Ich setzte die Ecke meines Spachtelmessers unter den losen Tapetenzipfel, der mir so ins Auge stach. Schon lange war ich der Meinung es müsse dringend tapeziert werden, dieses Gästezimmer. Alle anderen Wände in der Wohnung hatten inzwischen schon mehrmals neue Tapeten erhalten oder einen neuen Anstrich, doch in diesem Raum hielten wir uns bisher dezent zurück. Jetzt allerdings sollte es anders sein, denn Onkel Gustav hatte seinen Besuch angemeldet. Onkel Gustav war unser Erbonkel und er verdiente es, in Aussicht auf unser zukünftiges Erbe von uns bevorzugt behandelt zu werden.
Die Tapete war schon reichlich vergilbt, doch wann wurde der Raum auch mal gebraucht?
Ich benutzte ihn in erster Linie zum Abstellen von überflüssigen Sachen, die im Weg herum standen. Es sollte einmal ein Kinderzimmer werden und als solches wurde es auch benutzt, wenn wir wieder die Kinder von meinem Bruder hüten sollten.
Ich hatte eine rote Kappe auf dem Kopf und fühlte mich ganz so, wie ein Handwerker, als ich den gelösten Zipfel mit beiden Händen griff und ruckartig nach oben zog (natürlich hatte ich die Wand vorher gründlich eingefeuchtet). Es roch unangenehm und es bröckelte mir etwas vom Putz entgegen. Meine Augen hielt ich vorsichtshalber geschlossen und das war auch gut so, sonst hätte der „Erste-Hilfe-Kasten“ wieder herhalten müssen, wie beim letzten Tapetenwechsel.
Diesmal wollte ich alles allein tapezieren, ich war mir sicher das zu können. „Kleinigkeit!“ hatte ich tags zuvor großspurig getönt und nun war ich dabei den Beweis anzutreten.
Als ich meine Augen wieder öffnete, traute ich denselbigen nicht und starrte fassungslos auf die Mitte der Wand. Was dort zum Vorschein kam war alles andere als normal und ich lief sogleich, um eine Lupe zu holen. Da lag noch in der untersten Schublade des Wohnzimmerschrankes diese große Lupe von Schwiegervater, die er immer zu Lesen der Zeitung benutzte, weil seine Augen statt einer Brille lieber eine Lupe wollten.
Wie Sherlock-Holmes kam ich mir vor, als ich durch das Vergrößerungsglas in die Lücke der Wand spähte. Tatsächlich, wie war so etwas möglich?
Da stand dort allen Ernstes ein Miniatur-Schaukelstuhl, in dem sich eine Ameise schaukelnd hin und her bewegte. Ich war fassungslos, perplex! - Ameisen sind doch immer so fleißige Wesen – hatte ich gedacht und dann so etwas! Doch damit nicht genug: Jetzt fiel mir erst die Straße auf, die sich zwischen der schlecht verputzten Wand und dem Gemäuer gebildet hatte, auf der nacheinander die Ameisen liefen, wie man es von diesen Wesen nicht anders kennt. Sie überhäuften die Ameise im Schaukelstuhl mit Geschenken. – Ob sie wohl Geburtstag hat? – ging es mir durch den Kopf. Das musste ich näher verfolgen.
Es war anstrengend immer so mit der Lupe vor der Wand zu stehen und die Tierchen zu beobachten. Ich holte mir einen Stuhl und als ich lange Zeit den Schaukelbewegungen der Ameise zugesehen hatte fiel mir ein, dass da ja noch Schwiegervaters Schaukelstuhl in der Ecke stand und ich dachte: -Wenn sogar die Ameisen faul sein können, kann ich es auch! –
Dabei muss ich dann wohl eingeschlafen sein, denn ich weiß echt nicht, warum mein Gatte so fluchte, als er die letzte Tapete um Mitternacht an die Wand brachte: „Alles muss man selber machen!“ tönte es hinterher in meinen Ohren. Den Ameisengeburtstag habe ich ihm sicherheitshalber verschwiegen. Sie werden sich über eine neue Tapete in ihrer Behausung gefreut haben.
