Arno Abendschön
Mitglied
Um ihn besser kennenzulernen, holte ich Franz einmal spontan von der Arbeit ab. Obwohl der Abend mild war, wollte er nicht spazieren gehen. Er lud mich auch nicht zu sich nach Hause ein. Stattdessen führte er mich in ein kleines Café, wie es Hunderte in Wien gibt. Es stellte sich heraus, dass Franz dort verabredet war. Aus der hintersten Ecke winkte uns ein langer, dünner Blonder zu sich heran. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er war auffallend knochig und sehnig und tief in den Bergen zu Hause. Er sprach auch so und gab sich anfangs wenig Mühe, sich mir verständlich zu machen. Mir fiel wieder ein, dass Franz selbst Tiroler war. Der Sehnige fragte bei der Begrüßung: „Ischt er das?“ Kaum dass wir saßen, begann er auf Franz einzureden und mich musterte er dabei fortwährend. Ich erfasste noch nicht, worum es ihm ging.
Dieser Knochige sagte mir von Anfang an nicht recht zu. Gewiss verkörperte er einen Typ, den ich nur noch nicht einzuordnen verstand. Ich hielt ihn zunächst für einen Sportler. Er sprach von Vorlauf, Ziel, Aufholen und Nachholen und dergleichen. Ging es um Marathon oder um Skilanglauf? Jedenfalls um Training und eine Art von Meisterschaft. Da begriff ich auf einmal, sein Ziel lag hier in der Stadt, an der Ringstraße – er wollte ins Parlament gewählt werden. Und wenn er erst drin wäre, dann würde sich auch sein Traum erfüllen. Er sprach mich endlich doch einmal an und sogleich mit großem Nachdruck. „Meine erste Rede halte ich natürlich nur in Frauenkleidern“, sagte der Inneralpine. Ich fand diese Vorstellung grotesk und fragte mich, was ich darauf antworten könnte. Mir fiel nichts ein, also hörte ich bloß weiter zu.
Der Sehnige, an dem mir alles so maskulin vorkam, begründete sein Vorhaben mit gesellschaftlichen Erfordernissen. Während er mich weiterhin fixierte wie der Hund den Knochen, den er schon zwischen den Pfoten hält, voller Vorfreude auf das Benagen, hielt er seinen Vortrag nun wieder, wie es schien, allein für Franz. Er brachte es fertig, die Augen einerseits und die Stimme andererseits in zwei verschiedene Richtungen zu lenken. Franz schien seinem Gesichtsausdruck nach diese Argumente längst zu kennen, er sah gelangweilt drein. Der Monolog war also schon öfter gehalten worden. Ich verstand den Inneralpinen jetzt besser. Er rasselte seine Stichworte herunter: Reformstau, Veränderungsprozess, Feminisierung, Gewaltabbau … Zum Schluss versicherte er noch einmal, im Fummel ans Rednerpult zu treten, sei ihm darüber hinaus ein tiefes persönliches Bedürfnis.
Wir ließen ihn im Café zurück. Draußen lachte Franz, umhalste mich und küsste mich dabei auf die Wange. „Wie fandest du ihn? Soll man ihn wählen, unseren Alpenguru? Glaub doch nicht alles, was er sagt. Ich kenne ihn schon länger. Weißt du, seine persönlichen Bedürfnisse sind ganz andere.“ Er ballte die Rechte zur Faust, hob sie in die Höhe und ließ sie auf eine unsichtbare Tischplatte niedersausen. Franz wurde mir immer lieber. Warum hatte er mich in dieses Café geführt und den sonderbaren Politiker präsentiert? Ich weiß bis heute nicht, ob er später tatsächlich einen Sitz ergattert hat.
Dieser Knochige sagte mir von Anfang an nicht recht zu. Gewiss verkörperte er einen Typ, den ich nur noch nicht einzuordnen verstand. Ich hielt ihn zunächst für einen Sportler. Er sprach von Vorlauf, Ziel, Aufholen und Nachholen und dergleichen. Ging es um Marathon oder um Skilanglauf? Jedenfalls um Training und eine Art von Meisterschaft. Da begriff ich auf einmal, sein Ziel lag hier in der Stadt, an der Ringstraße – er wollte ins Parlament gewählt werden. Und wenn er erst drin wäre, dann würde sich auch sein Traum erfüllen. Er sprach mich endlich doch einmal an und sogleich mit großem Nachdruck. „Meine erste Rede halte ich natürlich nur in Frauenkleidern“, sagte der Inneralpine. Ich fand diese Vorstellung grotesk und fragte mich, was ich darauf antworten könnte. Mir fiel nichts ein, also hörte ich bloß weiter zu.
Der Sehnige, an dem mir alles so maskulin vorkam, begründete sein Vorhaben mit gesellschaftlichen Erfordernissen. Während er mich weiterhin fixierte wie der Hund den Knochen, den er schon zwischen den Pfoten hält, voller Vorfreude auf das Benagen, hielt er seinen Vortrag nun wieder, wie es schien, allein für Franz. Er brachte es fertig, die Augen einerseits und die Stimme andererseits in zwei verschiedene Richtungen zu lenken. Franz schien seinem Gesichtsausdruck nach diese Argumente längst zu kennen, er sah gelangweilt drein. Der Monolog war also schon öfter gehalten worden. Ich verstand den Inneralpinen jetzt besser. Er rasselte seine Stichworte herunter: Reformstau, Veränderungsprozess, Feminisierung, Gewaltabbau … Zum Schluss versicherte er noch einmal, im Fummel ans Rednerpult zu treten, sei ihm darüber hinaus ein tiefes persönliches Bedürfnis.
Wir ließen ihn im Café zurück. Draußen lachte Franz, umhalste mich und küsste mich dabei auf die Wange. „Wie fandest du ihn? Soll man ihn wählen, unseren Alpenguru? Glaub doch nicht alles, was er sagt. Ich kenne ihn schon länger. Weißt du, seine persönlichen Bedürfnisse sind ganz andere.“ Er ballte die Rechte zur Faust, hob sie in die Höhe und ließ sie auf eine unsichtbare Tischplatte niedersausen. Franz wurde mir immer lieber. Warum hatte er mich in dieses Café geführt und den sonderbaren Politiker präsentiert? Ich weiß bis heute nicht, ob er später tatsächlich einen Sitz ergattert hat.
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