Tassenpisser

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I.​

Alles begann vor ein paar Jahren in einem Urlaub an der Goldküste Spaniens; es hätte freilich auch an einem Urlaubsort sein können, der keine so glänzende Bezeichnung hat.
Er, von dem hier die Rede ist, war mit seiner Frau in einem annehmbaren Hotel in einem ebensolchen Zimmer abgestiegen. Wie in diesen Zimmern üblich, liegt das Bad unmittelbar neben dem Schlafraum. So praktisch das auch ist, so störend mag sich das auswirken, wenn eine Person oder gar beide einen leichten Schlaf haben. Womit wir beim Beginn der Geschichte sind.
Seine Frau schläft nicht nur schwer ein. Sie wacht auch sehr leicht auf. Nachdem sie dann nicht gleich wieder einschlafen kann, vermeidet ihr Ehemann jedes lautere Geräusch; sogar einen Hustenreiz versucht er zu unterdrücken. (Zum Glück ist er kein Schnarcher.) Auch beim nächtlichen Aufstehen, um seinem Harndrang nachzugeben, muss er so behutsam wie möglich vorgehen. Zuhause geschieht das in der Regel nur einmal pro Nacht; dann schleicht er sich aus dem Schlafzimmer zu dem am Ende des Flurs gelegenen WC. Die Betätigung der Spülung nach der Entleerung der Blase ist im Schlafzimmer nicht zu hören. Worauf er achten muss, ist, dass ihm nicht versehentlich die Klobrille aus der Hand gleitet und diese auf den Kloschüssel kracht.

Anders verhält es sich jedoch in einem Hotelzimmer, so auch in jenem, in dem die beiden sich für zwei Wochen einquartiert hatten. Sich ins Bad und zur Kloschlüssel zu schleichen (ein Urinal gibt es nicht) und die Tür zu schließen, konnte er unser Mann noch einigermaßen geräuschlos vornehmen, auch wenn er sich anfangs zur Orientierung an den Wänden und Möbel entlangtasten musste. Aber die Spülung zu betätigen, was er in der ersten Nacht aus Gewohnheit tat, war zu viel, denn der Spülkasten füllte sich nicht nur laut gurgelnd wieder auf; zudem war dieser an der Wand zum Schlafzimmer angebracht.
Als er wieder ins Zimmer eintrat, hörte er auch schon seine Frau mit schläfriger Stimme: „Musst du denn so laut machen.“
„Schlaf ruhig weiter, ich war nur auf dem Klo“, antwortete er leise und legte sich wieder hin. ´Das passiert mir nicht nochmal´, nahm er mir vor.

Wie in allen Nächten musste er auch in der nächsten Nacht wieder raus, doch es war nicht mehr nötig, die Toilettenspülung zu betätigen. Warum? Nun, er pieselte nämlich in das Waschbecken; mit einem bübischen Wohlgefallen sah er zu, wie der Urin in einem sich dahinschlängelnden gelben Rinnsal völlig lautlos in den Ausguss floss. Anschließend drehte er kurz den Wasserhahn auf, um die Spur zu beseitigen und löschte das Licht, dass er zur Verfolgung seiner neuen Praxis angemacht hatte.

Seine anfänglichen Skrupel besänftigte er mit dem Gedanken, dass ja das Waschbecken und die Toilettenschüssel aus ein und demselben Keramikmaterial seien und auch noch die gleiche weiße Farbe haben; außerdem geht letztlich alles in die gleiche Kanalleitung und ins Klärwerk. Hoffentlich haben die ein solches überhaupt und das Zeug fließt nicht ins Meer, war ein sich anhängender Nebengedanke. Was ihn allerdings körperlich sehr störte, war, dass er sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um seinen Schniedel über die Höhe des Beckenrandes zu bringen.

In der darauffolgenden Nacht musste er sogar zweimal raus, weil er am Abend – wie das im Urlaub so vorkommt – etwas über den Durst getrunken hatte. Und wieder musste er nur den Wasserhahn kurz aufdrehen. Die neue Praxis hatte jedoch einen Haken. Aufgrund des angestrengten Anhebens der Fußballen, das sich in der zweiten Nacht wegen des starken Andranges einige Minuten hinzog, hatte er am dritten Tag in beiden Waden einen Muskelkater bekommen. Was also tun? Einen Stuhl konnte er schlecht vorher schon im Bad platzieren, dass hätte nur die unliebsame Frage heraufbeschworen, für welchen Zweck er diesen bräuchte. Ihn vom Schlafzimmer jedes Mal herüber und wieder zurückzutragen, kam auch nicht in Frage; man weiß ja, was passiert, wenn man partout verhindern will, irgendwo anzustoßen. Außerdem hätte er sein Geschäft von zu weit oben herab erledigen müssen, was eine unvermeidlich auf Kosten der Präzision gegangen wäre. Er wusste sich schließlich nicht anders zu helfen, als ab sofort in seinen Zahnputzbecher zu pinkeln. Diese Idee trug er schon tags zuvor mit sich herum, da ließ sie sich aber noch zurückdrängen.