***
Es ließ mir keine Ruhe. Ich konnte mein Erlebnis mit den Ameisen nicht vergessen und immer wieder zog es mich zu der neu tapezierten Wand hin. Ich hielt mein Ohr an die Stelle der Wand, wo ich die fein säuberliche neue Wohnung der Ameisen vermutete. - Was würden sie jetzt dort treiben? – ging es mir durch den Kopf. Ob die Oberameise sich noch immer in ihrem Schaukelstuhl verwöhnen ließ? Zu gerne hätte ich wieder nachgesehen und ich begann mit einer Stecknadel ein winzig kleines Löchlein in die Tapete zu picken. Für die Vergrößerung besaß ich ja die Lupe und angestrengt versuchte ich durch diese hinter der Tapete etwas zu erkennen. Zu dumm aber auch, dass die Ameisenwohnung genau in der Mitte der Wand sein musste, ausgerechnet dort fiel es besonders auf, wenn die Tapete ein Loch hatte.
Meine Überlegungen gingen schon dahin, meinem Gatten die Dringlichkeit für einen neuen Wäscheschrank klar zu legen. Den könnte ich jedesmal zur Seite schieben: Er durfte natürlich nicht so schwer sein! Ja, diese Idee wurde zu einer fixen in meinem Kopf und sie nahm sogleich Gestalt an, nachdem ich es nicht lassen konnte, statt der Stecknadel die Stopfnadel zu suchen und aus dem Löchlein mangels besserer Sicht eine Vergrößerung durch diese dickere Nadel anzustreben. Dieser Vorgang brachte mich jedoch in Verlegenheit: Plötzlich vernahm ich deutlich einen Aufschrei: - Ach dujeh – dachte ich – sollte ich am Ende mit dem Pikser in die Tapete eine Ameise verletzt oder getötet haben? –
Wieder legte ich das Ohr auf die Stelle und versuchte mit der Lupe durch dieses immer noch recht undurchsichtige Löchlein zu spähen. Weder hörte noch sah ich wesentliche Einzelheiten und in mir plagte sich mein schlechtes Gewissen und die Neugierde trieb mich zum Handeln. Ich konnte nicht noch länger warten, ich wollte Gewissheit erhalten, noch bevor mein Gatte nach Hause kam.
Diesmal nahm ich die Spitze der Schere und versuchte vorsichtig, um keinen zu verletzen, die Tapete leicht einzuritzen. Mir fiel ein Stein von der Seele, als ich die Ameise leicht schaukelnd in ihrem Schaukelstuhl vorfand. Doch was war los mit ihr? Der Stuhl schaukelte zwar, aber die Ameise lag zusammengekauert in der Ecke und rührte sich nicht. – Sollte ich sie kurz antippen oder anbrüllen? – so recht wusste ich mir keinen Rat und ich stand noch unschlüssig vor der Wand herum, als es an der Wohnungstür schellte. Schnell erfasste mein Blick die Zeiger der Uhr, um zu erkennen: Ich musste mich von der Wand mit den Ameisen trennen, wenn ich nicht als Verrückte von meiner besseren Hälfte angesehen werden wollte.
Ich eilte, um ihm die Türe zu öffnen und wenn es mir auch schwer fiel: Ich beherrschte mich und suchte am gleichen Tag den Raum nicht mehr auf. Nein, es stimmt nicht ganz, ein mal huschte ich noch schnell hinein um festzustellen: Sie bewegte sich, die Ameise. Mehr wollte ich im Moment nicht wissen und fröhlich nahm ich die mündliche Vorbereitung für meinen neuen Wäscheschrank in Angriff.
Noch bevor ich die Wohnung verließ, um meiner täglichen Arbeit nachzugehen lief ich aufgeregt ins Gästezimmer. In Anbetracht der Tatsachen, dass ich noch heute meinen neuen Wäscheschrank haben würde, ließ ich alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht und stocherte mit meinem Zeigefinger in dem geöffnete Tapetenloch herum. Diesmal vermisste ich die Ameise aus dem Schaukelstuhl und ihre Kollegen komplett. Ob sie mit den Ameisen arbeiten würde, so wie ich es gerade ebenfalls vor hatte?
Erstaunt stellte ich fest, dass die gesamte Mannschaft auf Wanderschaft zu sein schien und es ließ mir keineRuhe, ich suchte nach ihr und fand sie dann endlich: Sie hatten ihre Ameisenstraße verlängert; sie führte jetzt schnurstracks Richtung Decke und ebenfalls in die Richtung transportierten sie die Schaukelstuhlameise. Ob ich sie an Abend denn doch verletzt hatte? Sie trugen sie jedenfalls sehr behutsam, so, als wäre sie zerbrechlich.
