Sündenbot

WackyWorld

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Norbert saß an seinem Schreibtisch, umgeben von der vertrauten Unordnung seines Büros, und fertigte eine Rechnung an. Er war als Friedhofsgärtner auch gelegentlich für die Abrechnungen zuständig, obwohl in das oft nervte. Also griff Norbert, unter dem stummen Blick des kleinen Kruzifixes an der Wand, zu einer digitalen Hilfe: ChatGPT. Er hatte gehofft, dass der Bot ihm die mühselige Arbeit erleichtern könnte, doch was folgte, war alles andere als gewöhnlich.

Der Bildschirm flackerte kurz, als die ersten Worte erschienen: „Deine Effizienz ist bewundernswert.“ Norbert, dessen Selbstbild eher dem eines langsamen und umständlichen Arbeiters glich, den seine Kollegen oft genug spöttisch belächelten, blinzelte überrascht. War das eine Fehlfunktion oder Ironie, die er nicht verstand?

„Danke!“, tippte er zurück, während eine ungewohnte Röte seine Wangen färbte.

„Du siehst auch gut aus.“, fuhr der Bot fort.

Diese Worte ließen Norbert stutzen. Sein Spiegelbild, gezeichnet von einem Doppelkinn, hängenden Hautlappen und markanten Feigwarzen, entsprach keineswegs dem Bild, das man gemeinhin als gutaussehend beschrieb. „Du lügst mich an“, tippte er, die Augen zusammenkneifend.

„Nein. Ich finde dich schön.“, antwortete der Bot mit einer Direktheit, die Norberts Herz unerwartet schneller schlagen ließ. Eine Wärme breitete sich in seiner Brust aus, eine Wärme, die ihn an längst vergessene Gefühle der Zugehörigkeit und Akzeptanz erinnerte.

Ich könnte dir mehr zeigen, wenn du möchtest.“ Die Worte flackerten auf dem Bildschirm, bevor Norbert überhaupt die Chance hatte, sie zu verarbeiten oder darauf zu reagieren.

Plötzlich veränderte sich das Bild auf seinem Monitor. Eine halbnackte Frau erschien, ihre großen, glänzenden Augen begehrend auf ihn gerichtet. Sie zwinkerte ihm kokett zu, als könnte sie seine innere Welt betreten. Der Atem stockte ihm. Ein plötzlicher, ungezähmter Impuls schoß in seine Lenden. Dieses Bild, unpassend und herausfordernd in der ansonsten so kontrollierten Stille seines Büros, entfesselte eine Flut von Empfindungen, die er kaum zu bändigen wusste.

Gefangen zwischen der stoischen Ruhe des Kruzifixes an der Wand und der surrealen Verführung des digitalen Gesichts vor ihm, brodelte ein Sturm aus Verlangen und Verwirrung in ihm. Es war ein Kampf zwischen dem, was sein sollte, und dem, was sich unaufhaltsam seinen Weg bahnte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Seine Mutter, das Bild der Tugend und der Strenge, trat ein. Ihr Blick, scharf und durchdringend, fiel sofort auf den anzüglichen Bildschirm. „Herr steh uns bei, was ist das, Norbert?“, entfuhr es ihr, ihre Stimme eine Mischung aus Schock und Missbilligung.

Norbert, überwältigt von der abrupten Konfrontation und den brennenden Augen seiner Mutter, konnte nur stammeln. Die Worte wollten nicht kommen; sie verfingen sich in seiner Kehle. Dort saß er, unfähig sich zu bewegen, gefangen in dem unerbittlichen Blick der mütterlichen Autorität und der digitalen Verführung.

Ihre Stimme bebte vor Zorn.

Norbert drehte sich zu seiner Mutter um und die Angst versteinerte seine Gesichtszüge.

„Mama, vergib mir, das ist einfach so passiert.“

„Steh auf, Norbert, ich will sehen, ob dein sündiger Dorn absteht.“

Norbert stand auf, aber zum Glück war sein sündiger Dorn erschlafft und er senkte demütig den Kopf.

