Tagträumer

Aufschreiber

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Der Bürokomplex enthielt ... eigentlich gar keine wirklichen Büros. Wo stehen schon weiche Betten, mit fluffigen Federkissen und kuscheligen Daunenbetten am Arbeitsplatz? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lagen tatsächlich in Paaren in ihren Abteilen, jeder in seinem eigenen, ganz speziellen Bett.


Magister Somnia kam herein geschlichen und ging leise von Platz zu Platz. Sieben Kabinen gab es, in den Farben des Regenbogens angestrichen. An den hübsch geschnitzten Eingangstüren waren Schildchen angebracht auf denen je ein goldener Buchstabe prangte:, "S", "M", "D", "M", "D", "F", "S", so die Reihenfolge.

Hinter der zweiten Tür regte sich etwas. Magister Somnia, der schon bei Raum "F" angekommen war, kehrte zu der unruhigen Kammer zurück und öffnete leise die Tür. Da saß ein gelb gewandeter Engel und flappte mit seinen schneeweißen Flügeln. Er wirkte maskulin und schien erregt zu sein. Als er den Vorgesetzten sah, sprach er: "Ich möchte etwas anderes tun. Kann ich nicht tauschen, bitte?"
Im zweiten Bett begann Bewegung. Ein weiterer Engel, mit eher femininer Erscheinung, setzte sich auf und rieb sich die Augen.
"Worum geht es?", fragte sie.
"Ich habe keine Lust mehr!", jammerte Engel Nummer eins. "Niemand freut sich. Alle meckern und schimpfen nur. Es gibt Lieder, Gedichte, Prosatexte, alle nur negativ!"
"Stimmt", bestätigte Engel zwei. "Das ist sehr ... sehr unbefriedigend. Gibt es keine Möglichkeit, eine andere Aufgabe zu bekommen?"
Magister Somnia strich sich durch den riesig langen Bart, den er sich um den Leib geschlungen hatte. Er machte ein ernstes Gesicht und dachte angestrengt nach. Das dauerte eine Weile, dann atmete er tief ein und fragte: "Kann es vielleicht ein kleines bisschen auch an Euch liegen?"
Die beiden Engel protestierten. Sie gäben sich alle Mühe, hätten schon die tollsten Ideen gehabt, sogar den goldenen Schlafsand benutzt, den der Sandmann ja eigentlich nur für besondere Notfälle bereitstellte. Nichts hatte geholfen, es war zum Auswachsen.
"Ich würde behaupten", erklärte der weiblich erscheinende Engel, "dass unsere Arbeit unter allen, ausnahmslos allen anderen Voraussetzungen perfekt wäre. Und ich möchte bitten, das einmal zu testen! Warum tauschen wir nicht einfach einmal mit den erfolgreichsten Mitarbeitern?"

Magister Somnia nickte bedächtig. Das klang vernünftig. Schließlich war es nicht ohne, wenn man so unglückliche Mitarbeiter auf die Kundschaft losließ. Er sagte: "Moment!". Dann verließ er die Kabine und blieb auf dem Flur stehen. Eine nach der anderen musterte er die Türen. Er nickte zufrieden und schnippte mit den Fingern. Hinter der offen stehenden und der letzten Tür gab es jeweils einen kleinen Lichtblitz und ein dumpfes "PLOPP". Der Magister trat an den geöffneten Eingang heran und schloss ihn leise. Anschließend begab er sich in die letzte Kabine. Dort saßen die beiden Beschwerdeführer, in violetten Gewändern.
"Euer Wunsch ist erfüllt. Nun frisch zu Werke!" Der alte Mann lächelte freundlich und verließ den Raum.

Die Engel legten sich zur Ruhe. Binnen weniger Sekunden herrschte wieder vollständiges Schweigen, im Bürotrakt.

Magister Somnia begab sich in die Zentrale. Dort traf er einen noch älteren Mann, dessen Haupthaar so lang war, dass man keinen Unterschied zwischen Haar und Bart finden konnte. An einigen wenigen Stellen sah man das schneeweiße Gewand durch die Haarpracht schimmern.
"Wie geht es Dir?", fragte Petrus, denn um genau den handelte es sich. Der Magister nahm Platz und langte nach einem Stückchen Manna. Er biss hinein und kaute bedächtig.
"Ich denke", erwiderte er dann, "wir sollten etwas verändern ..."

Als am nächsten Morgen die Sonne empor stieg, erwachten die Engel in ihren Kabinen. Sie rekelten sich und verließen ihre Nester. Dann begaben sie sich zum Versammlungsraum und setzten sich vor die Bullaugen, durch die sie auf die Erde hinab blicken konnten. Hier verhielt sich die Zeit anders, als dort unten, so dass jeder von ihnen die Möglichkeit hatte, die Auswirkungen seiner Arbeit zu begutachten.
Die beiden Engel, die sich während der Schicht beschwert hatten, wirkten sehr zufrieden, während die Beiden, die gegen sie ausgetauscht worden waren, die Stirn runzelten und verständnislos drein schauten.

Magister Somnia trat hinzu und schaute ebenfalls durch eines der Bullaugen. Er strich sich durch seinen gewaltigen Bart ...
Die beiden eingetauschten Engel waren fassungslos.
"Wir haben doch nichts anders gemacht, als wir es immer tun!", jammerte der Weibliche. "Die sind total unzufrieden! Was ist denn da schief gegangen?"

Der Vorgesetzte legte ihnen die Hände auf die Schultern und erklärte:
"Wir haben Euch untereinander vertauscht. Ihr wart in der letzten Schicht in Kammer zwei. Die Beiden aus dieser Kammer waren in Eurem angestammten Raum, weil sie genau den gleichen Effekt erlitten hatten, nur, dass sie ja auf diesen Ort festgelegt sind, sodass sie das immer wieder erlebten."

Magister Somnia trat in die Mitte des Raumes und rief: "Bitte einmal alle herhören!"
Die Engel wandten sich zu ihm um und lauschten gespannt. Er hob die Arme, sodass seine siebenfarbige Robe fast wie ein Stück Regenbogen wirkte. Dann sprach er:
"Es gibt eine gewisse Unzufriedenheit, die Ergebnisse der Arbeit betreffend, die Ihr hier leistet. Deshalb haben wir beschlossen, dass Ihr ab heute täglich den Raum wechseln werdet. Die Änderungsverträge bekommt Ihr gleich."

Es gab ein wenig Unruhe unter den Engeln. Nur vier der vierzehn Mitarbeiter schwiegen und sahen recht zufrieden aus...
Magister Somnia schnippte mit den Fingern. Sofort hielt er einige Blätter in der Hand, die er an die Engel verteilte. Ein Exemplar behielt er zurück. Er hob es vor die Augen und las laut vor:
"Änderungsvertrag für die Tätigkeit als: TAGTRÄUMER
Mir sofortiger Wirkung werden die Teams nicht mehr für feste Tage eingesetzt, sondern wechseln
nach jeder Schicht, der Reihenfolge der Wochentage entsprechend.

Damit wird sichergestellt, dass jedes Paar einmal pro Durchgang für den MONTAG verantwortlich ist."

Er hob den Blick und sah zehn verständnislose und vier sehr glückliche Engel.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
eine nette geschichte. allerdings können auch verärgerte leute die allerschönsten träume haben, auch am montag.
lg
 

Aufschreiber

Mitglied
Ich fürchte, mein Gedanke ist doch nicht ganz klar geworden. Die Engel erträumen die Tagesabläufe für die Menschen... Daher: Tagträumer.
 



 
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