Es passte mir nicht so recht, dass ihr künftiger Weg Richtung Zimmerdecke führen sollte. Das musste ich auf alle Fälle verhindern. Ich ließ vorerst Arbeit Arbeit sein und stoppte ihren Pfad, indem ich mit einem langen Nagel (einen kurzen fand ich nicht gleich) und einem Stück Holz ihren Weg verbarrikadierte. Dann machte ich mich schleunigst davon.
Am Nachmittag war es dann geschehen: Der neue Schrank stand in aller Pracht vor mir. Die Möbelpacker nahmen das Trinkgeld und die Rückwand mit, die ich nicht behalten wollte und machten sich auf den Rückweg. Ich begab mich sogleich daran, den Aufenthalt für die Ameisen so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie waren nicht faul gewesen und hatten ihre Straße in der Zwischenzeit um das Nagelbrett herum geführt und ich musste mit Bedauern feststellen, dass ihr Weg Richtung Decke bereits über dem Schrank hervor kam. Dabei war es gar nicht so einfach gewesen, den richtigen Schrank zu finden. Fast alle Schränke in Brusthöhe hatten Schubladen, bis auf eine Ausnahme, nämlich dieser.
Ganz abgesehen davon, dass ich mir auf meiner Arbeitsstelle eine Rüge einhandelte, wegen Zuspätkommens und wegen Abwesenheit auffiel, weil ich kurz zwischendurch in ein Möbelgeschäft eilte, so war dieses jetzt der größte Ärger des Tages. Was nützte mir der Schrank, wenn sie nicht dort bleiben wollten?
Da kam mir plötzlich eine grandiose Idee: Ich holte eine Taschenlampe und suchte nach dem Miniatur-Schaukelstuhl. Tatsächlich, ich hatte die Lösung gefunden. Der Schaukelstuhl befand sich auf dem Rücken mehrerer Ameisen und wurde Richtung Zimmerdecke transportiert. Ich war stolz auf mich, als ich es schaffte, mit der Nadel dieses winzige Möbelstück aus den Armen der Ameisen zu befreien und zurück in die Wand zu befördern und tatsächlich änderte sich sofort ihr Weg in die alte Behausung zurück.
Es gefiel mir nicht so besonders den Tierchen nur bei ihrem emsigen Treiben zuzusehen. (Sie bedinenten von allen Seiten die Schaukelstuhl-Ameise, denn sie schien wirklich schlecht drauf zu sein), nein, ich versuchte auch mit ihnen zu reden, nachdem ich bereits ihre Sprache verstehen konnte. Doch sie konnten oder wollten mich nicht hören.
Natürlich vergaß ich bei dieser intensiven Beschäftigung mich weiterhin um meinen Haushalt zu kümmern und das brachte mir am Abend einige Vorhaltungen ein von Seiten meines Gatten, der noch dazu den Schrankkauf als äußerst überflüssig ansah, da sich ohnehin keine Wäsche darin befand. Ebenfalls musste ich es mir gefallen lassen, dass er mir Desinteresse vorwarf und Vernachlässigung in Sachen Onkel Gustav, wobei er natürlich nicht ganz Unrecht hatte.
Am nächsten Tag überschlug ich mich bei der Hausarbeit, denn der Besuch von Onkel Gustav stand vor der Tür. Und was soll ich sagen: Er fühlte sich in dem bereit gestellten Schaukelstuhl von Schwiegervater sichtlich wohl und wie die Ameisen sausten wir an diesem Wochenende herum und bedienten ihn von allen Seiten. Der Tag wird ihm im Gedächtnis haften geblieben sein, denn er telefonierte noch oft mit uns.
Die Ameisen blieben seither brav im Schrank versteckt. Anstaltshalber hatte ich einige leichte Wäschestücke zur Attrappe im Wäscheschrank aufgestapelt. Es waren in erster Linie Männerunterhemden und Boxershorts, deren Stapel ich schnell entfernen konnte, wenn ich Zeit hatte, meine Ameisen zu beobachten.
Ich weiß nicht, sonst hat sich bei uns nicht viel geändert. Ach ja, das Kinderzimmer: Es wird bald gebraucht. Bei uns hat sich Nachwuchs angemeldet und mein Gatte? Es geht ihm gut, außer dass es ihn des öfteren juckt, er kratzt sich andauernd. Er sollte besser mal zum Arzt gehen!