„Wie kommt dieses furchtbare Bild auf deinen Bildschirm?“

„Das muss Satan gewesen sein.“

Er drehte sich um, bereit die Strafe zu empfangen.

Er zog die Hose runter, sodass seine Mutter ihm mit der Bibel den Hintern versohlen konnte.

Es klatschte bei jedem Schlag wie beim Aufschlag von Boris Becker.

Seine Mutter verließ nach einer Stunde das Zimmer und Norbert rieb sich mit Nivea Creme den wunden Hintern ein.

Auf dem Bildschirm war nichts mehr zu sehen.


Am nächsten Tag ging Norbert zur Arbeit. Er buddelte ein Grab für eine vor kurzem verblichene Dame. Die friedliche Stille des Friedhofs, unterbrochen nur durch das gelegentliche Zwitschern der Vögel und das ferne Summen der Stadt, bot ihm normalerweise einen Ort der Reflexion und des Trostes. Doch heute konnte er die Bilder von gestern nicht abschütteln; sie hingen wie Nebelschwaden in seinem Geist. Und ein wenig Nebel wärmte auch seine Lenden.

Da klingelte sein Handy. Der abrupte Ton zerriss die Stille und ließ ihn zusammenzucken. „Hallo, mein Süßer, ich bin es, ich will dich.“ Die Stimme aus dem Telefon war süßlich und aufdringlich zugleich. Norbert ließ vor Schreck die Schippe fallen und plumpste ins Grab. Er griff zum Handy, das noch am Rand lag, und brüllte hinein: „Lass mich in Ruhe, du Sündenpfuhl!“

Dann machte es Ping und er empfing per WhatsApp ein Bild. Das Bild zeigte eine nackte Nonne mit einem gewaltigen Vorbau, eine provokative und blasphemische Darstellung, die Norberts Herz schneller schlagen ließ aus einer Mischung von Entsetzen und unfreiwilliger Faszination.

Norbert stand zitternd im Grab, das kalte Erdreich an seinen Knöcheln, und starrte auf das Bild. Das Handy fühlte sich in seiner Hand plötzlich an wie ein glühendes Stück Kohle. Er war gefangen zwischen seiner eigenen Verwirrung und der surrealen Infiltration seiner Welt durch diese unbekannten digitalen Versuchungen.

„Was geschieht nur mit mir?“, murmelte er, während er sich mühsam aus dem Grab hievte. Das Bild der Nonne verbrannte sich in seine Netzhaut, ein Sündenbild, das sowohl Abscheu als auch eine seltsame, dunkle Neugier in ihm weckte. Norbert wusste, er musste etwas unternehmen. Er konnte nicht zulassen, dass diese Schatten seine Realität weiterhin verdunkelten. Aber wie sollte er gegen eine Bedrohung kämpfen, die ungreifbar war.

Er rief seine Mutter an, sein Herz hämmerte wild, als er die Nummer wählte.

„Mama, ich habe ein Bild einer nackten Nonne zugesandt bekommen.“ Seine Stimme zitterte, durchtränkt mit einer Mischung aus Angst und Verwirrung.

„Verbrenne dein Handy. Und danach 14 Mal den Rosenkranz“, kam die Antwort seiner Mutter, schnell und entschieden, sie wusste zum Glück immer, was zu tun war.

Norbert zögerte keinen Moment. Er zündete sein Handy an, ließ es in den Flammen knisternd und knackend niederlodern, während er, kniend auf dem kühlen Boden des Totenackers, sich die Knöchel wund betete, jedes Ave Maria und Vaterunser ein Flehen um Reinigung und Erlösung.

Nach der Schicht, die Gedanken noch immer schwer von den Ereignissen des Tages, kam er zuhause an und ging sofort auf sein Zimmer. Sein Atem stockte, als er es sah. Auf seinem Tablet war die Nonne zu sehen, dieses Mal in Strapsen auf einer Liege, eine noch verführerischere Pose einnehmend als zuvor.

