die gewaltige Keule auf dessen Haupt (…)
Mit einem lauten Schrei und schweißgebadet erwachte der im Traum gekeulte Werbefachmann in seinem Fernsehsessel. Irgendwann während der 1054 Folge der allseits unbeachteten und schlaffördernden Kriminalserie ‚Soko Kleinkleckersdorf‘ mit polit-erzieherischem Mehrwert war unser braver Zuschauer televisionärer Massenunterhaltung gewohnheitsmäßig entschlummert. Viel hatte unser Mann während seines 20-minütigen Intermezzos in Morpheus Armen freilich nicht versäumt, sondern erwachte gerade zum unvermeidlichen Höhepunkt der von establishment-getreuen Kritikern hochgejubelten Krimireihe. Wie üblich ging es dem hässlichen, naturalmente biodeutschen und axtmörderische Übeltäter – eine Mischung aus Jack the Ripper, Adolf Hitler und durchgeknalltem Gartenzwerg namens ‚dumpfbackiger, doppelseitig geschliffener Messer-Fritze‘ – durch die ebenso taffe wie durchgestylte Kommissarin, die trotz ihrer 77 Lenze noch im Geiste von einer politisch korrekten, jugendlichen Einfalt blieb, endlich an den Kragen. Leger erledigte die alte Dame das Untier, auf dessen tödliches Konto mindestens 99 irgendwie rassistisch motivierte Morde an Männer Frauen und Kinder gingen, mit einem gezielten Hieb ihrer schicken Gehhilfe von Yves Saint Laurent. Weiter brauchen wir uns um dieses sehr deutsche Machwerk nicht zu kümmern, da es nicht wesentlich weiter zur Handlung beiträgt und ich mich in einer anderen Geschichte mit derartig medialen Ergüssen noch auseinandersetzen werde.
Zurück zu unserem Protagonisten! Der achtete nun weniger auf den stereotypen Schwachsinn in HD, sondern entsetzte sich vornehmlich über die traumatischen Erlebnisse in der Anderswelt. Weniger betrübte ihn das realistische Bild seines Vorgesetzten und des eigenen, flexiblen Charakters, nein, wirkliches Unbehagen löste sein physisches Erscheinungsbild und seine Rolle als Gamer aus. Neben vielen anderen Zeitgenossen verachtete der durchtrainierte hilfskaufmännische Angestellte Menschen, die nicht dem temporären Schönheitsideal entsprachen und natürlich ganz besonders die erwähnte Art von Spielern. So pflegte Meyer in seiner Freizeit, tatkräftig unterstützt von seinen Spezis Klein-Strieber und Heydrich, alle Arten von ihm als gesellschaftliche Außenseiter deklarierten Menschen teils handgreiflich zu foppen. Schon als Kind ratloser, wohlhabender Akademiker, die ihren Filius trotz üppiger Spenden an entscheidungsbefugte Lehrkräfte und diverser Beziehungen nicht zur Hochschulreife fördern konnten, lachte unser Held gut und gerne über ‚Asoziale‘ – in exklusiveren Kreisen noch heute ein beliebtes Freizeitvergnügen. Obwohl der aktive Bodybuilder ebenfalls eine Paystation besaß und gelegentlich einer Partie '9/11 Vengeance' – ein sehr benutzerfreundlicher Ego-Shooter bei dem man Heerscharen von Terroristen und deren Familien richtiggehend abknallen konnte- nicht abgeneigt war, verabscheute er mit der ganzen Intensität des untalentierten Kleinbürgers allem kreativem gegenüber all jene, die virtuelle Welten eintauchten. So resultierte das Selbstbildnis in des Werbegehilfen Traum denn auch den schon vorhandenen Vorurteilen in seinem kleingeistigen Denkmechanismus.
Der Schock saß tief und es bedurfte schon einer mittelprächtigen Aufmunterung, um unseren eher körperlich denkenden Bodybuilder nicht in Depressionen abgleiten zu lassen. Wie in solchen Fällen üblich, setzte sich unser Werbefachmann in Richtung des nächsten Spiegels in Bewegung, der sich zufällig in seinem Badezimmer befand und dort einen guten Teil der Seitenwand einnahm. Wohlgefällig betrachtet unser Mann seinen durchtrainierten Körper mit einem zufriedenem Grinsen, diverse Mucki-Posen vollführend.