Das nächtliche Austreten stellte von da an eine Erleichterung dar, abgesehen von dem befreienden Gefühl der sich entleerenden Blase. Unser Klogänger musste sich nämlich nicht mehr strecken und konnte bequem in den Becher urinieren. Seine Frau und er hatten sich ihre Zahnputzbecher von zuhause mitgenommen, was sie immer so machen, wenn sie in Hotels absteigen. Das neue Vorgehen hatte auch den Vorteil, dass er den gefüllten Becher direkt in den Ablauf des Waschbeckens kippen konnte, so dass sich das Aufdrehen des Wasserhahnes auf ein Minimum begrenzen ließ. Das wurde allerdings dadurch wieder aufgehoben, dass der Becher manchmal nicht alles aufnehmen konnte, was er abließ, so dass sich dieser ein zweites Mal füllte und entleert werden musste. (Nur am Rande sei bemerkt, dass die dafür nötige zwangsweise Unterbrechung des Füllvorganges eine zusätzliche Anstrengung darstellte.) Hinzu kam auch noch, dass der Becher nach Ende der Prozedur ausgeschwenkt werden musste. Alles zusammen verursachte die neue Praxis letzten Endes einen größeren Aufwand als das Pinkeln mit gestreckten Waden. ´Aber habe ich eine Wahl´?, fragte er, sich selbst entschuldigend.

Noch eines sei hier erwähnt, da beim Lesen bei vielen sicher die insgeheime Frage auftaucht, ob unser nicht auch mal den Becher seiner Frau benutzt hat. Ja doch, unser Mann musste in den weiteren Nächten des Öfteren gegen die Versuchung angehen, das zu tun, vor allem, wenn er sich wegen irgendetwas über seine Frau geärgert hatte. Ob ihm das immer gelungen ist, soll sein Geheimnis bleiben.


II.​

Nach zwei Wochen ging es wieder nach Hause in das alltägliche Leben und die vertrauten vier Wände. Nach kurzer Zeit ging wieder alles seinen gewohnten Gang. Und doch hatte sich bei unserem Becherpisser etwas verändert. Er konnte nämlich nicht mehr von seiner in Spanien geborenen Angewohnheit lassen. Sie war zu einer hartnäckigen Marotte geworden; ihr haftete der Reiz des Verbotenen und Ungehörigen an. Wie es solche Unarten an sich haben, geben sie sich jedoch mit dem Momentanen nicht zufrieden. Sie wollen sich immer mehr ausweiten und variieren. So erging es auch ihm und seiner Unart.

Nachdem im Bad das Waschbecken etwas niedriger hängt als in jenem Hotel, konnte er wieder dazu übergehen, sich ohne Mühe Blaseninhaltes in das Becken zu entledigen; anfangs kostete ihm das zugegebenermaßen einige Überwindung, die sich aber schnell verlor. Durch den günstigen Umstand, dass es neben dem Bad auch noch ein extra WC gab, konnte er die Waschbecken abwechseln. Um der möglichen Frage seiner Frau zu entgehen, warum er in letzter Zeit so oft ins Bad gehe, gab er lapidar und kurz zur Antwort, dass das wohl an seiner Prostata liegt. Wie gesagt haben Eigenheiten den Hang zu Steigerungen. Die unseres Mannes war davon nicht ausgenommen. Mehr noch – es kam zu einer Zäsur. Er ging nämlich eines Tages dazu über, in Tassen zu pinkeln. Ja, richtig gelesen – in Tassen, in richtige Trinktassen, welche die beiden in ständigem Gebrauch haben.

