Tagebuch von damals, 11. 11. 2021: Lockdown für Ungeimpfte - die Verkündung

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Kein Faschingsscherz.
Lockdown für Ungeimpfte ab Montag in Oberösterreich. Das ist da, wo ich wohne.
Grad eben ist es uns verkündet worden, 15:01 Uhr.
Bereits am Vormittag hat uns der Bundeskanzler ausrichten lassen, Weihnachten würde ungemütlich für die Ungeimpften im ganzen Land.
Hat fast den Eindruck, die Politik findet langsam Gefallen daran, via Drohung zu regieren.

Donnerstagnachmittag ist normal meine Zeit für den Wochenputz.
Um drei setze ich mich normalerweise hin und mache Kaffeepause.
Kurz nach drei erhalte ich einen Anruf.
Ob ich schon gehört hätte, ab Montag bin ich eingesperrt. Lockdown für Ungeimpfte.
Ich lese die Nachrichten im Internet. Tatsächlich.
Der Kaffee wird mir kalt, aber was solls.
Ich springe auf.
Den Staubsauger lasse ich links liegen, ungerührt, und schnappe mir meine Jacke.
Fahre los an diesem elften November.

Beim alten Schweden suche ich mir eine Weihnachtsdekoration zusammen, komplett.
Laternen, Kissenhüllen, Servietten, Deko und Beleuchtung.
Nicht kitschig, schlicht und gradlinig wie es Ikea-typisch ist.
Zur Abwechslung alles klassisch im Farbcode Tannengrün und sattes Rot. Warme, kräftige Töne.
Von wegen ungemütliche Weihnachten!
Das werden wir ja sehen, wie mir der Schallenberg meine Duftkerzen wieder wegnehmen wird.

Ist ruhig im Möbelhaus. War schon mal mehr los.
Waren die anderen wohl nicht so fix und flexibel wie ich und haben sich nicht augenblicklich aufgemacht im Moment der Verkündung.
Punkt für mich.

Aber es ist kein fröhliches Einkaufen.
Ich haste.
In meinem Hinterkopf läuft ein Countdown ab.
Ab Montag darf ich vor Ort nichts mehr erwerben, was über den nötigsten Bedarf hinausgeht.
Was noch könnte ich brauchen?
Hätte ich eine Liste machen sollen. Strategisch denken.
Heute darf ich noch selber zugreifen; nächste Woche müsste ich einen Geimpften haben, der mir den Personal Shopper macht.
Wer wohl einen Christbaum liefert?

Ganz sicher, das wird kein Lockdown wie die anderen.
Ist schon nochmal eine besondere Krot zum Schlucken, dass ja eigentlich alles offen stünde, halt nur für die gewisse Sorte Mensch und die anderen hätten es nicht verdient oder was.
Tja, sorry, Freunde, Weihnachtsgeschenke sind heuer nicht drin, das versteht ihr doch?
Spart wenigstens Geld.
Vielleicht back ich euch Kekse.
Wie ein Volksschüler, dem das Taschengeld nicht reicht und er einen Topflappen für die Mama häkelt. Darf ich wohl Wolle kaufen?

Ich merke, das alles macht was mit mir.
Ich habe aufgehört zu lächeln wie ich das sonst so tue und freundlich bin.
Kann man nicht immer nett und verständnisvoll sein und ausgeglichen und abgeklärt und den Buddha raushängen lassen, wenn man doch immer nur gepiesackt wird von allen Seiten.
Also, ich kann das nicht.
Ich schaue grantig.
Ist aber auch egal, weil unter der Maske sieht sowieso keiner, in welche Richtung meine Mundwinkel zeigen und das Gerede vom „Lächeln mit den Augen“ ist sowieso Quatsch.
Merke auch gar keinen Unterschied zu sonst.
Die Leute reagieren keinen Deut anders, wo ich mal finster dreinschau.

Mir ist nicht nach Lächeln.
Fühle mich getrieben und wütend und gekränkt und machtlos.
Alle will ich sie aus dem Weg schubsen, die neben mir einkaufen und sie anschreien: „Platz da, jetzt komme ich!“
Lauter Konkurrenten, die mir die schönsten Sachen vor der Nase wegschnappen, aus lauter Bosheit.
Bestimmt auch Geimpfte unterwegs, für die doch gar keine Notwendigkeit besteht, grad heute dämlich herumzushoppen. Die können ja nächste Woche auch noch.
Als ein junger Vater mit seinem Einkaufswagen rückwärts manövriert ohne sich umzuschauen und mich fast anrempelt, bin ich versucht, ihn anzuschreien.
Will sagen: „Hast du keine Augen im Kopf?
Ich bin auch noch da!
Ja, ICH!
NOCH habe ich das Recht, hier zu sein!
Bin ich etwa unsichtbar?
Hau bloß ab!“
In Wirklichkeit schau ich ihm nicht mal ins Gesicht, drücke mich wortlos an ihm vorbei, aber die Laune sinkt.

Dann die Trulla vor mir an der Kassa.
Hat ihren Einkaufswagen so vollgestopft, dass es satte zehn Minuten braucht, sie abzufertigen.
Hätte ich mal besser aufgepasst beim Einreihen in die Schlange.
Muss man immer abwägen, wie viele sind vor dir und wieviel kaufen sie ein.
Die hier kauft den halben Laden leer. Vielleicht auch eine Ungeimpfte im Panik-Modus.
Einen ganzen Hausstand lässt sich die Alte übers Förderband ziehen, von Badelaken über Geschirr und Möbel und dann haufenweise Kleinkram, der einzeln eingescannt werden muss.
Die Tussi kommt gar nicht nach mit Sachen auflegen und hintenrum wieder abräumen.
Ich warte Ewigkeiten und schwöre: Keiner muss so lang anstehen wie ich.
Bin ich mal wieder die Blöde vom Dienst.
Mit mir kann man’s ja machen.
Das passt ja alles super.

Aber morgen, das verspreche ich mir, morgen fahre ich zu Kika und hole mir die dunkelgrünen Vorhänge auch noch.
Die sind mir schon vor Wochen ins Auge gefallen, hoffentlich sind sie noch nicht ausverkauft.
Schwer und dick und aus Cord:
So sperre ich ab Montag diese meschuggene Welt aus.
 



 
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