'Mein Gott, bist Du schön!'
Unwillkürlich entschlüpfte dem Muskelmann sein bevorzugter Standardspruch eigener Bewunderung, der ihm sonst manchmal bei den seltenen Gelegenheiten intimer Tätigkeiten mit anspruchslosen, one-night-stand suchenden Damen entfleuchte, denen der schwache Geist und der mangelnde Charme ihres Sexualpartners angesichts des annehmbaren Körpers eher gleichgültig war. Zufrieden mit sich und seiner kleinen Welt begab sich der sporadische Liebhaber zu seinem Lieblingsörtchen – zumindest eine Vorliebe, die er mit seinem traumgeborenen alter ego teilte. Entschlossen entledigte sich Macrinus des unteren Teils seines Jogginganzugs, dessen Stillosigkeit fast einem Kapitalverbrecher gleichkam, aber dafür als teures Markenprodukt verscherbelt wurde und setzte sich auf das hängende Utensil unerfüllter, latrinengängiger Sehnsüchte. Mit einem genüsslichen Seufzer schlug der Sitzende sein Wasser ab und erfuhr bei dieser befreiende Tätigkeit eine schon fast göttliche Erleuchtung, die ihm gelegentlich bei seiner Lieblingsaktivität widerfuhr.
'Bist Du elend drauf um drei? Trinke Kloakensteiner, das macht Dich frei!'
Heureka! Wie lange wie viele Wochen hatte er schon sein leistungsschwaches Gehirn nach einer passenden Fortsetzung des Slogans zermartert. Voller Stolz auf die eigene Kreativität spannte unser Dichterfürst seinen Bizeps an, um sich am Anblick der eigenen Muskeln zu ergötzen. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln drehte unser Schwarzenegger-Abziehbild seinen vakuumversiegelten Kopf in Richtung Arm und stieß einen Schrei äußersten Entsetzens aus. Statt wohl gerundeter Muskelmasse erblickte die Assistenzzierde der Werbewirtschaft ein dünnes Strichärmchen. Geschockt verlagerte der gebeutelte Bodybuilder sein Gewicht. Mit einem gewaltigen Knall riss die Toilette aus der Wandhalterung und schmetterte mitsamt ihrem perplexen Kunden auf den Boden. Zu allem Überfluss ergoss sich ein Strom übelriechender Fäkalien auf den unfreiwillig gegroundeten Meyer, der sich verständlicherweise in einem Zustand äußerster Verwirrung befand. Nach einiger Zeit jedoch stemmte sich der gefallene Held schwer schnaufend empor und erblickte nach geglücktem Unterfangen zufällig sein Abbild im hochgeschätzten Spiegel. Ein verzweifeltes Krächzen verließ die Kehle des seltsam Transformierten: Ein gewaltig übergewichtiger, kahlköpfiger Mann, dessen dürre Arme und Beine an einen den Eindruck eines großen Käferchens verstärkten, spiegelte sich dort mit verzerrter Miene, während sich der Bauchumfang des Unglücklichen stetig vergrößerte. Gebannt betrachtete Macrinus den Vorgang, bis er dann mit einem lauten Knall explodierte. (…)
Als Meyer aus seinem Büroschlaf erwachte, blickte er direkt in Hugenbergs mitleidloses Gesicht, sodass ihm ob der unangenehmen Überraschung ein leichter Darmwind verließ. Verwirrt realisierte der Erwachte, dass er sich im schmuddeligen Großraumbüro für niedere Mitarbeiter seines Arbeitgebers befand.
'Na, hat der Herr wohl geruht oder soll ich Ihnen noch ein Kissen holen?'
Leicht schleimig knechtisches Gekicher der übrigen im Raum Befindlichen orchestrierte die mit gewohnt hämischen Ton hervorgestoßenen Worte des wenig toleranten Vorgesetzten, dessen schrille Stimme schon eine ungeheure Folter menschlicher Hörorgane darstellte.