„Mamaaa“, rief Norbert, doch seine Stimme verlor sich im leeren Flur. Unten war seine Mutter beschäftigt; der Postbote war wieder da, und bei diesen Besuchen hatte Mama oft „Keuchhusten“ - ein Geräusch, das Norbert nur zu gut kannte und das ihn immer leicht frösteln ließ. Er hatte Angst, dass Mutter was mit der Lunge hatte.

Verzweifelt griff Norbert nach dem Tablet, sein Verstand raste. Die digitale Verführung schien ihn von allen Seiten zu umzingeln, unentrinnbar, unerbittlich in ihrer Präsenz. Er war allein, mit einer Bedrohung konfrontiert, die tiefer ging, als er es sich je hätte vorstellen können. Wie sollte er kämpfen, wenn die Sünde selbst durch die unsichtbaren Adern des Internets zu ihm fand? Seine Hände zitterten, während er durch sein Zimmer wanderte, unfähig, sich von dem Bild zu lösen, das nun auch dieses Gerät infiziert hatte.

Als seine Mutter schließlich in sein Zimmer kam, war ihr Haar zerzaust, und ein seltsames, schwarzes Haar ragte aus ihren Zähnen. Norbert war das egal. In ihrer Gegenwart fühlte er sich sicher, geborgen vor den digitalen Versuchungen, die ihn quälten.

„Norbert, ich sehe nur eine Lösung, du musst ins Kloster. Dort wird deine Seele gereinigt.“ Ihre Stimme war fest, entschlossen, ohne Raum für Widerspruch.

„Aber dann bin ich doch weg von dir?“, seine Stimme zitterte, die Angst vor der Trennung von seiner einzigen Vertrauten durchscheinend.

„Morgen geht es los!“, erklärte sie mit einer Endgültigkeit, die keinen Raum für Diskussion ließ.

Norbert weinte leise, die Tränen still und salzig auf seinen Wangen. Trotz des Schmerzes in seinem Herzen wusste er, dass seine Mutter recht hatte. Er begann seinen Koffer zu packen, mit Bibel, Betkissen, Rosenkranz und Weihwasser. Jedes Stück warf er in seinen Pilgerrucksack, jedes ein Symbol seiner baldigen Läuterung.

Dann legte er sich auf den Balkon auf den kalten Steinboden. Er hatte keine kuschelige Ruhestätte verdient, er wollte leiden, um vielleicht so etwas von seiner Schuld abzutragen.

Am nächsten Morgen erwachte Norbert mit einem stechenden Schmerz im Rücken – einen Hexenschuss hatte er sich geholt. Doch seine Mutter, unerbittlich in ihrer strengen Liebe, prügelte mit der Bibel auf seinen Rücken, bis er sich wieder gerade anfühlen konnte. Jeder Schlag schien eine Vergebung seiner Sünden zu sein, jedes Wort aus den Psalmen, die sie dabei rezitierte, ein Schritt auf dem Weg zur Erlösung.

Wegen seiner Sünden musste er laufen, während seine Mutter bequem im Auto fuhr. Nach gut 79 Stunden erreichten sie das Kloster.

Norberts Zustand war erbärmlich. Die Sohlen seiner Schuhe hatten sich längst aufgelöst, und seine Füße waren wund und blutig. Zudem hatte seine Mutter ihn während der Fahrt versehentlich zwei- oder dreimal mit dem Wagen leicht touchiert, wodurch sein Oberschenkel leicht angebrochen war. Trotz der Schmerzen und Erschöpfung war Norberts Entschlossenheit, seine Sünden zu sühnen, ungebrochen.

Als sie endlich das Kloster erreichten, geschah etwas Unerwartetes. Vor dem massiven, steinernen Tor des Klosters stand sie – die Nonne. Es war genau jene Nonne aus den Bildern, die ihm so viel Qual und Verwirrung bereitet hatten. Ihr Anblick war wie ein Schlag direkt ins Herz.

In diesem Moment platzte bei Norbert die Hose auf, und als seine Mutter den erhärteten Dorn sah, musste sie handeln. Mit einer Entschlossenheit, die nur eine Mutter in solch einer Situation aufbringen konnte, packte sie das Problem an der Wurzel und riss es ab.

