stumme Nacht

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Es gibt Augenblicke im Leben, da wartet man auf jemanden, weiß aber nicht, auf wen man wartet und macht es trotzdem. Solche Stunden sind immer langwierig und überaus vergeblich. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Begreift man das nach einer Weile, dann macht man sich auf den Weg.

In diesem elenden Zustand betrete ich meine Stammkneipe. Es ist zu warm in der Stube. Die Beleuchtung ist heruntergedreht. Brennende Kerzen stehen ringsherum und ein krummer Weihnachtsbaum springt aus einer Ecke hervor. Am Stammtisch sitzen ein paar altbekannte, traurige Gestalten. Die Stimmung ist arg und ich bin willkommen.

Nichts, wenn man es überlegt, kann wohltuender sein, als wie sich in einsamen Momenten unter Gleichgesinnten zu befinden. Man trinkt zusammen, nimmt Anteil und hat sich gerne. Es ist der Klub, der einsamen Seelen, dem man beigetreten ist.

Und doch kann diese Laune nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen tief im Innern friert und so schmachten wir an diesem Abend dahin.

Es wird nur wenig gesprochen und man prostet sich verständnisvoll zu. Die Wirtin; eine Steyrerin, von Beruf aus recht trinkfest, ist doch stark benebelt; ich sehe sie kläglich das Bier ausschenken, wobei sie hin und her schwankt. Sie schaut sentimental drein und schwarze Tränen rutschen über ihre Backen.

Ein alter Bekannter betritt das Lokal und gesellt sich zu unserem Haufen. Er setzt sich neben mich. Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt. Trotzdem aber entgeht es mir nicht, dass auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasitzt. Das erste Bier kippt er beinahe in einem Zug hinunter und dann sagt er vorwurfsvoll:
„Was sind das für Tage, die ihr verbringt?“
Wir werden etwas verlegen. Der hünenhafte Kerl hat leicht lachen. Er ist gut aussehend, hat in allen Zeiten Geld und die Frauen liegen ihm zu Füßen.
„Armselig seid ihr“, sagt er, „seht mich an, ich hab mich vor drei Monaten scheiden lassen und mir geht es hervorragend. Die Kinder sehe ich nur noch jedes zweite Wochenende, die restlichen verbringe ich mit Frauen, mit immer anderen, versteht sich. Das Leben ist herrlich und ihr erstickt hier beinahe vor Selbstmitleid.“

Keiner von uns sagt etwas darauf. Seine Worte treffen uns hart. Zum Trost bestellt er eine Runde Schnaps. Misshandelt, wie ich bin, trinke ich gerne mit. Es ist, als wäre es Medizin, die uns der Peiniger verabreicht.

Nach drei weiteren Runden freuen wir uns laut, nur die Wirtin bleibt still hinter der Theke. Wir sind auf einmal mutig, erzählen uns billige Witze und lachen fortwährend.
Aber der viele Alkohol zeigt bald seine andere Wirkung. Wir sitzen wieder stumm und betreten am Tisch.

Es ist nach zehn Uhr und die Wirtin dreht das Radio an. Ein Chor singt „Stille Nacht“ und ich glaube, im Gedanken singen wir alle mit, so schauen wir in den Raum. Ich sehe in das Gesicht unseres Wohltäters. Sein Blick scheint in die Ferne gerichtet. Er ist bleich geworden. Seine Brust hebt sich unruhig auf und ab. Zwei tiefe Schluchzer kommen aus seiner Kehle. Er steht auf und schleicht sich aus dem Lokal.
 
Es gibt Augenblicke im Leben, da wartet man auf jemanden, weiß aber nicht, auf wen man wartet und macht es trotzdem. Solche Stunden sind immer langwierig und überaus vergeblich. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Begreift man das nach einer Weile, dann macht man sich auf den Weg.