Der Angesprochene registrierte mit ungewöhnlicher Schnelligkeit, dass sich das Schwert des Damokles offensichtlich gelöst hatte. In seiner Not und im Bewusstsein, dass eine noch so ausgefeilte Verteidigung ihn unmöglich vor der fristlosen Kündigung bewahren konnte, versuchte der Hilfswerbefachmann sich dennoch zu rechtfertigen.
‚Herr Doktor, bitte, der Eindruck täuscht! Ich habe nur intensiv nachgedacht und deshalb die Augen geschlossen. Bitte Herr Doktor Chef glauben Sie mir! Ich würde es niemals wagen, Ihnen die Unwahrheit zu sagen. Mir ist es jetzt gelungen den wesentlichen Teil des Slogans für die Frühstücksbutter von Doppelwürg zu designen: Bist Du elend drauf um drei (…)‘
‚(…) ist jetzt Schluss mit Meyers Schwafelei. Meyer, hier geht es nicht länger um hirnrissige Sprüche für den kleinen Analphabeten auf der Straße!‘
Serviles Gelächter erklang führungskraftunterstützend von den nicht so ganz teuren Plätzen im schäbigen Büroraum. El Supremo wiederum reagierte auf für die treuen Angestellten ungewohnte Weise und brachte mit einem sozusagen Rundum-Basiliskenblick den Heiterkeitsausbruch zu einem abrupten Ende.
‚Ich will nicht, dass über diesen Mann gelacht wird! Er ist ein gefährlicher Feind des Volkes!‘
Nach einer theatralischen Pause, die vom erwartungsvollen Schweigen der Meute unterstrichen wurde, setzte Alfred Hugenberg seine Philippika fort.
‚Meyer, wenn Sie wirklich so heißen, Sie werden beschuldigt, ein Zigeuner zu sein. Leugnen ist zwecklos! Ich habe unwiderlegbare Beweise durch einen anonymen Hinweis einer Ihrer Kollegen und meine unfehlbare Intuition; außerdem hat man Sie in der Operette ‚der Zigeunerbaron‘ gesehen!‘
Völlig entgeistert und mit Tränen der Scham in den Augen starrte der Beschuldigte seinen Ankläger an, wohl wissend, dass sich der forsche Doktor einem seiner vielen Tobsuchtsanfällen näherte, die nicht selten mit der fristlosen Kündigung des Delinquenten und der handgreiflichen -gerne auch durch Fußtritte in das Gesäß- Entfernung des Entlassenen aus den wenig heiligen Hallen der bundesdeutschen Werbeindustrie endeten. Das Beste für das Opfer in solchen Situationen war es zu schweigen, um Schlimmeres zu verhüten.
‚Ich werte Ihr Schweigen als Schuldeingeständnis! Ihr rudimentär vorhandenes Gewissen lässt Sie vermutlich verstummen!‘
Die Verzweiflung trieb den Beschuldigten zu einer ungewöhnlich mutigen, wenn auch stupiden Aktion.
‚Glauben Sie hochgeehrter Herr Doktor, ich bin kein Sinto!‘
Fast augenblicklich bemerkte der geistig arme Meyer, dass er gerade einen gravierenden Fehler beging und schwieg betreten. Weil er sich gerne über vermeintliche Außenseiter amüsierte, hatte er sich vor einigen Tagen eine tendenziöse Reportage auf einer großzügig von Heydrich geliehenen DVD über Sinti und Roma mehrmals angesehen. Trotz seiner begrenzten Auffassungsgabe gelang es dem Assistenzkaufmann, sich tatsächlich einige Details zu merken.
‚Sie wagen es zu leugnen! Ein weiterer Beweis Ihrer Schuld!‘
Ein leichtes Räuspern ließ den tobenden Ankläger herumfahren. Nicht weit vom Schreibtisch des Delinquenten entfernt stand Security-Mann Heydrich in seiner schwarzen Uniform.
‚Verzeihung Herr Doktor, aber Meyer kann Zigeunersprache. Sinto bezeichnet ein männliches Exemplar dieser Gattung!‘
‚Ich wusste es! Ha, auf frischer Tat ertappt! Woher wissen Sie das eigentlich Heydrich?‘
‚Kriminologische Studien und jahrelange Beschäftigung mit den Abgründen der menschlichen Seele, mein Chef.‘
‚Sehr gut! Zigeuner, Du bist nun endgültig überführt! Ich verurteile Dich nun zum Tode durch den Strang! Heydrich und Klein-Strieber vollstrecken Sie das Urteil!‘
