such an frage

taste mich durchs chaos und

begegne mir vor der haustür

im schwebeflug gleitet ein seeadler

übers plastikmeer ins neutrale

im zwielicht des supermondes

steht breitbeinig ein fischer

vor seinem schmalen haus

die vorabendstille zerlachen nachbarskinder

mischlingshündin alma kläfft

zerrt an ihrer rostigen kette

straßenlaternen beginnen flackernd

der zeit falsche zeugnisse auszustellen

hinter gehäkelten gardinen flimmert blau

das nächste vorabendprogramm und

im kegel der traktorscheinwerfer

liegt in der gosse eine überfahrene katze



gegen einundzwanzig uhr dreissig

fällen klappernd letzte rollladen

ihr tagestodesurteil
 

Perry

Mitglied
Hallo Karl,
eine triste Hommage an das Leben einer verlorenen Gesellschaft, die keine Erwartungen mehr zu haben scheint.
Irgendwann stürzt der Seeadler ins Plastikmeer und der Kettenhund verbellt seine letzte Alarmmeldung.
Die Aussicht auf den neuen Tag bringt keine Hoffnung.
LG
Manfred
 
Ja, lieber Manfred,
manchmal habe ich diese Ängste und kann nur noch schwer meinen Optimismus aufrecht erhalten.
Danke für deine Zeilen ...
LG
Karl
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Karl,

ich bin ja eher so ein Dagegenstemmer, nicht zu verwechseln mit Schönredner.
Ich denke, wir haben nur so eine große Fallhöhe. Es ging Vielen so gut, Vielen geht es immer noch gut. Es ging uns Jahrzehnte lang nie so gut. Der Kontrast ist nur so groß; wir haben uns über die Stetigkeit des Besserwerdens Illusionen gemacht. Wir haben die Naturgesetze aus den Augen verloren.
Wir haben uns selbst eingelullt, als hätten wir ein Anrecht darauf, dass es immer besser werden oder doch wenigstens gut bleiben würde.
Während wir die Katastrophen des Tages konsumieren, lassen wir uns den Schneid abkaufen, und die Kraft zerbröselt unter der Trauer, die wir benötigten, die Dinge zu erkennen und auszusprechen, die uns und andere heilen könnten - was natürlich nie geschehen wird.

Es gibt diesen wunderbaren Ausspruch von Albert Zeller: "Gerade so fortmachen in allem, wie wenn der ganze Jammer, das ganze Elend nicht da wäre; immer großartiger ignorieren!"
Als ich als junge Frau, fast noch ein Mädchen, meine Mutter verlor, was die bis dahin größte Katastrophe für mich war, fiel mir dieses alte Heftchen in die Hand mit Sinnsprüchen. Und dennoch heißt es.
Diese Aufforderung "immer großartiger ignorieren!" hat mich durch mein Leben getragen - und führt vielleicht ins Herz des Menschseins.

Die Tragweite ders Verlusts von Gewissheiten wird gerne unterschätzt, dabei haben sie eine zerstörende Kraft; viele ehemalige DDR-Bürger sind bis heute traumatisiert von diesem Verlust, der ihnen auch ihre Selbstgewissheiten nahm. Und heute werden wir ständig aufgefordert, Position zu beziehen, die Losung des Tages zu hören und zu applaudieren. Wir leben in einer durch die Medien fragmentierten Welt, die glaubt, auf Gewissheiten verzichten zu können. Aber das ist ein Trugschluss, wir Menschen brauchen sie - vielleicht werden sie nur gerade ein bisschen eingedampft, auf Menschen- und Lebensgröße reduziert.

Übrigens: In einem Ort, in dem ich um 21:30h die Rollläden herunterfallen höre, hätte ich mich zu jeder Zeit lebendig begraben gefühlt ;)

Liebe Grüße
Petra
 
Liebe Petra,
eine DDR-Vergangenheit habe ich nicht. Aber ich habe inzwischen ein paar Freund*innen in den so genannten neuen Bundesländern.
Auch einen so frühen großen Verlust musste ich nicht erleben. Meine Mutter starb, als ich bereits 36 Jahre alt war. Dennoch bin ich auch eher ein Dagegenstemmer. Und selbstverständlich geht es uns noch immer recht gut. Allerdings glaube ich, dass wir, damit die Welt nicht vollkommen ausgebeutet wird, demnächst eher verzichten müssen. Wachstum ohne Ende wir es wohl kaum geben.
Danke für deine ausführlichen Gedanken.
Karl
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Karl,

da bin ich ganz bei Dir - die Frage ist nur immer, bei wem der Rotstift angesetzt wird. Ich war nie der Meinung, dass ewiges Wachstum funktioniert, aber das viele Geld braucht Rendite.
Weil ich noch arbeite, habe ich das gar nicht mitbekommen, dass Rentner z.B. diese Energiepreispauschale nicht bekommen - das darf doch nicht wahr sein. Das ist dieses liberale Auswahlverfahren, wonach nur die 'Leistungsträger' entlastet werden sollen, aber die Rentner waren die Leistungsträger von gestern ... aber ich will nicht politisch werden ... im Gegenteil ... sich Gedaken machen und hier schreiben ist ein gutes Ventil - und es darf auch froh und schön und lustig werden.

Liebe Grüße
Petra
 



 
Oben Unten