Tapfere neue Welt

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klaatu

Mitglied
Weil niemand
nach meinem Leben trachtet,
da es keinen interessiert,
beginne ich beleidigt,
mich selbst zu verletzen.

Ich lüge
im Auftrag der Wahrheit,
führe Krieg für den Frieden,
und verrohe,
um den Anstand zu wahren.

Aus schierer Langeweile
hysterisch geworden,
akzeptiere ich schließlich,
die Alternativlosigkeit
der zahllosen Möglichkeiten

- aus Angst davor,
bei all dem Überfluss
zu wenig abzubekommen.

Zur persönlichen Freiheit genötigt,
entscheide ich mich freiwillig
für lebenslange Einzelhaft.​
 

sufnus

Mitglied
Hey klaatu!

Ich würd die erste und die letzte Strophe weglassen. Diese Technik wende ich bei meinen Texten selbst gerne an - vor allem bei zweistrophigen Gedichten.
Tatsächlich haben aus irgendeinem verfickten Grund die guten Ideen häufig die Neigung, sich im Mittelteil von Gedichten zu verstecken und als "Pointe" haut der Dichter dann noch irgendwas raus, auf das er (z. B. rede ich jetzt von mir selbst) furchtbar stolz ist, das aber eigentlich banal, kitschig oder verquast rüberkommt (manchmal auch alles zusammen). So schlimm ist jetzt Deine letzte Strophe bestimmt nicht - aber so wäre der Text für mich nicht nur fokussierter und eindringlicher, sondern nachgerade vollständiger:

Ich lüge
im Auftrag der Wahrheit,
führe Krieg für den Frieden,
und verrohe,
um den Anstand zu wahren.

Aus schierer Langeweile
hysterisch geworden,
akzeptiere ich schließlich,
die Alternativlosigkeit
der zahllosen Möglichkeiten

- in ständiger Angst davor,
bei all dem Überfluss
zu wenig abzubekommen.​


Und ich bin nicht ganz sicher, obs den Beinahe-Huxleyzismus des Titels so zwingend bräuchte, wobei mir das "tapfer" schon irgendwie gut gefällt. :)

LG! :)

S.
 

klaatu

Mitglied
Hi zusammen!

@ sufnus

Tatsächlich habe ich den letzten Absatz erst vor dem Veröffentlichen vom Mittelteil ans Ende gezogen, schien mir in dem Moment passender. Aber deine gekürzte Version gefällt mir auch. Allgemein tendiere ich dazu, viel zu viel in einen Text zu packen und konzentriere mich zu selten auf das Wesentliche. Deshalb würde ich mich auch nicht als "Dichter" bezeichnen. Eher als Schwätzer. Das "tapfer" im Titel ist übrigens eine genauere Übersetzung von "brave" aus Huxleys Originaltitel.

@ Petra

Konsequent bin ich eher selten. Aber schön, wenn es dir gefallen hat.

LG
k
 

sufnus

Mitglied
Neinein beim Schwätzer muss ich Widerworte geben. Einen fürwahr wohlgewandten Schreiber stellst Du vor!
Und von meiner Mittelteilhypothese trete ich dann hiermit wieder nonchalant zurück - zumindest in Deinem Fall. Bei mir stimmt sie, glaube ich. :)
Was schließlich das vermaledeite "brave" angeht, ist das so eine Sache. Es schwingen im Englischen noch etwas mehr Bedeutungen mit als im deutschen "tapfer" oder "mutig". Für englische Ohren aus der Ära von diesem Typ aus Stratford wäre "brave" am ehesten tatsächlich mit "herrlich" oder schlicht "schön" zu übersetzen gewesen und das klingt im modernen Englisch immer noch ein bisschen mit an. Im Fall des Huxley-Titels umso mehr, als es sich hier tatsächlich um ein Shakespeare-Zitat handelt.
Das treffendste Adjektiv für eine Übersetzung wäre vermutlich "wacker" (und so wurde der Huxleytitel auch in einer der ersten Ausgaben übersetzt), aber das geht halt auch wieder nicht, weil "wacker" einfach ein so arg aus der Zeit gefallenes Wort ist. Schade eigentlich. :)
LG!
S.
 

klaatu

Mitglied
Das mit dem Shakespeare-Zitat wusste ich nicht. Ich hatte nur irgendwo mal aufgeschnappt, dass die deutsche Übersetzung des Titels nicht gerade die akkurateste ist und heute hört man "brave" ja auch nur noch als mutig oder tapfer. "Wacker" ist eigentlich ein viel zu schönes Wort, als dass wir es einfach so aus der Zeit fallen lassen sollten!

LG
k
 



 
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