stummfilm

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

Arcos

Mitglied
letzte haltestelle
ich steige aus
der sommer zeigt sich
von der traurigen seite

das lächeln des himmels
zog mit dem wind gen westen
nun trommeln tropfen
auf heißen dachpfannen

all die spuren
hinuntergespült durch gitterschächte
verschluckt vom schwarzen untergrund
die straßen werden reingewaschen

als die nacht durch gassen fließt
kehrt frieden ein

stille bereitet den weg
öffnet langsam den vorhang
für die aufführung der träume
ein nicht enden wollender stummfilm
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Hey Arcos!
Vorneweg: Ich mag generell Deine dichterische Herangehensweise sehr!
Bei obigem Gedicht nun gibt es zwar für mich noch ein paar kleine Stolperer (siehe unten), aber insgesamt (vor allem mit der Schlussformulierung, die den Titel aufgreift) gefällt es mir gut und mit kleinen Verbesserungen wär ich dann vollzählig in der Applauszone versammelt.

Eine Mini-Stirnrunzelstelle ist für mich die personifizierte Stadt ("erträgt seine tränen"), vor allem weil die Personifikation ein sehr wuchtiges rhetorisches Stilmittel darstellt, das hier auf eine völlig abstrakt bleibend "Stadt" angewendet wird. Wir erfahren ja über diese Stadt gar nichts (Großstadt? Kleinstadt? usw.) und sie steht ja auch durchaus nicht im Mittelpunkt des Gedichts, insofern ist mir hier die Personifikation zu viel.
Und dann gibts für mich noch einen kleinen Bezugs-Holperer bei "manche haben ein sehr kurzes leben": Prinzipiell ist schon klar, dass hier die Regentropfen gemeint sind, die auf den heißen Dächern rasch verdunsten, aber rein von der Satzstellung her, wäre das naheliegendste (im wahrsten Wortsinn) wenn auch eben unsinnige Bezugswort für das kurze Leben "Dachpfannen". Hier würde ich so umstellen, dass die Bezüge geschmeidiger zusammenkommen.
Und schließlich ist mir das "als seien sie niemals gewesen" ein bisschen zu redundant und könnte m. E. gestrichen werden.

Und dann der letzte, irgendwie "größte", aber auch für mich schwer zu beurteilende Lese-Holperer: Die Engelsgesichter. Einerseits ist das schon ein etwas unstimmig zum Rest eingeflanschtes Pathos-Ausrufezeichen, andererseits ist es eine Stolperstelle, die irgendwie auch "interessant" ist. Ich schreibe bewusst "interessant" mit dem Anklang an die kulinarische Urteil "schmeckt 'interessant'" mit der Bedeutung schmeckt gar nicht mal so gut - aber so meine ich es unterm Strich dann eben nicht, bin da etwas uneins mit mir selbst. Vielleicht haben andere Leser:innen hier Erhellenderes beizutragen. :)

LG!

S.
 

Arcos

Mitglied
Hallo sufnus,

Vorneweg: Ich mag generell Deine dichterische Herangehensweise sehr!
Vielen herzlichen Dank dafür!

wär ich dann vollzählig in der Applauszone versammelt
Das ist so wunderbar formuliert. Hat mir richtig gut gefallen. Für diese Idee der Formulierung würde ich dir sofort 5 Sterne geben.

Wenn ich all deine Vorschläge umsetzen würde, könnte das Gedicht folgendermaßen aussehen:


letzte haltestelle
ich steige aus
der sommer zeigt sich
von der traurigen seite

das lächeln des himmels
zog mit dem wind gen westen
nun trommeln die tropfen
auf den heißen dachpfannen

all die spuren
hinuntergespült durch gitterschächte
verschluckt vom schwarzen untergrund
die straßen werden reingewaschen

als die nacht durch gassen fließt
kehrt frieden ein

stille bereitet den weg
öffnet langsam den vorhang
für die aufführung der träume
ein nicht enden wollender stummfilm


Ja, das ist auch eine sehr schöne Version, muss ich zugeben.
Ich lass es mal noch einwirken, bis auch die letzten Gefühlsneuronen damit getränkt sind und mir Rückmeldung geben können.

Herzlichen Dank für deine ausführliche Rückmeldung, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Liebe Grüße
Önder
 

Arcos

Mitglied
Besten Dank Johnson für dein Kommentar und die Bewertung.

Ich habe das Werk etwas angepasst.

Liebe Grüße
Önder
 

sufnus

Mitglied
Hey Önder! :)
Vielen Dank für Deine Erfreunisäußerung zu meiner obigen Ausführung! :)
Die angepasst Fassung ist für mich tatsächlich stolperfreier zu lesen, aber im Vergleich tut es mir um die in der neuen Fassung gestrichenen Engelsgesichter jetzt doch ein bisschen leid... da war ich mir ja auch wirklich unsicher... *mich etwas hilfesuchend umschau* ... vielleicht gibt es ja andere Leser*innen, die hier Erhellendes beitragen können? :)
LG!
S.
 

Mimi

Mitglied
mich etwas hilfesuchend umschau* ...
Das greife ich gerne mal auf, sufnus!
Soo schade, finde ich es nun nicht um die "Engelsgesichter", im Gegenteil; ich meine, die überarbeitete Version liest sich wesentlich flüssiger.

Für mich hätte auch statt

auf den heißen dachpfannen

einfach nur:

auf heißen dachpfannen

ausgereicht, weil das "den" hier, für meinen Eindruck, keinerlei Mehrwert fürs Gedicht bringt.
Gleiches gilt für das "die" im Vers "nun trommeln die tropfen".
Klingt ohne den Artikel lautmalerisch doch etwas runder, oder?


Gruß
Mimi
 



 
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