Wie ein Springteufelchen erhob der stellvertretende des vor Urzeiten entlassenen Stellvertreter des längst gefeuerten Gruppenleiters von seinem Barhocker ähnlichen Platz und strebte diensteifrig in Richtung des Schwerkriminellen, während der Rest der Belegschaft ebenso erstaunt wie eingeschüchtert die Ereignisse zur Kenntnis nahm. Der völlig aufgelöste Hilfswerbeknecht saß derweil wie gelähmt auf seinem Platz und blickte den herbeieilenden Klein-Strieber geradezu flehentlich an.
‚Um Himmels willen, Heini, sag doch etwas! Ich bin doch unschuldig!‘
Der Heini Klein-Strieber hielt kurz inne und betrachtete den Bittsteller mit grimmiger Miene.
‚Sorry Meyer, Du alter Leerbrenner, aber Befehl ist Befehl!‘
Dem pflichtbewussten Vollstrecker fiel mit einem Male ein, dass ihm in seinem wie gewöhnlich vorauseilendem Übereifer ein winziges Detail entgangen war.
‚Herr verehrter Herr Doktor, mit was sollen wir denn den Verbrecher aufknüpfen?‘
‚Klein-Strieber, Sie subalterner Idiot, strengen Sie Ihren winzigen Verstand gefälligst an oder Sie baumeln neben dieser Null! Verwenden Sie meinetwegen ein Druckerkabel!‘
‚Jawohl, Herr Doktor!‘
Suchend blickte sich der diensteifrige Heini nach einem geeigneten Utensil um.
Heydrich, der in der Zwischenzeit süffisant grinsend die Geschehnisse betrachtet hatte, schaltete sich nun ein.
‚Einen Moment Klein-Strieber!‘
In völligen Missinterpretation der Situation aufgrund seiner mangelnden kognitiven Fähigkeiten, schöpfte Macrinus die irrwitzige Hoffnung, davonzukommen.
‚Danke Reinhard! Erkläre denen doch, dass alles ein Missverständnis ist!‘
Fast gleichzeitig lachten Hugenberg und Heydrich herzhaft auf.
‚Du bist ein Kretin Zigeuner, Herr Heydrich hat Dich schließlich bei mir gemeldet. Übrigens: Gut gemacht!‘
‚Danke, mein Chef! Ich habe nur meine Pflicht getan, obwohl die, wie in diesem Fall, manchmal richtig Freude bereitet. Wir haben übrigens alles da, um den Verräter zu bestrafen; schließlich trägt der ja die vorschriftsmäßige Dienstkrawatte!‘
‚Ausgezeichnet Heydrich, erledigen Sie doch den Rest!‘
In den Scherben seiner kleinen Spießerwelt ward Meyer völlig von Konfusion erfasst. Zu seinem Glück besaß er keinen nennenswerten Verstand und konnte ihn auch daher nicht verlieren.
‚Zigeuner, Du steigst jetzt auf Deinen Stuhl und bindest das Unterteil Deiner Krawatte Leuchtkörper!‘
Der auf absoluten Gehorsam konditionierte Büroangestellte tat wie ihm geheißen und befestigte den provisorischen Henkerstrick -die ‚Dienstkrawatte‘ war ein strickähnliches, robustes Plastikteil mit Firmenlogo- an die Neonröhrenbatterie oberhalb seines Arbeitsplatzes.
‚Gut! Jetzt springst Du vom Stuhl!‘
Trotz allem verinnerlichten Kadavergehorsams siegt beim einsichtigen Übeltäter dennoch der Selbsterhaltungstrieb. Ob des Ungehorsams seines Opfers runzelte der fernsteuernde Henker bedenklich die Stirn.
‚Na dann meinetwegen so!‘
Mit einem gezielten Karatetritt trat der eifrige Security-Mitarbeiter den billigen Plastikstuhl beiseite, sodass der unwillige Todeskandidat für eine kurze Zeit zappelnd an seinem Schlips baumelte. Zur allgemeinen Überraschung und zum vorläufigen Glück des Delinquenten jedoch löste sich der altersschwache Leuchtröhrenhalter, um krachend neben den ebenfalls zu Boden gegangenen Meyer zu landen.
‚Das darf doch wohl nicht wahr sein! Heydrich Sie haben mich enttäuscht! Klein-Strieber, beseitigen Sie den Kerl!‘
Heini kratzte sich völlig ratlos am Gesäß.
‚Wie denn, Herr Doktor?‘
‚Bin ich nur von Versagern umgeben?‘
‚Mein Chef, lassen Sie mich die Sache in Ordnung bringen!‘