Man kann sich vorstellen, dass er seiner neuen Leidenschaft – denn zu der wurde sein Tun – nur mit äußerster Vorsicht nachgehen konnte. Wenn die Luft rein war, öffnete er den Schrank mit den Tassen und nahm sich eine heraus, stets eine der vorderen. Damit sich auch ein Genuss einstellen kann, machte er das, wenn der Druck auf der Blase eine gute Ausbeute versprach. Zu einem Hochgenuss wurde es, wenn er dem Drang zur Entleerung so lang wie möglich standhielt. Dann musste er sogar zwei Tassen bereithalten. Wenn er die beiden Tassen mit der warmen Flüssigkeit vor sich hatte, staunte er über von ihm produzierten Menge. ´Es ist wirklich beeindruckend, wieviel die Blase aufnehmen kann. Das wissen bestimmt nicht viele´, dachte er sich nicht ohne Stolz. Dabei bedauerte er, dass niemandem mitteilen zu können. Aber wie der Mensch so ist, er will immer noch mehr. Und so verfiel unser Tassenpisser der Jagd nach Rekorden. Ab einem gewissen Zeitpunkt genügten ihm zwei volle Tassen nicht mehr. ´Drei Tassen! Drei Tassen muss ich schaffen´ gab er sich als Zielmarke vor. Um das zu erreichen, trank er mehr als üblich und ließ seine Blase bis zum äußersten Maß des Erträglichen anschwellen. Und tatsächlich, eines Abends, seine Frau saß vor dem Fernseher, war es vollbracht – drei volle Tassen voll goldgelber und klarer Flüssigkeit standen am Waschbecken. ´Es könnte auch Bier sein´ sagte er sich, empfand darauf aber sogleich einen Abscheu: ´Warmes Bier und noch dazu ohne Schaum – oh nein, wie furchtbar´. Um diese Vorstellung zu tilgen, goss er den Inhalt der Tassen schnell in den Ausguss des Spülbeckens und stellte die Tassen wieder abgetrocknet in den Schrank, wie er das im Übrigen immer macht.

Um das Bild seiner Manie abzurunden, soll nicht unerwähnt bleiben, dass er auch die Duschkabine nutzt, um sich zu entleeren. Ach ja, und seinen Zahnputzbecher nimmt er zwischendrin auch noch her. (Ob er inzwischen seine Skrupel verloren hat, auch den Becher seiner Frau zu gebrauchen, soll abermals nicht verraten werden.)


III.​

Sein abnormes Verhalten, Tassen vollzupinkeln, ist nur die eine Hälfte seines Vergnügens, das er daraus zieht. Die andere betrifft den Umstand, dass seine Frau mit ihm jeden Morgen am Frühstückstisch sitzt und sich Kaffee in ihre Tasse einschenkt. Und dann am Nachmittag noch einmal. Er hat nichts gegen seine Frau, im Gegenteil, die beiden kommen gut miteinander aus und schätzen sich gegenseitig. Und doch genießt er weidlich das befriedende Gefühl, das sich jedes Mal aufs Neue einstellt, wenn er neben ihr sitzt und in sich hineinspricht: ´Wenn du wüsstest! ´ Dabei muss er allerdings aufpassen, keine zu genüssliche Miene aufzusetzen. Dass kam nämlich anfangs vor, worauf ihn seine Frau angesprochen hatte: „An was denkst du denn, dass du so grinst?“ wollte sie dann von ihm wissen.

„Ach, an nichts Besonderes“ oder „Ich freu´ mich eben, einfach so“ waren seine Antworten. Er musste also den Spagat vollziehen, sich im geheimen zu amüsieren, ohne dass das im Gesicht abzulesen ist. Aber mit der Zeit bekam er Übung darin. Um dieser ständigen Anspannung zu entgehen, ging er dazu über, eine humorige Bemerkung zu machen, die ihn zu einem Grinsen berechtigte. Aber auch da durfte er nicht übertreiben, denn auch das konnte beargwöhnt werden. Dass er selbst ebenfalls hin und wieder aus einer Tasse trank, die er zuvor mit seinem Harn gefüllt hatte, tat seinem Vergnügen keinen Abbruch.

Wie in allen Lebensbereichen stellte sich auch da bald ein Gewöhnungseffet ein und er kam auf die Idee, seine Tassenpisserei auch außer Haus auszuüben, bei Verwandten und Bekannten. Der besondere Reiz lag hier darin, dass er flexible Taktiken anwenden musste, um Erfolg zu haben. Einer seiner gelungenen Testläufe bei einem guten Bekannten, den er selbstredend ohne seine Frau durchführte, spielte sich wie folgt ab: Nach dem Eintreffen am Nachmittag (es musste nachmittags sein, da er dann sicher sein konnte, dass es Kaffee gibt) nahm man im Wohnzimmer Platz. Unter dem Vorwand, austreten müssen, ging er unauffällig in die Küche und entnahm dem Küchenschrank zwei zuvorderst stehende Tassen; zwei deswegen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sein Bekannter später aus einer dieser Tassen trinken würde. Mit den Tassen verschwand er im WC und füllte diese wie gewohnt. Um das zu gewährleisten, hatte er bereits zuhause viel Wasser getrunken. Danach spülte er die Tassen aus und stellte sie wieder in den Schrank.

