Tage wie dieser.......

WuZhao

Mitglied
Fuck! Was ist das!
Grelles Pfeifen, Jaulen, Mark- und Bein zerfressendes,
mich zu Gewalttaten anstiftendes Geräusch.
Meine Hand bewegt sich kriechend Richtung Geräusch,
packt zu und schleudert es in blindwütig zerstörerischem Haß gegen die Wand.

Mit 2 Sekunden Zeitverzögerung sitze ich plötzlich senkrecht
einen Meter über dem Bett, als statt einem dumpfen Aufprall glasklares Klirren ertönt. (zehn mal lauter als der Wecker wohlgemerkt) Der Spiegel, oder was einst Spiegel gewesen, zerstreut sich, in tausend Partikel geborsten, mindestens siebenjährig pechbringend über den Fußboden.

"Guten Morgen Du Ekel von einem neuen Tag... und vielen Dank auch für die nette Begrüßung" denke ich, während meine linke Hand aus dem Bett krabbelt, nach jedwedem Schuhwerk hangelnd, und statt Scherbenschutz für die Füße auf ein weitverflogenes Spiegelatom trifft.

Schon ein bißchen wacher, versuche ich zu verhindern, daß sich der gesamte Inhalt meiner Blutgefäße über das Laken ergießt, indem ich den Finger in den Mund und nun die rechte Hand unter der Decke heraus in die Klamottenmüllgruft unter dem Bett stecke.

Da, endlich ein Schuh - und kein zweiter. Aber immerhin besser einer als keiner, hüpfe ich nun auf einem beschuhten Bein gen Badezimmer und grabsche mit der freien (rechten) Hand nach dem Wasserhahn. Während ich nun schraube und schraube und schraube, hat mein Hirn ein Deja-vu.

Ganz deutlich kann ich sie erkennen, die Umrisse des Zettels, die Buchstaben darauf, die Botschaft hängend im Hausflur:

"Wegen Reparaturarbeiten an den Leitungsrohren wird morgen, 8.00 Uhr das Wasser abgestellt – Vielen Dank für Ihr Verständnis"

es ist 8.02 Uhr und ICH HABE KEIN VERSTÄNDNIS!!!!

Ich hopse weiter in die Küche und habe ein echtes Erfolgserlebnis. Dort steht sie, eine ganze Flasche Mineralwasser! Welch ein Glück ich doch habe, mich nicht in ein Schicksal fügen zu müssen, in dem ich mir wahlweise mit Coca Cola oder Multivitaminsaft die Zähne putze.

Noch frohlockend suche ich nach einem Pflaster. Das einzige was ich finde ist der Topf mit der restlichen Pasta von gestern Abend; und zwar mit dem Ellenbogen. Die linke Hand noch immer im Mund, bin ich nicht im Stande des Topfes Spülsteinsturz zu bremsen und er fällt – direkt auf meinen großen Zeh (selbstverständlich auf den ohne Schuh, klar)

Irgendwo hab ich mal gehört oder gelesen, daß Atmen gegen Schmerzen hilft. Es ist gar nicht so einfach, gleichmäßig zu atmen, mit einem mindestens gebrochenen Zeh und einem Finger im Mund. Das ist die Stelle, an der die bekannte Stimmes aus dem Chaos zu mir spricht: "Lächle, und sei froh.... es könnte auch schlimmer kommen...."

Kaum eine Stunde später "Herrgott im Himmel – eine Stunde!!!" "Sag, das daß nicht wahr ist" ist der Finger verpflastert, der Zeh in Mullbinden betoniert und die Pasta in der Biotonne – kurz hab ich zwar noch überlegt, was ich so zum Frühstück im Haus hätte – aber so tief will ich dann doch nicht sinken.

So. Gedanken sammeln, Unterlagen sammeln, einen Schuh finden, in den auch ein Mullbindenzeh paßt, Nerven in Kaffee ertränken – Kaffee ist aus!

Ich renne aus der Wohnung, die Treppe runter, aus der Tür und versuche krampfhaft, mich zu erinnern, wo ich gestern abend mein Auto hingestellt habe. Stattdessen fällt mir ein, wo mein Schlüssel ist. Der steckt, von innen an der Wohnungstür.

Jetzt ist schon alles egal. Ich pfeif auf mein Auto und mir ein Taxi. Heute muß mein Glückstag sein, schon das vierzehnte hält um mich mitzunehmen. Schließlich hab ich's wirklich eilig. Zurücklehnen. Jetzt habe ich auch endlich Zeit, darüber nachzudenken, wie ich dem Taxifahrer erkläre, daß ich Ihn nicht bezahlen kann, denn in meiner Tasche findet sich zwischen Gedanken, Unterlagen und Nerven auch bei ganz genauem Hinsehen kein Geld. Immerhin ist der Taxifahrer ein wirklich netter Mensch. Er läßt sich unter Angabe meiner Adresse darauf ein, sich meine Familienerbstücksarmbanduhr als Pfand zu behalten – das schlechteste Geschäft seines Lebens sicher.

Aussteigen. Orientieren. Ja, hier bin ich richtig. Na ja, fast. Ich stehe vor dem Hauptbahnhofs-Haupteingang mit direkter Sicht auf die Gleise 1 – 10. Der Zug, den ich erreichen soll, fährt in ca. 2 Minuten auf Gleis 45 ab. Was soll's, die schlappen 2000 Meter Menschengetümmel zwischen mir und dem Restaurantabteil – endlich Kaffee – schaffe ich doch mit links. Das muß ich auch, denn mit rechts kann ich ja nicht auftreten.

Ich spurte los, streife ein Kleinkind, trete auf einen Hund, hechle "Entschuldigung", noch bevor Großmütterchen Schmid zu meiner Rechten in die Knie geht.
"Unverschämtheit" vernehme ich im Fallen eine quäkende Stimme, während mich die Handtasche am Hinterkopf trifft, mein Absatz abbricht und sich meine hoffnungsvolle Karriere in Form des Inhaltes meiner Aktentasche hinter dem entschwindenden Zug auf Gleis 45 verteilt.

Völlig fertig greife ich nun nur noch in die Manteltasche nach meinem klingelnden Telefon; und wieder höre ich eine vertraute Stimme aus dem Chaos:

"Guten Morgen Schatz! – und? Kommst du gut klar ohne mich?"
 
S

Sansibar

Gast
Chaostag

Hallo WuZaho,
ich kenne fast einen ähnlichen Tag, da ging es so dramatisch mit allem daneben Da kann man nur gelassen bleiben. hast du aber schön lakonisch erzählt
Gruß Sansibar
 



 
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