In diesem elenden Zustand betrete ich meine Stammkneipe. Es ist zu warm in der Stube. Die Beleuchtung ist heruntergedreht. Brennende Kerzen stehen ringsherum und ein krummer Weihnachtsbaum blinkt in der Ecke, wie eine Illusion. Am Stammtisch sitzen ein paar altbekannte, traurige Gestalten. Die Stimmung ist arg und ich bin willkommen.
Nichts, wenn man es überlegt, kann wohltuender sein, als wie sich in einsamen Momenten unter Gleichgesinnten zu befinden. Man trinkt zusammen, nimmt Anteil und hat sich gerne. Es ist der Klub, der einsamen Seelen, dem man beigetreten ist.
Und doch kann diese Laune nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen tief im Innern friert und so schmachten wir an diesem Abend dahin.
Es wird nur wenig gesprochen und man prostet sich verständnisvoll zu. Die Wirtin; eine Steyrerin, von Beruf aus recht trinkfest, ist doch stark benebelt; ich sehe sie kläglich das Bier ausschenken, wobei sie hin und her schwankt. Sie schaut sentimental drein und schwarze Tränen rutschen über ihre Backen.
Ein alter Bekannter betritt das Lokal und gesellt sich zu unserem Haufen. Er setzt sich neben mich. Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt. Trotzdem aber entgeht es mir nicht, dass auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasitzt. Das erste Bier kippt er beinahe in einem Zug hinunter und dann sagt er vorwurfsvoll:
„Was sind das für Tage, die ihr verbringt?“
Wir werden etwas verlegen. Der hünenhafte Kerl hat leicht lachen. Er ist gut aussehend, hat in allen Zeiten Geld und die Frauen liegen ihm zu Füßen.
„Armselig seid ihr“, sagt er, „seht mich an, ich hab mich vor drei Monaten scheiden lassen und mir geht es hervorragend. Die Kinder sehe ich nur noch jedes zweite Wochenende, die restlichen verbringe ich mit Frauen, mit immer anderen, versteht sich. Das Leben ist herrlich und ihr erstickt hier beinahe vor Selbstmitleid.“
Keiner von uns sagt etwas darauf. Seine Worte treffen uns hart. Zum Trost bestellt er eine Runde Schnaps. Misshandelt, wie ich bin, trinke ich gerne mit. Es ist, als wäre es Medizin, die uns der Peiniger verabreicht.
Nach drei weiteren Runden freuen wir uns laut, nur die Wirtin bleibt still hinter der Theke. Wir sind auf einmal mutig, erzählen uns billige Witze und lachen fortwährend.
Aber der viele Alkohol zeigt bald seine andere Wirkung. Wir sitzen wieder stumm und betreten am Tisch.
Es ist nach zehn Uhr und die Wirtin dreht das Radio an. Ein Chor singt „Stille Nacht“ und ich glaube, im Gedanken singen wir alle mit, so schauen wir in den Raum. Ich sehe in das Gesicht unseres Wohltäters. Sein Blick scheint in die Ferne gerichtet. Er ist bleich geworden. Seine Brust hebt sich unruhig auf und ab. Zwei tiefe Schluchzer kommen aus seiner Kehle. Er steht auf und schleicht sich aus dem Lokal.
 

Odilo Plank

Mitglied
Er setzt sich neben mich. Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt.
Lieber Gernot,
da hätte ich gern eine anschaulichere Typisierung. "Großartigster Kerl" sagt mir nichts, und das hat auch der große Zampano nicht verdient.
LG Odilo
 

Ternessa

Mitglied
Hallo Gernot,
der Text spricht an.
Nur eins stört- die Verwendung von " als wie "- oder ist das beabsichtigt?

Liebe Grüße
Ternessa


Siehe Text:
" Nichts, wenn man es überlegt, kann wohltuender sein, als wie sich in einsamen Momenten unter Gleichgesinnten zu befinden."
 
hallo Odilo

hm, jetzt machst du mich etwas verlegen, eine Typisierung des Prots folgt eigentlich unmittelbar auf den Satz, den du bemängelst:

Ein alter Bekannter betritt das Lokal und gesellt sich zu unserem Haufen. Er setzt sich neben mich. [blue]Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt.[/blue] Trotzdem aber entgeht es mir nicht, dass auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasitzt. Das erste Bier kippt er beinahe in einem Zug hinunter und dann sagt er vorwurfsvoll:
„Was sind das für Tage, die ihr verbringt?“
Wir werden etwas verlegen. [blue]Der hünenhafte Kerl hat leicht lachen. Er ist gut aussehend, hat in allen Zeiten Geld und die Frauen liegen ihm zu Füßen.[/blue]
ist das zu wenig, oder meinst du es sollte sogleich eingebunden sein?

hallo Ternessa
oje, da hat sich wieder mal das blöde "wie" bei mir eingeschlichen, danke für deinen Hinweis, ich tilge es.
Und es freut mich, dass dich die Geschichte anspricht.

liebe grüße euch beiden

Gernot
 
Es gibt Augenblicke im Leben, da wartet man auf jemanden, weiß aber nicht, auf wen man wartet und macht es trotzdem. Solche Stunden sind immer langwierig und überaus vergeblich. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Begreift man das nach einer Weile, dann macht man sich auf den Weg.