Wieder zurück im Wohnzimmer wartete er ungeduldig auf das, was kommen würde. Er kam sich dabei wie ein Theaterbesucher vor, der dem Aufgehen des Vorhanges entgegen-fiebert. Als sich dieser sich dann endlich hob, dampfte am Tisch der Kaffee aus jenen zwei Tassen, die unser Mann zuvor missbraucht hatte. (Er erkannte die Tassen am Dekor.)
Sein Bekannter führte eine von ihnen an seine Lippen und nahm einen Schluck und schwärmte:

„Es geht doch nichts über eine frische Tasse Kaffee“ schwärmte er. Diese Bemerkung ging unserem Tassenpisser runter wie Öl und er konnte mit hämisch-strahlendem Gesichtsausdruck seinen Triumph auskosten, der umso befriedigender war, als sein Bekannter nicht die geringste Ahnung hatte. Dass er ebenfalls eine der vorher missbrauchten Tassen zum Mund führte, störte ihn genauso wenig wie zuhause.


IV.​

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass unser Tassenpisser ein pervers veranlagter Mensch sei, dem auch noch andere, verwerflichere Taten zuzutrauen sind. Aber dem ist nicht so. Denn seine Unart ist keineswegs symptomatisch, was sein alltägliches Leben angeht. Er zeigt nämlich in allen Bereichen ein unauffälliges normales Verhalten. Als rüstiger Rentner hilft er seiner Frau im Haushalt, begleitet sie regelmäßig beim Einkaufen, besucht hin und wieder Bekannte (nicht bei allen lebt er seine Marotte aus), unternimmt Fahrradtouren und ist im Schachclub. Daneben hilft er bei der örtlichen Tafel mit. Was allerdings vielen auffällt, ist, dass er in letzter Zeit ausgeglichener und zuweilen geradezu fröhlich wirkt. Immer wieder zeichnet sich auf seinen Lippen ein leichtes Grinsen ab, so als denke er an etwas ihn Erheiterndes.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Schwalbenmann,

klasse Geschichte!

Hätte mir nur ein dramatischeres Ende gewünscht.

Gerne empfohlen!

Viel Spaß in der Leselupe und viele Grüße,

DS
 
Lieber DocSchneider,

vielen Dank für deine Einschätzung. Ich hatte ursprünglich tatsächlich einen anderen Schluss. Da lässt der Tassenpisser auf dem WC eines Bekannten eine seiner Tassen samt Inhalt fallen und der Bekannte tritt durch die nur angelehnte Tür und sieht, was da vor sich geht.

Viele Grüße
Robert
Schwalbenmann
 

Matula

Mitglied
Eine merkwürdige Geschichte, weil sie nicht ansatzweise nach einer Erklärung sucht, sondern den Leser nur einlädt, an der kindlichen Töpfchen-Obsession des Protagonisten teilzuhaben. Oje.
Am Ende des zweiten Absatzes sollte es "nahm er sich vor" heißen.

Schöne Grüße,
Matula
 
Eine merkwürdige Geschichte, weil sie nicht ansatzweise nach einer Erklärung sucht, sondern den Leser nur einlädt, an der kindlichen Töpfchen-Obsession des Protagonisten teilzuhaben. Oje.
Am Ende des zweiten Absatzes sollte es "nahm er sich vor" heißen.

Schöne Grüße,
Matula
Danke für den Fehlerhinweis.
Zur Geschichte: Sie ist auch als Studie eines Mannes zu sehen, den man dabei beobachten kann, wie er Unbotmäßiges macht.
Viele Grüße
Schwalbenmann
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo,
ich dachte, wir wären hier im Forum "Kurzgeschichten". Wenn man den Inhalt deiner Geschichte mal zusammenkürzt, liest sich das so: Eine Person hat Spaß daran, in alle möglichen Behältnisse zu pinkeln. Ende!
Das kann es doch nicht sein, oder?

In diesem Forum sind ja vollständige Kurzgeschichten, sog. Plot-Geschichten mit Anfang, Mitte und Ende (Ende auch gleich Pointe) extrem rar. Fast alles beschreibt eine Szene, ist bestenfalls Skizze. Dieser Text hier ist aber gar nichts und mit viel Wohlwollen lediglich Inhalt einer Biertisch-Gaudi. Ein guter Schreiber hätte daraus eine Psycho-Story gemacht.

Gruß
Bo-ehd
 
Dabei wäre es so leicht, eine Pointe zu erzeugen. Diese Geschichte ist schon 1000 mal erzählt: Man wird unachtsam, leert nicht sofort aus und dann - na was wohl?
Da gibt's sogar irgendso ein Lied: "Dieser Riesling ist ein Piesling"

MfG
Binsenbrecher
 



 
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