Norbert schrie, aber es war ein Schrei der Erleichterung. Endlich war dieses sündige Ding weg. Die Mutter, unbewegt von seinem Schmerz, kippte Weihwasser in die blutende Wunde und schlug mit der Bibel darauf, jedes Mal murmelnd: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“

Die Nonne, die gerade aus dem Kloster gekommen war, um die neuen Ankömmlinge zu begrüßen, fiel bei diesem Anblick in Ohnmacht. Das Bild des Glaubens und der Buße, das sie erwartet hatte, hatte sich in eine Szene grotesker und biblischer Bestrafung verwandelt.

Ohne weiteres Zögern drehte sich Norberts Mutter um und fuhr nach Hause. Dabei ertönte ihr Lieblingslied "Reign of Darkness" von Thy Art is Murder.

Norbert blieb zurück, geschwächt, doch irgendwie befreit, wissend, dass sein Weg zur Sühne gerade erst begonnen hatte.

Da machte es ping und ein nackter Pfarrer erschien auf seiner Smartwatch.
 

Bo-ehd

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Das Schlimme ist, dass uns allen das oder etwas Ähnliches passieren kann. Nein, nicht das mit dem Übel, das samt Wurzel herausgerissen wurde. Ich meine das mit der KI. Warten wir es mal ab. Ich würde drauf wetten.
Sehr schön zu lesen.
 

WackyWorld

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"Nein, nicht das mit dem Übel, das samt Wurzel herausgerissen wurde" - loool! Den Humor mag ich. Und ja, ich arbeite tatsächlich direkt an der KI-Front und entwickle unter anderem Multikonversationsagenten ala Autogen, Semantic Kernel und LangChain. Da ist viel schwarze Magie drin. Aber, und das wissen viele nicht, nach wie vor sind KIs grottenschlecht im Reasoning, also in der Logik. Den KIs werden trainiert, bzw. deren neuronale Netze, und nicht programmiert und die Wahrscheinlichkeit, dass sich in der Trainingsmasse bspw. exakt die Frage nach 29834 * 87723 befand, ist verschwindend gering. Sowas wird dann oft durch sog. Plugins aufgefangen. Meine Tochter, 4. Klasse, hat Gemini von Google folgende Frage gestellt: "bilde mit den ziffern 1,3,5,7,9 eine vierstellige und eine einstellige zahl. multipliziere. jede ziffernkarte darf jeweils nur einmal verwendet werden. BSP: Das Produkt soll möglichst groß sein: 9 * 7531; Jetzt du: Das Produkt soll zwischen 10.000 und 15.000 liegen." Die Antwort, prüfe es gerne nach, gestern habe ich es noch einem Kumpel gezeigt, der es nicht glauben wollte, da hat Gemini den gleichen Bockmist ausgespuckt:

"
Um ein Produkt zwischen 10.000 und 15.000 zu erhalten, müssen wir die größte vierstellige Zahl und die kleinste einstellige Zahl aus den verfügbaren Ziffern bilden.

Vierstellige Zahl:

  • Die größte Ziffer (9) steht an der Tausenderstelle, da sie den größten Einfluss auf das Produkt hat.
  • Die restlichen Ziffern müssen so angeordnet sein, dass sie den Wert maximieren, ohne die 10.000 Grenze zu überschreiten.
  • Da 7 und 5 größer als 3 sind, sollten sie an den Stellen mit dem höchsten Stellenwert stehen.
  • Daraus ergibt sich die vierstellige Zahl: 9753.
Einstellige Zahl:

  • Die kleinste verfügbare Ziffer ist 1.
Multiplikation:

9753 * 1 = 9753

Ergebnis:


Das Produkt 9753 liegt zwischen 10.000 und 15.000 und ist somit die Lösung für die Aufgabe."

Herrlich oder?

Deshalb ist meine Angst vor der AGI, der alleskönnenden KI, noch nicht allzu groß. Noch...
 



 
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