Die Ameisen? Wahnsinnig interessant! Die Schaukelstuhl-Ameise ist die Königin und hinter den Wäschestücken wimmelt es von Eiern, aber Pssst, nicht verraten! Ich freu mich schon auf den Nachwuchs. Sicher kann ich noch mehr von ihnen lernen.
Die Tapete war schon reichlich vergilbt, doch wann wurde der Raum auch mal gebraucht?
Ich benutzte ihn in erster Linie zum Abstellen von überflüssigen Sachen, die im Weg herum standen. Es sollte einmal ein Kinderzimmer werden und als solches wurde es auch benutzt, wenn wir wieder die Kinder von meinem Bruder hüten sollten.
Ich hatte eine rote Kappe auf dem Kopf und fühlte mich ganz so, wie ein Handwerker, als ich den gelösten Zipfel mit beiden Händen griff und ruckartig nach oben zog (natürlich hatte ich die Wand vorher gründlich eingefeuchtet). Es roch unangenehm und es bröckelte mir etwas vom Putz entgegen. Meine Augen hielt ich vorsichtshalber geschlossen und das war auch gut so, sonst hätte der „Erste-Hilfe-Kasten“ wieder herhalten müssen, wie beim letzten Tapetenwechsel.
Diesmal wollte ich alles allein tapezieren, ich war mir sicher das zu können. „Kleinigkeit!“ hatte ich tags zuvor großspurig getönt und nun war ich dabei den Beweis anzutreten.
Als ich meine Augen wieder öffnete, traute ich denselbigen nicht und starrte fassungslos auf die Mitte der Wand. Was dort zum Vorschein kam war alles andere als normal und ich lief sogleich, um eine Lupe zu holen. Da lag noch in der untersten Schublade des Wohnzimmerschrankes diese große Lupe von Schwiegervater, die er immer zu Lesen der Zeitung benutzte, weil seine Augen statt einer Brille lieber eine Lupe wollten.
Wie Sherlock-Holmes kam ich mir vor, als ich durch das Vergrößerungsglas in die Lücke der Wand spähte. Tatsächlich, wie war so etwas möglich?
Da stand dort allen Ernstes ein Miniatur-Schaukelstuhl, in dem sich eine Ameise schaukelnd hin und her bewegte. Ich war fassungslos, perplex! - Ameisen sind doch immer so fleißige Wesen – hatte ich gedacht und dann so etwas! Doch damit nicht genug: Jetzt fiel mir erst die Straße auf, die sich zwischen der schlecht verputzten Wand und dem Gemäuer gebildet hatte, auf der nacheinander die Ameisen liefen, wie man es von diesen Wesen nicht anders kennt. Sie überhäuften die Ameise im Schaukelstuhl mit Geschenken. – Ob sie wohl Geburtstag hat? – ging es mir durch den Kopf. Das musste ich näher verfolgen.
Es war anstrengend immer so mit der Lupe vor der Wand zu stehen und die Tierchen zu beobachten. Ich holte mir einen Stuhl und als ich lange Zeit den Schaukelbewegungen der Ameise zugesehen hatte fiel mir ein, dass da ja noch Schwiegervaters Schaukelstuhl in der Ecke stand und ich dachte: -Wenn sogar die Ameisen faul sein können, kann ich es auch! –
Dabei muss ich dann wohl eingeschlafen sein, denn ich weiß echt nicht, warum mein Gatte so fluchte, als er die letzte Tapete um Mitternacht an die Wand brachte: „Alles muss man selber machen!“ tönte es hinterher in meinen Ohren. Den Ameisengeburtstag habe ich ihm sicherheitshalber verschwiegen. Sie werden sich über eine neue Tapete in ihrer Behausung gefreut haben.
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Es ließ mir keine Ruhe. Ich konnte mein Erlebnis mit den Ameisen nicht vergessen und immer wieder zog es mich zu der neu tapezierten Wand hin. Ich hielt mein Ohr an die Stelle der Wand, wo ich die fein säuberliche neue Wohnung der Ameisen vermutete. - Was würden sie jetzt dort treiben? – ging es mir durch den Kopf. Ob die Oberameise sich noch immer in ihrem Schaukelstuhl verwöhnen ließ? Zu gerne hätte ich wieder nachgesehen und ich begann mit einer Stecknadel ein winzig kleines Löchlein in die Tapete zu picken. Für die Vergrößerung besaß ich ja die Lupe und angestrengt versuchte ich durch diese hinter der Tapete etwas zu erkennen. Zu dumm aber auch, dass die Ameisenwohnung genau in der Mitte der Wand sein musste, ausgerechnet dort fiel es besonders auf, wenn die Tapete ein Loch hatte.