In diesem elenden Zustand betrete ich meine Stammkneipe. Es ist zu warm in der Stube. Die Beleuchtung ist heruntergedreht. Brennende Kerzen stehen ringsherum und ein krummer Weihnachtsbaum blinkt in der Ecke, wie eine Illusion. Am Stammtisch sitzen ein paar altbekannte, traurige Gestalten. Die Stimmung ist arg und ich bin willkommen.
Nichts, wenn man es überlegt, kann wohltuender sein, als sich in einsamen Momenten unter Gleichgesinnten zu befinden. Man trinkt zusammen, nimmt Anteil und hat sich gerne. Es ist der Klub, der einsamen Seelen, dem man beigetreten ist.
Und doch kann diese Laune nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen tief im Innern friert und so schmachten wir an diesem Abend dahin.
Es wird nur wenig gesprochen und man prostet sich verständnisvoll zu. Die Wirtin; eine Steyrerin, von Beruf aus recht trinkfest, ist doch stark benebelt; ich sehe sie kläglich das Bier ausschenken, wobei sie hin und her schwankt. Sie schaut sentimental drein und schwarze Tränen rutschen über ihre Backen.
Ein alter Bekannter betritt das Lokal und gesellt sich zu unserem Haufen. Er setzt sich neben mich. Wir werden schüchtern, denn er ist der großartigste Kerl der ganzen Stadt. Trotzdem aber entgeht es mir nicht, dass auch er mit einer gewissen Verlegenheit dasitzt. Das erste Bier kippt er beinahe in einem Zug hinunter und dann sagt er vorwurfsvoll:
„Was sind das für Tage, die ihr verbringt?“
Wir werden etwas verlegen. Der hünenhafte Kerl hat leicht lachen. Er ist gut aussehend, hat in allen Zeiten Geld und die Frauen liegen ihm zu Füßen.
„Armselig seid ihr“, sagt er, „seht mich an, ich hab mich vor drei Monaten scheiden lassen und mir geht es hervorragend. Die Kinder sehe ich nur noch jedes zweite Wochenende, die restlichen verbringe ich mit Frauen, mit immer anderen, versteht sich. Das Leben ist herrlich und ihr erstickt hier beinahe vor Selbstmitleid.“
Keiner von uns sagt etwas darauf. Seine Worte treffen uns hart. Zum Trost bestellt er eine Runde Schnaps. Misshandelt, wie ich bin, trinke ich gerne mit. Es ist, als wäre es Medizin, die uns der Peiniger verabreicht.
Nach drei weiteren Runden freuen wir uns laut, nur die Wirtin bleibt still hinter der Theke. Wir sind auf einmal mutig, erzählen uns billige Witze und lachen fortwährend.
Aber der viele Alkohol zeigt bald seine andere Wirkung. Wir sitzen wieder stumm und betreten am Tisch.
Es ist nach zehn Uhr und die Wirtin dreht das Radio an. Ein Chor singt „Stille Nacht“ und ich glaube, im Gedanken singen wir alle mit, so schauen wir in den Raum. Ich sehe in das Gesicht unseres Wohltäters. Sein Blick scheint in die Ferne gerichtet. Er ist bleich geworden. Seine Brust hebt sich unruhig auf und ab. Zwei tiefe Schluchzer kommen aus seiner Kehle. Er steht auf und schleicht sich aus dem Lokal.
 
Z

zugast

Gast
Mir hat der Text gerade wegen dieser "Typisierung", die vom ersten Kritiker bemängelt wird, gefallen.
Dass er der großartigste Kerl von allen ist, passt sich doch sehr schön tragisch in den weiteren Handlungsverlauf ein und eine weitere Ausführung dazu würde dem Text schaden.


Ich würd´s auch so lassen.
 



 
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