Streichelzoobesuch aus Langeweile

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Mistralgitter

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Es ist sechs Uhr abends. Die meisten Besucher haben das Gelände verlassen. Noch einmal strahlt die Sonne auf. Es war ein schwülheißer Tag. Ich sehne die Kühle des Abends herbei. Vor langer Zeit war ich schon einmal hier. Seitdem hat sich sehr viel verändert. Die Anlage ist größer geworden, Wege wurden angelegt, es gibt mehr Tiere im Zoo als früher. Doch ich bin lustlos hergefahren, ich hatte keine bessere Idee.

Einige Familien halten sich noch mit ihren Kindern bei dem Gehege mit den Streicheltieren auf. Ich sitze abseits auf einer Bank, vor mir ein Tümpel für Enten, Blesshühner und Schwäne. In ihm schwimmen erstaunlich viele Federn, ich finde es ekelerregend. Hinter mir entdecke ich ein Blumenfeld mit einem Schild. „Blumen zum Selberschneiden“ steht darauf. Immerhin blühen hier Sonnenblumen, sogar Löwenmäulchen, auch Dahlien und Gladiolen. Sie geben ein gewollt buntes Bild, täuschen ein bisschen Landleben vor und überbrücken die Trostlosigkeit der Umgebung. Dieser Trost aber reicht mir nicht.

Der Geruch nach billigem Waschmittel weht unangenehm penetrant zu mir herüber. Vielleicht aus der Kleidung der jungen Frau, die gerade an mir vorbei geht? Sie muss bestimmt sparen. Ihr kleiner Sohn springt am Ufer entlang.
„Da kommt der Schwan“, verkündet er und ruft: „Hey, Schwanie!“.
Er wirft dem Schwan und den Enten Brot zu. Die Tiere kümmern sich nicht darum, gründeln stattdessen in der Nähe des Ufers. Das Brot ist nichts Besonderes für sie. Schließlich wirft jeder Besucher Brot in den Teich. Viel zu viel.
„Lass, die haben es nicht gecheckt!“, ruft die Mutter unwillig und interesselos. Sie ist inzwischen einfach weitergegangen.
„Tschüss!“, ruft der Sohn den Enten und dem Riesenschwan zu und läuft der Mutter hinterher. Freundlich klingt das, freundlicher als die tonlose, gelangweilte Stimme der Mutter.

Ein Elternpaar mit ihrem ca. 1 jährigen Kind kommt an meiner Bank vorbei. Dieses Mal riecht es nach Babycreme. Wenn das Kind so alt sein wird wie ich, wird es nichts mehr wissen von diesem Spaziergang. Die Mutter ist wieder schwanger. 6. Monat schätze ich. Der Vater achtet sorgsam auf die Schritte seines Sohnes. Er grüßt mich im Vorbeigehen mit „Hallo“. Das finde ich nett.

Am gegenüberliegenden Ufer jagen einige Kinder mit lautem Geschrei die Enten im Wasser. Wer macht mehr Krach: die schnatternden Enten oder die Kinder? Und auch die Blesshühner am Ufer knattern laut.

Auf der benachbarten Bank hat ein Vater sein Kleinkind auf dem Schoß. Ich mag Väter, die sich mit ihren Kindern beschäftigen, sie schützen und lieben.
Und dann geht diese schlanke junge Frau vorüber in kurzen Hosen mit ihren langen nackten Beinen, ein Kleinkind an der Hand. Sie fällt auf. Ihr Mann schiebt das Dreirad des Kindes. Die Oma trottet hinterher. Das Tempo bestimmen vorne die größeren Kinder.

Es riecht auf einmal streng nach Ziegen, die weiter vorne im Streichelzoogelände ihren Auslauf haben. Und Fliegen spazieren inzwischen frech auf meinen klebrig verschwitzten Armen. Eine Ameise krabbelt in meinem Hosenbein. Und irgendwelches Getier beißt mich nun auch noch sogar unterm T-Shirt. Es reicht. Gründlich.
 
Zuletzt bearbeitet:

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Mistralgitter,

du hast hier eine meiner Lieblingsbeschäftigungen beschrieben: Stiller Beobachter.

Die Charaktere der Zoobesucher sind fein gezeichnet.

Nur beim Schluss hätte ich etwas anderes erwartet. ich kann gar nicht genau sagen, was. Ist so ein Gefühl. Aber vielleicht sollen die Ziegen, der Gestank und die nervenden Insekten die "Idylle" bewusst zerstören.

Liebe Grüße
Manfred
 

molly

Mitglied
Hallo Mistralgitter,

mit Augen, Ohren und Nase nimmt der Mensch auf der Bank seine Umgebung wahr. Ich kann Manfred da nur zustimmen:

Die Charaktere der Zoobesucher sind fein gezeichnet.
Doch wüsste ich gerne, wie billiges Waschmittel riecht. Nach Kernseife?

Es riecht auf einmal streng nach Ziegen
dazu kommen noch die Insekten-Plagegeister. Für mich bedeutet das, die Langeweile ist vorbei.
Gerne gelesen
molly
 

Mistralgitter

Mitglied
@Franke Danke, Manfred, für deinen Kommentar.
Die Idylle ist ja von Anfang an nur eine Scheinidylle oder besser: Ich (autobiograhisch) habe sie zwar mühevoll gesucht, nur in Ansätzen gefunden und am Schluss völlig enttäuscht und genervt das Areal verlassen, als dann das Ganze zu einer "persönlichen Attacke" der Insekten ausartete. Also dachte ich, dass dem Leser klar wird, dass hier von Anfang an "nichts zu holen" war. Das jedenfalls war mein Anliegen beim Schreiben.
(Ich weiß, man soll seinen Text nicht selber kommentieren.)
Ein paar kleine Schönheitsfehlerchen hab ich beseitigt. Vielleicht sehe ich demnächst noch mehr ;-)
Viele Grüße jedenfalls
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
@molly
Hallo molly, schön, dass du vorbeigeschaut hast, danke für deinen Kommentar.
Wie billiges Waschmittel riecht? Es gibt so Gerüche, die penetrant, aufdringlich nach "Chemie" riechen. Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll. Es riecht so abstoßend, nicht einladend, sondern gewöhnlich, nicht nach frischer Wäsche, obwohl die Wäsche ja gewaschen wird damit. Menno, das ist schwer zu sagen! Jedenfalls unangenehm. Das wird doch deutlich - oder? Und keinesfalls nach Kernseife! Das wäre ja ein Wohlgeruch!
Stimmt, langweilig war es dann nicht, eher abwechslungsreich, aber um welchen Preis?
Ich erinnere die ganze Szene nach wie vor, obwohl sie sich vor vielen, vielen Jahren abgespielt hat, den Geruch hab ich noch in der Nase. Ich hatte meinen Schreibblock dabei, und diese Notizen von damals hab ich nun endlich bearbeitet. Weitere Bearbeitungen nicht ausgeschlossen ;-) Wie immer.
Viele Grüße
Mistralgitter
 



 
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