Meine Überlegungen gingen schon dahin, meinem Gatten die Dringlichkeit für einen neuen Wäscheschrank klar zu legen. Den könnte ich jedesmal zur Seite schieben: Er durfte natürlich nicht so schwer sein! Ja, diese Idee wurde zu einer fixen in meinem Kopf und sie nahm sogleich Gestalt an, nachdem ich es nicht lassen konnte, statt der Stecknadel die Stopfnadel zu suchen und aus dem Löchlein mangels besserer Sicht eine Vergrößerung durch diese dickere Nadel anzustreben. Dieser Vorgang brachte mich jedoch in Verlegenheit: Plötzlich vernahm ich deutlich einen Aufschrei: - Ach dujeh – dachte ich – sollte ich am Ende mit dem Pikser in die Tapete eine Ameise verletzt oder getötet haben? –
Wieder legte ich das Ohr auf die Stelle und versuchte mit der Lupe durch dieses immer noch recht undurchsichtige Löchlein zu spähen. Weder hörte noch sah ich wesentliche Einzelheiten und in mir plagte sich mein schlechtes Gewissen und die Neugierde trieb mich zum Handeln. Ich konnte nicht noch länger warten, ich wollte Gewissheit erhalten, noch bevor mein Gatte nach Hause kam.
Diesmal nahm ich die Spitze der Schere und versuchte vorsichtig, um keinen zu verletzen, die Tapete leicht einzuritzen. Mir fiel ein Stein von der Seele, als ich die Ameise leicht schaukelnd in ihrem Schaukelstuhl vorfand. Doch was war los mit ihr? Der Stuhl schaukelte zwar, aber die Ameise lag zusammengekauert in der Ecke und rührte sich nicht. – Sollte ich sie kurz antippen oder anbrüllen? – so recht wusste ich mir keinen Rat und ich stand noch unschlüssig vor der Wand herum, als es an der Wohnungstür schellte. Schnell erfasste mein Blick die Zeiger der Uhr, um zu erkennen: Ich musste mich von der Wand mit den Ameisen trennen, wenn ich nicht als Verrückte von meiner besseren Hälfte angesehen werden wollte.
Ich eilte, um ihm die Türe zu öffnen und wenn es mir auch schwer fiel: Ich beherrschte mich und suchte am gleichen Tag den Raum nicht mehr auf. Nein, es stimmt nicht ganz, ein mal huschte ich noch schnell hinein um festzustellen: Sie bewegte sich, die Ameise. Mehr wollte ich im Moment nicht wissen und fröhlich nahm ich die mündliche Vorbereitung für meinen neuen Wäscheschrank in Angriff.
Noch bevor ich die Wohnung verließ, um meiner täglichen Arbeit nachzugehen lief ich aufgeregt ins Gästezimmer. In Anbetracht der Tatsachen, dass ich noch heute meinen neuen Wäscheschrank haben würde, ließ ich alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht und stocherte mit meinem Zeigefinger in dem geöffnete Tapetenloch herum. Diesmal vermisste ich die Ameise aus dem Schaukelstuhl und ihre Kollegen komplett. Ob sie mit den Ameisen arbeiten würde, so wie ich es gerade ebenfalls vor hatte?
Erstaunt stellte ich fest, dass die gesamte Mannschaft auf Wanderschaft zu sein schien und es ließ mir keineRuhe, ich suchte nach ihr und fand sie dann endlich: Sie hatten ihre Ameisenstraße verlängert; sie führte jetzt schnurstracks Richtung Decke und ebenfalls in die Richtung transportierten sie die Schaukelstuhlameise. Ob ich sie an Abend denn doch verletzt hatte? Sie trugen sie jedenfalls sehr behutsam, so, als wäre sie zerbrechlich.
Es passte mir nicht so recht, dass ihr künftiger Weg Richtung Zimmerdecke führen sollte. Das musste ich auf alle Fälle verhindern. Ich ließ vorerst Arbeit Arbeit sein und stoppte ihren Pfad, indem ich mit einem langen Nagel (einen kurzen fand ich nicht gleich) und einem Stück Holz ihren Weg verbarrikadierte. Dann machte ich mich schleunigst davon.