‚Also gut, Heydrich, aber versagen Sie diesmal nicht noch einmal!‘
‚Zigeuner, Du gehst jetzt zum Fenster und öffnest dieses!‘
‚Wirklich gut, Heydrich, ein Aufprall aus dem 20. Stock dürfte von dem Kerl nicht viel übriglassen. Einen fähigen Kopf wie Sie könnte ich in unserer Prager Niederlassung gut gebrauchen. Aber was ist das, warum verweigert der Kerl den Befehl?‘
Keines unvernünftigen Gedankens mehr fähig saß der geschundene Meyer weiterhin auf seinem Hinterteil.
‚Kein Problem, mein Führer! Heini, öffne doch kurz das Fenster, ich werde unserem kleinen Trotzkopf behilflich sein.‘
So setzte Meyer nach circa drei Minuten seine weitere Karriere abwärts fort, die etwas unsanft mit einem Aufprall endete. (…)
Verwirrt setzte sich der soeben Zerschmetterte in seinem Bett auf. Was für ein merkwürdiger, erschreckender Traum und so realistisch; zumindest was den Charakter seiner zwei besten Freunde und seines gestrengen Chefs betraf! Wie immer nach außerordentlichen Stresssituationen überfiel Macrinus ein fast animalischer Heißhunger und so beschloss unser viel gemordeter Held, sich ein dickes, veganes Pseudoschweineschnitzel hereinzuziehen. Unter uns Klosterbrüdern und -schwestern gesagt, war die vegetarische Köstlichkeit natürlich ungefähr so vegan, wie eine aus Tierabfällen zusammengerührte Leberwurst. Allerlei legale Tricks und diverse EU-Verordnungen ermöglichten jedoch dem Hersteller, seine aus Fleischrückständen zusammengeklebtes, minderwertiges Produkt mit einem grandiosen Etikettenschwindel als rein pflanzlich zu verscherbeln.
Sich den Schlaf aus den Augen reibend, begab sich der hungrige Gourmet in Richtung Kühlschrank und stand beim Verlassen des Schlafzimmers plötzlich einer vermummten Gestalt, die in der rechten Hand ein übel aussehendes Brecheisen hielt, gegenüber.
Das durfte ja nicht wahr sein, schon wieder so ein bescheuerter Traum! Aber dieses Mal würde er nicht so blöde dastehen!
Meyer stieß ein überlegenes Lachen aus, das allerdings durch einen schweren, zum Besinnungslosigkeit führenden Hieb mit des Einbrechers Handwerkszeug ein ebenso abruptes Ende fand wie die Existenz des leidgeplagten Träumers, denn dieses Mal handelte es sich um die bittere Realität. Denn bedenke: Bist Du elend drauf um drei, ist nach einem gepflegten Schlag auf die Birne eh alles einerlei.
Wie man sieht, ist es sehr von Nachteil, Traum und Realität zu verwechseln – solches sollte vielleicht mancher Politiker oder sonstiger Möchtegern verinnerlichen.
 

Tula

Mitglied
Hallo Qayid

Wie versprochen die Rückmeldung auch zu diesem. Die Idee gefällt mir sehr gut, die Umsetzung eigentlich ebenso, vielleicht ist's an einigen Stellen etwas zu dick bzw. "sprachlich zu anspruchsvoll", d.h. ich musste mich stellenweise ziemlich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren.

Ansonsten erinnert mich der Schreibstil an gute(!) satirische Texte im Eulenspiegel, leider lese ich diesen nur einmal im Jahr im Urlaub.

Ein Punkt wäre noch die für mich etwas überhäuften Anspielungen auf geistige Defizite der Hauptfigur. Da müsste doch der Leser auch so drauf kommen?

Wie dem auch sei, für mich ein origineller Text, den ich gern gelesen habe.

LG
Tula
 
Vielen Dank für die Blumen

Hallo Tula,
da bedanke ich mich doch recht herzlich!Demnächst werde ich die Gemeinde mit einem leckeren Rezept beglücken und irgendwann die 15. Geschichte einstellen; ein gar garstige Moritat mit einem originellen Täter.
VG+schönes Wochenende
JU
 



 
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