ich dachte, ein Senryu und ein Haiku sei das Gleiche
Du liegst fast richtig, Delfine. Ein senryu ist immer auch ein Haiku, allerdings ein auf Empfindung, zum Teil sogar Interpretation oder Willensaussage erweitertes Haiku. Für uns Europäer selbstverständlich, für das klassische Japan keineswegs, das reine Beschreibungstexte bevorzugte. Vor allen Dingen die fünf Jahreszeiten (Achtung: Neujahr zählt dazu!) im Auge hatte, wofür kigo (Jahreszeitenwörter) gelistet und zu einem Wörterbuch - kiyose - zusammengefügt wurden. Die historisch aufweisbare Trennung von Haiku und senryu ist heute nicht mehr zwingend, aber auch nicht falsch.
Dein Gedicht muss wohl noch nachgearbeitet werden. Der Bogen von Tränenschleier zum Schweigen ist mir viel zu flach, also spannungslos. Das gegenseitige Bedingen ist zu offensichtlich, so dass der Text schnell verpufft. Zu wenig Nachschwingen im Kopf des Lesers.
Interessant: Ciconia las die Ereignisse in Trier, ich ging eher von Einsamkeit, Verlassenheit aus.
Im Zuordnungstitel benutzt Du das Wort 'Stumm'. Sieht wie eine zusätzliche Erklärung zum Text aus und könnte durchaus als Schwäche des Textes ausgelegt werden. Ich benutze dort ausschließlich Schlüsselworte, die man auch im Gedicht findet. Wenn man das nicht will, reichte es wohl, nur Haiku zu schreiben. Aber frag' doch noch mal beim Redakteur Bernd nach.
Die mittlere Zeile 'über der Stadt' wirkt wie ein Scharnier oder Apokoinu; dazu müssten aber die 1. und 3. Zeile nachgebessert werden.
Es grüßt
Béla