Am Nachmittag war es dann geschehen: Der neue Schrank stand in aller Pracht vor mir. Die Möbelpacker nahmen das Trinkgeld und die Rückwand mit, die ich nicht behalten wollte und machten sich auf den Rückweg. Ich begab mich sogleich daran, den Aufenthalt für die Ameisen so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie waren nicht faul gewesen und hatten ihre Straße in der Zwischenzeit um das Nagelbrett herum geführt und ich musste mit Bedauern feststellen, dass ihr Weg Richtung Decke bereits über dem Schrank hervor kam. Dabei war es gar nicht so einfach gewesen, den richtigen Schrank zu finden. Fast alle Schränke in Brusthöhe hatten Schubladen, bis auf eine Ausnahme, nämlich dieser.
Ganz abgesehen davon, dass ich mir auf meiner Arbeitsstelle eine Rüge einhandelte, wegen Zuspätkommens und wegen Abwesenheit auffiel, weil ich kurz zwischendurch in ein Möbelgeschäft eilte, so war dieses jetzt der größte Ärger des Tages. Was nützte mir der Schrank, wenn sie nicht dort bleiben wollten?
Da kam mir plötzlich eine grandiose Idee: Ich holte eine Taschenlampe und suchte nach dem Miniatur-Schaukelstuhl. Tatsächlich, ich hatte die Lösung gefunden. Der Schaukelstuhl befand sich auf dem Rücken mehrerer Ameisen und wurde Richtung Zimmerdecke transportiert. Ich war stolz auf mich, als ich es schaffte, mit der Nadel dieses winzige Möbelstück aus den Armen der Ameisen zu befreien und zurück in die Wand zu befördern und tatsächlich änderte sich sofort ihr Weg in die alte Behausung zurück.
Es gefiel mir nicht so besonders den Tierchen nur bei ihrem emsigen Treiben zuzusehen. (Sie bedinenten von allen Seiten die Schaukelstuhl-Ameise, denn sie schien wirklich schlecht drauf zu sein), nein, ich versuchte auch mit ihnen zu reden, nachdem ich bereits ihre Sprache verstehen konnte. Doch sie konnten oder wollten mich nicht hören.
Natürlich vergaß ich bei dieser intensiven Beschäftigung mich weiterhin um meinen Haushalt zu kümmern und das brachte mir am Abend einige Vorhaltungen ein von Seiten meines Gatten, der noch dazu den Schrankkauf als äußerst überflüssig ansah, da sich ohnehin keine Wäsche darin befand. Ebenfalls musste ich es mir gefallen lassen, dass er mir Desinteresse vorwarf und Vernachlässigung in Sachen Onkel Gustav, wobei er natürlich nicht ganz Unrecht hatte.
Am nächsten Tag überschlug ich mich bei der Hausarbeit, denn der Besuch von Onkel Gustav stand vor der Tür. Und was soll ich sagen: Er fühlte sich in dem bereit gestellten Schaukelstuhl von Schwiegervater sichtlich wohl und wie die Ameisen sausten wir an diesem Wochenende herum und bedienten ihn von allen Seiten. Der Tag wird ihm im Gedächtnis haften geblieben sein, denn er telefonierte noch oft mit uns.
Die Ameisen blieben seither brav im Schrank versteckt. Anstaltshalber hatte ich einige leichte Wäschestücke zur Attrappe im Wäscheschrank aufgestapelt. Es waren in erster Linie Männerunterhemden und Boxershorts, deren Stapel ich schnell entfernen konnte, wenn ich Zeit hatte, meine Ameisen zu beobachten.
Ich weiß nicht, sonst hat sich bei uns nicht viel geändert. Ach ja, das Kinderzimmer: Es wird bald gebraucht. Bei uns hat sich Nachwuchs angemeldet und mein Gatte? Es geht ihm gut, außer dass es ihn des öfteren juckt, er kratzt sich andauernd. Er sollte besser mal zum Arzt gehen!
Die Ameisen? Wahnsinnig interessant! Die Schaukelstuhl-Ameise ist die Königin und hinter den Wäschestücken wimmelt es von Eiern, aber Pssst, nicht verraten! Ich freu mich schon auf den Nachwuchs. Sicher kann ich noch mehr von ihnen lernen.